(Monat der bildlosen Sprach- und Medienkritik, Episode IV)
Geh ich letzte Woche Supermarkt, steht da Kind. Mitten im Gang, mir den Rücken zugewandt den Weg versperrend, möglicherweise mesmerisiert vom Obstangebot bei uns im Westen oder den Preisunterschieden bei Radieschen. Es war nicht weiter tragisch, Kindern räume ich uneingeschränktes Steh- und Starrrecht ein. Sie müssen in ihrem eigenen Tempo und von ihrem eigenen Standpunkt aus die Welt wahrnehmen und begreifen lernen dürfen. Sie können noch nicht wissen, dass die Welt hinter ihrem Rücken weiterexistiert und dort einer sein könnte, der vorbei möchte. Tragisch ist dieses Unwissen nur, wenn Erwachsene es an den Tag legen, was leider einerseits auch häufig der Fall ist, zum Glück andererseits hier nicht das Thema ist. Die Situation wurde außerdem schnell von der Mutter (nehme ich an) deeskaliert, die dem Kinde mütterlich bestimmt sagte: „Lass doch mal den Mann da durch!“ Das Kind wich, ich ging da durch, die Welt drehte sich weiter. Doch irgendetwas störte mich. Irgendetwas an dem, was die Mutter gesagt hatte. Ich kam allerdings ums Verrecken nicht drauf, was es war. Das fehlende ‚bitte‘ war es nicht, es war schließlich keine Bitte. Es ging um eine Selbstverständlichkeit ohne Verhandlungsspielraum, nicht um den Vorschlag des Tuns eines Gefallens. Am Ton war auch nichts auszusetzen. Keine Spur von der Hysterie, mit der Mütter sonst häufig mit ihren Kindern im Supermarkt umspringen, wenn die es wagen, sich kindgerecht zu verhalten. (Ja, ja – hier quatscht einer, der selber keine hat. Und wissen Sie was? Der hat trotzdem recht.) Der Ton war vernünftig, angenehm autoritär, kein bisschen diktatorisch. Geht doch. Bald hatte ich meinen diffusen Unmut vergessen, war von anderen Fragen bewegt. Wein oder Wasser? Jever oder Fun? Kann man Nudeln mit Ebly essen, oder wäre das Hartweizenoverkill? Irgendwelche Antworten wurden gefunden. Als ich an der Kasse war, trat in entgegengesetzter Abfertigungsrichtung eine Ex-Einkäuferin an den Kassierer heran, sie hatte wohl eine Reklamation. Um den Abfertigungsfluss nicht länger als nötig aufzuhalten, rief der Kassierer einen vorübergehend untätigen Kollegen herbei: „Kannst du bitte mal der Frau helfen?“ Wieder gefiel mir etwas nicht. Dabei auch hier: Ton und Umgang auf allen Seiten tadellos. Weder war die Reklamistin eine wilde Furie, noch war der Kassierer einer von denen, deren Körpersprache und Tonfall unmissverständlich kommunizieren: „Pah, eigentlich bin ich gar kein Supermarktkassierer! Eigentlich habe ich In-der-Nase-Bohren und Löcher-in-die-Luft-Starren auf Lehramt studiert!“ Alle schienen glücklich darüber, miteinander interagieren zu dürfen. Es war der reinste Hippie-Supermarkt. Dann wachte ich auf. Sinnbildlich gesprochen. Tatsächlich war ich noch immer im Hippie-Supermarkt und alles war wie vorher. Aber ich wusste jetzt, was mich störte. Mann? Frau? Müsste das nicht „Herr“ und „Dame“ heißen? Mann und Frau sind Begriffe aus der Biologie, gut geeignet zur Geschlechtsbestimmung der Spezies. Spricht man jedoch von Einzelpersonen, noch dazu von anwesenden, ist die Respektform wohl kaum zu viel verlangt. „Aber, aber!“, mischt sich der Kassierer ein, denn jetzt befinden wir uns tatsächlich in einem Traum (im Hintergrund tanzt ein Zwerg rückwärts, wie in jedem Traum). „Bei meinem Einbürgerungstest habe ich gelernt, dass der mittelhochdeutsche Begriff ‚Frau‘, vom mittelalterlichen ‚frouwe‘, durchaus eine ehrenvolle Anrede ist, es hieß nämlich ursprünglich so viel wie ‚Gebieterin‘, kann also neben dem Herrn bestehen. Unterschieden wird nicht so sehr zwischen Dame und Frau, sondern zwischen Frau und Weib. Beim ‚Mann‘ haben Sie allerdings recht, Digger.“ Mit pfiffiger Retoure, die einem immer erst Tage später einfällt, hätte der Dialog mit der vermuteten Kindesmutter sich folgendermaßen anhören können: Mudder: „Lass doch mal den Mann da durch!“ Icke: „Für Sie immer noch: der Herr da!“ Gut, dass einem so was nie spontan einfällt, denn selbstverständlich wäre das meinerseits hochgradig unhöflich gewesen. Lieber die Klappe halten und eine Woche später was in den Blog murmeln.Archiv der Kategorie: Allgemein
Hansi Vegesack über Joseph Anton
(Monat der bildlosen Sprach- und Medienkritik, Episode III)
Morgen erscheint Joseph Anton, die Autobiografie von Salman Rushdie. Ich durfte die Tage schon ran, doch leider sind meine Ärmchen so dünn, dass ich nur bis Seite 38 gekommen bin. Am Inhalt liegt es nicht, der ist bislang ergreifend, spannend und klug. Aber für die letzten 682 Seiten warte ich erschöpft aufs E-Buch. Bis dahin arbeite ich mich am Titel ab. ‚Joseph Anton‘ war Rushdies Tarnname, als er nach dem Todesurteil durch den Ayatollah Khomeini untertauchen musste, zusammengesetzt aus den Vornamen seiner Lieblingsschriftsteller. Ohne Rushdies Schicksal trivialisieren zu wollen: Es wird wohl niemanden geben, der sich nun nicht die Frage stellt: Wie würde ich heißen wollen, wenn ich einmal untertauchen müsste, Gott bewahre? Die Idee mit den Schriftstellern gefällt mir. Ich bewundere Salman Rushdie für seine Entscheidungsfreude, denn ich müsste länger nachdenken, wer meine Lieblingsschriftsteller sind. Vielleicht hatte er auch überlegen müssen. Rushdie: „Moment, ich hab’s: Franz Edgar! Nein, warte … Walt Herrmann! Emily Jane! Nein …“ – Geheimpolizist: „Herr Rushdie, wir müssten wirklich so langsam los …“ Vielleicht steht es im Buch, ob die Wahl leicht fiel oder nicht, vielleicht bin ich noch nicht so weit. Mit der Wahl meines Tarnnamens bin ich auf jeden Fall noch nicht so weit. Eine Vornamenkombination aus meinem Lieblingsbücherregal, die mir spontan in den Sinn kommt, ist ‚Michael Douglas‘. Möglicherweise nicht unauffällig genug. Aber vielleicht könnte ich so Catherine Zeta-Jones in meinen Unterschlupf locken. Wussten Sie, dass der Schauspieler Michael Keaton privat Michael Douglas heißt? Hat nichts mit dem Thema zu tun, könnte Ihnen allerdings in brenzligen Situationen einen wertvollen Joker sparen. Noch eine Lieblingsschriftstellervornamenkombination, die mir einfiele: Stephen Ernest. Klingt doof, also umdrehen: Ernest Stephen. Klingt nicht schlecht, allerdings ein bisschen nach Bluesmusiker, Gebrauchtwagenhändler oder Show-Wrestler. Wahrscheinlich muss ich komplett umdenken. Ich könnte meinen Stripper-Namen nehmen. Vor ein paar Jahren war es sehr en vogue, sich bei seinem (oft bloß hypothetischen) Stripper-Namen rufen zu lassen. Ich glaube, die Autorin und ehemalige exotische Tänzerin Diablo Cody hatte diese Marotte inspiriert und dazu auch gleich die Betriebsinterna ausgeplaudert, wo diese Namen herkommen: Name vom ersten Haustier + Name vom Geburtsort = Stripper-Name. Mein Stripper-Name ist Hansi Vegesack. Ich nenne jeden einen Lügner, der behauptet, dass das kein verdammt hervorragender Stripper-Name wäre. Ich wollte mit diesem Namen schon immer etwas machen, ich weiß nur nicht was. Strippen kommt nicht in Frage, bei meinen dünnen Ärmchen. Untertauchen geht jetzt auch nicht mehr, ich habe meine Geheimidentität gerade gelüftet. Doch der Tag von Hansi Vegesack wird kommen. Da bin ich sehr zuversichtlich. (PS: Sehe gerade, dass auf dem Buchrücken meiner Ausgabe von Joseph Anton der Autorenname als Salmon Rushdie angegeben ist. Ein neues Pseudonym? Oder nur eine weitere Sternstude deutscher Präzisionspublizistik?)Polittalk mit Kate Winslet (Werwolfjägerin)
(Monat der bildlosen Sprach- und Medienkritik, Episode II)
Sehen Sie, was Sie angerichtet haben?! Jetzt musste ich mich im letzten Eintrag so aufregen, dass ich gar nicht zu Kate Beckinsale gekommen bin. Eigentlich sollte es nämlich um die beliebte britische Schauspielerin gehen, denn eigentlich sollte jener Eintrag ein Sequel beziehungsweise Spin-off der präzise gearbeiteten Kritik zum Film Total Recall von hier irgendwo weiter unten werden, aber irgendwann war mir die geplante Überleitung nicht mehr eingefallen. Ich erwähnte ja bereits, dass meine Lebensgefährtin und ich das Dekor des besagten Films unterschiedlich wahrgenommen hatten. Ein Wahrnehmungsfehler war uns derweil gemein: Wir haben beide Kate Beckinsale zuerst nicht erkannt. Nun muss man zugeben, dass wir beide nicht sehr mit ihrem Werk vertraut sind. Meine Freundin kannte die Beckinsale bisher nur aus der Kriegsschnulze Pearl Harbor, ich nur aus den Blut-und-Ballerfilmen der Underworld-Serie. Das ist der klassische Unterschied zwischen Frauen und Männern. Folgerichtig habe ich Kate Beckinsale in Total Recall dann doch früher als meine Freundin erkannt, nämlich als sie (Beckinsale) anfing rumzuschreien und Leute zu töten (nein, Spoiler-Warnungen gibt es hier nicht, wir sind ja nicht im Kindergarten). In Total Recall spielt noch eine Frau mit, die ich bis zum Schluss nicht erkannt habe und hinterher recherchieren musste. Da musste ich schmunzeln, denn es war Jessica Biel. Nun habe ich schon seit Jahren einen flotten Spruch, mit dem ich mein cooles, herablassendes Desinteresse an der amerikanischen Gegenwartskultur demonstriere, eine veritable Catchphrase: „Ich kann mir nie merken, was der Unterschied zwischen Jessica Biel und Jessica Alba ist.“ Catchphrase meiner Freundin: „Die sind doch total unterschiedlich!“ Ich kann mir aber wirklich nicht merken, wer wer ist in dieser Altersgruppe. Zeigte man mir drei Fotos von weißen Frauen, könnte ich nicht sagen, welche davon Megan Fox ist. Den Namen kenne ich, sie war vor ein paar Jahren sehr bekannt, es scheint mittlerweile etwas nachgelassen zu haben. Sie tauchte in meinem Internet immer in den Klatschnachrichtenschlagzeilen auf, aber weil man Klatschnachrichten nicht lesen sollte, habe ich nie draufgeklickt, deshalb blieb mir die Bildinformation vorenthalten. Huch, war es etwa voreilig davon auszugehen, dass Megan Fox eine weiße Frau ist? Ich glaube, ich hatte sie anfangs mit der Schauspielerin Megan Ward aus dem Film Freaked verwechselt. Beinahe hätte ich geschrieben: „ (…) mit der in Vergessenheit geratenen Schauspielerin Megan Ward“, allerdings sehe ich gerade in meinem Internet, dass sie inzwischen wohl in einer dieser CSI-Serien mitspielt. Die kann ich auch nicht auseinanderhalten. Einen Moment … gerade bekomme ich die Nachricht rein, dass sie in zwei verschiedenen CSI-Serien drei verschiedene Rollen gespielt hat. Also entweder sehr wandlungsfähig oder so was wie ‚zweite Leiche von unten‘. Schade eigentlich. Ich fand sie in Freaked recht apart. Im vorvorletzten Absatz über Kate Beckinsale hatte ich übrigens ursprünglich versehentlich geschrieben: Kate Winslet. Wer war das noch mal? Ehe mir irgendwelche Sexismen angedichtet werden: Bei männlichen Hollywood-Schauspielern unter 40 ist es noch schlimmer. Da fallen mir momentan nicht mal genügend Namen ein, um sie miteinander zu verwechseln. Bei Hollywood-Schauspielerinnen und -Schauspielern denke ich immer an deutsche Polit-Talkshows. Kürzlich las ich ein Buch mit essayistischen Alltagsbetrachtungen, in denen ungewöhnlich häufig die Rede war von politischen Talkshows und ihrem Personal. Mir fiel auf, dass ich in diesen Passagen seltener zustimmend mit dem Kopf nickte (womit eigentlich sonst?) als in anderen. Nicht, weil ich anderer Meinung war, sondern weil ich keiner Meinung war. Es ist nur sehr geringfügig übertrieben, wenn ich behaupte: Ich habe noch nie eine politische Talkshow im deutschen Fernsehen gesehen. Es ist kein bisschen übertrieben, wenn ich behaupte: Ich habe mich noch nie gezielt zum Anschauen einer politischen Talkshow im deutschen Fernsehen entschieden. Hier und da habe ich womöglich mal was aufgeschnappt beim ziellosen Kanalwechsel. Da ich den ziellosen Kanalwechsel aber durch kalten Entzug vor Jahren besiegt habe, ist das auch schon eine Weile her. So haben wir hier den bekannten Megan-Fox-Effekt: Anne Will, Günther Jauch, Maybrit Illner – ich könnte sie bei einer Gegenüberstellung nicht auf Anhieb unterschieden. Doch, ich bin politisch interessiert, sogar sehr. Ich werde jeden Morgen mit „die Nachrichten“ geweckt, überfliege täglich drei Tageszeitungen (Internet nicht mitgerechnet) und schaue zum Abendessen die Fernsehnachrichten, vorausgesetzt auf Silverline läuft nicht gleichzeitig die Asian Fight & Fright Night. Es ist mir wichtig, was Politiker sagen. Ich gehe allerdings davon aus, dass die allerwichtigsten Aussagen nicht exklusiv in den Talkshows verweilen, sondern in Nachrichtensendungen und Zeitungen wiederholt werden. Außerdem habe ich den Eindruck, wenn ich die Zuschauer über bereits ausgestrahlte Talkshows reden höre, dass diese Sendungen sehr aufregend sind. Und aufregen will ich mich so kurz vor dem Schlafengehen nicht mehr. Da flüchte ich mich lieber in meine flauschige Traumwelt voller Serienmörder und wandelnder Kadaver. Ist natürlich Quatsch, dass ich Anne Will nicht von Günter Jauch unterscheiden könnte. Die eine macht schließlich Wer wird Millionär?. Das ist eine Sendung, die ich gerne schaue, obwohl sie nicht auf AXN läuft. Seit Jahr und Tag trage ich mich schon mit dem Gedanken, selbst mal zu kandidieren. Nicht, weil ich so viel wüsste, sondern weil ich gerne so viel Geld hätte. Ich müsste mich drauf verlassen, dass die richtigen Fragen kommen und mein Vater wirklich so viel über mitteleuropäische Flüsse und Gebirge weiß, wie ich glaube. Gut wäre ich in Fragen, bei denen die Antwort „Britney Spears“ oder „Der Mann mit der Todeskralle“ lautet. Geliefert wäre ich bei Fragen, bei denen „1947“ oder „Sebastian Vettel“ herauskommt. Bei dem bloßen Gedanken an die Kandidatur wird es wohl bleiben. Zum einen wegen der Angst vor der Blamage, zum anderen weil man immer hört, man müsse eine Unzahl von Textnachrichten schicken, bevor man überhaupt mal von einem Sprecher des Quizshowcastingbeauftragten zurückgerufen würde. Mit diesen modernen Kommunikationsformen stehe ich leider motorisch auf Kriegsfuß. Wegen meines Mangels an SMS-schreiberischer Souveränität wurde ich schon auf offener Straße von 30-jährigen kleinen Kindern ausgelacht. Mehrmals. Apropos Polit-Talkshows: Bei Polit-Talkshows denke ich immer an Twitter. Das ist ebenfalls etwas, was ich nicht verfolge. Gleichwohl bekomme ich das Spektakulärste aus jener Ecke auch über die richtigen Medien mit, denn anstatt richtige Nachrichten zu verbreiten, verbreiten die in zunehmendem Maße bloß das, was gerade einer über einen anderen getwittert hat. Da erstaunten mich zuletzt die starken Anfeindungen, denen der Schriftsteller Bret Easton Ellis ausgesetzt war, weil er die Wahrheit über den Schriftsteller David Foster Wallace gezwitschert hatte. Der Tenor war, man müsse die Wahrheit über ihn beziehungsweise sein Werk verschweigen, aus Pietätsgründen, weil tot. Als Pietätsfreund kann ich das zwar im Ansatz nachvollziehen. Frage mich aber auch: Wann ist man denn tot genug, um wieder kritikfähig zu sein? Es muss irgendwo ein Cut-off-Date geben. Sonst dürfte kein irgendwann verstorbener Schriftsteller jemals angefeindet werden. Allerdings gibt es kaum eine tote Edelfeder zwischen Shakespeare und Hemingway, die nicht regelmäßig von aufgeregten Jungprofilierern „überschätzt“ und schlimmeres gescholten wird, ohne dass sich jemand ernsthaft drüber aufregen würde. Schade ist freilich, dass Ellis seine Kritik nicht zu Wallace‘ Lebzeiten geäußert hatte. Ob das an Feigheit liegt, wie Wallace-Verehrer kolportieren, oder bloß schlechtes Timing ist, wage ich nicht zu beurteilen. Aus der Geschichte wissen wir, dass Anfeindungen zwischen Autoren oft interessanter sind als ihre Werke. Beispielsweise waren weder Norman Mailer noch Gore Vidal besonders lesenswerte Schriftsteller, behaupte ich in einem Anfall von Rückfall in aufgeregtes Jungprofilierertum. Aber durch ihre Stutenbissigkeit hinterließen sie der Nachwelt ein paar amüsante Youtube-Clips von bleibendem Wert. Jetzt habe ich mich schon wieder so aufgeregt, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich diesen Text beenden wollte. Sehen Sie, was Sie angerichtet haben?Ein wilder Ritt auf dem Pomadenhengst, ein Text ohne Bilder, eine Welt am Abgrund
Unlängst ging ich mit undeutschem Besuch Kaffeetrinken, und zwar mehrmals täglich, der Besuch mochte Kaffee gern. Nachdem wir mehrere Kaffeehäuser besucht und jedes Mal ausführlich die Aushangangebote studiert hatten, fragte mich der Besuch aus ehrlicher Wissbegier und ganz ohne öden Sarkasmus: „Gibt es im Deutschen keine Worte für ‚to go‘?“ Da wurde genau der Richtige gefragt. Ich stieg auf ein Podium und referierte für den Rest des Tages darüber, was alles in der Welt schief liefe und woran das liegt (ich hatte sehr viel Kaffee getrunken).
Ich hatte demselben Besuch gegenüber schon mal einen Tag lang über das andere leidige Thema gesprochen, Sie wissen schon, den Sinn. Davon, dass er in der deutschen Sprache gefälligst nicht „gemacht“ wird, sondern allenfalls gestiftet, oder sich ergibt, oder notfalls gehabt wird. Jedoch ganz sicher nicht „gemacht“, schreib dir das hinter die Ohren. Das wäre eine Unsitte, die sich durch schlampige Übersetzungen ohnehin nicht sehens- oder hörenswerter amerikanischer Fernsehsendungen eingeschlichen hätte und nicht mehr rauszukriegen sei aus der deutschen Sprache und deshalb sei der Euro auf Talfahrt und alles würde immer teurer und und überhaupt. Das Thema war aber für den undeutschen Besuch vielleicht etwas zu advanced, you know. Oder vielleicht bloß zu uninteressant. Beim Sinn-„Machen“ genau wie beim To-Go ist die Bredouille, dass halbwegs aufmerksame Menschen seit Ewigkeiten auf den Missstand hinweisen, die Bekloppten aber trotzdem unbekümmert weitermachen, und täglich werden es mehr. Uns Mahner langweilt unser eigenes Mahnen mittlerweile, es ist wie mit einem Witz, der schon so’n Bart hat, wie man früher sagte, als einem noch keiner wuchs. Werden Witze allerdings tatsächlich mit ihrem Bart meistens unlustiger und somit für ihre Art irrelevanter, wird der Hinweis auf Missstände nicht unnötiger, solange die Missstände weiterbestehen, auch wenn das Gemahne den Unschuldigen schon aus den Ohren rauskommt. Man muss sich fragen, wie man mit den Schuldigen umgeht. Launige Schönsprechkolumnen scheinen nichts zu bewirken. Die Leute lesen, lachen, und ändern ihr Leben trotzdem nicht. Man kann in einem Rechtsstaat leider auch nicht jedem die Kehle durchschneiden, der sagt: „Das macht nicht wirklich Sinn.“ Das blasierte und inflationäre „nicht wirklich“ (gleiche Entstehungsgeschichte wie „macht Sinn“) ist übrigens das Thema meines nächsten Wochenendseminars (bitte rechtzeitig anmelden und Coffee to go selbst mitbringen). Ich habe in der Macht-Sinn-Debatte eine radikale Zero-Tolerance-Haltung eingenommen, weil es mir um den Erhalt sprachlicher Vielfalt geht, nicht um den Erhalt sprachlicher Korrektheit. Korrektheit ist was für Zahlenliebhaber, nicht für Worteliebhaber. Meine fellow Mahner müssen sich jetzt kurz die Augen zuhalten: Insgeheim glaube ich nicht, dass „macht Sinn“ sprachlich falsch ist. Wäre nicht die erste fremdsprachige Wendung, die ins Deutsche eindringt, da muss man tapfer sein. Es ist eher moralisch als sprachlich falsch, und das ist viel schlimmer. Diese Formulierung verdrängt zusehends alle anderen Formulierungen, mit denen man ausdrücken kann, dass einer Sache Sinn innewohnt. Ich bin für den Tod dieser einen Formulierung, damit die anderen Formulierungen leben können. Das ist nicht schön, aber Krieg ist nun mal nicht schön. Opfer müssen gebracht werden. Es geht nicht um richtige Sprache gegen falsche Sprache, sondern um gute Sprache gegen böse Sprache. Vereinzelt wurde Sinn bereits vor über hundert Jahren in der deutschsprachigen Literatur gemacht [citation needed], es wird als Formulierung also nicht per se falsch sein, zumindest heute nicht mehr. Denn selbst wenn etwas falsch ist, wird es mit der Zeit richtig, so es nur beharrlich weiter falsch gemacht wird. Es ist nun schon seit einigen Jahren kein offizieller Fehler mehr, das „desto“ gegen ein zweites „je“ auszutauschen, oder den altertümlichen Unterschied zwischen „wie“ und „als“ nicht mehr zu kennen. Sprache knickt gerne vor der Gewohnheit ein. Man muss das in gewissen Maßen akzeptieren, wenn man nicht einer dieser Menschen werden will, die mit so’n Bart in einer Höhle leben und wirre Traktate in trotziger alter Rechtschreibung in den Fels ritzen. Man sollte sich nur reiflich überlegen, welche Gewohnheit man zur eigenen macht. Ich kenne einen, der kriegt den guten alten Kehle-durchschneiden-Blick, wenn einer sagt: „der“ Blog. Ich sage das auch (der). Laut Regel ist der oder das egal. Derjenige mit dem Blick meint allerdings, Blog käme von Weblog, also von Log, also gefälligst: „das“ Blog. Das ist alles richtig. Vollkommen logisch und logisch vollkommen. Nun ist Sprache aber eben nicht nur schnöde Mathematik, sondern auch Poesie, und Poesie ist total irre. Da kommt es auf Fluss und Klang an, auf flow und sounds, nicht bloß auf „wenn a, dann b“. „Der Blog“ fließt für mich einfach grooviger wie „das Blog“. Alternativ plädiere ich in der Macht-Sinn-Debatte dafür, den Sinn einfach öfter mal komplett unerwähnt zu lassen. Man scheint den Respekt vor diesem einstmals großen Wort zu verlieren, indem man unentwegt jede Trivialität damit veredelt. „Möchtest du Milch auf dein Müsli?“ – „Ja, das macht Sinn.“ Wie wäre es einfach mit: Ja, bitte. Wenn Sie immer noch lesen, stimmen Sie mir womöglich zu, dass Worte und Formulierungen schützenswert sind. Dann muss ich Ihnen auch nichts von der Gefährdung des Wortes „gleichzeitig“ erzählen. Es wurden schließlich schon genügend launige Schönsprechkolumnen darüber geschrieben, dass alles nur noch „zeitgleich“ und nichts mehr „gleichzeitig“ geschieht. Warum erzähle ich es trotzdem? Um einen riesen Irrtum aus der Welt zu schaffen (zumindest aus dem Teil der Welt, den ich erreiche; bitte beteiligen Sie sich als Multiplikatoren). Und es nicht der Irrtum, an den sie jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit denken. Jener Irrtum ist nämlich der Irrtum. Ich hab da neulich vielleicht einen Schreck bekommen! Ich sah einen älteren, bereits veröffentlichten Text von mir zwecks baldiger überarbeiteter Wiederveröffentlichung durch, und stolperte über einen Satz, in dem ich achtlos das Wort „zeitgleich“ verwendet hatte, obwohl ich ganz sicher „gleichzeitig“ meinte. Schlimm genug, dass mir das passieren konnte. Aber wie konnte es sein, dass dieser Fauxpas auch an all den Berufslesern unbeanstandet vorbeigekommen war, die zwischen Tippen und Drucken Wache halten? Dabei weiß doch jeder schönsprechkolumnenlesender Klugscheißer, dass „zeitgleich“ übereinstimmende Zeiträume bezeichnet, jedoch nicht notwendigerweise übereinstimmende Zeitpunkte: Ich lief gestern 10 Minuten, du liefst heute 10 Minuten = wir liefen zeitgleich (nämlich 10 Minuten). Während gleichzeitig eben gleichzeitig heißt. Mit anderen Worten: „gleichzeitig“ und „zeitgleich“ heißen nicht dasselbe. So die landläufige Oberlehrer-Meinung, die ich die längste Zeit meines Lebens teilte. Behuft durch den schrecklichen Fund in meinem eigenen Werk habe ich recherchiert und musste feststellen: Es stimmt leider nicht. Nicht ganz. „Zeitgleich“ hat zwar tatsächlich die genannte Bedeutung mit dem Zeitraum, ist allerdings so flexibel, dass es ebenfalls synonym mit „gleichzeitig“ verwendet werden kann. Und zwar wohl schon immer. Ich bin weit zurück gegangen in meiner Recherche, habe aber keinen Hinweis gefunden, dass die Bedeutungsgleichheit eine neumodische Flause wäre. Eine neumodische Flause ist allenfalls der Oberlehrer-Hinweis auf den vermeintlichen Bedeutungsunterschied. Und natürlich die sprachliche Auslöschung von „gleichzeitig“ durch „zeitgleich“. Der erste Ausdruck scheint kaum mehr bekannt. Deshalb ist die ständige Verwendung von „zeitgleich“ anstelle von „gleichzeitig“ weiterhin schwer zu tadeln, wenn auch nicht zu ahnden. Sie ist ja nicht verkehrt. Sie ist nur böse. Denke ich an aussterbende Wörter, denke ich an den Typen, mit dem ich mir an manchem Morgen die Bushaltestelle teile. Es ist nicht lange her, da trug er mittellange Haare, die mit viel Gel über den Kopf zurückgekämmt waren. Da er außerdem einen konservativen Anzug trug, sah er aus, wie deutsche Fernsehkrimi-Stylisten sich seit rund 30 Jahren einen kokainsüchtigen Bankkaufmann vorstellen. Müsste ich für ihn Dialoge schreiben, klänge das so (Telefonat): „Was? Morgen große Koks-Party im P1? Klar, Digger, das macht Sinn, da bin ich bei dir. Ist zwar zeitgleich auch Crack-Anstich im Schumann’s, aber das klingt nicht wirklich spannend.“ Ich habe ihn wohlgemerkt nie reden hören, und ich gehe angesichts seines Arbeitsweges davon aus, dass er kein Bankkaufmann ist, und er hat sich in meiner Gegenwart nie drogensüchtig verhalten (nervöses Kratzen, irres Lachen). Ich habe mir nur so meine Gedanken gemacht. Einer davon ging: Oh Mann, wenn ich doch nur ein einziges knackiges Wort hätte, mit dem ich diesen Typen humorvoll-geringschätzig beschreiben könnte! Doch fällt mir keines ein! Es wird keines existieren! Eines Tages las ich dann im Duden-Newsletter (was lesen Sie denn zum Spaß?!) eine kleine Auflistung ausgestorbener Worte, ein werbender Auszug aus dem Büchlein Unnützes Sprachwissen (ich sage: nichts in diesem Büchlein ist unnütz, und Wissen ist es überhaupt nie!). Dass krisengeschüttelte Zeiten für das Wort „beleibzüchtigen“ (Versehen mit lebenslangem Unterhalt) keine Verwendung mehr haben, ist nachvollziehbar. Der „Pomadenhengst“ allerdings wurde im Jahr 2000 ganz offensichtlich voreilig von der Duden-Redaktion für obsolet erklärt und aus der Sprache gestrichen. Aber jetzt kommt der Kracher, und ich schwöre, es ist die Wahrheit: Als ich den Pomadenhengst von der Bushaltestelle das nächste Mal sah, hatte er eine ganz neue Trockenfrisur, einen naturstacheligen Mecki-Schnitt. Vielleicht hatte er sich gedacht, nachdem ihm jemand den Duden-Newsletter aufs fettige Kopfkissen gelegt hatte: Ach, wenn der Pomadenhengst als Wort gegangen ist, dann ist es auch für mich an der Zeit zu gehen. Kurz darauf dachte er weiter: Nein, Quatsch, ich werde mir doch nicht wegen so was den goldenen Schuss setzen! Ich lasse mir bloß eine andere Frisur „zaubern“, einen kecken Mecki-Schnitt. Den behalte ich solange, wie noch einer den frechen Igel Mecki, das Maskottchen der Illustrierten ‚Hörzu‘, kennt. Wenn diese Ära ebenfalls vorbei ist, nehme ich vielleicht so eine Modeglatze wie der Spacko von meiner Bushaltestelle, der damit versucht, seine Naturhalbglatze zu kaschieren, wie alle anderen Modeglatzköpfe auch. Werde ich ohnehin wahrscheinlich bald nötig haben, bei der ganzen Chemie, die ich mir bis vor kurzem in die Haare gepfiffen habe. Und das war die schöne Geschichte vom Pomadenhengst, der ein Igel wurde.Sie sagt: Total, ich sag: Recall (viel sinnvollerer Alternativtitel: Ihr sagt Kubrick, ich sag Wiseman)
Ich habe mich letzte Woche mit meiner Freundin gestritten. Doch fürchten Sie sich nicht! Weder davor, dass ich fortan Familiendramen vor aller Welt ausbreite, noch dass es sich überhaupt um ein Drama handelte. Wir haben uns schon wieder einigermaßen vertragen. Ich erwähne den Streit nur, weil ich das Thema so interessant fand. Wir sahen dieser Tage beiden den Film Total Recall, wenn auch kontinental getrennt. Wir fanden ihn beide unterm Strich annehmbar, zumindest eine Quadrillion mal besser als den gleichnamigen Film von Paul Dingsbums. Vielleicht etwas untertrieben, aber eine höhere Zahl kenne ich nicht. Mich störte am Film allenfalls, dass alles Interessante der Geschichte in der ersten Hälfte passiert, während die zweite nur davon handelt, dass große Sachen spektakulär kaputtgehen. Meine Freundin störte sich an etwas ganz anderem: „Es stört mich, dass wir immer noch so gesehen werden!“
Es stellte sich heraus, dass wir „wir Asiaten“ sind, und dass so sich auf den Look des Films bezieht, der die übliche Anti-Utopie-Schmuddeligkeit mit dem üblichen coolen asiatischen Großstadtflimmern verbindet. ‚Schmuddeligkeit‘ ist hier das Schlüsselwort. Wenn meine Freundin plötzlich Asiatin ist, dann ist Vorsicht geboten, ich bin schließlich auch nur in größenwahnsinnigen Ausnahmemomenten Europäer. Ich versicherte ihr, dass der Look des Films eher Asien-Verherrlichung als Asien-Verunglimpfung und sehr urban-romantisch sei, als dickhalsiger Spaßhasser könnte man sogar ‚kitschig‘ sagen. Das nahm sie mir nicht ab. „Würdest du da etwa leben wollen?!“ „Aber sofort!“, war die wahrheitsgemäße Antwort, die sie nicht hören wollte. „Das ist eine schmutzige Stadt mit traurigen Menschen, und die Botschaft lautet: Asien = schmutzig und traurig, jedenfalls nicht so sauber und glücklich wie die richtige Welt.“ „Das überinterpretierst du! Für mich als offizieller Sprecher aller Europäer sieht das einfach nur cool aus. Ohne die asiatischen Elemente wäre die Stadt viel trostloser. Und dass die Menschen dort traurig sind, liegt nur an der Unterdrückung durch die kapitalistischen Kaukasierschweine, nicht an ein paar flackernden Schriftzeichen.“ „Du kannst doch unmöglich finden, dass das gut aussieht!“ „Doch – wir alle finden, dass das gut aussieht! Hast du Blade Runner gesehen?“ „Auch so ein Mist!“ Da immerhin sind wir uns einig, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Ich sehe die Sache weiterhin so, wie ich sie sehe, finde die Sichtweise meiner Freundin allerdings nach längerem Hin und Her ansatzweise nachvollziehbar. Sollten Sie auf Eskalation und Ausgang des Streits warten, muss ich Sie enttäuschen. Wir haben beschlossen zu vertagen, bis wir den Film gemeinsam noch einmal schauen können. Ich werde ihn wohl kaufen. Nicht weil ich finde, dass Filmekaufen generell so eine super Idee ist (es ist ganz schön albern, seien wir ehrlich), sondern weil es ein Film von Len Wiseman ist. Bei Len Wiseman fällt mir ein, dass ich am Wochenende mal wieder einen Film von Stanley Kubrick gesehen habe. Eigentlich fällt es mir in erster Linie ein, weil Total Recall da draußen (also hier im Internet) die absurdesten Vorwürfe gemacht werden. Zum Beispiel, dass es in dem Film eine Schwebeautoverfolgungsjagd gibt, was nicht sein dürfe, weil es schon in einem anderen Film eine Schwebeautoverfolgungsjagd gibt, und per Gesetz darf es nur in einem Film eine Schwebeautoverfolgungsjagd geben. Am Samstag lief nun im Elitefernsehen eine Doppelvorstellung von Shining und Freitag, der 13.. Ob programmplanerisches Konzept oder bloß glücklicher Zufall, weiß ich nicht. Wer jedenfalls die beiden Schinken hintereinander sieht, wird feststellen, dass sie sich in einigen Schlüsselszenen wie ein Ei dem anderen gleichen. Insbesondere die beliebte „Here’s Johnny!“-Szene aus Shining findet sich fast haargenau so in Freitag, der 13. – und der kam zwei Wochen früher raus! Kübrique, j’accuse!Immerhin haben alle überlebt
Ich hatte gestern keine Zeit und Gelegenheit, das Herrenfußballspiel um olympische Bronze zwischen Südkorea und Japan zu sehen, aber ich konnte die ersten 10 Minuten am Ticker verfolgen. Es schien von all dem olympischen Geist beseelt, den man von gerade dieser Begegnung erwarten durfte.
10 Gründe, warum das Leben heute doch weitergeht
Sie baden gerade Ihre Hände darin: Der große Bane+Robin-Vergleichstest 1997/2012
Batman: „What? ”
Robin: „The ground, it’s all metal. It’s full of holes. You know, holey.” Es ist offensichtlich, wohin Schumacher wollte, doch war er noch nicht ganz da. Das Gotham von Batman Forever sieht aus wie eine unentschlossene Mischung aus Manga-Tokio und Dick-Tracy-Set. Sieht man den Film unmittelbar nach dem wunderbar ausgestalteten Batmans Rückkehr, ist das ein faustdicker Schock. Die Handlung und Inszenierung ergötzt sich bereits am Camp, aber man traut sich noch nicht, das Spaßpedal voll durchzutreten und die Hinweise auf Batmans ach so schweheheheres Trauma einfach mal ganz zu unterlassen. Batman Forever muss rückblickend als strategischer Film betrachtet werden. Er sollte uns behutsam auf Batman & Robin vorbereiten. Leider konnte uns darauf aber nichts vorbereiten. Ich war damals genauso angewidert wie jeder andere. Vor der kolossalen Katastrophe, die Batman & Robin war, waren wir alle gleich. Heute allerdings kann man sich mal entspannt zurücklehnen und den Film als das sehen, was er ist: Ein Kind, wie es nur die eigenen Eltern lieben können. Und wer da nicht ein bisschen Mitgefühl hat, hat einfach kein Herz. Gotham ist nun noch etwas eklektischer, sieht aus wie eine Kreuzung aus Manga-Tokio, Dick Tracy, türkischer Sauna, Rollschuhdisco und Christmas Town. Sieht also gut aus. Nichts sagt ‚Zeitdokument‘ deutlicher als ein Stargast-Auftritt von Coolio. Die tatsächliche Anti-Öko-Botschaft von Batman & Robin ist genauso putzig und harmlos wie die eingebildete Anti-Occupy-Botschaft von The Dark Knight Rises. Dass ausnahmslos jeder Satz, der Mr. Freeze in den Mund gelegt wurde, ein Tschingbumm-Kalauer unterster Kajüte ist, ist irgendwo auch eine Leistung, wenngleich eine fragwürdige. Freeze-Darsteller Fips Asmussen äh Arnold Schwarzenegger sagte während der Promo-Phase des Films, die Dialoge hätten Shakespeare-Niveau. Das wirft ein ganz neues Licht auf Shakespeare. Oder das übliche Licht auf Arnie. George Clooney (Die Rückkehr der Killertomaten) ist der beste Batman zwischen Adam West und Christian Bale. Allerdings wusste die Burton/Schumacher-Ära mit der Figur generell nichts anzufangen, deshalb ist das leider egal. Batman spielt in keinem dieser Batman-Filme eine entscheidende Rolle. Alicia Silverstone … ach, Alicia Silverstone. Clueless – was sonst?! ist nicht zuletzt wegen ihr einer der größten Kino-Meilensteine der Neunziger, also lässt sich überhaupt nichts gegen sie sagen. Dass sie zwischen Bat-Casting und Bat-Dreharbeiten offenbar ein paar Pfund draufgelegt hat, hatten sich die Produzenten des Films bestimmt anders vorgestellt. Doch gerade weil dieses etwas fraulichere Batgirl so herrlich un-hollywood ist, begrüße ich Fräulein Silverstone in der Bat-Family mit offenen Schwingen. Anstatt eines Catwoman-Spin-offs mit Halle Berry unter der Regie von Pitof hätte ich mir ein Batgirl-Spin-off mit Ricki Lake unter der Regie von John Waters gewünscht. Bane war damals zwar noch nicht durch Nolan-Berührung heiliggesprochen, doch umwehte ihn unter Comic-Lesern schon eine gewisse Aura der Ehrfurcht, hatte er dem Mausemann doch im Comic-Event-Ereignis Knightfall buchstäblich das Rückgrat gebrochen (Originalzitat: „Alfred, ich hab Rücken!“). In Batman & Robin ist Bane eine chemisch aufgeblubberte Flitzpiepe im Show-Wrestling-Dress mit einem IQ unter Hulk-Niveau.
Von der Ersatzflüssigkeit
Ich lese gerade Bossypants, die Autobiografie von Tina Fey, weil ich Menstruationsanekdoten so gern hab. Sollten Sie es mir gleichtun wollen, und es sprachlich einigermaßen hinzubekommen ist, lesen Sie bitte die Originalfassung des Buches und boykottieren Sie den deutschen Untertitel, der hier aus Nationalscham nicht genannt sei. Im Buch ist mir etwas wiederbegegnet, was mir vermeintlich schon ganz und gar aus dem Gedächtnis entschwunden war (es hatte sich jedoch nur im Unterbewusstsein schlummern gelegt): Ersatzflüssigkeit. Die Älteren erinnern sich: Das künstliche blaue Nass aus dem Werbefernsehen, das in Hygieneartikelreklame die Stunts für diverse Körpersäfte übernahm, die in echt mal diese, mal jene Farbe haben, aber niemals Blau. Die Ersatzflüssigkeit wurde ein beliebtes Sujet für Zoten jedweder Art, ähnlich wie Flugzeugessen und Busfahrer, war bald humoristisch auch ähnlich abgefrühstückt. Heute ist Flugzeugessen genießbar bis köstlich, Busfahrer sind meist zuvorkommend (außer vielleicht in Berlin, aber Berlin geht nur Berliner was an), und Ersatzflüssigkeit gibt es gar nicht mehr. Wer trotzdem noch diese Themen bespaßt, nennt Bühnenkomiker wahrscheinlich auch noch Blödelbarden.
Jemand wie ich, also. Habe mich jetzt so lange nicht mehr über Ersatzflüssigkeit lustig gemacht, dass sich in mir ein erkleckliches, bedenklich schwappendes, hellblaues Reservoir angesammelt hat, das nun durch irgendeine Öffnung raus muss.