In den vergangenen Wochen hatte ich viel Spaß mit Menschen und nichts als Scherereien mit Maschinen. Das hat mir eine wichtige Lektion über das Leben und seine Prioritäten gelehrt: Ich sollte mich weniger um Menschen und mehr um Maschinen kümmern. Damit ich ab sofort noch mehr Zeit mit Telefonen und anderen Computern verbringen darf, bin ich nun Facebook beigetreten. Machen Sie es doch auch, dann können wir so tun, als kennen wir uns.
Tatsächlich bin ich dieser Tage nicht nur einmal Facebook beigetreten, sondern vier- oder fünfmal. Jedes Mal bin ich nach wenigen Minuten mit geblähten Nüstern wieder ausgetreten. Diesmal bleibe ich vielleicht länger. Mein vorheriges Problem war, dass ich keine normale Seite anlegen wollte, sondern eine sogenannte ‚Fan-Seite‘. Nun ist es keineswegs so, dass ich über Nacht durch einen vermeintlichen Kaninchenbau in eine Wi-Wa-Wunderwelt gepurzelt wäre, in der ich es für möglich oder auch nur erstrebenswert gehalten hätte, jemals so etwas wie ‚Fans‘ zu haben. ‚Fans‘ braucht kein Schwein, Leser reichen völlig aus. Trotzdem wollte ich dem ganzen einen offiziellen Anstrich verleihen; ich will schließlich Bücher verkaufen, keine Klassentreffen organisieren. Leider muss man aber ein privates Profil haben, wenn man eine sogenannte ‚Fan-Seite‘ anlegen möchte. So eines habe ich mir dann geholt, doch es war mir so ungeheuer, dass ich jedes Mal nach kurzer Zeit gegoogelt habe, wie das noch mal ging mit dem Account-Löschen. Diesmal versuche ich mich zusammenzureißen. Das mit der sogenannten ‚Fan-Seite‘ habe ich mir erst mal abgeschminkt. Das jetzige Profil ist privat, Sie können also unbesorgt sein, davon gerät niemals etwas an die Öffentlichkeit. Ist schließlich nur Facebook. Weil das Internet auch ein visuelles Medium ist, hier ein lustiges Bild von mir in einem Lätzchen: So gelöst kann man schauen, wenn in der heißesten Korrekturphase zweier Bücher und der Schreibphase eines dritten die Festplatte abstürzt und man eingesehen hat, dass geblähte Nüstern daran nichts ändern werden. Das Bild ist übrigens auch auf meiner neuen Facebook-Seite. (Nein, Mama, ich war nicht schon wieder der einzige, der ein Lätzchen tragen musste.) Damit ist die letzte Phase meiner elaborierten Social-Media-Strategie abgeschlossen. Es sei denn, ich verstehe irgendwann, was Pinterest ist.Archiv des Autors: Andreas Neuenkirchen
Making of Yoyogi Park, Episode 1: Yoyogi Park und Harajuku
Sollte ich es noch nicht erwähnt haben: Mein Kriminalroman Yoyogi Park erscheint im April im Conbook Verlag, und an dieser Stelle möchte ich episodenartig Fotobeweise und andere sachdienliche Hinweise zu den realen Spielorten und fiktiven Begebenheiten im Buch präsentieren. Fangen wir am Anfang an: Im Yoyogi Park. Wer dort hin möchte, kommt wahrscheinlich erst mal am Bahnhof Harajuku an, welcher folgendermaßen aussieht:
Ja, es kann voll werden. Voller zum Beispiel als am Bahnhof Bremen-Schönebeck, obwohl die Größe vergleichbar ist. Links vom Betrachter aus geht es zum Park, rechts in die Takeshita Dori, die beliebte Einkaufsstraße für den etwas ausgefalleneren Modegeschmack: In einer Seitenstraße der Takeshita Dori findet man die Boutique L’Eclair Noblesse (für die Hauptstraße ist sie sich zu fein). Stimmt gar nicht, die habe ich mir ausgedacht. Aber wenn es sie geben würde, würden diese Damen dort bestimmt einkaufen: Jetzt sind sie bereits fertig mit Einkaufen, deshalb treiben sie sich auf der Eisenbahnbrücke zum Yoyogi Park herum. Nicht weit davon spielen am Rande des Parks gerne Bands auf: Auf diesem Platz mit den praktischen, zielscheibenartig konzentrischen Kreisen wollte ich ursprünglich im Finale des Romans einen Helikopter landen lassen: Der Platz war allerdings doch zu weit vom Geschehen entfernt, und die Zeit war knapp. Deshalb habe ich mich für eine semifiktive Lichtung anderswo entschieden (nicht im Bild). Der Platz ist trotzdem relevant, denn mitunter tanzen dort enthusiastische Rockabillys (leider ebenfalls nicht im Bild), die einen Gastauftritt im Roman haben. In den Park selbst kommt man durch imposante Holztore: Hauptattraktion des Parks ist der Meiji-jingu, Tokios größter Shinto-Schrein. Mörder und Polizisten haben keine Zeit zum Sightseeing, trotzdem kommen auch sie am Schrein nicht vorbei (bzw. eben doch). Sehe gerade, dass sich eine Freundin von mir im Bild versteckt hat (wenngleich nicht besonders gut). Im Roman kommt sie nicht vor. Bei der finalen Verfolgungsjagd kommen Verfolgter und Verfolgerin an diesen Sake-Fässern vorbei, aber sie haben kein Auge dafür (deshalb habe ich auch vergessen, sie zu erwähnen): Malerisch? Ein bisschen weiter vorne rechts könnte eine Leiche liegen: Bemerken Sie den Fehler? Dieses Teehaus steht gar nicht im Yoyogi Park, sondern im Ueno Park. Es hat mich allerdings zu dem fiktiven Yoyogi-Teehaus meines Romanes inspiriert. Und in der nächsten Folge kommen Sie mit zur Polizei!Deutsch-japanischer Dialog bei Edeka
Sie: „Ich möchte Haferflocken kaufen.“
Er: „Womit willst du die den Essen? Mit Milch?“ „Nein.“ „Mit Wasser?“ „Nein!“ „Womit denn dann?“ „Mit Sojasauce!“ Später: Auf dem Bild kommt die Sojasauce leider nicht recht zur Geltung, dafür das Algen-Topping umso besser.Making of Yoyogi Park, Episode 0: Was bisher geschah
Liebe Lesende, dies ist die Pilotfolge einer neuen Serie zu realen Orten und Begebenheiten, die den Weg in meinen komplett ausgedachten Kriminalroman Yoyogi Park gefunden haben. Weil ich heute zu bequem bin so richtig damit anzufangen, möchte ich nur auf zwei alte Kamellen lenken, in denen bereits sachdienliche Hinweise angelegt waren, ohne dass ich damals etwas davon ahnen konnte.
Ein wichtiger Ort in der Romanhandlung ist ein fiktives Maid Café in Akihabara. Ich kann nicht verhehlen, dass es eine gewisse Ähnlichkeit mit dem real existierenden Maid Café in Akihabara hat, das ich einmal zum aufklärerischen Zwecke besucht habe. Das dramatische Finale des Romans platzt in eine Parade hinein, bei der tragbare Schreine, sog. mikoshi, samt Träger mit von der Partie sind. Einmal war ich selbst einer von denen. Weil an diese Stelle ein Bild gehört, hier eines vom Titelpark des Buches: So gesellig geht es dort im Roman allerdings nicht zu, denn … ES IST EIN MORD GESCHEHEN!… und darum nennen wir es Keanu-Schokolade
Sensationsmeldung des Jahres: Wir haben von Weihnachten noch Schokolade übrig! Zu den besonders gut gemeinten Exemplaren unterm Baum gehört dieses:
Wir haben diese Tafel schnell ‚Keanu-Schokolade‘ getauft. Das Präfix ‚Keanu-‘ hat sich in unserem Haushalt für Produkte, Speisen und Dienstleistungen durchgesetzt, die bemüht asiatisch daherkommen, ohne aus Asien zu kommen. Selbstverständlich benutzen wir den Begriff eher zuneigend als herablassend. Es ist der Gedanke, der zählt. Man kann nicht von jedem schleswig-holsteinischen Chocolatier erwarten, dass er zwischen ji und tera/dera zu unterscheiden vermag, schreibt sich schließlich alles gleich (寺), heißt das gleiche (Tempel), wird nur kontextabhängig anders gelesen. Vielleicht klang dem Chocolatier tera auch zu sehr nach einem Hauch von Terror. Schon mit diesem bloßen Hinweis begebe ich mich auf dünnes Eis, denn als Enthusiast sollte man tunlichst darauf achten, nicht den schmalen Grat zwischen enthusiastischem Mitteilungsdrang und verbitterter Besserwisserei zu überschreiten (der schmale Grat verläuft auf dünnem Eis, stelle ich gerade fest). Verbitterte Besserwisserei macht hässlich und einsam, man hängt irgendwann nur noch mit anderen verbitterten Besserwissern rum, mit denen man sich naturgemäß auch irgendwann überwirft. Also nicht aufregen und in aller Ruhe Keanu-Schokolade schnuckern, gerne auch cineastische Keanu-Schokolade: Ich freue mich darauf, seit ich zum ersten Mal den ersten Trailer gesehen habe. Nicht, weil ich ein Anknüpfen an die Samurai-Dramen Kurosawas erwarte, sondern eines an das Große Alberne Hongkong-Kino Tsui Harks erhoffe. Dass die verbitterten Besserwisser solche Filme nicht verstehen, ist bekannt und sollte nicht weiter irritieren. Es sei ihnen von einem Enthusiasten gesagt: Extreme künstlerische Freiheit in der Nacherzählung der Legende um die 47 Ronin hat in Japan Tradition. Diese Freiheit kann man anderen kaum verwehren. Gerne dürfen auch Keanu & Co. ein paar Unsinnigkeiten hinzufantasieren. Und Hand aufs Herz: Ohne Robert De Niro hätten Sie doch eh noch nie was von dieser Geschichte gehört. Ich habe 47 Ronin zwar noch nicht gesehen und behalte mir das Recht vor, später den Wendehals zu machen. Aber fürs erste finde ich es ganz, ganz gemein, dass der Film so gemeine Kritiken bekommen hat. Man könnte glauben, die Menschheit habe inzwischen den Geist des ‚Cheer Up Keanu Day‘ völlig vergessen. Wer Keanu nicht liebt, ist nicht fähig zu lieben. Selbstverständlich sind die Matrix-Filme total bekloppt. Doch sie sind mit einer solchen künstlerischen Konsequenz bekloppt, dass man davor schon Respekt haben muss. Da hat jemand stur die Geschichte zu Ende erzählt, die er erzählen wollte, auch wenn schnell klar wurde, dass niemand sie so zu Ende hören will. Keanu ist immer mit so viel Herzblut bei der Sache, dass man ganz vergessen kann, dass seine Filme in der Mehrzahl gar nicht seine Filme sind. Sind sie aber doch, Keanu-Filme sind immer Keanu-Filme, andere Beteiligte egal. Das steht so fest, dass ich jetzt sogar zu faul bin, den Namen der Matrix-Geschwister zu googeln. Keanu allein ist verantwortlich. Keanu ist darüber hinaus der einzige Schauspieler, bei dem ich mir nicht plump vertraulich vorkomme, wenn ich ihn beim bloßen Vornamen nenne. Er ist einfach kein Reeves. Bei der Kritik an 47 Ronin wird häufig die These aufgestellt, die Japaner könnten ihre eigenen Legenden viel besser selbst verfilmen und hätten es nicht nötig, sich ausgerechnet von den Amis etwas vormachen zu lassen. Das jedoch ist Wunschdenken. Man muss es leider sagen, wie es ist: Die Japaner können’s nicht (mehr), und irgendwer muss es ihnen ja (wieder) vormachen. Das japanische Kino steckt seit geraumer Zeit in einer seltsamen Krise. Das E-Kino wirft gelegentlich das eine oder andere Juwel ab (wenn auch nicht mehr mit der gleichen Verlässlichkeit wie zu Glanzzeiten), aber das große U-Kino operiert nur noch auf Til-Schweiger-Niveau. Filme, die ohne Zuschauerkonditionierung durchs Landesfernsehen kein Schwein interessieren würden und die deshalb die Reise ins Ausland gar nicht erst antreten, zumindest nicht im großen Stil. Dabei könnte man, wenn man wollte. Es müssten nur mal die richtigen Leute zusammen wollen. Gutaussehender dramaturgischer Murks wie Space Battleship Yamato (wir berichteten hier, inklusive Keanu-Tofu) oder Rurouni Kenshin zeigen, dass das technische Verständnis da ist, auf koreanischem oder amerikanischem Hochglanz-Niveau zu produzieren. Pappig gemachte aber brillant konzipierte Filme wie die der Death Note– und 20th Century Boys-Reihen beweisen, dass es durchaus Autoren gibt, die komplexe Geschichten unterhaltsam erzählen können. Jetzt müssten nur mal die einen mit den anderen. Dann bräuchten wir auch Keanu nicht mehr. Zumindest nicht dafür. Dann könnte er endlich Bill und Teds endkrasser Trip nach Legoland (aka Matrix 4) machen. So weit ist es schon gekommen: Als ich neulich heimlich die Vorgarten-Produktion Salvage Mice netflixte, überkam mich ein lange nicht mehr gefühltes Glücksgefühl. Denn mir wurde bewusst: Das war der amüsanteste japanische Film, den ich seit sehr langem gesehen habe. Dieses Bewusstsein ist ein schmerzliches, denn in besseren Zeiten wäre jenes Filmchen für kaum mehr als ein Schmunzeln zwischendurch gut gewesen. Wie die Schokolade schmeckt, weiß ich übrigens noch nicht. Ich nehme sie in vier Wochen mit ins Kino.Von den Büchern anderer Leute (und einem eigenen)
Ich bin zwar in letzter Zeit dazu gekommen, ein paar Rezensionen an anderer Stelle zu schreiben. Allerdings bin ich nicht dazu gekommen, an dieser Stelle über jene Rezensionen zu schreiben. Also hier gesammelt:
William Boyd: Solo Jean-Christophe Grangé: Die Wahrheit des Blutes Khaled Hosseini: Traumsammler Marisha Pessl: Die amerikanische Nacht Falls das alles nichts für Sie ist und Sie sich sagen: „Mensch, ich würde gerne mal wieder einen spannenden Kriminalroman im Tokioter Maid-Café-Milieu lesen!“, dann kommt dieser Schmöker der Sache ziemlich nahe: Hier können Sie das Buch schon mal showroomen. Addendum Ab sofort werden Rezensionen von außerhalb nur noch gezwitschert. Bitte folgen Sie mir. (Übersetzung: Bitte, bitte, bitte!!!)Hello Twitty
Falls Sie noch kein Muttertagsgeschenk haben: Mein Hello-Kitty-Buch erscheint rechtzeitig im April und man kann es daran erkennen, dass es so aussieht:
Hier die Katalogdaten und hier die Online-Ausgabe eines Artikels, den ich zum Thema für das Metrolit-Magazin geschrieben habe. In der Print-Ausgabe ist die ausführlichere Version mit aufwendigen Infografiken. Mir ist positiv aufgefallen, dass zur neuen Kollektion des Metrolit-Verlages auch ein Buch namens Pussy gehört. Man hat also meinen Rat befolgt und erschließt jetzt verstärkt den lukrativen Markt der Kätzchen-Bücher. Außerdem sei nicht verschwiegen, dass heute Phase 2 meiner neuen Online-Strategie (wir berichteten) eingeleitet wird: Ich bin jetzt auch bei Twitter. Warum wird sich zeigen.New Model Army grüßt Paul Walker
Ein bisschen aus Neugier, ein bisschen aus vorauseilender, infantiler Schadenfreude habe ich mir kürzlich das neue Album von New Model Army gekauft. Meine Schadenfreude konnte nicht befriedigt werden, mein Geld war gut angelegt, es ist ein schönes, kleines, entspanntes Alterswerk geworden von jemandem, der große Alterswerke nicht nötig hat. Textlich viel Pathos, musikalisch wenig Patina. Schon beim ersten Hören war mir der Song ‚Knievel‘ positiv aufgefallen. Sofort dachte ich: Falls die Filmserie Fast and Furious sich mal entscheiden sollte musikalisches Neuland zu betreten, würde sich dieses Stück anbieten.
It always bothers me to see people writing ‚RIP‘ when a person dies. It just feels so insincere and like a cop-out. To me, ‚RIP‘ is the microwave dinner of posthumous honors.
— Lou Reed
8 Gründe, warum am Tag des Jüngsten Gerichts vermutlich doch nicht alle Seelen gerettet werden können (ein künstlich aufgeblasenes Fragment)
Letzte Woche haben meine Frau und ich einen ziemlichen Bock geschossen. Wir tun zwar immer so, als hätten wir das Savoir-vivre mit silbernen Löffeln gefressen, aber das Konzert der Münchner Symphoniker mit dem japanischen Meisterpianisten Nobu Tsujii haben wir nach der Hälfte verlassen. Nicht aus Protest oder Missfallen, sondern weil wir zu blöd waren, eine Pause von einem Ende zu unterscheiden.
Zu unserer Verteidigung: Die Sitte der Saufpause, insbesondere bei klassischen Konzerten, war uns durchaus geläufig. Allerdings war bei speziell diesem schon das, was sich nur als erster Block herausstellte, von einer befriedigenden, geldwerten Länge gewesen. Außerdem hatte der ganze Verbeugungs- und Rausgehen-und-wieder-reinkommen-Zirkus der Hauptakteure so etwas Finales gehabt. Wir waren durchaus zufrieden und hatten nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben, als wir schon in der Kneipe saßen und zwei nicht schlechte Plätze in der Philharmonie leer blieben. Ich bin also vermutlich nicht die allerhöchste Instanz, wenn es um Ratschläge für einen gediegenen Klassikkonzertbesuch geht. Trotzdem möchte ich mich gern daran versuchen, denn die Episode erinnert mich an einen skizzierten aber nicht ins Reine geschriebenen Text, den ich vor ein paar Monaten in einem fremden Land wütend mit einem gelben Bleistift in ein rotes Notizbuch kritzelte, hier: (Eigentlich schreibe ich nicht gerne mit Bleistift, aber ich habe es mir inzwischen angewöhnt, weil eines Tages ominöse blaue Kugelschreiberflecken auf unserem Ku-Klux-Sofa erschienen waren. Angeblich bin ich es gewesen und der Bleistift wurde zur Bedingung gemacht.) Meine Frau und ich waren nach Prag gereist, weil es einer der wenigen Orte der Welt war, an denen wir beiden kleinen Kosmopoliten noch nie gewesen waren. Speziell zog es uns in den Smetana Saal, da dort meine Schwiegermutter schon einmal vor unserer Zeit auf ihrer einsaitigen Koto gespielt hatte (Schwiegermutter nicht im Bild): (Soll ich noch etwas mehr mit meiner Schwiegermutter prahlen? Bitteschön: „Sie hat sogar schon für den Kaiser von China gespielt!“ Nein, das war gelogen. Aber das hier stimmt: „Sie hat sogar schon für die Kaiserin von Japan gespielt!“ Es gibt Fotobeweise. Deren Verbreitung steht mir nicht zu, aber ich habe sie gesehen.) Wir hätten uns den Saal auch ohne Ton anschauen können, aber weil wir das Savoir-vivre mit silbernen Löffeln gefressen haben, entschlossen wir uns zu einem anständigen Konzertbesuch. Die Prager Philharmoniker gaben ein buntes Smetana-Potpourri, was man halt so gibt für Touristen wie uns, die nicht so recht wissen, was sie hören wollen. Es war sehr schön, ich habe mir später eine CD gekauft von diesem Smetana. Die Hölle allerdings, das waren die anderen. Ich schämte mich für die Menschheit. Im Hotel zählte ich unter dem Titel, der über diesem Eintrag steht (ohne das in Klammern), in besagtem Notizbuch die Unmenschlichkeiten runter, die ich während des Konzertes in den Zuschauerrängen mit eigenen Augen gesehen und Ohren gehört hatte:Und das hier erst: Mit dem Gemälde des Absinth-Trinkers, der von der Muse besucht wird. (Ich habe natürlich ebenfalls eine Flasche Absinth im Duty-Free-Shop gekauft, wie sich das für den verwegenen Abenteuerreisenden geziemt, doch ich habe mich noch nicht getraut davon zu nehmen.)
Ich werde diese Bilder niemals jemandem zeigen. Apropos Klassiker-Konzert: Diese Woche war ich bei Nick Cave and the Bad Seeds und es wird wohl das letzte Konzert von Nick Cave gewesen sein, das ich in einem derartigen Rahmen besucht habe. Seien Sie unbesorgt, weder folgt hier die Altpunker-Nörgelei, dass der feine Herr heutzutage auf der Bühne nur noch Lieder singt, anstatt sich im gemeinsam mit dem Publikum Erbrochenen zu aalen, noch gibt es gesundheitliche Gründe. Herr Cave und ich sind beide mopsfidel und das Konzert war als solches eine einzige Freude. Ich gehe nicht davon aus, dass es sich vom Konzert des Vorabends und Folgeabends in anderen Städten sonderlich unterschieden hat, aber Routine ist kein Schimpfwort. Es gibt kaum etwas Erbaulicheres, als einem guten Routinier bei der Routine zuzusehen und Nick Cave ist ein großartiger Routinier. Das Publikum war ebenfalls in Ordnung, keine Plastiktüte weit und breit. ALLERDINGS: Nie wieder werde ich mich für einen Künstler, der STIL mit vier Großbuchstaben zu buchstabieren weiß wie kein zweiter, in eine derart stillose, zugige, menschen- und kunstunwürdige, seelenverätzende Betonhalle wie das Münchner Zenith begeben. Für nichts und niemanden. Nein, es war nicht mein erstes Mal, ich wusste, was mich erwartet, aber irgendwann ist das Fass halt vollgetropft. An einem solchen Ort möchte ich fortan nicht mal mehr als Schwein tot am Haken hängen. Ein solcher Ort ist nicht nur eine Schande für das leuchtende München, sondern sogar für das gesichtslose Industriegebiet am Stadtrand, in das er hineingerotzt wurde. Anfangs befürchtete ich noch, es könnte mir zu warm werden angesichts der „heißen Musik“ (Jugendslang!), wenn ich meinen Mantel nicht abgebe. Doch zu guter Letzt war es nicht nur nicht nötig gewesen, den Mantel abzulegen; ich habe ihn nicht mal öffnen müssen in der Betonkälte. Noch habe ich den Schal gelockert. Für eine gewisse Zeit habe ich sogar – keine humoristische Übertreibung! – die Mütze wieder aufgesetzt (dabei weiß ich im Gegensatz zu 95 % der Bevölkerung, dass man in Innenräumen keine Kopfbedeckungen trägt). Und beim Bier und den Gepflogenheiten des Einschenkens kommt einem der alte Woody-Allen-Witz vom schrecklichen Essen in viel zu kleinen Portionen wieder hoch. Bisweilen gibt Herr Cave ja besondere Konzerte in gediegenerem Rahmen, mit Holzinstrumenten in Stucksälen. Ältere Anhänger, die sich schon in den 70ern und 80ern in Melbourne, London, Berlin und anderen Angeberstädten mit ihm durchs Erbrochene wälzten, tun das gerne als unpunkige Schnöselei ab. Ich allerdings muss sagen: Unter diesen Bedingungen erlebe ich Nick Cave und etwaige Mitmusiker gerne wieder. Doch das, was mir in dieser Woche angetan wurde, tue ich mir nicht noch mal an. Aber reden wir nicht mehr vom Zenith, das ist ja jetzt vorbei. Das einzige, was mir am Konzert selbst vielleicht doch ein wenig negativ aufgefallen war (allerdings erst nach ca. 24 Stunden Bedenkzeit, zählt also nicht), ist, dass in der Songauswahl zwar eine zünftige Mischung aus „ziemlich alt“ und „ganz neu“ geboten wurde, die Kategorien „etwas älter“ und „relativ neu“ jedoch komplett ausgeklammert wurden. Aus diesem Grund zum Abschluss ein Lied aus jener Zeit, die vielleicht nicht die beste war, aber auch nicht so schlecht, wie alle immer tun.Wegen heiligem Bimbam: Suede-Konzertkarte abzugeben
Als sich vor ein paar Jahren die Band Suede wieder vertragen hat, hätte ich fast das getan, was ich normalerweise nur für Alte Meister der Schönen Künste tue: ein fremdes Land bereisen (genauer das England), um die Sache mit eigenen Augen zu sehen. Doch kam etwas dazwischen. War nicht schlimm, dachte ich vor ein paar Monaten, denn es kündigte sich ein Konzert in München an, was mit öffentlichen Verkehrsmitteln viel besser zu erreichen ist. Ich habe mir eine Karte kommen lassen und mich auf den 19. November gefreut.
Ich freue mich immer noch auf den 19. November, aber zu Suede kann ich jetzt nicht mehr. Ich musste abwägen zwischen der besten britischen Band der Neunziger und dem seit Jahrzehnten bedeutendsten amerikanischen Gegenwartsautoren. Ich habe mich für Stephen King entschieden. Ausschlaggebend war in erster Linie Sentimentalität. Sentimentalität beflügelt freilich nichts besser als Musik. Suede indes gehört bei aller Hingabe nicht zu den Bands, die mir in meinen formativen Jahren die Tränen getrocknet haben (dafür kamen sie zu spät). Überhaupt habe ich sie richtig erst zu schätzen gelernt, als sie sich schon vorübergehend aufgelöst hatten. Zuvor war mir immerhin wohlwollend aufgefallen, dass sie einmal einen vage Twin-Peaks-haften Videoclip hatten machen lassen, was ich zwar nicht unbedingt originell, aber doch sympathisch fand. Ein Jahrtausend später holte ich mir ihr Singles-Albums Singles, hörte es mir an, faltete die Hände und betete: Lieber Gott, wenn du jemals alle Lieder von meiner Festplatte löschen solltest, bitte verschone diese! Eine Band erst nach ihrer hauptsächlichen Schaffensperiode kennenzulernen hat Vorteile. Man kann sich die Oliven (Rosinen mag ich nicht) rauspicken und muss nicht in schmerzhafter Echtzeit all die typischen Verfallserscheinungen mitbekommen, die immer klare Indikatoren für baldige Bandauflösungen sind (Stilwechsel, Umbesetzungen, Bartwuchs). Andererseits verpasst man auch das Gute, den Sturm, den Drang, die Protzpriviliegien, dass man das alles schon kannte, bevor „alle“ es cool fanden. Wenn die Zeiten vorbei sind, dass man jeden Morgen hinter der Indie-Dorfdisco in einer Bierlache auf hartem Asphalt aufwacht, ein gepiercetes Parka-Girlie mit verquollenen Augen an seiner Seite, verbindet man irgendwie keine guten Geschichten mehr mit Musik. Das Beste, was ich über Suede und mich erzählen könnte: Zu der Musik kann man gut joggen. Das klingt fast so läppisch wie: Zu der Musik kann man gut Auto fahren. Es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass ich Menschen, die so etwas sagen, gewohnheitsmäßig die Freundschaft kündige. Tatsächlich funktioniert mein Instinkt so tadellos, dass ich mit ihnen gar nicht erst Freundschaft schließe. Ein bisschen hinkt der Vergleich zum Glück schon. Zwar mangelt es mir an eigener Erfahrung, doch könnte ich mir vorstellen, dass man sich beim Autofahren konzentrieren muss, auf die Straße achten, dass man ausnahmsweise keinen umbringt, zum Beispiel Jogger. Beim Sport hingegen kann man seinen Gefühlen freien Lauf lassen, auch mal ganz in der Musik aufgehen. Sie ist also beim Sport anders als beim Fahren keine bloße Hintergrundberieselung, sondern kann durchaus als Hauptsache en détail gewürdigt werden. Zumindest, wenn man es richtig macht. Man darf es mit dem Meister aller Sportmotivatoren halten: Mir fällt gerade ein: Etwas popwürdiger als die Gute-Musik-zum-Joggen-Anekdote ist vielleicht, wie ich einmal die traumhafte Suede-Ballade „Trash“ in einer Karaoke-Kabine in Takadanobaba gesungen habe. Wenn ich mich doch nur noch vernünftig daran erinnern könnte. Was in Karaoke-Kabinen in Takadanobaba passiert, bleibt in Karaoke-Kabinen in Takadanobaba.(Nachstellung, nicht ich in dem Video) Es gäbe für mich also keinen wirklich triftigen Grund, bei einem Suede-Konzert Schlüpfer zu werfen. Bei Stephen King hingegen werfe ich gerne Schlüpfer aufs Podium, wenn er am 19. November anlässlich des Krimi-Festivals in München lesen wird. (Ich habe übrigens vor, nächstes Jahr selbst dort zu lesen, auch wenn die Veranstalter noch nichts davon ahnen. Wahrscheinlich nicht im Circus Krone, eher in einem Thai-Sushi-Imbiss mit drei Plätzen. Dafür wird es wahrscheinlich auch unter 29 Euro pro Person kosten.) Meine erste Begegnung mit Stephen King hat so vieles bewirkt (bei mir), dass ich ganz genau weiß, wo ich anfangen muss. Ich war 14 Jahre alt und der Film Christine kam in die deutschen Kinos. Da ging es um ein Killerauto aus der Hölle, das musste ich sehen. Ich hatte mich zum Kinobesuch mit einem Jungen aus meiner Bande verabredet, nennen wir ihn Tom. Leider war der Horrorschocker ab 16 Jahre freigegeben. Die Kinokartenverkäuferin fragte uns: „Na, wie alt seid ihr denn?!“ Ich sagte wie aus der Pistole geschossen: „16!“, und blieb die Coolness selbst, bilde ich mir ein. Tom sagte: „Äh … äh… 16 …?“, und wurde rot wie eine Tomate. Wo er Tomaten noch nicht mal mochte. Wir haben also Christine an diesem Tag nicht gesehen. Stattdessen habe ich mir den Roman gekauft und danach war nichts mehr, wie es einmal war. Ich hatte nicht für möglich gehalten, dass derlei fesselnd von ganz normalen Menschen in der ganz normalen Welt erzählt werden konnte. Das Horrorauto war mir schnell völlig schnurz. Zuvor hatte ich nur Bücher gelesen, in denen es um Kampfraumschiffkommandeure oder prähistorische Barbaren ging. Stephen King und Stephen King allein führte mich von Jugendbüchern zu Erwachsenenbüchern, von Vergangenheits- und Zukunftsthemen zu Gegenwartsthemen, machte aus meinem unverbindlichen Interesse am Horrorgenre eine leidenschaftliche Liebe. Ich habe Christine bis heute kein zweites Mal gelesen. Gut möglich, dass es nicht Kings stärkstes Werk ist. Bei der qualitativen Durchnummerierung seiner Bücher, die in letzter Zeit ein besonders beliebter Feuilletonsport zu sein scheint, landet es meist auf den hinteren Plätzen. Man mokiert sich hin und wieder, King habe das Motiv des bösen Autos ein paarmal zu häufig bemüht. Das allerdings ist ein Denkfehler. Das Automobil ist schließlich der offizielle Transporteur des Amerikanischen Traumes, und das Aufzeigen des Alptraumhaften daran ist Stephen Kings Dauerthema, wie es das Dauerthema jedes anderen zeitgenössischen amerikanischen Autoren ist, der was auf sich hält. King hat im Laufe der Jahrzehnte ein paar Gurkenbücher geschrieben, also genau so wie Philip Roth oder John Updike, aber das Wiederverwenden von Motiven muss man ihm nicht vorwerfen, das ist eine zulässige literarische Praxis. Das Spukauto ist moderner und amerikanischer als das Spukhaus, das als Konzept inzwischen doch ein wenig zu 19. Jahrhundert, ein bisschen zu sehr Alte Welt ist. Das ist mehr Autoverteidigung, als Sie jemals wieder von mir hören werden. Eigentlich geht es darum: Wer also meine Suede-Karte haben möchte, soll sich melden. Die Person mit der rührendsten Geschichte gewinnt. Zuerst wollte ich zur Bedingung machen, dass die Geschichte Suede-Bezug haben muss. Allerdings haben Menschen mit rührenden Suede-Geschichten wahrscheinlich schon eine Karte und ich bin kein Unmensch. Es kann irgendeine Geschichte sein. Nur sputen müssen Sie sich, das alles findet schließlich schon nächste Woche Dienstag statt. Bonuspunkte gibt es für die Verwendung des Begriffs „Heiliger Bimbam“. Ich lese gerade parallel den Stephen-King-Roman Doctor Sleep und Ben Winters‘ famosen präapokalyptischen Krimi Der letzte Polizist, beide aus journalistischer Sorgfaltspflicht in der deutschen Übersetzung. Ich bin begeistert, dass beide Bücher den schon etwas in Vergessenheit geratenen Kraftausdruck „Heiliger Bimbam“ energisch zum Comeback befeuern. Bitte alle mitmachen. Wir dürfen jetzt nicht nachlassen.