Mehr Buch, (noch) weniger Blog

Sicherlich hat man es mir in den letzten Wochen schon an der Nasenspitze angesehen: Ich bin wieder schwanger. Es wird ein Buch, und es kommt, inshallah, im Frühjahr 2014. Nun muss ich mich eine Weile ganz auf das Ungeborene konzentrieren und den Blog nach Rabenmanier vernachlässigen.

Wegen fortschrittlicher Internet-Technologie wird dieser Eintrag bis zur Entbindung an oberster Stelle stehen. Das heißt nicht, dass es seitdem rein gar nichts zu bloggen gab. Bitte schauen Sie ein Fach tiefer nach etwaigen Aktualitäten.

Zum neuen Buch später mehr, nur so viel schon mal: Es basiert auf einer wahren Geschichte. Es handelt von einem kleinen Kätzchen, das sich sagte: Ich möchte in die Welt hinausgehen und vier Milliarden Euro pro Jahr verdienen, bevor ich 40 bin. Und das Kätzchen ging in die Welt hinaus, und es machte seinen Traum wahr. Eine Geschichte über Geld, Sex, Mord, Betrug, Revolte, Hass, aber vor allem über Liebe und Freundschaft. Mit vielen prominenten Gastauftritten, u. a. von Lady Gaga, Walter Benjamin, der Rockgruppe Kiss und Einsatzkräften der Polizei von Hongkong, Taiwan und Thailand.

Update 30. 4.: Jetzt ist schon wieder was passiert

Wie ich gerade erfahre, muss ich bis Frühjahr 2014 nicht eins, sondern zwei Bücher fertigschreiben. Mein Kriminalroman Yoyogi Park hat ebenfalls eine Heimat gefunden. Mach ich gerne, nur wird sich der Blog nun noch etwas länger gedulden müssen.

Heute schon an Weihnachten denken

Falls Sie immer noch nicht alle Weihnachtsgeschenke beisammen haben, möchte ich darauf hinweisen, dass mein Buch Gebrauchsanweisung für Japan am 12. März in einer komplett überarbeiteten und erweiterten Neuauflage erscheint. Wenn Sie rechtzeitig zuschlagen, haben Sie noch rund neun Monate Zeit mit dem Geschenkpapier.

Häufig gestellte Fragen

Ich habe mitgezählt: Es gab ja schon vier Auflagen. Was ist noch neuer an der fünften?

Das ganze Buch wurde nicht nur Wort für Wort durchgegangen und im Detail aktualisiert, es gibt auch etliche längere noch nie dagewesene Passagen, zum Beispiel:

  • Die Entspannung der Nachrichtenlage: Erweitertes Vorwort
  • Ein komplett neues Kapitel: Alles daijoubu nach 3/11?
  • Fünf komplett neue Unterkapitel: Fußball: Die schönste Frauensache der Welt, Der Hashist von Osaka, Panda-Diplomatie in der Krise, Der fliegende Ausländer: Eine neue Spezies?, 48 Freundinnen sollt ihr sein, mindestens
  • Raus aus der Undankbarkeit: Erstmals mit Danksagungen
  • Jede Menge Ergänzungen zu Bestandskapiteln, zum Beispiel zu den Themengebieten Gangster, Bier, Waschtoiletten und Instantnudeln
  • Ein schönes neues Cover und ein noch schöneres neues Backcover

Ich habe das Buch schon in einer der älteren Auflagen gelesen und es hat mir gut gefallen. Lohnt sich die Anschaffung der neuen Auflage für mich?

Weiß ich nicht – lohnt sich aber auf jeden Fall für mich, haha. Ganz ohne Flachs: Als Leser der Bücher anderer habe ich die Erfahrung gemacht, dass Neuausgaben sich für mich nicht nur wegen der neuen Passagen lohnten, sondern auch, weil sie mir Gelegenheit gaben, Altes neu zu lesen, Bekanntes neu kennenzulernen.
Ich will Sie aber nicht in was reinquatschen.

Ich habe das Buch schon in einer der älteren Auflagen gelesen und fand es großen Schwachsinn. Wird die neue Auflage meine Mundwinkel von unten nach oben zaubern?

Vermutlich nicht, aber Sie sollten es drauf ankommen lassen.

Bei all den Ergänzungen ist das Buch ja bestimmt dicker geworden?

Ja, 16 Seiten.

Ich hätte mehr erwartet …

Bitte formulieren Sie Ihre häufig gestellte Frage als eine Frage.

Hätte dabei nicht noch mehr rauskommen müssen?

Um die Handlichkeit des Buches nicht zu gefährden, mussten ein paar der älteren Texte zart gekürzt werden.

Aber doch wohl nicht das ohnehin viel zu kurze Film-Kapitel?!

Natürlich nicht, keine Sorge.

Ich kann es kaum erwarten, irgendeine Gebrauchsanweisung für Japan zu lesen, doch bis zum 12. März kann ich nicht warten. Lohnt es sich denn noch, die alte Fassung zu kaufen?

Ja freilich. Eben weil da noch einiges drinsteht, worauf zukünftige Auflagen verzichten müssen, ohne dass es mangelnder Qualität, Aktualität oder Liebe geschuldet wäre. Am sichersten liest es sich mit beiden Büchern.

Okay, gekauft. Soll ich das gedruckte Buch oder das E-Book nehmen?

Sowohl als auch. Das E-Book für zu Hause, das gedruckte Buch für unterwegs. E-Books lesen in der Öffentlichkeit sieht immer so doof aus.

Die überarbeitete Neuauflage ist ja schön und gut. Aber wann kommt denn endlich mal ein ganz neues Buch von Ihnen?

Das erzähle ich morgen um dieselbe Zeit.

Umziehen mit Rod McKuen and the Ants

Wenn man bei einem Wohnungsumzug lange genug die Ruhe selbst gewesen ist, kommt zwischen Kistenpacken und Telekommunikationskundendiensthotlineheckmeck doch irgendwann der Zeitpunkt, an dem man merkt: Oh je, ich werde gerade ein kleines bisschen wahnsinnig. Dann ist es gut, wenn man schöne Musik hören kann, die einen daran erinnert, dass außerhalb brauner Kisten das Leben weitergeht und man wieder daran teilhaben wird, über kurz oder lang. Solch schöne Musik ist auf dem Album Marvelous Clouds von Aaron Freeman, das überraschend dieser Tage in mein Postfach flatterte. Ich hatte es zwar selbst aus einer Laune heraus importieren lassen. Da Import aber manchmal etwas dauert, hatte ich es zwischenzeitlich vergessen.

Aaron Freeman ist jemand aus einer wohl coolen Independent-Band von früher, ich komme jetzt nicht drauf welche, es war keine von meinen. Ist auch egal, denn ich wurde durch Rod McKuen auf dieses Album aufmerksam. Von dem kommen die Lieder, die darauf gesungen werden. Auf Rod McKuen wurde ich aufmerksam durch das von ihm verantwortete Sinatra-Album A Man Alone, das ich fand, als ich gerade in der Manneslebensphase war, in der man sich einbildet, unbedingt Frank Sinatra gut finden zu müssen.

McKuen ist in gewissen Kreisen als Kitschdichter verschrien, doch wir Menschen eines gewissen Bildungsniveaus wissen, dass ‚kitschig‘ nur ein anderes Wort für ‚schön‘ ist.

Mehr Worte dazu an dieser Stelle nicht. Nicht, weil ich nicht könnte. Ich könnte wohl, doch möchte ich nicht. Ich möchte lieber weiter Musik hören und Kisten auspacken. Was ich hingegen nie wieder hören möchte, ist der dumme Spruch, dass über Musik zu schreiben so wäre, wie über Architektur zu tanzen. Ich behaupte: Das sind völlig unterschiedliche Dinge. Die einzige Gemeinsamkeit ist, dass beides sehr gut geht. Ein Choreograf, der sein Geld wert ist, sollte ohne weiteres in der Lage sein, eine Wahnsinnschoreografie zu architektonischen Themen buchstäblich auf die Beine zu stellen. Genauso ist jemand, der schreiben, hören und denken kann, befähigt, etwas Vernünftiges über Musik zu schreiben. Wer anderes behauptet, ist bloß zu faul. Wie ich gerade, nur gebe ich es wenigstens zu.

Weniger gute Umzugsmusik als das Album von Aaron Freeman ist das neue Album von Adam Ant, Adam Ant is the Blueblack Hussar in Marrying the Gunner’s Daughter, was selbstverständlich keine Herabsetzung ist. Nicht jedes gute Album muss gute Umzugsmusik sein. Man kann von Glück sagen, dass mein erster Importversuch dieser CD fehlgeschlagen ist und sie nicht rechtzeitig zur heißen Phase des Umzugs eingeflattert war. Da meine Mutter im Auftrag meiner abwesenden Verlobten ein strenges weibliches Auge auf die ästhetische Qualität der Aus- und Einräumungsaktivitäten hatte, hätte sich vermutlich folgender Dialog ergeben:

Mutter: „Was ist das denn schon wieder für beknackte Musik?!“

Ich: „Ach Mama, das ist Adam Ant!“

Und dann wäre uns beiden schlagartig klar geworden, dass wir wieder genau da sind, wo wir vor 30 Jahren schon mal waren.

Adam Ant is the Blueblack Hussar in Marrying the Gunner’s Daughter wird in Antkreisen kontrovers diskutiert. Viele sind der Ansicht, es hätte vor der Veröffentlichung produziert werden müssen. Andere, Klügere, finden diese Ansicht spießig. Mir fällt die angebliche Unterproduktion kaum auf. Wie jeder, der seine Jugend vorbildlich genutzt hat, höre ich eh kaum noch was.

Verkürzt und völlig gerecht kann man sagen: An der Akzeptanz dieses Albums lassen sich die coolen Antfans von den uncoolen unterscheiden. Sollen letztere doch weiter motzen und Strip auf SACD hören. Wir hören ihnen gar nicht zu und können auch ohne sie glücklich sein.

Bitte entschuldigen Sie mich jetzt, ich habe noch Kisten auszuräumen.

Porno-Marathon in Ketten (oder: Schmecke meinen Fruchtriegel der Rache, Vol. 1)

Meine große Bitte fürs neue Jahr an alle, die Texte für die Öffentlichkeit schreiben, ganz egal ob Zeitungskolumnen, Illustriertenartikel, Gedichte, Kochrezepte, Werbesprüche, Drehbücher, Strickmuster, Pressemitteilungen, Liedtexte, Produktbeschreibungen, Gebrauchsanweisungen, Tweets oder offene Briefe: Bitte, bitte, so verführerisch es auch sein sollte, und so umwerfend clever es Ihnen erscheinen mag – halten Sie unbedingt Abstand davon, jetzt jeden Ausdruck, jede Floskel, jede Schlag- und Titelzeile mit ‚Unchained‘ zu beenden. Wir haben dieses Elend schon mit ‚Reloaded‘ und ‚Quantum‘ durchgemacht. Wir haben es zwar überlebt, aber nur knapp. Bitte nicht Hanni und Nanni Unchained, Knaller-Angebote Unchained, Pommes mit Mayo Unchained. Es ist nicht clever. Jeder andere hatte die Idee auch schon. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Meine große Frage ans neue Jahr: Warum haben es all die Pornografen plötzlich auf mich abgesehen? Ich habe die Kommentarfunktion dieses Blogs abgeschaltet, damit ich nicht ständig reinschauen und aufräumen muss. Allerdings habe ich die Trackback-Funktion angelassen, weil ich nicht weiß, was das ist, und es harmlos klingt. Es sind in den vergangenen Jahren nur wenige Trackback-Anfragen reingekommen, die ich alle abgelehnt habe. Die meisten waren grober Unfug, das Nachvollziehbarste war noch die Anfrage einer Seite mit Feuerwehr-News zu diesem Beitrag (jetzt kommt wahrscheinlich wieder eine, weil ich ‚Feuerwehr‘ gesagt habe). In den letzten Tagen jedoch wimmelt mein Briefkasten vor höflichen Trackback-Bewerbungen, überwiegend zu folgenden Themen: nude teens…, hardcore sex…, naked girls…, aber auch special occassion for anal…. Wussten Sie, dass es sowas im Internet gibt?!

Ich zitiere das hier so ausführlich, weil ich mir davon optimale Suchmaschinenoptimierung und die Anlockung hochwertiger neuer Leser verspreche. Solche, wie die TV-Redakteurin, die mich unlängst zum Thema ‚Frauen, die Männer in Uniform lieben‘ einladen wollte – wohlgemerkt in der Annahme, ich sei so eine (Liebe Shakira …).

Betroffen ist von der Porno-Attacke nur ein Artikel, und zwar dieser. Warum? Weil das Wort ‚Banane‘ darin vorkommt? Oder wegen ‚Pipifax‘? Umkleideraum? Fruchtriegel?

Zum Thema jenes Artikels fällt mir ein, dass ich dieses Jahr zu meinem Erschrecken schon wieder dabei bin. Wir sehen uns dann dort.

Beim Thema ‚Unchained‘ fällt mir ein, dass ich gerade inneren Frieden mit Quentin Tarantino geschlossen habe. Das freut Tarantino bestimmt sehr, denn er hat manche Träne in sein Kissen kullern lassen, weil ausgerechnet ich ihn nicht recht lieben mochte, ich konnte es spüren. Dabei hatte ich Reservoir Dogs seinerzeit sehrwohl geliebt, ich war im anfälligen Alter und hatte das passende Geschlecht. Bei Pulp Fiction musste ich schon ein bisschen lügen (nicht lieben war gesellschaftlich nicht akzeptabel). Nach dem sterbenslangweiligen (euphemistisch: sehr erwachsenen) Jackie Brown und dem albernen Kill Bill 1 plusterte ich mich auf und schwor mit der Bockigkeit des enttäuschten Liebhabers: Von hier an kommt mir kein weiterer Film von diesem Tarantino vor die Augen! Das war leichter, als gedacht. Ich ging fort und schaute nie wieder zurück, denn dieser Tarantino bedeutete mir nichts mehr, gar nichts, wirklich nicht, keinerlei Interesse, schnief.

Letztens jedoch kam es zur Entplusterung. Nach einem heißen Bad, einer Massage und einem Schluck Schnaps folgte die Einsicht: Herrje, man muss doch nicht aus jedem Kleinscheiß gleich ein radikales Politikum machen! Weil mir der Trailer zu Django Unchained gegen alle Widerstände gut gefallen hatte, beschloss ich, es noch einmal mit Kill Bill zu versuchen.

Mit meiner neuen, altersweisen ‚Ist-doch-nur-ein-Film‘-Einstellung konnte ich hinterher ohne schlechtes Gewissen zugeben: Hat gar nicht wehgetan, sondern gut unterhalten. Auf eine doofe Art zwar, aber wir sind doch alle ab und zu mal ein bisschen doof.

Das Doofe bleibt derweil das, was am Phänomen Tarantino ein wenig bedenklich ist. Er selbst kann nichts dafür, doch handeln seine Verehrer seine Filme, als handele es sich um hohe Kunst mit Anspruch und Tiefgang. Da muss man klipp und klar sagen: Nein! Tarantinos Filme sind nicht gehaltvoller als die von Michael Bay. Sie betüdeln ein anderes Publikum, aber nicht unbedingt ein besseres. Tarantino mag sich bei Filmen bedienen, die mehr als nur Oberfläche zu bieten haben. Seine eigenen Filme allerdings übernehmen nur die Oberfläche. Kill Bill wurde hauptsächlich von den japanischen Rache-Dramen Sasori und Lady Snowblood inspiriert, das zeugt von gutem Geschmack. Nun verhandeln diese Filme durchaus große Themen wie den Zusammenhang von Chauvinismus und Nationalismus, oder die Balance zwischen politischer Offenheit und politischem Opportunismus. Das, und lesbische Leidenschaft hinter Gittern. Das einzige Thema von Kill Bill hingegen ist: Ey, guck mal die Alte mit dem Samurai-Schwert!

Soll man ruhig gucken, die Alte. Aber wer danach nicht weiterguckt, bleibt doof.

Schöner hätte ich es übrigens gefunden, wenn man den deutschen Titel von Lady Snowblood direkt vom Originaltitel Shurayuki hime übersetzt hätte: Schneemetzelchen.

Heute rechne ich es Tarantinos Filmen hoch an, dass sie ihren Inspirationsquellen neue Aufmerksamkeit verschaffen. Immerhin macht er inzwischen selbst keinen Hehl aus seiner Arbeitsweise; das war bei Reservoir Dogs noch anders. Seinerzeit mussten findige Enthüllungsjournalisten von alleine drauf kommen, dass Prämisse und Figuren von Ringo Lams City on Fire abgekupfert waren. Kill Bill ist gut, die Sasori- und Schneemetzelchen-Filme sind besser. Ob es die heute ohne Tarantino-Unterstützung in liebevoll restaurierten, erschwinglichen Fassungen für zu Hause gäbe, ist stark zu bezweifeln.

Viele Spinner Asien-Experten rümpfen gerne ihr hohes Näschen, wenn ihnen sog. Orientalismus unterkommt, also die westliche Verkitschung von Asiatischem, zum Beispiel die Welt der Suzie Wong und deutschen China-Restaurants mit ihren roten Lampions und goldenen Drachen. Ich aber sage: Ein Hoch auf den Orientalismus! Suzie Wong ist nicht der schlechteste Roman, und deutsche China-Restaurants sind ganz prima (wenn nur das Essen nicht wäre)! Seit ich als Drei-Käse-Hoch zum ersten Mal in einem rot-goldenen China-Restaurant an irgendeiner norddeutschen Landstraße gastierte, wusste ich, dass ich das besser fand als Leberwurst mit Sauerkraut – ästhetisch, kulinarisch und mental. Die Authentizität kann man später ausbauen, doch es braucht einen ersten Funken. Das kann Ente süß-sauer mit Lampions genauso wie Kill Bill sein. Zusammenfassend könnte man sagen: Quentin Tarantino ist wie ein deutsches China-Restaurant. Viel Spaß auf der weiteren Entdeckungsreise.

(Diese schöne Ausgabe habe ich übrigens neulich erstanden.)

Tarantino ist bekanntlich nicht der einzige Filmemacher, der sich in Retromanie suhlt. So früh im Jahr wollen wir uns nicht gleich aufregen und so tun, als wäre das der Untergang der Welt, sondern einfach mal zugeben, dass wir uns darin mitunter selbst ganz gerne aalen. Weitaus lieber als die Filme von Tarantino und seinem Mini-Me Eli Roth sind mir seit kurzem die Filme von Ti West. Ich möchte hier nicht von seinen Auftragsarbeiten und Jugendsünden sprechen, sondern nur von seinem Hauptwerk als Autorenfilmer, also The House of the Devil und The Innkeepers. Zwei Schauerfilme in gemütlichem Tempo und nostalgischer Optik, die stärker polarisieren als alle Martyrs, Women und Serbian Films zusammen. Die einen finden diese Filme sterbenslangweilig, die anderen finden, dass den einen schlicht die nötige geistige Reife fehlt. Das ist natürlich überheblich und arrogant. Aber was soll man machen, es ist halt die Wahrheit.

Mich erinnert die Kontroverse um Ti West an einen Schwank aus meiner Jugend, als ich selbst noch kräftiger reifen musste als heute (ganz hört man freilich und hoffentlich nie auf). Wie jeder gesunde junge Mann verbrachte ich viel Zeit mit Freunden auf den Sofas verreister Eltern bei Dosenbier und Gewaltvideos. Einmal hatte ich den Film Die Wiege des Bösen auf Kassette mitgebracht, weil mich die Kinowerbung stark beeindruckt hatte. Damals warben Kinobetreiber noch mit Szenenfotos im Aushang um das Interesse der Zuschauer. Die Wiege des Bösen allerdings warb nur mit dem Hinweis, der Film sei so grausig, DASS MAN KEIN EINZIGES BILD ZEIGEN KÖNNE!!!

Unsere Empörung war groß, als sich der Film als ein einfühlsames Familiendrama über die schwierige Erziehung eines bissigen Mutanten-Babys herausstellte.

Doch nicht alle Halbstarken waren gleichermaßen empört. Einer scherte aus und gestand ganz offen: „Also, ich fand den Film gar nicht sooo schlecht. Der war so … menschlich.“

Inzwischen weiß ich: Einer von uns hatte den anderen etwas voraus, und das war nicht ich. Da hatte jemand das auf den Punkt gebracht, was ich heute an Ti Wests Filmen so schätze: Die sind so … menschlich.

The House of the Devil gefällt mir ein bisschen besser als der neuere The Innkeepers, der die Ruhe noch etwas mehr weg hat (wahrscheinlich muss ich noch ein wenig reifen). Allerdings war bei The House of the Devil das Boooring-Gebrüll der Ewigheutigen bereits ohrenbetäubend. Häufiger Kritikpunkt bei beiden Filmen ist, dass 40 bis 90 Minuten lang so gut wie nichts passiert. Vielleicht ist das eine Frage der Lebenseinstellung. Ich finde es sehr angenehm, wenn mal 40 bis 90 Minuten nichts passiert.

Ti West schießt seine Filme nicht nur in Retro-Optik, sondern auch mit Retro-Dramaturgie. Das macht ihn radikal in einem Umfeld, das schnelle Schocks und schnelle Schnitte und sonst nichts seit Jahren für ultramodern hält. Filme, die durch noch mehr Elend und Eingeweide als der letzte Film waten, werden gern als grenzüberschreitend angehimmelt. Ob da wirklich eine Grenze ist, die man überschreiten könnte, bezweifle ich. West scheint mit seinem Mut zur Reduktion viel grenzüberschreitender, das bestätigen auch die feindseligen Überreaktionen verstörter Zuschauer. Möglicherweise ist die Grenze sehr wohl da, aber wir befinden uns mehrheitlich längst auf der anderen Seite. Ti West überschreitet sie in die entgegengesetzte Richtung. Damit provoziert er mehr als jeder Brüll- und Spritzfilmer. Sicherlich gehört er zur relativ jungen Generation von Regisseuren, die der Liebe wegen und nicht der Einfachheit halber im Horrorgenre arbeiten. Das hat er gemein mit, beispielsweise, Rob Zombie. Trotzdem wirkt er wie der Anti-Rob-Zombie. Denn im Gegensatz zu Herrn Zombie versteht Ti West Horror auch. Manchmal ist Liebe allein nicht genug.

Ach, das ist ja ein schreckliches Schlusswort! Schieben wir schnell hinterher: Aber ohne Liebe geht es schon gar nicht.

Über die Feiertage geschlossen

Wegen Kerzenanzünden und Tipparbeiten wird hier in den tollsten Tagen nur auf Sparflamme getippt. Spätestens im neuen Jahr stehen Ihnen dann wieder alle Dienste zur Verfügung.

Es dauert mich, dass ich gerade in der Weihnachtszeit nicht aus dem Gelobten Land berichten kann. Doch es wurde mir versichert, dass alles festlich wie immer ist.

Apropos Tipparbeiten: Meine Gamera-Rezensionstrilogie ist seit einiger Zeit fertigveröffentlicht. Teil 1 und 3 wurden schon erwähnt, hier trotzdem noch mal vollständig:

Gamera – Guardian of the Universe

NEU Gamera – Attack of the Legion NEU

Gamera – Revenge of Iris

Damit ist auch meine Mitarbeit am Manifest beendet, zum Thema Film ist alles gesagt. Ich werde aber weiterhin an anderer Stelle Bücher – verdient – über den grünen Klee loben, zuletzt diese:

Jean-Christophe Grangé: Der Ursprung des Bösen

Ian McDonald: Cyberabad

Robert Pobi: Bloodman

Salman Rushdie: Joseph Anton

Kyung-Sook Shin: Als Mutter verschwand

In True 2D: Meine Skytree-Erstbesteigung

Den Tokyo Skytree, den neuesten höchsten Turm der Welt, durfte ich mir in der Vergangenheit nur aus dem Fenster ansehen, oder ich musste pfeilschnell an ihm vorbeiflitzen. Vorletzte Woche hatte ich nun endlich die Gelegenheit, ihn mir aus der Nähe genauer anzuschauen. Leider habe ich gerade gar keine Zeit, ausführlich davon zu erzählen. Aber ich kann zumindest mal die Bilder zeigen.

So sieht der Skytree von außen aus:

Vorgeschaltet ist ein Einkaufszentrum, in dem man traditionelles Kunsthandwerk kaufen kann:

So sieht es aus, wenn man von oben runterguckt:

Die Menschen sehen von dort übrigens nicht aus wie Ameisen, sondern wie aus großer Höhe betrachtete Menschen. Die Detailgenauigkeit ist erstaunlich, die Fenster sind in HD.

Diesen Hubschrauberlandeplatz habe ich aus Recherchegründen fotografiert (ich arbeite an einer epischen Versdichtung über Hubschrauberlandeplätze auf Hochhäusern):

Es gibt einen kleinen Glasbodenbereich, von dem man ein paar hundert Meter in den unmittelbaren Abgrund schauen kann. Da ich an eingebildeter Höhenangst leide, konnte ich beim Fotografieren nicht hinschauen. Aber mein Schuh ist ganz gut geworden:

Selbstverständlich gibt es ein offizielles Maskottchen, Sorakara („von den Sternen“):

Und einen offiziellen Snack, Tokyo Banana Tree, eine Weichkuchenbanane mit geleeartiger Füllung. Schmeckt leider so gut, dass in meinem Haushalt alle aufgefuttert waren, bevor jemand ein Foto knipsen konnte. Drum hier eines von der offiziellen Snacksite:

Der Tokyo Skytree ist also einen Trip wert für Freunde großer Höhen und weicher Süßigkeiten. Einen kleinen Schönheitsfehler hat der Fernsehturm allerdings, was ewige Nörgler, die aus jeder Mücke einen Elefanten machen müssen, entsprechend tierisch aufregt: Mit der Übertragung von Fernsehsignalen klappt es noch nicht so richtig. Aber man arbeitet daran. Und die Banane ist lecker.

Das E-Book ist der neue Internet-Kühlschrank

Oder: Acht wirkliche wahre Wahrheiten über E-Books, und dann ist aber auch gut

So war der Plan: Ich wollte mich bitterlich beschweren, dass zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse die Illustrierten nicht mit dem Thema Neuseeland titelten, wie sie es in der Vergangenheit getan hätten, sondern mit dem Thema E-Books (ich verwende den englischen Begriff, damit man mich versteht). Leider hat der Plan nicht hingehauen. Nicht etwa, weil die Presse ihre von der breiten Masse kaum geteilte E-Book-Hysterie abgelegt hätte. Sondern weil inzwischen gar nicht mehr zur Buchmesse getitelt wird. Früher noch eine sichere Cover-Bank wie Hitler oder Wetten, dass ..?, heute Marginalie. Dann hätte ich doch lieber E-Books als gar nichts gehabt.

Trotzdem, in den Zweizeilern, denen die Messe der Presse hier und da wert ist, stimmt das befürchtete Bild wieder: Was gelesen wird, interessiert nicht. Nur wie gelesen wird, digital nämlich, diesmal aber wirklich. E-Books sind nicht totzukriegen, genau wie der Internet-Kühlschrank. Über den schrieb ich 1998 als frisch vereidigter Nachrichtenredakteur meine erste eigene Nachrichtenmeldung. Das Gerät stand damals kurz vorm großen Durchbruch. Dort steht es seitdem und geht nicht weg. Jedes Jahr ist es dem Boulevard eine neue Meldung wert, wenn wieder irgendeine Messe ist. Zuletzt wurde der Internet-Kühlschrank auf der Internationalen Funkausstellung 2012 gesehen. Aber schon bald auch in Ihrer Küche, denn er steht jetzt kurz vor dem großen Durchbruch.

Vieles wird über das E-Book und seine Bedeutung für die Menschheit behauptet. Damit Sie nicht den Überblick verlieren, möchte ich nutzwertig servicejournalistisch die wichtigsten Punkte zusammenfassen. Das eine oder andere habe ich bestimmt an anderer Stelle schon mal so ähnlich oder genauso geschrieben, aber das macht nichts. Die anderen sagen in der E-Book-Debatte ja auch ständig dasselbe.

1. Nicht jeder kann jetzt Autor und Verleger sein

Weil die Produktionsmittel so erschwinglich und leicht zu bedienen sind, kann jetzt jeder ran. Das ist genau derselbe Unsinn, der vor ein paar Jahren übers Musizieren und Filmemachen verbreitet wurde. Was hat es uns gebracht? Katzenvideos. Theoretisch konnte schon seit der Erfindung des Schreibgerätes jeder ein Buch schreiben, der den Drang verspürte. In den meisten Fällen ist nichts draus geworden. Neu ist nur, dass das Nichtsgewordene jetzt gedankenlos veröffentlicht werden kann. Doch nicht jeder Buchhochlader ist ein Verleger, genauso wie nicht jeder Katzenvideohochlader ein Filmmogul ist.

Ich bin übrigens im Besitz von Hämmern und Nägeln. Das macht mich nicht zum Handwerker, musste ich feststellen. Ich benutze jetzt wieder vermehrt Tesafilm.

2. An den literarischen Formen ändert das E-Book nichts

„Ey, Alter, ich bin total geflasht: Opas Roman ist tot! E-Books eröffnen der Literatur ganz neue Möglichkeiten! Enhanced E-Books zum Beispiel … oder Fortsetzungsromane … oder, oder … noch irgendwas! Auf jeden Fall aber Enhanced E-Books und Fortsetzungsromane! Obwohl der Roman ja eigentlich tot ist …“

So tönt der junge Markt- und Medienanalytiker. Tatsächlich bleibt das E-Book ein Buch und die Kirche im Dorf. Dass alle multimedial aufgepeppten E-Books bislang spektakulär gefloppt sind, liegt nicht (wie oft kolportiert) daran, dass sie technisch noch nicht peppig genug waren. Sondern einzig und allein daran, dass diese Mischformen keine Sau interessieren. Warum auch? Hat sich jemals jemand die Gimmick-DVDs, die Plattenlabels mitunter in schierer Verzweiflung ihren CD-Veröffentlichungen beilegen, mehr als einmal angesehen? Ich habe etliche, die ich noch nie gesehen habe, obwohl mir die CDs gefallen. Musik ist halt Musik, Buch ist Buch, Film ist Film, Tetris ist Tetris. Alles schön und gut, und alles bitte zu seiner Zeit und im angemessenen Rahmen. Ein Buch, das die Unterstützung von Soundtracks, interaktiven Landkarten und Katzenvideos braucht, kann kein gutes Buch sein.

Seltsam, dass die Literaturmodernisierungsenthusiasten jetzt wieder mit dem Fortsetzungsroman kommen. Noch seltsamer, dass sie meist selbst ganz neunmalklug darauf hinweisen, dass diese Form schon zu Dickens‘ Zeiten praktiziert wurde. Man soll also mit der modernsten Form des Lesens husch husch zurück zur Publikationsform des 19. Jahrhunderts? Das ist nicht innovativ, das ist hanebüchener Humbug. Fortsetzungsromane sind außerdem nie ausgestorben. Wer sich seinen Leserhythmus gerne vorschreiben lässt, findet eine große Auswahl am Bahnhofskiosk seines Vertrauens.

Überhaupt, die Form: Mit E-Books könne man jetzt auch mal kürzere Texte raushauen, und vor allem aktuellere, so freut man sich. Ersteres konnte man schon immer (Buch ist Buch ab 49 Seiten, nicht erst ab dreistellig). Interessiert nur keinen deutschen Leser, hier wird Qualität noch in Quantität gemessen: Dickes Buch ist gutes Buch. Letzteres ist unnötig, denn nicht jede Neuigkeit muss stante pede ein Buch werden. Ein Zeitungsartikel, ein Blogeintrag, ein Tweet reichen zur schriftlichen Nachrichtenvermittlung vollkommen aus.

3. E-Books könnten vereinzelt günstiger sein, aber nicht viel

Will der Boulevard den Geizbürger wütend machen, rechnet er ihm nach Milchmädchenmanier gerne vor, wie teuer das Smartphone, das er sich sowieso nicht gekauft hat, rein nach Materialwert wäre: Meistens ein Apfel und zwei Eier. Entwicklungs-, Produktions-, Vertriebs- und Marketing-Kosten, Produktpflege und Mitarbeitergehälter einfach mal außen vor gelassen, Gewinnspanne sowieso, Gewinnspanne ist schließlich was Unanständiges. Diese Unsinnsrechnung bekommt man auch immer wieder zum Thema E-Books zu hören: Muss nicht auf Papier, darf also nichts kosten. Dabei kostet die Erstellung eines Buches das, was die Erstellung eines Buches eben kostet. E-Books sind nicht günstiger zu schreiben, zu recherchieren, zu übersetzen, zu lektorieren, zu gestalten und zu vermarkten als gedruckte Bücher. Material wird als Kostenfaktor vom fachfremden Frotzler seit Jahr und Tag überschätzt. Selbstverständlich macht es einen Unterschied, ob ein Buch gebunden im Lager oder digital auf dem Server liegt. Dieser Unterschied ist allerdings weitaus geringer, als weithin angenommen wird. Möglicherweise kann man hier und da in den E-Book-Preisen noch etwas runtergehen. Doch im Großen und Ganzen scheinen mir die Preise auf dem deutschen Markt ganz vernünftig und kaum frech.

4. Klassische Verlage werden wichtiger denn je

Die Hysteriker behaupten gerne das Gegenteil, empfinden die verlegerische Gatekeeper-Funktion (Schimpfwort über Nacht) als Bevormundung und nicht als den dankenswerten Dienst, der sie ist. Außerdem würden Verlage Autoren das Geld wegnehmen, das Blut aussaugen und ihre Erstgeborenen zu Gulasch verkochen. Tatsächlich sorgen Verlage dafür, dass Autoren von mehr als nur Mami, Papi und Facebook-Freunden gelesen werden und dafür auch noch Geld bekommen. Außerdem sorgen sie dafür, dass die Bücher der Autoren besser werden, als die Autoren gedacht hätten, und besser aussehen, als die Autoren es mit Powerpoint und Kreide hinbekommen würden. Dabei haben die Verlage jede Menge Ausgaben, die Autoren gar keine. Es ist nur gerecht, dass Verlage am Verkauf ihrer Produkte ordentlich mitverdienen. Natürlich können sich freie Autoren, Lektoren und Vermarkter zu Cliquen zusammenverschwören und durchaus professionelle Produkte am Verlagswesen vorbeipublizieren. Dafür müssen sie aber in eine finanzielle Vorleistung gehen, die sich die meisten literarischen Hoffnungsträger nicht werden leisten können.

Selbstverständlich müssen Verlage ihre Arbeit mit Hirn und Herz betreiben, sonst wird es nichts. In letzten Jahren musste ich mich bei großen Publikumsverlagen immer häufiger über Übersetzungen ärgern, die direkt aus dem Google-Translator zu kommen schienen; von schauerlichen Fehlentscheidungen, was veröffentlicht und was ignoriert wird, mal ganz abgesehen. Doch das ist eben nicht ein Problem des Verlagswesens an sich. Das ist nur das Problem, wenn Verlage ihre Arbeit nicht vernünftig machen. Wenn sie sie vernünftig machen, bleiben sie unverzichtbar.

5. Das gedruckte Buch wird uns noch sehr, sehr lange erhalten bleiben
Und zwar nicht nur als bibliophiler Luxus-Fetisch für Menschen mit Ellenbogenflicken und Brillenbändchen, wie es selbst eben diese Menschen mit hängenden Schultern und gesenktem Blick oft prognostizieren. Der E-Book-Markt in Deutschland wächst schwindelerregend, vom vorletzten Jahr aufs letzte rund 100%. Nämlich von 0,5% auf 1% Anteil am gesamten Buchmarkt. Für dieses Jahr werden von Optimisten schon wieder 100% vorausgesagt, dann wären wir bereits bei 2%.

Allerdings zeigt die Erfahrung und sagt der gesunde Menschenverstand, dass sich 100%-Sprünge nicht Jahr um Jahr um Jahr wiederholen. Außerdem ist das elektronische Buch traditionell in erster Linie etwas für den guten, alten Online-Handel. In Deutschland kommt der Versandhandel (inklusive Online, aber nicht nur) auf nicht mal 20% des gesamten Buchhandels. Dieser Anteil ist eher stabil als auf der Überholspur.

Der US-amerikanische Markt ist bekanntlich der Streber unter den E-Book-Märkten. Dort beruhigen sich die Zuwächse mittlerweile, der Marktanteil liegt bei knapp 16%. Rapide steigt hingegen die Anzahl der Dualleser: Immer mehr Schmökerfreunde, die zu Anfang des E-Booms komplett auf E waren, lesen wieder mal so, mal so. Es setzt sich die Erkenntnis durch: Das Medium ist nicht die Message.

6. E-Book-Millionärin werden Sie nicht, und ich auch nicht

Auch in deutschen Medien eine gern genommene Sensationsmeldung: Mausi X und John Y haben mit ihren selbst veröffentlichten Vampirgeschichten und Thrillern Millionen von E-Books verkauft. Das beflügelt das eigene Schreiben, möglicherweise sogar das Kündigungsschreiben.

Mit letzterem sollte man noch warten, denn Mausi und John haben ihre Millionenseller auf Englisch verfasst. Ganz viele Leser überall auf der Welt sprechen Englisch als Muttersprache. Dazu kommen weltweit noch jede Menge Anglophile, die mit Begeisterung englische Bücher lesen, obwohl es nicht ihre Muttersprache ist. Mit Deutsch sieht das in beiden Fällen anders aus.

Außerdem haben all die Mausis und Johns ihren Minuten-Ruhm genutzt, um sich klassische Verlagsverträge zu angeln. Denn ihre Millionen Bücher sind sie nur losgeworden, weil sie sie für knapp nichts verschleudert haben. Davon kommen nicht dauerhaft drei Mahlzeiten täglich auf den Tisch. Siehe Punkt 4.

7. Das Urheberrecht darf reformiert werden

Ob Koks oder Kopie: Wird ein Gesetz nur häufig genug gebrochen, krabbeln gleich die Schildbürger unter ihren Schilden hervor und brabbeln, man solle das Gesetz einfach abschaffen, dann wird es nicht mehr gebrochen, denn Kriminelle dürften doch um Gottes willen nicht kriminalisiert werden.

Dürfen sie wohl, müssen sie sogar. Ein Gesetz, das nicht greift aber in der Sache sinnvoll ist, muss reformiert werden, also verschärft. Piraten sind Verbrecher, dem Gesindel gehört das Handwerk gelegt. Auf hoher See, hoch droben in der Cloud und in den Parlamenten.

8. E-Books sind ganz, ganz toll

Sollte der Eindruck entstanden sein, ich fände E-Books blöde, ist dieser gänzlich falsch. Ich liebe E-Books, denn ich liebe Bücher. Endlich habe ich genügend Platz für alle meine Schminksachen und 700 Seiten Rushdie in meiner Handtasche. Was mir allerdings mitunter die Zehennägel bis zum Zahnfleisch hochrollen lässt (tut ganz schön weh), ist die Hysterie an allen Fronten. Das E-Book ist nicht die tollste Erfindung seit dem Buchdruck. Das E-Book ist die tollste Erfindung seit dem Taschenbuch. Das ist doch wohl toll genug. Amen.

Wau! Flash! Ahaaa!

(Monat der bildlosen Sprach- und Medienkritik, Episode V – das letzte Kapitel)

Anderntags kam ich an die Werbung für ein neues Videospiel. Wie in der Unterhaltungsbranche üblich, wurde mit wohlwollenden Pressezitaten geworben. Eines lautete: „Wow, bin ich geflashed!”

Wie die junge Generation sagt: Wirklich? Wie wir Älteren sagen: Seufz!

Zielgruppengerechte Ansprache ist schön und gut. Aber wenn sich nun das sprachliche Niveau der professionellen, bezahlten Gaming-Presse zu 0% vom Gespräch am Urinal auf der Reeperbahn nachts um halb eins unterscheidet, muss man sie auch nicht lesen. Dann reicht es, zu den trostlosen Zahlenkolumnen der Testergebnisse vorzuspulen oder gleich im Internet nachzuschauen, wo unbezahlte Amateure mit vergleichbarem Vokabular gratis ihre Meinung zur Verfügung stellen.

Es besteht kein Zweifel, dass Videospiele (Computerspiele sind nach Damenmanier stets ‚mitgemeint‘) heute die anspruchsvollste Art des Geschichtenerzählens sind. Technisch ist ihre Entwicklung weitgehend abgeschlossen; außerhalb von Jahrmarkt-Bereichen wie Bewegungssteuerung und 3D sind keine Quantensprünge mehr zu erwarten und haben seit Jahren keine mehr stattgefunden. Wenn man nicht gerade ein Benchmark-Nazi ist, musste man sich seit gefühlten Ewigkeiten keine neue Hardware kaufen. Das ist gut so, nun kann man sich dem Inhaltlichen zuwenden. Es braucht mehr Spiele-Autoren, die die grenzenlosen Freiheiten des Mediums nutzen und vor allem sinnvoll bändigen können. Da bin ich vorsichtig optimistisch, ein paar gibt es ja schon. Ich teile auch nicht die gern herbeifantasierte Sorge, dass Handy- und Browser-Games den richtigen Spielen den Rang ablaufen werden. Das ist so, als würde man behaupten, dass die Bücher von Trendprominenten eine Gefahr für den Literaturmarkt darstellen. Niemand sagt sich im Buchladen: „Ach, ich kauf mir doch lieber den neuen Glööckler als den neuen DeLillo.“ Genauso sagt niemand: „Ach, ich spiele doch lieber eine Runde Angry Birds als eine Runde Deus Ex.“

Was mir sehr wohl Sorgen bereitet, ist die Frage der Vermittlung über das Hardcore-Gamer-Ghetto hinaus. Das bürgerliche Feuilleton macht lobenswerte Mäuseschrittchen hin zu einer Berichterstattung über Videospiele. Meist allerdings folgt sie nach wie vor dem Event-Prinzip (das teuerste Spiel aller Zeiten! das erfolgreichste Spiel aller Zeiten! das gefährlichste Spiel aller Zeiten!). Von der Selbstverständlichkeit, Regelmäßigkeit und Kompetenz, mit der neue Bücher, Filme, Theater- und Musikstücke besprochen werden, ist man dabei in den Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen noch weit entfernt. Und wie soll man das von der arrivierten Journaille auch anders erwarten, wenn sich die Fachpresse, die mit gutem Exempel vorangehen müsste, als hilflos stammelnder Flash-Mob geriert?! (Ich weiß, es gibt ein oder zwei halbwegs lesenswerte Gaming-Magazine in Liebhaber-Auflagenstärke, aber Positivbeispiele haben in einer geifernden Polemik nichts verloren.)

Dass etwas in dieser Branche journalistisch nicht so rund läuft, wie es müsste, war mir schon klar, als ich selbst kurzzeitig dazu gehörte. Das ist lange her. Es war keine bessere Zeit, doch es war eine Zeit, in der Zeitschriftenredakteure noch nicht wussten, dass das Internet bald alle Druckerzeugnisse außer Landlust und Landser killen würde. Ehe sich gleich die Falschen in den Rücken gedolcht fühlen: Ich möchte hier nicht von dem KONSOLEN-Spiele-Magazin erzählen, dem ich eine Zeit lang wegen Anstellung im selben Verlagshaus gelegentlich zuarbeitete. Das war sehr schön, solange der Traum währte. Hier soll es um das COMPUTER-Spiele-Magazin gehen, bei dem ich zwei Jobs früher für kurze Zeit exklusiv redaktionell verpflichtet war. Die Gründe für die Kürze dieses beruflichen Gastspiels waren in erster Linie meine grenzenlose Inkompetenz und meine Abneigung gegen den nordkoreanischen Kasernenton im Chefbüro. Der Liebe Führer hin oder her, es waren nicht alle schlecht dort. Ich teilte mein Büro mit einem sympathisch depressiven Veteranen der Szene, der mir gleich zu Beginn sagte, ich könne meine journalistische Karriere jetzt vergessen, denn die nachweisbare Mitarbeit bei einem PC-Spiele-Magazin sei so etwas wie ein scharlachroter Buchstabe auf der Bluse, ein Stigma, ein Schandfleck im Lebenslauf. Passenderweise war unser Büro in einem Keller untergebracht, der nur von einem schmalen Streifen Tageslicht erhellt wurde, für wenige Stunden am Tag. Ich fühlte mich sofort wie eines der toten Kinder in Stephen Kings Es, aus dem Gullideckel säuselnd: „Hier unten schweben wir alle!“

Schlimmer jedoch war die Arbeit als solche. Genau genommen war man an Spiele-Besprechungen gar nicht interessiert, sondern an buchhalterischen Warentests. Alles im Text, was nicht jeder Vierjährige verstand, wurde hinausgestrichen (Dear Leader: „Porno-Musik?! Darunter kann sich keiner was vorstellen!“). Noch ein bisschen schlimmer und unkreativer ging es nur in meinem nächsten Job als PR-Redakteur, als mal ein Kunde meine Chefin fragte, ob ich eigentlich geisteskrank wäre, weil ich die abwegige Idee hatte, eine Weihnachtspressemeldung im weihnachtlichen Stil zu formulieren.

Mein erster Auftrag als Spieletester war der Test einer Baseball-Simulation. Ich verstand nicht viel von der Sportart (oder irgendeiner Sportart), war aber schon mal in Amerika gewesen. Als ich mit meinem Test fertig war, ihn so trostlos wie möglich formuliert und mit der üblichen kunstfeindlichen Prozent- und Punktewertung versehen hatte, begann die Redaktionskonferenz, ob die Punkte und Prozente richtig verteilt waren. Die Bewertung des Spiels oblag also nicht mir, sondern war eine Mehrheitsentscheidung von Menschen, die mehrheitlich das Spiel nicht gespielt hatten und noch weniger von Baseball verstanden als ich. So wurde freilich auch mit jedem anderen Test jedes anderen Testers verfahren. So kam man letztendlich bei Testartikeln an, deren Testergebnisse genauso willkürlich waren wie die vorangegangenen Texte freudlos. Übte man leise Kritik an der Schnarchlangweiligkeit dieser Artikel, bekam man das zu hören, was man noch heute überall dort in der Presselandschaft zu hören bekommt, wo man zu faul zum Arbeiten und zu blöd zum Denken ist: „Die Leser erwarten das so.“ Wahrlich, ich aber sage euch: Die Leser können das gar nicht beurteilen. Weil sie die Alternativen nicht kennen, denn sie wurden ihnen nie angeboten.

Und ‚geflasht‘ schreibt man mit t.

Eine Geschichte von Mann und Frau im Supermarkt

(Monat der bildlosen Sprach- und Medienkritik, Episode IV)

Geh ich letzte Woche Supermarkt, steht da Kind. Mitten im Gang, mir den Rücken zugewandt den Weg versperrend, möglicherweise mesmerisiert vom Obstangebot bei uns im Westen oder den Preisunterschieden bei Radieschen. Es war nicht weiter tragisch, Kindern räume ich uneingeschränktes Steh- und Starrrecht ein. Sie müssen in ihrem eigenen Tempo und von ihrem eigenen Standpunkt aus die Welt wahrnehmen und begreifen lernen dürfen. Sie können noch nicht wissen, dass die Welt hinter ihrem Rücken weiterexistiert und dort einer sein könnte, der vorbei möchte. Tragisch ist dieses Unwissen nur, wenn Erwachsene es an den Tag legen, was leider einerseits auch häufig der Fall ist, zum Glück andererseits hier nicht das Thema ist. Die Situation wurde außerdem schnell von der Mutter (nehme ich an) deeskaliert, die dem Kinde mütterlich bestimmt sagte: „Lass doch mal den Mann da durch!“

Das Kind wich, ich ging da durch, die Welt drehte sich weiter. Doch irgendetwas störte mich. Irgendetwas an dem, was die Mutter gesagt hatte. Ich kam allerdings ums Verrecken nicht drauf, was es war. Das fehlende ‚bitte‘ war es nicht, es war schließlich keine Bitte. Es ging um eine Selbstverständlichkeit ohne Verhandlungsspielraum, nicht um den Vorschlag des Tuns eines Gefallens. Am Ton war auch nichts auszusetzen. Keine Spur von der Hysterie, mit der Mütter sonst häufig mit ihren Kindern im Supermarkt umspringen, wenn die es wagen, sich kindgerecht zu verhalten. (Ja, ja – hier quatscht einer, der selber keine hat. Und wissen Sie was? Der hat trotzdem recht.) Der Ton war vernünftig, angenehm autoritär, kein bisschen diktatorisch. Geht doch.

Bald hatte ich meinen diffusen Unmut vergessen, war von anderen Fragen bewegt. Wein oder Wasser? Jever oder Fun? Kann man Nudeln mit Ebly essen, oder wäre das Hartweizenoverkill?

Irgendwelche Antworten wurden gefunden. Als ich an der Kasse war, trat in entgegengesetzter Abfertigungsrichtung eine Ex-Einkäuferin an den Kassierer heran, sie hatte wohl eine Reklamation. Um den Abfertigungsfluss nicht länger als nötig aufzuhalten, rief der Kassierer einen vorübergehend untätigen Kollegen herbei: „Kannst du bitte mal der Frau helfen?“

Wieder gefiel mir etwas nicht. Dabei auch hier: Ton und Umgang auf allen Seiten tadellos. Weder war die Reklamistin eine wilde Furie, noch war der Kassierer einer von denen, deren Körpersprache und Tonfall unmissverständlich kommunizieren: „Pah, eigentlich bin ich gar kein Supermarktkassierer! Eigentlich habe ich In-der-Nase-Bohren und Löcher-in-die-Luft-Starren auf Lehramt studiert!“ Alle schienen glücklich darüber, miteinander interagieren zu dürfen. Es war der reinste Hippie-Supermarkt.

Dann wachte ich auf. Sinnbildlich gesprochen. Tatsächlich war ich noch immer im Hippie-Supermarkt und alles war wie vorher. Aber ich wusste jetzt, was mich störte. Mann? Frau? Müsste das nicht „Herr“ und „Dame“ heißen? Mann und Frau sind Begriffe aus der Biologie, gut geeignet zur Geschlechtsbestimmung der Spezies. Spricht man jedoch von Einzelpersonen, noch dazu von anwesenden, ist die Respektform wohl kaum zu viel verlangt.

„Aber, aber!“, mischt sich der Kassierer ein, denn jetzt befinden wir uns tatsächlich in einem Traum (im Hintergrund tanzt ein Zwerg rückwärts, wie in jedem Traum). „Bei meinem Einbürgerungstest habe ich gelernt, dass der mittelhochdeutsche Begriff ‚Frau‘, vom mittelalterlichen ‚frouwe‘, durchaus eine ehrenvolle Anrede ist, es hieß nämlich ursprünglich so viel wie ‚Gebieterin‘, kann also neben dem Herrn bestehen. Unterschieden wird nicht so sehr zwischen Dame und Frau, sondern zwischen Frau und Weib. Beim ‚Mann‘ haben Sie allerdings recht, Digger.“

Mit pfiffiger Retoure, die einem immer erst Tage später einfällt, hätte der Dialog mit der vermuteten Kindesmutter sich folgendermaßen anhören können:

Mudder: „Lass doch mal den Mann da durch!“

Icke: „Für Sie immer noch: der Herr da!“

Gut, dass einem so was nie spontan einfällt, denn selbstverständlich wäre das meinerseits hochgradig unhöflich gewesen. Lieber die Klappe halten und eine Woche später was in den Blog murmeln.