Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema komme, möchte ich eine kleine Anekdote von neulich loswerden, die gar nichts mit dem Thema zu tun hat, obwohl ich, wie ich mich kenne, trotzdem krampfhaft einen Übergang versuchen werde.
Neulich lud mich eine Geschäftsfreundin zu einem Catch-up-Mittagessen (nicht zu verwechseln mit einem Ketchup-Mittagessen) in den etwas vornehmen Tokyo American Club ein. Besorgt, dass ich womöglich als Junge vom Lande nicht mit den Gepflogenheiten urbaner Erwachsener vertraut wäre, sagte sie gegen Ende der Terminabsprache: „You have to wear a shirt with a collar.“ Ich sollte also ein kragenbewehrtes Hemd tragen, so ich Zutritt zum Speisesaal begehrte. Das war natürlich kein Problem; abgesehen von Unterhemden habe ich gar keine Hemden ohne Kragen, und nur fürs Unterhemd ist es jetzt (endlich) zu kalt. Allerdings war unsere Internet-Telefonverbindung nicht gerade von Fünf-Sterne-Qualität und die Geschäftsfreundin saisonbedingt arg verschnupft, deshalb verstand ich: „You have to wear a shirt with the colors.“ Da dachte ich mir: Die sind aber streng geworden! Das letzte Mal, dass ich mich im TAC verlustieren durfte, musste man kein Hemd in den amerikanischen Farben tragen. Ist das wegen Trump? Ist diese vormals gar nicht so unsympathische Ausländerorganisation jetzt auch eingeknickt? Dann vielleicht doch lieber Ketchup-Mittagessen bei Mos Burger. Glücklicherweise fragte ich noch zweimal nach, und das Missverständnis klärte sich auf. Weder erschien ich zur Verabredung angetan wie ein Rodeo-Clown noch zornig mit Protestbanner. Das Erstaunliche an dieser kleinen Schnurre ist meines Erachtens, dass ich den Gedanken, ich könnte mich eingangs NICHT verhört haben, zwar ein wenig absurd fand, aber nicht völlig undenkbar. Vielleicht sind wir schon so weit gekommen. Vielleicht bin auch nur ich schon so weit gekommen. Das ist ein idealer Übergang zu meinem eigentlichen Thema: Amerikanische Filme. Speziell amerikanische Weihnachtsfilme. Heute insbesondere amerikanische Weihnachtshorrorfilme. Und einer kommt nicht mal aus Amerika. Es geht also um das sogenannte Ho-Ho-Horror-Subgenre. Bitte vergessen Sie meine Titelankündigungen aus der letzten Folge, ich habe es auch längst getan. Manchmal hat das Schicksal andere Pläne, und dann macht man Limonade. Oder holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank, um beim Thema zu bleiben. Hand aufs Herz: Weihnachtshorrorfilme sind selten gut. Zumindest selten richtig gut. Kein Wunder, schließlich bringen Weihnachtshorrorfilme nur an Weihnachten die Kassen zum Klingeln, und dann wahrscheinlich sogar unabhängig von ihrer Qualität (also wie alle anderen Weihnachtsfilme auch). Da muss man sich keine Mühe geben. Da kann man ruhig mal Fred Olen Ray anstatt David Cronenberg ranlassen, denkt man sich in der Filmproduktionsbuchhaltung. Doch Wunder gibt es immer wieder, und in diesem Jahr ist mir das eine oder andere geschehen. Ich rede dabei nicht von Violent Night, dem Saison-Hit von vor zwei Jahren mit dem Weihnachtsmann als Action-Held, den ich nach kurzer Zeit abgebrochen habe. Das hätte ich mit 12 Jahren vermutlich im Brustton der Überzeugung als „messerscharfe Satire“ gepriesen, aber heute ist es mir zu stumpf. Apropos Messer. Angesichts des bescheuerten Titels hätte ich mir It’s a Wonderful Knife beinahe gar nicht erst angeschaut. Doch mir blieb buchstäblich kaum eine Wahl. Zum Glück. So viel Spaß hatte ich mit einem Weihnachtsfilm schon lange nicht mehr. Wie der Filmtitel ist die Handlung eine Annäherung an den Weihnachtsklassiker It’s a Wonderful Life (das entschuldigt natürlich nichts): Einer jungen Frau, die sich eines Nachts im Affekt wünscht, nie geboren worden zu sein, wird paralleldimensional vor Augen geführt, wie viel schrecklicher die Welt ohne sie darin wäre; insbesondere in Bezug auf den maskierten Serienmörder, der sich äußerst negativ auf die Stimmung und die Einwohnerzahl in ihrem Heimatort auswirkt. Erfrischenderweise betet das Skript nicht die falschen Götzen des Plots und der überraschenden Handlungswendungen an. Ein gesundes Tempo und liebevoll gezeichnete Figuren sind ihm wichtiger. Die Geschichte wird kaum über die Prämisse hinaus entwickelt, und selbst deren innere Logik wackelt arg, wenn man unbedingt Spielverderber sein muss und allzu verbissen drüber nachdenkt. Oder überhaupt drüber nachdenkt. Doch vor der öden, buchhalterischen Logiklückenerbsenzählerei mancher angeblicher Filmfreunde sollten wir zumindest an Weihnachten Aug und Ohr fest verschließen, dafür unser Herz so sperrangelweit öffnen, als wäre es ein sternebestrahltes Scheunentor in Betlehem. Kritiker waren übrigens von It’s a Wonderful Knife nur mäßig begeistert. Das hat der Film heute mit It’s a Wonderful Life damals gemeinsam. Ich meine ja nicht, ich sage ja nur. Norwegischer Horror scheint so langsam ein Ding zu werden, wie wir Berufsjugendlichen sagen. Ist das N-Horror? No-Horror? No-Ho-Ho-Horror? An der Verschlagwortung muss noch gefeilt werden. There’s Something in the Barn ist so etwas wie das norwegische Gremlins, nur mit lieben Elfen/fiesen Elfen anstatt Mogwais/Gremlins. Wer Gremlins mag und etwas für Norwegen übrig hat, kann damit nichts falsch machen. Silent Night – leise rieselt das Blut von 2012 ist angeblich ein Remake von Stille Nacht – Horror Nacht von 1984, den ich in meinen Flegeljahren höchstwahrscheinlich mindestens einmal gesehen habe. Es stellte sich allerdings beim Ansehen des neueren Films kein Ach-ja-Effekt ein. Vielleicht ist es nur ein Remake dem Namen nach, um sich bei den Horrorfans anzubiedern. Die sind ja bekanntlich ganz verrückt nach Remakes, können gar nicht genug davon bekommen, schreiben zu Abertausenden tagtäglich das Internet voll: „Mensch, wann kommt endlich mal wieder ein Remake? Immer nur Originalstoffe, Originalstoffe, Originalstoffe! Den Studios fällt auch echt nichts Altes mehr ein!“ Mein Verhältnis zu Silent Night – leise rieselt das Blut ist ein wie von einer großen, scharfen Axt gespaltenes: Einerseits hat der Film ein paar gut gespielte exzentrische Charaktere deutlich über Slasher-Film-Niveau, die für vereinzelte Momente von regelrechter Tiefganggefahr sorgen. Andererseits werden die stets von so maßlosen Gewaltexzessen abgebrochen, dass man sich fragt: Ist das noch Unterhaltung, oder kann das weg? Gut möglich natürlich (nein, eigentlich nicht), dass genau das künstlerische Absicht war: Das Genre und das Publikum entlarven und letzterem einen Spiegel vors Gesicht halten, auf dass es seine eigene hässliche Fratze erkenne und ihm das Ho-Ho-Ho im Halse steckenbleibe. Aber wir sind hier ja nicht bei Michael Ho-Ho-Haneke. So, machen wir an dieser Stelle mal einen Cut (Mann, bin ich heute in Form!) und sehen uns zum allerallerallerletzten Teil kurz vor Weihnachten noch mal wieder, so alles gutgeht. Dann unter anderem mit der Endschlacht der Titanen: Red One – Alarmstufe Weihnachten gegen Is it Cake? Holiday.Archiv des Autors: Andreas Neuenkirchen
Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest
Nur mein wirklich letztes Weihnachtsfest vor dem Fernseher, keine Sorge.
Hilfreich wäre es, wenn man sich an sein Geschreibe von gestern stets erinnern könnte, denn dann hätte ich gewusst, dass ich bereits im letzten Jahr damit gedroht hatte, in diesem Jahr zur Weihnachtszeit die ‚Flimmerkiste‘ auszulassen und meine Familie lieber mal bei Gesellschaftsspielen und Käsefondue neu kennenzulernen, als noch einmal dieses Elend zu ertragen, das sich dieser Tage Weihnachtsfilm nennt (Weihnachtsfernsehen mitgemeint). Aber nein, ich habe mich nur an eins erinnert: Dass ich jedes Jahr so viel Weihnachtsfilm und -fernsehen gucke, wie ich kann, um dann in meinem stets aktuellen Blog mit erschöpfender Ausführlichkeit darüber zu berichten. Meine Frau und ich haben uns in diesem Jahr größtenteils an die Filme der letzten Jahre gehalten, für die wir damals keine Kraft mehr gehabt hatten. Diese Ausschussware schien immer noch verheißungsvoller als die aktuellen Neuerscheinungen. Die Sharknadoisierung des Weihnachtscontents schreitet unerbittlich voran. Dieses Jahr begann für uns alles mit Genie, und da begann auch schon gleich der Ärger. Nicht so sehr über den Film; der war erträglich genug, um ihn in einem Rutsch zu schaffen (eine Seltenheit in meinem Alter). Aber hier ist die moderne Unsitte, englische Werktitel nicht mehr ins Deutsche zu übersetzen, besonders ärgerlich, geht es in der Geschichte doch nicht um ein Genie im Sinne der deutschen Wortdefinition (also einen Menschen „mit überragender schöpferischer Begabung, Geisteskraft“ – Duden), sondern im Sinne des orthographisch identischen englischen Begriffs, also einen „bösen Geist im vorislamischen Volksglauben“. Im Deutschen sagt man Dschinn dazu, ihr Genies! Wo sind die Zeiten geblieben, als man Filme wie diesen im deutschen Verleih noch Na hoppla – ein Flaschengeist lässt es ordentlich krachen! genannt hätte? Hollywood jedenfalls hat dem vorislamischen Volksglauben längst das Böse ausgetrieben, deshalb ist der Dschinn in Genie natürlich nicht böse, sondern Melissa McCarthy. Wie immer macht sie lustige Sachen, und wie immer sind die nicht so lustig, wie sie sein könnten, würde McCarthy sich vorher mal durchlesen, worauf sie sich da einlässt. Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass sie sich seit Jahren unter Wert verkauft. Allzu viel kann ich über Genie nicht mehr sagen, das ist schließlich schon rund zwei Wochen her, und es ist keiner dieser Filme, an die man sich am nächsten Tag noch erinnern würde (tatsächlich musste ich gerade überlegen, ob ich ihn dieses oder letztes Jahr gesehen habe). Eines meine ich allerdings doch im Gedächtnis zu haben, vielleicht auch eher im Gefühl: Es hat nicht weh getan. Was man nicht über alle Weihnachtsfilme sagen kann. Und das bringt uns direkt zu Our Little Secret, dem dritten und letzten Film aus Netflix‘ Knebelvertrag mit dem ehemaligen Kinderstar und der vorübergehenden Skandalnudel Lindsay Lohan. Endlich frei! Endlich wieder richtige Filme! Das hat sie sich verdient, und wir uns auch. Wie schon bei der Lohan-Netflix-Weihnachtszumutung Falling for Christmas (wir berichteten) gingen die Feuilleton-Meinungen über Our Little Secret in die Richtung, dass der Film nicht viel hermache, aber die alte Comebacknudel Lohan einiges raushaue. Und wieder sage ich: Nein, nein uuuund: Nein! Der Film macht in der Tat nicht viel her, doch leider macht‘s Lohan nicht besser. Sie kann vieles, aber nicht alles. Wunder wirken zum Beispiel nicht. Sie ist ja kein Dschinn. Ihre Lebenserfahrung hat sie gezeichnet, wie es Lebenserfahrung halt so tut. Ihre Zeit für Meet-Cute unterm Mistelzweig ist vorbei, und das ist keine Schande. Lindsay Lohan muss kurz vor 40 keine herzensguten, unverdorbenen Vorstadtmädchen mehr spielen. Lindsay Lohan soll gerne, zum Beispiel, Red Sonja spielen. Wenn sie dann auf dem Schlachtfeld versehentlich von hinten Conan den Barbaren anrempelt, klappt’s auch wieder mit dem Meet-Cute. Dafür würde ich sogar eine Kinokarte lösen. Aber nicht für diesen faden Weihnachtseintopf mit den üblichen Weihnachtseintopfzutaten: Erste Liebhabervorstellung bei den strengen Eltern, eine tote Mutter, ein rührender alleinerziehender Vater und ein Haus voller Erinnerungen, das zum Schluss doch nicht verkauft werden muss. Zu behaupten, dass dieser Lohan-Netflix-Eintopf ein kleines bisschen weniger fade wäre als der von 2022, ist rein wissenschaftlich betrachtet nicht ganz verkehrt, jedoch muss man schon sehr mikroskopisch rangehen, um den Qualitätsunterschied festzustellen. Ein Schauspieler, der gesichtsmäßig prädestiniert für Liebesgeschichten im Kunstschnee scheint, ist Justin Heartley, der Kevin aus This Is Us, Sie wissen schon, die Manny, der Tracker. Einer dieser Typen wie früher Brad Pitt, wo man es als Mann gar nicht verknusen konnte, dass der gleichzeitig aussehen und schauspielern konnte. In The Noel Diary spielt Heartley einen Schriftsteller mit toter Mutter, der sich in eine Frau mit verschwundener Mutter verliebt (im Schnee). Hätte ein richtig guter Film werden können, wenn man über das Skript noch mal einen geübten Ghostwriter hätte drüberschreiben lassen und sich der Regisseur und der Kameramann nicht gesagt hätten: Was soll’s, die Leute schauen sich’s ja eh nur auf dem Mobiltelefon an. Man kann direkt froh sein, dass The Noel Diary nicht gleich im Hochformat gedreht wurde. Mit anderen Worten: Die Story ist gar nicht mal schlecht, die Nasen sind sympathisch, hätte man sich in dieser Form aber auch auf dem Mobiltelefon ansehen können. Und mit diesem Skript meinetwegen sogar im Schnellvorlauf. Interessant ist an dem Film vor allem eins: Meine Frau. Mitunter kommt es ja vor, dass Filme recht plötzlich enden, ohne jeden kleinen Nebenkonflikt in Wohlgefallen aufgelöst zu haben. Normalerweise fällt dann meine Frau aus allen Wolken und ich mannkläre ihr, dass das bewusst so gemacht wurde und auch gut so ist. The Noel Diary endet ebenfalls mittendrin, und diesmal traf es mich völlig unvorbereitet. Ich schimpfte wie ein Rohrspatz, und es war an meiner Frau mir kühlen Kopfes zu frauklären, dass man sich den Rest ja wohl „denken“ könne. Nein! Denken kann ich nicht! Nicht bei Weihnachtsfilmen! Einen der Haupthandlungsstränge nicht zu Ende zu erzählen ist viel zu mutig für dieses Genre. In Christmas with You machen ein Popstar mit toter Mutter und eine Highschool-Schülerin mit toter Mutter musikalisch gemeinsame Sache, und am Rande verlieben sich der Popstar und der rührende alleinerziehende Vater der Schülerin. Der rührende alleinerziehende Vater wird von Freddie Prinze Jr. gespielt, der früher mal ein unanständiger Teenager-Traum war. Heute sieht er aus wie du und ich, also in erster Linie wie du. Das macht ihn so sympathisch. Wie der Film überhaupt unerwartet sympathisch ist. Besonders der Kunstschnee. Künstlicheren habe ich noch nie gesehen. Er fällt gerne mal von unten nach oben, ganz ohne andere Anzeichen von Aufwinden. Außerdem macht er nie etwas nass und scheint auch nicht allzu kalt zu sein. Weil wir erst mal genug Netflix-Kunstschnee gesehen hatten, wandten wir uns an die BBC, die jedes Jahr um diese Zeit einen Film namens Nativity! mit Dr. Watson als Grundschullehrer im Krippenspielstress wie Sauerbier anbietet. Ungefähr 50 Prozent der Witze im Trailer kann man als solche durchgehen lassen. Mir hat das gereicht, doch meine Frau legte Veto ein. Stattdessen blieben wir eine Weile bei The Making of Do They Know It’s Christmas? hängen, eine neu zusammengeschnittene Dokumentation aus alten Filmaufnahmen von den Tonaufnahmen der All-Star-Benefiz-Single. Die Aufnahmen waren wohl lange Zeit verschollen (das scheint bei der BBC öfter vorzukommen), und ihr Wiederauftauchen ist vermutlich eine pophistorische Sensation. Aber muss man sich das in Spielfilmlänge ansehen? Man weiß ja eh, wie es ausgeht. Wo ich allerdings schon mal eine stabile Verbindung zur BBC hatte, was auf unserer kleinen, entlegenen Insel keine Selbstverständlichkeit ist, schaute ich auch noch in das Death in Paradise Christmas Special 2023 hinein. 2023! Das klingt ja wie Science-Fiction! Bei Death in Paradise bin ich ca. 2014 steckengeblieben, als Ben Miller zum letzten Mal die Rolle des steifen, weißen, britischen Polizeibeamten spielte, der auf einer fiktiven Karibikinsel mit nicht-steifen, nicht-weißen, quasi-britischen Kolleginnen und Kollegen einen hochkomplexen Mordfall nach dem anderen aufklären muss. Ich habe wirklich versucht, offen für die Nachfolger zu sein, doch es hat mit keinem geklappt. Für solch einschneidende Veränderungen ist einfach kein Platz im Cosy-Crime-Genre. So nahm sich dieses Christmas Special zunächst erwartungsgemäß furchtbar aus. Wer waren all diese Leute? Warum war jetzt nicht nur die Hauptfigur so steif, sondern auch die gesamte schauspielerische Ensembleleistung und die Inszenierung? Als hätten die letzten zwei bis drei Jahrzehnte tatsächlich guten Fernsehens nie stattgefunden. Ich glaubte nicht, länger als zehn Minuten am Ball bleiben zu können. Allerdings war meine Frau inzwischen neben mir auf dem Sofa eingeschlafen, und vor dem Fernseher zu schlafen heißt dem Fernseher zu vertrauen. Ich wollte ihren Schlaf nicht stören und ihr Vertrauen nicht missbrauchen, indem ich zu etwas Aufregenderem umschaltete. Gott sei Dank. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an dieses seltsame 2023-Zukunftsszenario. Vielleicht war das, was ich zunächst für ungelenk gespielt und inszeniert gehalten hatte, einfach nur ungewohnt. Vielleicht war der neue Typ gar nicht so übel. Jedenfalls flutschte das irgendwann alles einigermaßen, und zum Schluss wurde der Mörder dingfest gemacht, wegen irgendwas mit einer Flasche, und Patsy Kensit, die Lindsay Lohan meiner Generation, war auch dabei, in einer altersgerechten Rolle (BBC, bitte einmal bei Lindsay Lohan anrufen). Das Death in Paradise Christmas Special 2023 ist klassisches Fernsehen in dem Sinne, dass man nebenher gerne noch andere Sachen macht, wie das handschriftliche Erstverfassen dieses Blogeintrags, und sich hinterher selbst nicht böse ist, wenn man nicht restlos alles mitbekommen hat. Ich habe übrigens tiefenpsychologisch analysiert, warum ich entgegen meinen sonstigen, sehr veränderungstoleranten Sehgewohnheiten so an Ben Miller hänge, wenn es um Death in Paradise geht. Er verließ die Serie nach der zweiten Staffel, weil er lieber bei seinem neugeborenen Kind in England bleiben wollte, als in der Karibik Krimis zu drehen. Ich entdeckte die Serie, als ich selbst gerade Vater wurde. Sie bot nicht nur die Art von unkompliziertem Eskapismus, die man in dieser Lebensphase gut vertragen kann, sondern ich konnte mich auch gerade durch seinen Weggang mit dem Hauptdarsteller genauso gut identifizieren wie mit der Rolle, die er spielte. Dagegen können die Zweit-, Dritt-, Viert- und die kommende Fünftbesatzung schwerlich anspielen. Bevor es zu sentimental wird (das können wir an Weihnachten natürlich nicht gebrauchen), mache ich an dieser Stelle erst mal Schluss. Lesen Sie im zweiten, vermutlich wirklich allerallerletzten Teil meiner Weihnachtsfilm- und Weihnachtsfernsehbetrachtungen: Violent Night, Black Doves, Carry-On und wenn ich ganz viel Mut aufbringen kann Nutcrackers sowie ausführliches allgemeines Abschlussgemecker über den Zustand der Welt (also das Weihnachtsprogramm von Streamern und anderen Fernsehsendern).Das Stachelschwein meines Nachbarn meiner Träume
„Ich habe gehört, du wärst gestürzt und dein Gesicht sei vollkommen entstellt!“ So und ähnlich tönte es mir entgegen, als ich unlängst in Bremen sommerte. Das kommt davon, wenn man hier mal was bloggt und da mal so Andeutungen über seinen Gesundheitszustand macht (nicht gut, aber auch nicht überaus besorgniserregend). Hierzu stelle ich fest: Die Verletzungen meines Sturzes sind längst auskuriert, und die Blessuren abgesehen von einer Verfärbung des rechten Knies und einer klitzekleinen Narbe über dem rechten kleinen Finger verblasst. Ich hatte sogar zaghaft bereits wieder ein paar Dauerläufe unternommen, bevor mich die nächste Unglücksverkettung ereilte, auf die ich nun nicht näher eingehen möchte. Nicht aus Diskretionsgründen, sondern weil es mich mittlerweile selbst langweilt. Nur eins: Mein Gesicht war nie in Mitleidenschaft gezogen; das sah schon immer so aus (Sie wissen schon, frei nach den alten Meistern: Maske-welche-Maske).
Sehen wir die positive Seite: Tabletten. Ich nehme am Tag 14 bis 15 ½ davon und bin überzeugt, dass mindestens eine dafür verantwortlich ist, dass ich in letzter Zeit nahezu verlässlich jede Nacht recht intensiv träume. Und das habe ich auch verdient, denn ich finde selten vor sieben Uhr morgens Schlaf (die ‚Nacht‘ im vorangegangenen Satz ist also relativ). Das wiederum liegt nicht an Krankheit oder Medikamenten, sondern an meiner Tochter, die diesmal der Jetlag voll erwischt hat. Vor 5:30 fällt ihr kein Auge zu, deshalb bleiben wir gemeinsam auf und gucken alternierend School Meals Time und The Caped Crusader, denn Gefälligkeiten sind keine Einbahnstraße. Ich selbst hätte keine Schwierigkeiten, zu üblichen Spießerzeiten einzuschlafen, aber wenn Hana endlich müde wird, bin ich wieder hellwach, und es dauerte eine Weile, bis ich ins Reich der intensiven Träume entschwinden darf. Davon möchte ich heute gerne erzählen. Denn was ist mir geblieben, außer meinen Träumen? Wir sind nun zurück aus dem wohltemperierten Europa mit seiner herrlichen Knipp-Cuisine und seinen reuelosen Outdoor-Verlustierungen. Zurück in dem Land, in dem man bis Oktober nicht das Haus verlassen sollte und mit Appetit nur kalte Nudeln und halb gefrorenen Wackelpudding essen kann. Letzte Nacht träumte ich, mein Nachbar hätte ein Stachelschwein. Allerdings nicht lange, denn eines Tages verschwand er und ließ das Tier auf meiner Türschwelle zurück. Zuerst war ich gar nicht begeistert, aber dann ging es: Ich nahm das Stachelschwein überall mit hin, und es wurde ein großer Erfolg in meinem sozialen Umfeld. Mit so einem Stachelschwein ist man einfach überall gern gesehen. Wann und wo genau mein Traum spielte, ist, wie es oft in der Natur der Träume liegt, nicht klar auszumachen. Ich war jedenfalls eine jüngere Version meiner selbst, ungebunden und mit vollem Haar (also eher eine völlig fiktive Version meiner selbst). Ich „ging“ noch regelmäßig zur „Arbeit“ (irgendwas mit Online) und hatte es romantisch auf eine neue Kollegin „abgesehen“, die meinem Absehen äußerst wohlwollend gegenüberstand (definitiv eine fiktive Version meiner selbst). Jeden Morgen holten mein Stachelschwein und ich sie mit dem Fahrrad von dem Bauernhof ab, auf dem sie lebte (ich und Fahrrad! lächerlich!), um gemeinsam ins Büro zu radeln. Wir fuhren auf Fahrradwegen, also wahrscheinlich nicht in Japan. Andererseits dachte ich im Traum einmal, ich würde gern mal wieder eine richtig leckere Tiefkühl-Pizza essen, aber „hier“ gäbe es ja nicht so gute. Also vielleicht doch Japan. Wir (die Kollegin und ich) einigten uns auf ein sogenanntes „Date“, also ein außerberufliches Abendtreffen mit Speisen und Getränken und unverfrorenem Blickkontakt. Gerade an jenem Tag wurde das Stachelschwein krank. Ich brachte es zum Tierarzt, der mir schwere Vorwürfe machte ob der Verwahrlosung des Tieres. Ich wies die Vorwürfe entschieden zurück: Ich hatte das Schwein erst seit kurzem und mich im Rahmen meiner Möglichkeiten exzellent und liebevoll darum gekümmert. Die Verwahrlosung musste auf den Vorbesitzer zurückgehen. Der Arzt zog sich mit dem Stachelschwein in den OP zurück, und ich wartete. Währenddessen kam immer wieder anderes medizinisches Personal auf mich zu, um mir ebenfalls Vorwürfe ob der Stachelschweinverwahrlosung zu machen, was mich so langsam fuchsteufelswild machte. Es wurde immer später, und ich musste bald zu meinem Date aufbrechen, idealerweise natürlich mit Stachelschwein. Ich war mir zwar sicher, dass meine Kollegin mich auch ohne ganz gut fand, aber ich wollte das Tier nicht allein lassen, einfach so. Es war schließlich schon einmal einfach so allein gelassen worden. Wie es ausging? Kennen Sie etwa keine Träume? Wenn es zu kompliziert oder interessant wird, geben die einfach auf. Deshalb eignen sie sich auch so gut wie nie als Vorlagen für literarische Arbeiten. Alles muss man selbst machen. Oder KI. Ich wachte auf, morgens gegen 14 Uhr, und fand meine Tochter neben mir (am Wochenende ist immer Familienschlafen). Ich erzählte ihr: „Ich habe geträumt, ich hätte ein Stachelschwein.“ Ich dachte, das würde sie höchst erfreuen, denn sie liebt Stachelschweine. Sie lächelte nur matt und nickte knapp. Als wollte sie sagen: „Normal.“Darf man noch den Titel von R. Kellys größtem Hit zitieren, wenn man sich ganz spektakulär auf die Schnauze gelegt hat und es einfach total passen würde?
Ich habe hier eine klassische Gute-Nachricht/schlechte-Nachricht-Konstellation:
Gute Nachricht: Ich laufe inzwischen wieder recht regelmäßig. Mein Arzt hat mich quasi herausgefordert. Er liegt mir doch recht häufig mit meinem Gewicht in den Ohren und will wissen, was ich dagegen tue. Ich sage dann immer: „Ich laufe jetzt wieder.“ Eine Zeit lang war das nur so dahingesagt; ein unverbindlicher, hinterlistig im Präsens formulierter Zukunftsplan. Er sagte dann immer so dahin: „Es ist sehr schwer, durch sportliche Aktivität Gewicht zu verlieren. Am besten ist es, die Ernährung umzustellen.“ Ich dann natürlich, innerlich: „Pustekuchen! Ich werde doch nicht auf meine zwei bis drei vermutlich käselosen Faserkäse-Riegel nach Mitternacht verzichten! Für irgendetwas muss es sich doch lohnen, zu leben!“ Und so fing ich tatsächlich wieder mit dem Laufen an, um meinem Arzt unter die Nase zu reiben, zum Wirken welcher Wunder der menschliche Körper im Stande ist, wenn ihm nur ein entschlossener Geist innewohnt. Schlechte Nachricht: Letzten Donnerstag bin ich dabei hingefallen. Nein, das klingt so negativ. Ich bin hingeflogen, nahezu buchstäblich, obwohl nicht allzu lang, denn wir Menschen können nicht fliegen, das ist keine Glaubensfrage. Während ich so mit beiden Füßen und dem Rest des Körpers in der Luft war, und sich meine Zeitwahrnehmung dehnte, als mir bewusst wurde, dass ich nicht auf den Fußsohlen aufkommen würde, klang Morrissey aus meinen Ohrstöpseln, aber im Kopf hatte ich R. Kelly. Ich dachte noch: Eine Gesellschaft fragwürdiger als die andere. Und dann schlug ich vollfrontal auf das harte Pflaster der Großstadt (na gut, eines beschaulichen Vororts, dennoch genauso hart), die Extremitäten von mir gestreckt wie in einer Cartoon-Version menschlichen Hinfallens. Ich hatte ein Unebenheit auf der Straße übersehen. Beziehungsweise eben nicht auf der Straße, sondern auf dem Fußweg, den ich normalerweise gar nicht benutze, wenn ich laufe. Nur in dieser dunklen Nacht hatte ich mir gedacht: Heute mal auf Nummer Sicher laufen. Fußwege sind ja hierzulande meist eh nur nett gemeinte, symbolische Streifchen am Straßenrand. Nur leider bei uns nicht. Da gibt es mitten auf der Straße einen begrünten, abgezäunten, zweispurigen, separat asphaltierten Fußweg. Allerdings, wie sich herausstellte, nicht allzu einheitlich asphaltiert. Es war nichts gebrochen, soweit ich das ohne meinen Arzt beurteilen konnte, aber nahezu der gesamte Körper ein einziger eiternder, blutender, aufgeschürfter blauer Fleck. Dennoch war ich von dem Wahrscheinlich-nichts-gebrochen-Aspekt so begeistert, dass ich im ersten Moment wie ein traumatisierter Irrer den Gedanken hatte, ich könnte nach einer kurzen Verschnaufpause einfach weiterlaufen. Ich konnte gerade mal so, tropfend und schmerzend, nach Hause humpeln. Glücklicherweise war ich zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht allzu weit gekommen. Der einzigen Passantin, die zu der späten Stunde, in der ich gewohnheitsmäßig erst Zeit für frivolen Schlendrian wie Sport habe, auf der Straße war, warf ich einen festen Blick zu, der sagen sollte: Keine Sorge, ich bin in Ordnung. Sie blickte etwas belustigt zurück. Das fand ich dann doch unangemessen. Sooo in Ordnung war ich ja nun offensichtlich auch wieder nicht. Daheim demonstrierte meine Frau ihre prophetischen Fähigkeiten, als sie sagte: „Morgen wird es mehr wehtun.“ Am nächsten Tag konnte ich fast alles machen: Sitzen, liegen, stehen, gehen. Nur die Übergänge zwischen diesen Tätigkeiten waren mit enormen Schmerzen verbunden und konnten somit nur in unwürdigem Zeitlupengewackel vollzogen werden. Am Frühstückstisch sagte ich meiner Tochter: „Für heute schreibe ich mich krank.“ „Wie?“, fragte sie zurück. „Ich bin ja erwachsen. Ich kann das einfach so machen.“ Offensichtlich fand sie ihre Frage nicht erschöpfend beantwortet. Doch sie ist nun neun Jahre alt, geht also mit weit ausholenden Schritten auf die Pubertät zu, und ist nur noch bedingt an väterlichen Erläuterungen interessiert. Das Gute an einem offiziellen Krankheitstag ist, dass man ohne schlechtes Gewissen Dinge ein weiteres Mal aufschieben kann, die man schon seit längerem aufschiebt. Saubermachen zum Beispiel (zu viel bücken involviert), oder endlich eine neue Bratpfanne kaufen (Bratpfannenladen zu weit weg). Der Kauf einer neuen Bratpfanne will ohnehin wohlüberlegt sein, den kann man nicht in ein oder zwei Monaten übers Knie brechen. Frauen verstehen das aber manchmal nicht. Das Beste allerdings an einem offiziellen Krankheitstag ist, dass man endlich mal zum Arbeiten kommt. Zum ersten Mal seit langem habe ich MIT SPASS das tägliche Seitensoll meiner beiden Hauptbuchprojekte geschafft und hatte darüber hinaus noch Zeit für einen sehr reellen Mittagsschlaf, eine besonders haarige X-Com-2-Mission mit Bestnote und ohne personelle Verluste und ein paar weitere zähe Minuten von Killers of the Flower Moon. Außerdem konnten wir endlich einmal wieder unseren Verbandskasten auffüllen, was wir zugegebenermaßen ein wenig haben schleifen lassen, seit das Kind sich für eine intellektuelle Laufbahn entschieden hat und sich nicht mehr ganz so häufig verletzt. Ich erlaubte mir sogar einen vorsichtigen Spaziergang zum Convenience Store für ein Mittagessen, von dem mein Arzt nichts wissen muss. Dabei kam ich an der Stelle vorbei, an der es passiert war. Ich war ein wenig enttäuscht, dass dort keine Blutflecken mehr zu sehen waren. Aber man kann nicht alles haben. Insgesamt betrachtet kein schlechter Tag. Mein Fazit: Alles richtig gemacht.Das Beste aus meinem schrecklichen Lesejahr
Normalerweise veröffentliche ich die Jahresbestenliste meiner Lektüren nur auf meiner Facebook-Seite, und damit hat sich’s. Aber ach, ich hatte ein furchtbares Lesejahr, und ich möchte darüber reden, und auf Facebook fasse ich mich lieber kurz.
Ich habe in diesem Jahr so wenige Bücher gelesen wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2000. Ein triftiger Grund ist schwer auszumachen. Es war ein gutes Schreibjahr, im Gegensatz zum annus horribilis 2022, in dem Verlage keine neuen Bücher kauften und Leser keine alten. Das hat sich beides wieder eingerenkt, vielen Dank. Geschrieben habe ich sehr fleißig, doch gelesen habe ich wie ein blutiger Anfänger. Habe normal viele Bücher gekauft (also zu viele), aber kaum eines beendet. Und wenn doch, dann oft die falschen. Habe stur an Texten festgehalten, die mir bereits nach wenigen Seiten signalisiert hatten, dass sie mich nicht packen werden. Oder habe versucht, weiter durch den trägen Lesesumpf von Wälzern zu waten, in denen schon seit Jahren meine Lesezeichen nahezu unbewegt steckten, was ja meistens seine Gründe hat. Ich würde gerne auch Videospielen und Fernsehserien die Schuld an der mageren Ausbeute 2023 geben, allerdings bin ich bei Videospielen und Fernsehserien ebenfalls nicht recht weitergekommen.Aber genug von all dieser Negativität. Im nächsten Jahr wird alles besser. Hier kommen die zehn Lektüren, die meinen Glauben aufrecht erhalten haben, in Lesereihenfolge. Mit launigen Kommentaren, doch ohne ausführliche Beschreibungen oder tiefgehende Analysen. So redselig fühle ich mich auch wieder nicht.
Lustige Geschichte: Ich habe dieses Buch aus Versehen gekauft. Ich hatte es mit einem anderen verwechselt. Es hat mir so gut gefallen, dass ich inzwischen ganz vergessen habe, welches ich eigentlich kaufen wollte. In meinem bislang undiszipliniertesten Lesejahr dieses Jahrtausends habe ich zwei Regeln dieser Liste gebrochen: „Keine Comics“ und „keine Hörbücher“. Streng gesehen ist dies ein Comic. Dagegen habe ich freilich nichts, allerdings folgen Comics gänzlich anderen erzählerischen Gesetzen als reine Prosa, deshalb sollte man da fein trennen. Hier jedoch drücke ich ein Auge zu, weil der Text beinahe auch ohne die Zeichnungen als ein wunderbar warmherziges Showbiz-Memoir funktionieren würde. Schön natürlich, dass die Bilder trotzdem da sind. Klar bin ich nur durch die ganz vorzügliche Fernsehserie darauf aufmerksam geworden. Nach der Lektüre fand ich die Fernsehserie nach wie vor ganz vorzüglich, aber das Buch noch vorzüglicher. So vorzüglich, dass ich es und seinen Autor in meinem eigenen neuen Buch name-droppe, auf gut Deutsch gesagt. Als ob sie das nötig hätten. Aber Name-Dropping dient ja immer nur den Droppenden, nicht den Gedroppten. Ich hatte übrigens in meiner Jugend bereits die Billardromane von Tevis gelesen, Haie der Großstadt und Die Farbe des Geldes. Ich hatte damals allerdings nur so getan, als fände ich sie ganz vorzüglich. Vielleicht sollte ich sie vor dem Hintergrund meiner erlangten Altersweisheit noch einmal lesen. Mir gefiel Cosbys Razorblade Tears (dt.: Die Rache der Väter) seinerzeit so fantastisch, dass ich mich lange nicht getraut habe, etwas anderes von ihm zu lesen. Ich hatte Angst, enttäuscht zu werden. War völlig unbegründet, wie sich herausstellt. Im fortgeschrittenen Alter noch einen neuen Lieblingsautor zu entdecken, das ist schon ein Geschenk. Um zum besinnlichen Jahresausklang mal eine angemessen schleimige Formulierung zu bemühen. Michael Connelly ist einer dieser sehr produktiven und sehr verlässlichen Kriminalromanautoren, bei denen man eigentlich blind zuschlagen kann. Vielleicht habe ich deshalb in meinem von Unentschlossenheit geprägten Lesejahr gleich viermal zugeschlagen, jedes Mal ohne es zu bereuen. Dieses Buch sticht heraus: Es ist weit mehr als nur vollkommen befriedigende Stangenware. Würde Connelly seltener Bücher veröffentlichen, und wären die wenigeren mehr wie dieses, würde das Feuilleton ihn nicht nur in der Alibi-Krimispalte preisen. Aber ich bin ganz froh, dass er sich nicht nur auf die Meisterwerke konzentriert. Ich brauche produktive und verlässliche Autoren, denen ich blind vertrauen kann, wenn ich als Leser mal nicht weiterweiß. Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin allzeit bereit, die Lieblingsgenres meiner Kindheit und Jugend (Science-Fiction, Fantasy und Horror, in dieser Phasenreihenfolge) gegen jede Form von literarischem Snobismus zu verteidigen. Nicht mit meinem Leben, ich bin ja nicht blöd, aber mit Argumenten und Beleidigungen. Ebenso ist wahr: Meine Loyalität fußt vor allem auf Nostalgie. Heutzutage finde ich in diesen Bereichen nur noch selten etwas, das mich über mehrere Kapitel hinweg fesseln könnte (in beiläufiger als Bücher zu konsumierenden Darreichungsformen sieht es anders aus). Es liegt nicht an den Genres, es liegt an mir. Mir fehlt der alte Eifer, das Überangebot zu durchfiltern (aus diesem Grund kenne ich auch keine coolen, jungen Indie-Bands mehr, obwohl es bestimmt welche gibt). Wie schön, wenn einem doch mal wieder ein Fang ins Netz geht. Ich bin erst in diesem Jahr mit Fonda Lees Trilogie fertig geworden, weil ich das Ende so lange wie möglich hinauszögern wollte. Und als es dann vorbei war, habe ich die mittlerweile erschienene deutsche Übersetzung als Ausrede genommen, gleich wieder von vorne anzufangen. Die Jade-Trilogie wird gemeinhin mit klassischen Hongkong-Gangsterfilmen verglichen. Wahrscheinlich stand das mal in irgendeinem Pressetext, und Nachplappern ist ja immer einfacher als eigene Meinung. Ich würde eher sagen, es ist eine Mischung aus Der Pate und Matrix vor dem Hintergrund einer faux-asiatischen Urban-Fantasy-Welt. Wenn das kein geschmeidig runtergehender PR-Slogan ist, weiß ich auch nicht. Schnell mal nachgezählt: Ich habe bislang 17 Nothombs gelesen, davon haben mir zwei nicht gefallen. Dies ist einer der anderen 15. Ja, das hat damals jeder und seine Mudder gelesen. Ich war aber gerade in dem Alter, in dem man dezidiert nicht das liest, was seine Mudder liest. Ich war eher in dem Alter, in dem man Bukowski oder Kerouac oder so einen Quatsch liest. Hatte Mutter wieder mal recht, genau wie bei der Sache mit dem Mützeaufsetzen. Ich verstehe nun auch, warum Süskind danach keinen weiteren Roman geschrieben hat. Bringt ja nichts. (Und auch hier war ich mir nicht zu schade, den Namen in meinem eigenen neuen Buch zu droppen. Dort war er mir allerdings in erster Linie wegen Monaco Franze eingefallen.) Um ein Haar hätte ich dieses Buch nicht gelesen, weil es im Feuilleton oft so dargestellt wurde, als ginge es hier 600+ Seiten lang um Bäume. Geht es auch, eigentlich. Oberflächlich spielen zum Glück auch Menschen mit. Aber die Bäume sind die, die bleiben. Ein Buch, das tatsächlich meine Sichtweise auf einiges verändert hat. Auf Bäume, sicherlich, aber auch auf alles, was damit zusammenhängt. Also auf alles. Das letzte Buch der Liste ist ihre zweite Ausnahme, ich habe es nämlich gegen meine Gewohnheit lediglich als Hörbuch gehört. Die Gründe dafür wären hier zu kompliziert zu erklären (okay, Audible-Lockangebot). Obwohl es kein Schreibratgeber ist, hat es mir enorm bei meinen eigenen Schreibarbeiten in diesem Jahr geholfen, ganz einfach weil man merkt, wie ernst Milch seine Arbeit nimmt. Davon kann man sich bei Bedarf eine Scheibe abschneiden, wenn man Gefahr läuft, den Autopiloten anzuwerfen oder sonst wie den bequemeren Weg zu nehmen. Außerdem hervorragend gelesen von Michael Harney, der so anrührend vom Leben gezeichnet und gebrechlich klingt, wie es der Autor wohl inzwischen ist. (Ich habe Harney mal gegoogelt, er sieht eigentlich ganz gesund aus.)Der Penner, der Doktor und ich (eine Doctor-Who-Weihnachtsgeschichte)
Ich weiß, Penner sagt man nicht mehr, außer unter guten Freunden. Aber diese Geschichte spielt in einem anderen Zeitalter mit anderen Sitten und Gepflogenheiten, da ist es mir rausgerutscht.
Der Anfang der Geschichte allerdings spielt in der Gegenwart, als wäre es eine Zeitreisegeschichte, und damit wären wir auch schon mitten im Thema. Ich hatte bei meinem letzten Blogeintrag über das Weihnachtsfernsehen des Jahres 2023 ein themenrelevantes und zumindest teilweise angesehenes Produkt der Zerstreuungsindustrie zu erwähnen vergessen, nämlich die Doctor Who-Weihnachtsspecials auf Disney+ beziehungsweise BBC, je nachdem, wie prätentiös anglophil man ist. Um es kurz zu machen: Ich konnte auch bei meinem ungefähr 927. Versuch, irgendetwas mit dieser Doctor-Who-Sache anfangen zu können, nichts damit anfangen. Dieser grimassierende Hauptdarsteller, diese absurd aus der Zeit gefallenen Spezialeffekte (dabei sollen sie wg. Disney-Budget sogar besser sein als normal), diese lächerlichen Aliens. Ich entwickelte erstmals sogar eine leichte Antipathie anstatt des weitgehend wertfreien Desinteresses früherer Versuche. Doch woran mochte das liegen, so tiefenpsychologisch? Ich legte mich auf die Couch und reiste zu einem Punkt in meiner Vergangenheit, zu dem ich schon lange nicht mehr gereist war. Um die Jahrtausendwende arbeitete ich für die deutsche Dependance eines britischen Verlagshauses, weshalb ich häufig in England ‚Termine‘ hatte. Als ich an einem dieser Termine auf dem Bahnhof des schönen Städtchens Bath ankam, wo der Verlag seinen Hauptsitz hatte, sprach mich ein junger Mann an, den ich aufgrund seines Äußeren für einen Obdachlosen halten musste. Ich weiß nicht mehr, was er eingangs sagte, und ich erinnere mich nicht, was ich darauf entgegnete, doch es war meinem Akzent wohl anzuhören, dass ich nicht aus der Gegend kam. Wir erörterten, wo ich stattdessen herkäme, und er fragte etwas unvermittelt: „Kennst du Doctor Who?“ Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich es vor allem dem Namen nach kannte. Ich wusste, dass es sich um eine seit Jahrzehnten laufende Science-Fiction-Fernsehserie handelte, in der es irgendwie um Zeitreisen und böse Roboter ging, und dass die Hauptfigur alle paar Staffeln als ein neuer Schauspieler reinkarniert wurde. Ich erzählte ebenso, dass ich die eine oder andere Episode gesehen hätte, aber nie einen liebevollen Bezug dazu hatte herstellen können. Er sagte, sehr freundlich, ein klein wenig stolz und überhaupt nicht gehässig: „Man muss wohl Brite sein.“ Das ärgerte mich ein bisschen, obwohl nur kindliche Freude und keinerlei Dünkel in seinem Ton war. Ich hielt mich schließlich für so etwas wie einen Briten ehrenhalber. Hatte Mit Schirm, Charme und Melone und Monty Python mit der Muttermilch aufgesogen, mich mit Adam and the Ants auf die Pubertät vorbereitet und sie dank The Smiths und The Cure überlebt. Ich schrieb stur immer ‚ou‘ statt ‚o‘ und ‚re‘ statt ‚er‘, wenn ich schriftlich etwas auf Englisch formulierte. Nie hatte ich mit irgendetwas Britischem Verständnisprobleme gehabt und war in den meisten Situationen des Lebens so verklemmt und verkrampft, wie es den Briten gerne nachgesagt wird. Nur abends, im Pub, kurz vor der Sperrstunde, wurde ich ein bisschen lockerer. Doch wir hatten keine Gelegenheit, das Thema zu vertiefen. Mein Fahrer war eingetroffen (vielleicht war es auch nur ein Taxi oder ein Linienbus, ich weiß es nicht mehr), und wir verabschiedeten uns freundlich. Im Fahrzeug (welcher Art es auch gewesen sein mochte) stellte ich irgendwann fest, dass ich mein Mobiltelefon nicht mehr hatte. Auch beim ausführlichen Durchsuchen des Gepäcks im Hotelzimmer fand es sich nicht wieder an. Ich war ziemlich sicher, dass ich es beim Verlassen des Zuges noch gehabt hatte („ziemlich sicher“ ist natürlich kein sehr verlässlicher Freund). Also dachte ich sofort: Der Penner! Es hätte mir gleich komisch vorkommen müssen, dass er keine finanziellen Forderungen gestellt hatte, sondern sich anscheinend nur mit einem Wildfremden über Doctor Who unterhalten wollte. Ein bisschen bewunderte ich ihn. Mir war gar nicht aufgefallen, dass wir uns körperlich nah genug gekommen waren. Doch in erster Linie war ich ziemlich verstimmt, dass er mein Handy geklaut hatte. Es war ein Modell von einem der führenden Hersteller gewesen, wahrscheinlich Siemens. Aber wie gesagt: Es war eine andere Zeit, damals. Der Verlust eines Mobiltelefons war ein mittleres Ärgernis, jedoch nicht der identitätsgefährdende Super-GAU, der es heute sein kann. Ich rief Mama vom Hotelzimmertelefon aus an, um ihr zu sagen, dass ich sie nicht vom Handy aus anrufen konnte, und dann ging das Leben weiter. Daran hatte ich wirklich seit Ewigkeiten nicht mehr gedacht. War dieser Vorfall der Grund, warum ich mit Doctor Who nicht auf einen grünen Zweig kam? Jetzt, wo ich es wusste, konnte ich den Fluch vielleicht brechen. Also beschloss ich, das erste Weihnachtsspecial, das ich nach ca. der Hälfte abgebrochen hatte, weiterzusehen. Nee, geht immer noch nicht.Der Weihnachtsmann und die Superheldenmüdigkeit: Fakt oder Fiktion?
Sollte ich diesen Blog in diesem Jahr schon für sonst fast nichts genutzt haben, so will ich doch die Tradition ehren, mir hier über die Weihnachtsfilme und Weihnachtsfernsehserien Luft zu machen, die mir in diesem Jahr die Festsaison noch süßer gestalten sollten. Aber ach, dies wird wohl das letzte Mal sein. Nach einem sehr schwachen 2022er-Jahrgang (der entsprechende Beitrag ist beschämenderweise nicht weit unter diesem) ist, so viel sei vorweggenommen, die aktuelle Ausbeute noch niederschmetternder. Vielleicht kann man Weihnachten im nächsten Jahr mal ausfallen lassen. Zumindest medial. Die ‚Flimmerkiste‘ auslassen und (sanfte Geigenmusik setzt ein) sich einfach mal wieder mit der Familie an einen Tisch setzen und Mensch ärgere dich nicht spielen oder Käse erhitzen.
Beginnen möchte ich mit einer Altlast. Im letzten Jahr sahen meine Frau und ich aus Versehen die gesamte erste Staffel der Fernsehserie The Santa Clauses, eine Fortsetzung der Filmserie The Santa Clause mit Tim Allen. Das ganze war so bunt und so konsequent ideenlos, dass es eine gewisse hypnotische Sogwirkung auslöste. Das erlebten wohl viele ähnlich, und ehe man sich versah, zogen die Verantwortlichen bei Disney+ die falschen Schlüsse und verlängerten die Serie. Dieses Jahr allerdings wiederholte sich der ungute Zauber nicht, wir haben nach zwei Folgen den Ausstieg geschafft. Ich möchte dazu noch einmal betonen, dass ich Tim Allen bereits höchst unkomisch fand, bevor sich irgendwer dafür interessierte, was irgendwer anderes so politisch denkt. Allens Ansichten waren und sind mir schnurz, doch dieser Har-Har-Handwerker-Humor war mir schon immer zu humorlos. Kelsey Grammer derweil, um die Aufrichtigkeit meiner Argumentation mit einem Positivbeispiel zu untermauern, darf in seiner Freizeit Trump so eifrig zujubeln, wie er mag. Das wird mein gutes Verhältnis zu Frasier nicht trüben. Das Frasier-Reboot ist für mich ein zu emotionales Thema, um darauf jetzt schon ausführlich einzugehen. Nur so viel: Nicht-ganz-so-gut-wie-früher-Frasier ist immer noch besser als gar kein Frasier. Und die Weihnachtsepisode der neuen Staffel ist ein Glanzlicht, das die Idiotie moderner Weihnachtsfilmstangenware scharf analysiert und sanft parodiert (vielleicht zu sanft, aber ist halt Weihnachten). Zurück zu Disney+: Dashing Through the Snow ist eine Weihnachtskomödie, die dem Unterhaltungskünstler Ludacris auf den Leib geschneidert wurde. In einer Szene muss er nämlich sagen: „That’s ludicrous!“ Ein humoristisches Highlight. Viel mehr ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Die Fürze des Weihnachtsmanns riechen nach Zimt, und irgendein böser Politiker hängt zum Schluss in einem Baum und zappelt, und das war es dann auch wirklich. Die Musik war, glaube ich, ganz gut. Dashing Through the Snow wurde von Tim Story inszeniert, der in erster Linie für die Fantastic Four-Filme aus den Nuller-Jahren bekannt ist, die damals alle toll fanden, und von denen heute jeder behauptet, sie schon immer blöd gefunden zu haben. Nur ich bin ihnen nie in den Rücken gefallen. Gleich nach Dashing Through the Snow musste ich überprüfen, ob meine Loyalität gerechtfertigt ist. Ist sie zum Glück. Die Filme machen nach wie vor großen Spaß. Heute vielleicht so wertvoll wie nie zuvor. Das bringt uns vorübergehend weg vom Thema Weihnachtsfilme und hin zu einem Thema, das die Medienlandschaft in diesem Jahr beschäftigt hat wie kein zweites (nimmt Anchorman-Pose und -Duktus an): „Superheldenmüdigkeit. Ein ernstzunehmendes Phänomen, oder eine Lüge, die die woke Gutmenschenpresse erfunden hat, weil sie nicht wahrhaben will, dass echte Männer nicht auf Frauen stehen?“ Ich beantworte das hiermit ein für alle Mal: Ja, Superheldenmüdigkeit gibt es wirklich. Die Erfolge von Guardians of the Galaxy und Spiderverse sind keine geeigneten Gegenargumente, weil es sich beim ersten um eine Space Opera ganz ohne Superhelden handelt und beim zweiten um Zeichentrick, wofür andere Marktgesetze gelten als für Realfilme. Es gibt zwei sehr spezifische Gründe, warum Marvel gerade kaputt ist, und keiner davon hat etwas mit weiblichen oder ethnisch diversen Protagonisten zu tun (bitte mehr davon) und auch nicht mit problematischem Schurken-Casting (davon ruhig weniger). Zwei Gründe, zwei Worte: Multiversum und Quantenreich. Niemand ohne Propellermütze auf dem Kopf weiß, was das ist, oder möchte es erklärt bekommen. Superhelden gehören in die Straßen ihrer Städte, nicht in irgendwelche alternativen Realitäten oder makrobiotischen Zwischenreiche (habe ich das richtig gesagt?). (Fast vergessen: DC gibt es ja auch noch, so ein bisschen. Der Grund, warum DC kaputt ist, ist der, dass DC noch nie so richtig heile war. Langsam spricht es sich herum.) „Damit zurück zu dir, Andreas. Hast du da eigentlich noch Geschenke im Sack, oder freust du dich so, mich zu sehen?“ „Haha, du alter Schwerenöter. Ja, Andreas, ich habe tatsächlich noch die eine oder andere Weihnachtsüberraschung für all die vorbereitet, die uns da draußen an ihren Empfangsgeräten zugeschaltet sind.“ McG ist so ein ähnlicher Regisseur wie Tim Story. Er hat in seiner illustren Karriere nicht ausschließlich Meisterwerke inszeniert, die Spezialpreise in der Cannes-Reihe Un Certain Regard gewonnen hätten, aber sein erster Drei Engel für Charlie-Film und seine beiden The Babysitter-Horrorkomödien waren erfrischend genug, um ihn nicht für völlig inkompetent und unsympathisch zu halten. Dass es keinen dritten Babysitter-Film gab, hatte wohl seine Gründe, und die waren wohl nicht qualitativ sondern quantitativ (also Quoten). McG’s neuer Weihnachtsfilm Family Switch für denselben Anbieter, Netflix, wirkt nun, als hätte er ihn zur Strafe machen müssen. Fraglich nur, warum wir mitbestraft werden (ICH zumindest habe mir The Babysitter 2 doch angesehen!). Es geht, der Titel deutet es an, um eine Familie, in der die Mitglieder versehentlich die Körper tauschen, und das zu Weihnachten (eigentlich unwichtig; der Feiertagszusammenhang wurde wahrscheinlich nachträglich ins Skript geprügelt). Ganz am Anfang (vor dem Family-Switch-Event) gibt es eine Szene, in der der Familienvater (ein Nebendarsteller aus The Office) und die Familienmutter (Jennifer Biel oder Jessica Alba, jemand aus jener Zeit halt, wer kennt sich da schon aus) einen albernen Weihnachtstanz aufführen, und die Kinder wenig beeindruckt sind. Es ist die witzigste und charmanteste Szene des ganzen Films. Wenn man nun einwirft, dass diese Szene so witzig und charmant nun auch wieder nicht sei, hat man völlig recht. Und genau das ist das Problem des Films. Die ärgerlichste Szene ist eine, in der die Figuren in einem ironischen Zwinker-Zwinker-Meta-Dialog all die Filme aufzählen müssen, von denen die Autoren ihren zusammengeklaut haben. Ein billiger Trick, auf den bitte niemand mehr reinfallen soll: Ein Klischee oder ein Plagiat als solches zu benennen macht es nicht weniger klischeehaft oder niederträchtig, egal wie verkrampft man dabei zwinkert (das dürfen sich auch die Macher der lieblosen Horror-Zeitreise-Klamotte Total Killer hinter die Ohren schreiben, in der die unausstehliche Protagonistin ständig jeden fragt, ob er Zurück in die Zukunft gesehen hätte). So langsam wurden meine Frau und ich ein bisschen verzweifelt und beschlossen, älteren Filmen Chancen zu geben, die wir bisher unter Mumpitzverdacht hatten, obwohl sie durchaus den einen oder anderen Fürsprecher in unserem Umfeld haben. Der erste war das vermeintliche Will-Ferrell-Vehikel Elf. Will Ferrell ist eine lustige Type, aber ist man lustigen Typen über längere Zeit ausgesetzt, werden sie oft nervige Typen. Ferrell hat ein typisches Sketch-Comedy-Naturell. Nach ein paar Minuten ist auch gut. Glücklicherweise ist Elf in Wirklichkeit gar kein echtes Will-Ferrell-Vehikel sondern ein Ensemble-Film, und der Rest des Ensembles sorgt für ein paar sehr willkommene Ferrell-Verschnaufpausen, so dass wir den Film in nur zwei Etappen bewältigten; eine Seltenheit heutzutage und insbesondere in dieser Weihnachtsfilmsaison. Das soll nicht heißen, dass uns Elf in einem nennenswerten Maße gefallen hätte. Ich habe an einigen Stellen gelacht, meine Frau hat an einigen Stellen gelacht. Es waren nicht dieselben Stellen, und es waren auch addiert noch zu wenige Stellen. Immerhin brachte mich die Anwesenheit von James Caan auf die Idee, mal wieder Misery zu schauen, was zwar kein ausdrücklicher Weihnachtsfilm ist, aber ein exzellenter Winterfilm. So schön. Es gab zwei Filme, bei denen jeweils einer von uns ein Veto einlegte. Bei Candy Cane Lane kam das so: Ich: „Es gibt auf Amazon einen neuen Weihnachtsfilm mit Eddie Murphy–“ Frau: „Das klingt ganz furchtbar.“ Sie hatte die Situation genau erfasst, und es gab nichts, was ich dagegen halten konnte. Bei The Grinch war es folgendermaßen: Frau: „Wie wäre es mit The Grinch?“ Ich: „Ich möchte so schnell nach Elf nicht noch einen Film über eine amerikanische Fantasy-Kreatur sehen, die mit dem deutschen Weihnachtsfest nichts zu tun hat.“ Selbstverständlich möchte ich hier eine Weihnachtskultur nicht gegen eine andere aufwiegeln. Alle Weihnachtskulturen sind spitze. Und Kulturen ohne Weihnachten auch. Kulturen = gut. Aber man ist eben, wer man ist. Besonders, wenn man im Ausland ist. Hätte ich mir mal einen Ruck geben sollen. Stattdessen versuchten wir es mit A Christmas Prince, den wir sechs Jahre lang erfolgreich ignorieren konnten. Trotz unserer Ignoranz gilt er nach wie vor als einer der besseren Netflix-Weihnachtsfilme. Es handelt sich um eine romantische Komödie aus der Kategorie „Zickige Journalistin aus der Großstadt verliebt sich in Rüpel vom Land“. Nur dass die Journalistin diesmal gar nicht zickig ist und der Rüpel nur für ungefähr zwei Sekunden rüpelig. Und das Land ist seins, denn er ist Prinz und baldiger Thronbesteiger. Das alles soll besser sein, als es klingt. Ist es aber nicht. Sind meine Standards zu hoch? Ich glaube nein, wie wir sogleich erfahren werden. Als letzter Film vor Redaktionsschluss lief im Spätprogramm außer Konkurrenz Black Christmas, ein Remake des gleichnamigen Semi-Klassikers des Slasher-Subgenres. Dieser Film hat mich fast wieder ein bisschen mit Weihnachten versöhnt. Anteil daran hat die gut aufgelegte Besetzung mit sympathischen Backfischen, die ich wegen Generationskonflikt namentlich nicht kenne, und der großartigen Andrea Martin (eher meine Generation), die mir zum ersten Mal in der deprimierend unterschätzten Eine-Staffel-Sitcom Great News aufgefallen ist und seitdem überall (Great News schaue ich gerade im dritten Durchlauf, immer noch ein Traum). Black Christmas ist gut gespielt, hübsch inszeniert, flott erzählt und unnötig brutal. Wenn es nicht der perfekte Slasher-Film ist, dann gibt es keinen. Beides stimmt natürlich. Was für ein dämliches, zynisches, publikumsverachtendes Subgenre, wenn man ehrlich ist. Kann man eigentlich nur gucken, wenn man gleichzeitig etwas anderes zu tun hat, zum Beispiel Wein und Wordle. Mit anderen Worten: Slasher-Filme sind Käse. Und Black Christmas ist eins von diesen Käsesets mit verschiedenen Sorten, die nie langweilig werden. Ein Wochenende haben wir noch. Vielleicht setzen wir auf bewährte Klassiker. Wer jetzt „Stirb langsam!“ schreit, fliegt. Wegen Unoriginalität. Frohe Weihnachten, Schweinebacken.Polizei sugoi
Am späten Donnerstagnachmittag habe ich alles gemacht, wie ich es immer mache: Nach dem Bezahlen meines Einkaufs im Supermarkt legte ich mein Portemonnaie neben meinen Warenkorb auf den Einpacktresen, packte meine Waren vom Warenkorb in meinen ‚Wittenberge das Tor zur Elbtalaue‘-Jutebeutel um und dachte mir voller Stolz auf mein Wahlheimatland: Also in Deutschland hätte ich das Portemonnaie nicht so einfach dahin gelegt, während ich Waren umpacke. Auf dem Heimweg dachte ich darüber nach, ob ich mir noch ein Schnickschnack-Bier im Schnickschnack-Bier-Laden oder einen Eismilchkaffee vom Convenience Store gönnen sollte, entschied mich in beiden Fällen aber dagegen, denn man gönnt sich ja sonst so viel. (Hätte ich mich anders entschieden, hätte ich womöglich meinen Fehler früher bemerkt.)
Dann arbeitete ich an den vorerst letzten Schliffen meines im Frühjahr erscheinenden neuen Kriminalromans, bereitete das Abendessen zu (Teriyaki-Huhn; für mehr reicht es während heißer Romanarbeitsphasen nicht), aß mit meiner Familie zu Abend, komplimentierte meine Tochter ins Bett, arbeitete ein bisschen weiter, holte mit meiner Frau ein paar Folgen der wunderschönen neuen Daily-Morning-Soap Boogie Woogie nach, komplimentierte meine Frau ins Bett, ärgerte mich allein ein bisschen mit dem Film Fistful of Vengeance herum (schade, dass der nicht von meinen Steuergeldern finanziert wurde, sonst könnt ich mich noch mehr aufregen), fand schließlich selbst zur Ruh. Ich hatte einen Traum, in dem meine Tochter endlich ihre Gestaltwandler-Fähigkeiten entdeckte und damit am Esstisch allen gehörig auf die Nerven ging. Viel zu früh brach der neue Tag an. Also alles wie immer. Am nächsten Morgen hatte meine Tochter zwar äußerlich noch ihre alte Form, aber ansonsten war sie ein bisschen schlapp, weshalb ich ihr nach Familienkonferenz schulfrei gab und zwischen Hätscheln und Arbeit multitaskte. Als ich gegen Mittag schnell mal eben zum Convenience Store wollte, um etwas zu essen zu kaufen, sagte ich beiläufig zu meiner Frau, die an jenem Tag zum Glück ‚Home-Office machte‘: „Ich kann mein Portemonnaie nicht finden.“ So weit immer noch so normal. Nur konnte ich es, anders als sonst, selbst nach elaborierten Suchaktionen nicht finden. Selbstverständlich sah ich auch im Kühlschrank und im Backofen nach, denn man kommt so langsam in das Alter. (Backofen war natürlich extrem unwahrscheinlich, da meine Frau darauf besteht, dass wir den nur in äußersten Notfällen benutzen, weil er nicht uns gehört, da wir nur zur Miete wohnen. Mein Argument, dass wir nach dieser Logik die Toilette ebenfalls nicht benutzen dürften, überzeugt sie nur teilweise.) Schließlich musste ich erklären: „Es könnte unter Umständen eventuell sein, dass ich es gestern im Supermarkt liegen gelassen habe.“ (Tatsächlich war ich mir zu annähernd 100 Prozent sicher, schon bevor ich den Backofen geöffnet hatte.) Nun ist die Anzahl der Unmenschen in Japan äußerst gering. Falls ich es wirklich im Laden vergessen hatte, würde jemand es beim Supermarkt-Personal oder im Polizeihäuschen gegenüber abgegeben haben. Im Normalfall. Aber Normalfall ist ja auch nicht immer. Deshalb wurde mir schon ein bisschen mulmig. Neben einem Bargeldbetrag in mittlerer Höhe waren alle meine japanischen Existenzberechtigungen, diverse internationale Kredit- und andere Geldkarten, einige Vokabelspickzettel und (besonders unersetzlich) unzählige Café- und Kaufhaus-Treuepunktekarten in der Geldbörse. Da meine Frau noch besser japanisch spricht als ich, rief sie im Supermarkt an. Sie war ganz begeistert, wie nett und hilfsbereit die am Telefon waren, aber von meinem Portemonnaie wussten sie leider nichts. In Panik guckte ich noch mal hinter dem Backofen und unter dem Kühlschrank nach. So ein Verlust inklusive enormen Verwaltungsaufwand kommt sicherlich nie gelegen, aber gerade jetzt, wo ich kürzlich festgestellt hatte, dass ich meinen Roman zwei Wochen früher abgeben muss als ursprünglich gedacht, passte er ganz besonders schlecht in meinen Kram. Meine Frau versuchte unser nachbarschaftliches Polizeihäuschen. Da hatte ich keine große Hoffnung, gerade weil ich wusste, wie gewissenhaft die Guten dort arbeiten. Einmal bestand meine Tochter darauf, dass wir eine Brosche, die sie auf dem Schulheimweg gefunden hatte, dort ordnungsgemäß abgäben. Sie hatte im Unterricht gerade das Konzept der Polizei als Freund und Helfer durchgenommen, und ich habe den Verdacht, dass sie mit Adleraugen den Boden abgesucht hat, nur um irgendetwas zu finden, das man zur Polizei bringen könnte. Obwohl ich kein Broschenexperte bin, hatte ich das Stück schnell als billigen Tand erkannt, den bestimmt niemand vermissen würde. Trotzdem wollte ich mein Kind nicht enttäuschen. Im Polizeihäuschen stellte sich das Abgeben nicht als ein einfacher Hallo/hier/tschüs-Vorgang heraus, sondern war mit allerlei Papierkram, schwierigen Fragen, Faltkartenstudium und lustigen Pocketalk-Maschinenübersetzungdialogen gespickt. Man war wirklich wild entschlossen, die rechtmäßige Besitzerin des billigen Plastikteils zu finden. Wenn die mein Portemonnaie hätten, so dachte ich, hätten die mich längst informiert; Adressdaten waren schließlich enthalten. Gar so groß ist das Servicebewusstsein der Lokalpolizei nun anscheinend auch wieder nicht. Ja, sie hätten ein Ausländer-Portemonnaie erhalten, auf das die Beschreibung zuträfe, wurde meiner Frau mitgeteilt. Die Sache war aber eine Nummer zu groß für unser schnuckeliges kleines Polizeihäuschen, deshalb hatte man das Fundstück bereits zum nächsten vollwertigen Polizeirevier im benachbarten Himonya geschickt. Nun hätte ich sagen können: „Boah, echt ey?! Das sind ja 17 Minuten zu latschen, Alter!“ Stattdessen sagte ich sinngemäß: „Oh mein Gott oh mein Gott oh mein Gott super toll spitze irre mega!“ Man gab mir eine Bearbeitungsnummer, mit der ich bevorzugt behandelt werden würde, und empfahl mir, bis 16:30 Uhr aufzukreuzen, weil man sonst wg. Feiertag erst am Dienstag wieder für mich da sein könnte (das erinnerte mich durchaus ein bisschen an meine alte Heimat). Ca. 17 Minuten später betrat ich zum ersten Mal in meinem Leben ein japanisches Polizeirevier. Es unterschied sich zum Glück nicht wesentlich von den Mutmaßungen in meinen vier in Tokio spielenden Polizeiromanen (recherchiert hatte ich freilich schon). (Ich möchte keine Namen nennen, aber es gibt einen Tokio-Krimi von einem anderen deutschen Autor, in dem behauptet wird, man müsse in japanischen Polizeirevieren die Schuhe ausziehen. Das habe ich stets bezweifelt, und Einheimische, die ich dazu befragt habe, zweifelten ebenso, obwohl die zu unbescholten waren, um es abschließend beurteilen zu können. Nun weiß ich: Wir lagen richtig.) Das einzige, was mich wunderte, war, dass doch etliche der Officers Schusswaffen trugen. Eigentlich heißt es ja immer, und ich hatte das selbst in Fiktion und Non-Fiktion kolportiert, dass dem in Japan nicht so sei. Vielleicht an jenem Tag ausnahmsweise, weil ich da war. Vom freundlichen jungen Mann am Empfang bekam ich einen Besucherausweis und den Auftrag, mich im zweiten Stock zu melden. Die freundliche junge Dame dort rief bei meinem Anblick sofort: „Saifu!“ (Portemonnaie) Ganz kurz musste ich mich gedulden, dann händigte mir ein freundlicher älterer Herr mein Portemonnaie aus. Ich war schockiert, dass es nur die nackte Geldbörse war, ohne irgendwas drin. So hatte ich mir Japan nicht vorgestellt. Doch dann ging die Übergabe ordnungsgemäß weiter, in thematisch geordneten Stapeln. Die Kreditkarten, die Ausweis- und ausweisartigen Dokumente, die Spickzettel und (ein Glück!) die Treuepunktekarten. Schließlich die Geldscheine und die Münzen. Selbstverständlich alles da. Natürlich musste ich noch ein Formular ausfüllen, obwohl ich am Empfang schon eines ausgefüllt und meine Frau davor bereits alle Daten zum Mitschreiben diktiert hatte. Wir dürfen aber auch die Bedürfnisse der japanischen Papier- und Stempelindustrie nicht vergessen. Ich versprach, dass es nicht wieder vorkommen würde, was dem älteren Beamten große Freude und Erleichterung zu bereiten schien (das Gefühl kannte ich von kurz vorher nur allzu gut), und ging mein wie-neues Geld auf den Kopf hauen. Zu Hause nötigte mich meine Frau zuzugeben, wie toll solche Dinge in Japan funktionierten (ich habe nie etwas anderes behauptet). „DARÜBER solltest du mal was schreiben!“, meinte sie. Habe ich in der Vergangenheit bereits öfter getan. Kann man aber ruhig noch mal schreiben.Weihnachtsfilme: Es geht um Weihnachtsfilme (Überschrift SEO-optimiert)
Ich wollte nur klarstellen, dass es hier um Weihnachtsfilme geht, denn meinen letzten Beitrag zum Thema hatte ich unter einer Überschrift versteckt, die unter SEO-Gesichtspunkten nicht super-duper optimal komponiert war.
Es ist eine schöne Tradition in diesem Blog, über die Weihnachtsfilme zu schreiben, die ich in dieser Saison gesehen habe, weil mir sonst nichts einfällt (jetzt schon im zweiten Jahr). Vorweg: Ich habe nicht vor, die Handlungen der Filme wiederzugeben, nicht mal ein bisschen. Nicht weil ich plötzlich an Spoiler glauben würde, sondern erstens weil der Plot als Qualitätsmerkmal von Erzählungen generell überbewertet wird, zweitens weil es im modernen Weihnachtsfilm ohnehin nur zwei verschiedene Plots gibt (also fünf weniger als insgesamt auf der Welt, wenn man Creative-Writing-Klugscheißern glauben möchte):- 1. Jemand bringt besten Freund/beste Freundin (wahlweise eine/n völlig Fremde/n) mit zum familiären Weihnachtsfest, um ihn oder sie als die aktuelle ernsthafte Beziehung auszugeben. Zum Schluss ist es dann wirklich so.
- 2. Eine eiskalte Geschäftsfrau (seltener Geschäftsmann) wird von der großen Stadt (gerne „L. A.“) aufs Land geschickt, um dort irgendetwas gegen den Willen der Landbevölkerung zu gentrifizieren. Zum Schluss, nach einigen Witzen über Kuhfladen und Kalbsgeburten, lässt sie sich auf dem ungentrifizierten Land häuslich nieder, und zwar mit einem gutaussehenden, breitschultrigen Typen vom Land, den sie zuerst gar nicht abkonnte.
Beginnen wir mit dem stärksten Tobak, damit wir es hinter uns haben: Lindsay Lohan in Falling for Christmas. Zu behaupten, der Netflix-Film habe gute Kritiken bekommen, wäre stark übertrieben; er hat überwiegend negative erhalten. Gleichwohl durchwehte viele ein Tenor von: „Nicht ganz so katastrophal wie erwartet, und la Lohan ist sogar richtig gut.“
Ich bin darauf reingefallen. Deshalb ist es mir umso wichtiger, dass nachfolgende Generationen nicht denselben Fehler machen wie ich, und ich sage ohne weihnachtliche Güte: „Doch! Der Film ist haargenau so katastrophal, wie man nach dem scheußlichen Trailer erwarten durfte, und Lindsay Lohan ist komplett fehlbesetzt!“ Lindsay Lohan ist eine Frau mit einer gewissen Lebenserfahrung (die Presse berichtete und berichtete und berichtete), und die steht ihr ins Gesicht geschrieben. Das zickige, naive kleine Mädchen, das noch an Daddys Rockzipfel hängt, kann sie damit nicht mehr spielen. Und das ist überhaupt nicht schlimm. Dieser talentierten Schauspielerin ist ein Comeback zu gönnen, und wenn dieser Film das Weihnachtswunder vollbringt, dann meinetwegen. Aber von Herzen hätte ich ihr einen anderen, richtigen Film gewünscht, mit einer echten Rolle für eine erwachsene Frau. In einer Weihnachtsfilmdisziplin immerhin ist Falling for Christmas überdurchschnittlich: Es gibt nicht nur eine tote Mutter, sondern gleich zwei. Da in diesem Jahr wirklich kein einziger Weihnachtsfilm ohne tote Mutter auskommt, habe ich mir mal Gedanken gemacht, woran das liegen könnte. Hier ist das Ergebnis: Vielleicht liegt es daran, dass tote Mütter viel schlimmer sind als tote Väter. Und alleinerziehende Väter viel lustiger und rührender als alleinerziehende Mütter. Alleinerziehende Mütter sind vermutlich zu realistisch, das zieht die Stimmung total runter. In Something from Tiffany’s gibt es, wenn ich mich nicht verzählt habe, nur eine tote Mutter. Gegen Falling for Christmas nimmt sich der Film aus wie ein Spike Lee Joint, written and directed by Woody Allen, a Martin Scorsese picture. Für sich betrachtet ist Something for Tiffany’s aber nur das, was ich von Falling for Christmas erhofft hatte: Ein Film, der nicht wehtut. Eine romantische Komödie ohne richtige Witze und allzu dramatische Konflikte. Man könnte ihn also als ‚recht erwachsen‘ bezeichnen, wie man immer alles als ‚erwachsen‘ bezeichnet, wenn man nicht ‚langweilig‘ sagen möchte. Dieser Trend hat nach meiner Beobachtung bei Quentin Tarantinos Jackie Brown angefangen und wird möglicherweise bei Star Wars‘ Andor nicht enden. Ist also wahrscheinlich gar kein Trend, sondern das neue Normal. ‚Ein bisschen langweilig‘ heißt jetzt ‚sehr erwachsen‘. Bemerkenswert an diesem Weihnachtsfilm ist, dass es eigentlich gar keiner sein müsste. Ein vertauschtes Geschenk stößt zwar den Plot an, doch die Menschen schenken schließlich nicht zu Weihnachten allein. Die Hauptfigur weißt sogar darauf hin, dass sie Jüdin ist. Erst ganz zum Schluss, als schnell noch angetackerten Epilog, gibt es eine explizite Weihnachtsszene, die aber für den Gesamtzusammenhang irrelevant ist. Ich möchte jedoch gar nicht meckern. Als Erwachsener, dem richtige Filme oft zu aufregend sind, war mir diese Amazon-Produktion ganz sympathisch. Sprechen wir vorübergehend nicht über Weihnachtsfilme, sondern über Weihnachtsfernsehserien (Scheibenkleister, Überschrift vielleicht doch nicht optimal). Ich war gegen The Santa Clauses auf Disney+, aber meine Frau war dafür, und man weiß ja, wie sowas endet. Bunt war es. So bunt, dass wir aus Versehen die ganze Serie gesehen haben, und nun wurde eine zweite Staffel bewilligt, und wir tragen eine Mitschuld. Das Ganze ist eine Fortsetzung der Santa-Clause-Filme mit Tim Allen, von denen ich keinen gesehen habe, weil ich über Tim Allen noch nie lachen konnte (ich habe es auch diesmal nicht gelernt). Das wiederum liegt nicht daran, dass wir auf unterschiedlichen Seiten des politischen Stammtisches sitzen, wenn wir nicht gerade Weihnachtsstimmung verbreiten. Über einen Stammtisch kann ich hinwegsehen, so viel Größe habe ich. So viel Größe hat wohl auch Kal Penn (178 cm laut Google), der hier eine Art etwas sympathischeren und viel erfolgloseren Jeff Bezos spielt (Mann von toter Mutter), was er wie gewohnt gut macht, was aber in dem kunterbunten, witzlosen, immerhin auf irgendeine magische Weise die Zeit vertreibenden Irrsinn auch nicht viel reißen kann. Marvels The Guardians of the Galaxy Holiday Special über die Entführung des Schauspielers Kevin Bacon (der Schauspieler Kevin Bacon) durch außerirdische Superhelden ist so lustig, wie es klingt (also ziemlich).Dennoch nur ein schwacher Ersatz für die goldige letztjährige Marvel-Weihnachtsserie Hawkeye, die ich mir in diesem Jahr einfach noch mal angesehen habe, um in Weihnachtsstimmung zu kommen. Hat wieder funktioniert. Und so ist Hawkeye nun nach Only Murders in the Building die zweite Serie des Streaming-Zeitalters, die ich mir zweimal komplett angesehen habe, und zwar beide Male mit außerordentlichem Vergnügen. Dass beide auf Disney+ laufen, heißt vielleicht irgendwas. Ich weiß nicht genau was, aber bestimmt nichts Gutes für Netflix. (Die dritte Zweimal-Serie wird gerade The Peripheral. Auch nicht Netflix.) Marvel hat in diesem Jahr mit Moon Knight und She-Hulk: Attorney at Law bewiesen, dass doch noch ein bisschen Saft im alten Marvel-Zitroniversum ist. Hawkeye allerdings bleibt die vorderste Marvel-Vorzeigeproduktion. Gelegentliche Selbstironie statt ständiger Metaebene, richtige Menschen als Super-Protagonisten, New Yorker Lichterglanz, Weihnachtslieder und auch sonst genau das richtige Maß an Parampampampam. Widerwillig zurück zum Film. Sollte ich eingangs behauptet haben (und das habe ich), dass Falling for Christmas der größte Tobak in diesem Beitrag sei, dann nur, weil ich I Believe in Santa zwischenzeitlich schon wieder verdrängt hatte. Jetzt jedoch kommt er wieder hoch. Es handelt sich um die Liebesgeschichte zwischen einer erwachsenen Journalistin, die Weihnachten hasst, weil sie als Kind einmal nicht ihre Barbie-Puppe bekommen hatte, und einem erwachsenen Anwalt, der noch an den Weihnachtsmann glaubt, weil … tut er halt. Gemacht wurde dieser lieblos dahingeschluderte Murks derweil ausschließlich von Menschen, die Weihnachten hassen. Und Filme. Und Fernsehen. Eigentlich alles, außer pünktlich Feierabend machen. Was für eine visuelle Wohltat da Your Christmas or Mine?. Dieser Film sieht aus, als wäre er von Leuten gemacht, denen es nicht egal ist, wie so ein Film aussieht. Obendrein ist der Plot eine erstaunlich originelle Variation des Familientreffen-Themas und die Besetzung äußerst sympathisch. Hilft natürlich alles nichts, wenn das Skript vorgestern hätte fertig sein müssen und man knapp vor Drehbeginn schnell die erstbeste Version von allem runtertippt, was noch nicht getippt wurde. So bleibt dann doch nur in Erinnerung, wie schön die Schneeflocken purzelten. Das immerhin ist in dieser Weihnachtsfilmsaison nicht nichts. Zuletzt schnell vorgespult ein paar Titel, die ich nicht oder nicht ganz geschafft habe. Es gibt da einen Film, in dem Freddie Prinze Jr. den Witwer-Vater spielt. Das Überraschende daran ist, dass das nicht der Film mit Lindsay Lohan ist. Wir waren bereits zu desillusioniert, um an ein verborgenes Juwel zu glauben. Nach dem Trailer von The Hip Hop Nutcracker sagte meine Frau: „Ich verstehe immer noch nicht, was das ist.“ Dabei steht sie der Welt des Hip-Hop näher als ich, und ich stehe ihr auch nicht völlig fern. Stellt sich heraus: Erst wird ein bisschen gerappt, dann ein bisschen Tschaikowsky gescratcht, schließlich viel getanzt. Wir haben uns nach 10 von 40 Minuten entschlossen, dass wir das respektieren können, aber nicht sehen möchten. Halb habe ich den satirischen No-Budget-Weihnachts-Home-Invasion-Thriller The Leech auf Arrow Player gesehen, und die zweite Hälfte schaffe ich vielleicht auch noch. Aber erst nach Weihnachten. Erinnerte mich ein bisschen an einen anderen Film, dessen Titel ich leider vergessen habe. Sie wissen schon, welchen ich meine. Hat mit Something from Tiffany’s (s. o.) nicht per se viel gemein, scheint allerdings auf den ersten halben Eindruck ebenfalls einer dieser Weihnachtsfilme zu sein, die eher zufällig an Weihnachten spielen. Und damit verabschiede ich mich ins richtige Weihnachtsfest und wünsche uns allen bessere Weihnachtsfilme im nächsten Jahr. Das ist zugegebenermaßen keine allzu hoch gehangene Zuckerstangenmesslatte.
Mein Halloween mit Halloween
Die Jüngeren wissen es vielleicht noch nicht: Ich kann Halloween nicht leiden. Weder das kulturell entwurzelte Importfest, diese Horror-Amateurveranstaltung (alternativer Bindestrich: Horroramateur-Veranstaltung), noch die Filmserie, die niemals eine hätte werden dürfen. Also bekomme ich zur Halloween-Zeit immer ganz miese Laune und hervorragende Ideen, diese noch zu steigern. Diesmal: Warum gucke ich mir nicht mal wieder alle Halloween-Filme an? Und falls damit nicht genug Zeit verschwendet sein sollte: Warum schreibe ich nicht meine Gedanken und Gefühle dazu in meinen Blog hinein?
Ganz so schwer wollte ich es mir dann allerdings doch nicht machen und beschloss, mich allein auf die erste Staffel zu konzentrieren (1978 – 1995). Die Rob-Zombie-Filme habe ich stets gemieden und möchte es dabei belassen. Ich nehme Rob Zombie ab, dass er Horrorfan ist. Horrorregisseur ist er nicht. Und die aktuelle Trilogie ist mir zu aktuell, darüber mache ich mir in frühestens dreißig Jahren Gedanken. H20 von 1998 habe ich als „ganz gut“ in Erinnerung, und gute Filme sind hier nicht Sinn der Sache. Außerdem hatte ich beschlossen, nicht in chronologischer Reihenfolge vorzugehen, sondern in lustbasierter. Los ging es (nerviges Synthie-Gegniedel setzt ein) mit Halloween II: Das Grauen kehrt zurück von 1981, weil ich den Verdacht hatte, diesem Film zeit meines Lebens Unrecht getan zu haben. Das erste und bislang einzige Mal sah in ihn als Teil einer Gruppe betrunkener männlicher Teenager in der VHS-Ära. Es war nicht der erste Film des betreffenden Abends, und ich muss wohl eingeschlafen sein. In jugendlicher Arroganz rechnete ich das stets dem Film an, nicht etwa dem Dosenbier. Diesmal blieb ich wach. Schönster Moment des Films: Nachdem die Trottel vom Haddonfield PD auf der Jagd nach Michael Myers gerade versehentlich einen unschuldigen minderjährigen Passanten überfahren und in Brand gesteckt haben (damals explodierten amerikanische Polizeiautos ja noch sofort bei Zusammenstößen mit Fußgängern), damit der meschuggene Dr. Loomis ihn nicht abknallen kann, hält sich keiner der Beteiligten lange mit Gewissensbissen, Schuldgefühlen oder Selbstkritik auf. Auch später, als kein Zweifel mehr daran besteht, dass der Falsche verschmort wurde, legen die Männer eine bemerkenswert gelassene „Tja, dumm gelaufen“-Attitüde an den Tag. Schönster Dialog außerhalb des Films: Ehefrau: „Oh, ist das Sigourney Weaver?“ Ehemann: „Nein, die andere.“ Ehefrau: „Ach ja, genau.“ Gut, ist vielleicht nicht gerade Shakespeare. Dasselbe lässt sich allerdings auch über die Dialoge in Halloween II sagen. Über die Handlung sowieso. Die einzige Überraschung ist, dass Laurie sich als die Schwester von Michael herausstellt. Darauf baut der gesamte Rest der Serie auf, und damit wäre Halloween II so etwas wie das Das Imperium schlägt zurück unter den Halloween-Filmen. Ich bin übrigens fest davon überzeugt, dass Das Imperium schlägt zurück von den sogenannten Star-Wars-Fans in der Luft zerrissen würde, käme derselbe Film heute raus. Zu viele unvorhergesehen Wendungen und Enthüllungen. Die massive Amateurkritik an Die letzten Jedi ist schließlich nahezu komplett erfasst mit: „In unsrem Alter möchten wir um Gottes Willen von nichts mehr überrascht werden und nichts erfahren, was über unsere eigenen Spekulationen hinausgeht.“ Aber das nur am Rande; hier soll es ja, wie gesagt, nicht um gute Filme gehen. Obwohl ich gestehen muss, dass mir Halloween II als aufs Wesentliche reduzierte Vintage-Unterhaltung durchaus gut gefallen hat. Wenig Handlung, wenig Figurenentwicklung, wenige dramaturgische Durchhänger. Danach hatte ich tatsächlich doch ein bisschen gute Laune und Lust bekommen, weiterzumachen. Also nach Teil 2 gleich Teil 4. War der zweite Film mental und ästhetisch noch fest in den geschmackssicheren 70ern verankert (kulturell lassen sich Dekaden ja nicht nach Kalenderangaben trennen), so ist Halloween IV: Michael Myers kehrt zurück voll und ganz in den 80ern angekommen. Das merkt man schon daran, dass die neue Protagonistin keine Halbstarke ist, sondern ein waschechtes Kind. Die kleine Danielle Harris macht ihre Sache sehr gut. Leider kann ich das von den Großen nicht behaupten. Wer auch immer das Drehbuch geschrieben hat (es nachzuschlagen, wäre zu viel der Ehre), hat sich rein gar nichts einfallen lassen. Die Handlung ist mit dem Filmtitel erschöpfend zusammengefasst. Ein Großteil der Morde findet abseits der Kamera statt. Merke: Was in einer Agatha-Christie-Verfilmung funktioniert, funktioniert nicht zwangsläufig in einem Slasher-Film. Optisch merkt man dem Film sein Alter beziehungsweise seinen Mangel an Alter daran an, dass sich die Verantwortlichen hier bereits bewusst gewesen sein mussten, dass er im Kino nicht viel reißen würde. Mit vielen Nahaufnahmen und Halbtotalen und einer Farbdramaturgie ohne Eier in der Hose ergibt sich Halloween IV den Anforderungen des Heimkinomarktes. Dass die Fernseher mal größer, breiter und hochauflösender würden, konnte damals noch keiner ahnen. Selbst wenn, hätte es wohl keinen Unterschied gemacht, denn dieser Film war bestimmt nicht für die Ewigkeit gedacht. Dass er dennoch überdauert hat, ist ein Irrtum der Geschichte. Gott sei Dank hatte ich nun wieder schlechte Laune, also gleich weiter mit Halloween V: Die Rache des Michael Myers. Danielle Harris ist wieder die Wucht in Tüten, und der Film ist um einiges dynamischer erzählt als sein Vorgänger, aber in meinem Zustand konnte man mir gar nichts rechtmachen. Viel zu hektisch und hysterisch das Ganze. Was soll das denn um diese Uhrzeit? Die Leute wollen schlafen! Also mittendrin umgeschaltet zu Halloween III, dem einzigen Film der Serie, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, und der einzige Film der Serie, der kein Film der Serie ist, sondern nur so heißt. Über ihn wurde damals nach dem ersten Schock so ausdauernd und beharrlich behauptet, dass er total unterbewertet sei, dass er heute total überbewertet ist. Mich erinnerte er ein wenig an die Fernsehserie Evil, nur ohne das sympathische Ermittlertrio. Und ohne all die anderen Qualitäten. Bald hatte ich etwas viel Besseres gefunden, als Halloween III zu gucken: So lange immer wieder stupide die Aktualisieren-Schaltfläche des Browsers zu bedienen, bis die nächste Staffel von Evil endlich auftauchte. Also erst mal zwei Folgen Evil, dann weiter mit Halloween III. Das ging mir alles viel zu langsam. Also zurück zu Halloween V. War leider immer noch nicht besser geworden. In seinen schlimmsten Momenten, und das sind nicht wenige, wirkt dieser Halloween-Film wie ein Freitag-der-13.-Film. Ich weiß, das klingt gemein, aber es ist wahr. Der eine Film langweilte mich, der andere nervte. Und nachdem ich wegen Kurzurlaub eine zweitägige Halloween-Zwangspause einlegen musste … … sah ich die Lösung meines Problems klar vor meinen Augen: Einfach aufgeben! Niemand zwang mich! So kam es, dass ich nach der Heimkehr sofort alle Halloween-Filme aus meiner Liste löschte, die danach weitaus verführerischer aussah. Ich würde Teil 3 und 5 nicht mehr zu Ende sehen, und mit Teil 6, dessen Existenz ich im Vorfeld völlig vergessen oder verdrängt hatte, ebenso wenig anfangen wie mit dem ersten, den ich bisher in keinem Lebensalter mehr als „ganz okay“ zu finden gelernt habe (oh, was habe ich es versucht). So fühle ich mich nun wieder frei. Der Fluch des Michael Myers ist nahezu buchstäblich von mir genommen. Genauso wie „die Rückkehr“ und „die Rache“. Ich kann mich nun wieder angenehmeren Projekten widmen, beispielsweise meinen geplanten Subspecies– und Maniac Cop-Retrospektiven. Und ich kann mich auf erfreulichere Feiertage freuen.