Servus, mach’s guad, und vielen Dank für den Steckerlfisch

Ich ziehe bald um, die Sentimentalität setzt bereits ein. Zwischen Überseekisten, Exportdokumentation und Inventarlisten bleibt derweil kaum Gelegenheit für ausgiebige Introspektion. Vielleicht schreibe ich mal ein Buch über München, wenn ich in Tokio bin, ging umgekehrt schließlich auch. Heute möchte ich im Schnelldurchlauf schon mal rekapitulieren, was eigentlich in den letzten rund 18 Jahren so passiert ist.

Als sich in Bremen 1998 zum ersten Mal jemand am Telefon mit „Grüß Gott!“ bei mir meldete, hielt ich das für einen Scherzanruf. Ich kannte diesen Ausdruck nur aus Heimatfilmen und wusste wirklich nicht, dass er noch irgendwo im aktiven Gebrauch war. Außerdem hielt ich Bayern insgesamt für rechtsradikal (CSU) und München für die Hauptstadt der Rechtsradikalen (dass die bayrische Landeshauptstadt die sicherste Sozi-Hochburg der Republik ist, weiß außerhalb Bayerns leider so gut wie niemand, zu mächtig ist die finstere Reputation des Umlandes). Trotzdem hatte ich mich dort für einen Job beworben, weil ich an der Uni die Übersicht verloren hatte und nicht glaubte, dass ich da noch mal hingehen würde. Und weil ich meinte, ich könnte mich an einem fernen Ort ganz neu erfinden (Spoiler: das ging nicht, das geht nie. Es liegt nicht in der Natur des Menschen, sich selbst jemals neu zu erfinden.) Die Grüß-Gott-Stimme am Telefon teilte mir mit, man habe meine Bewerbung erhalten und würde mich gerne zum Vorstellungsgespräch einladen.

Das Vorstellungsgespräch war die reinste Katastrophe. Es ging um eine Redakteursstelle bei einer Illustrierten für Computerspiele. Ich besaß erst seit ungefähr einem Jahr einen Computer, und die einzigen Spiele, die ich kannte, waren Duke Nukem 3D und Sam & Max. Die fand ich immerhin so toll, dass ich die Zukunft der Unterhaltung, der Kunst und des Erzählens im Bereich der Computer- und Videospiele sah, womit ich ja auch recht hatte. Ich log faustdick, was meine Qualifikationen anging, und die meisten Lügen flogen noch während des Gesprächs auf.

Noch überraschter als vom ersten Grüß-Gott-Anruf war ich vom zweiten, der mir mitteilte, dass ich den Job hätte, so ich ihn wollte. Ich habe zwar keine Ahnung von der Materie, aber man wolle mal jemanden mit einem „journalistischen Background“ ausprobieren.

Klassische Computerspiele-Illustrierte haben allerdings keinen Bedarf für Journalismus. Die haben nur Bedarf für Buchhalter, die Formulare mit Testergebnissen ausfüllen. Ich kündigte noch vor Ablauf der Probezeit. Eine Panikreaktion, weil ich die Schande einer Kündigung durch den Arbeitgeber entgehen wollte. Rückblickend betrachtet war meine Anstellung wohl nicht so gefährdet, wie ich damals angenommen hatte, meine Arbeit war eigentlich anständig. Die richtige Entscheidung war es dennoch, denn ich war todunglücklich. Wo man einem Chefredakteur wirklich den Begriff ‚Pornomusik‘ erklären muss, und er es dann immer noch nicht versteht, kann man sein lyrisches Federkleid nicht allzu schillernd spreizen.

Eine neue Arbeitsstelle ist freilich stets schnell gefunden. Ich log und schleimte mich in eine PR-Agentur, selbstredend mit schlechtem Gewissen. Zum journalistischen Selbstverständnis gehört es, PR als die dunkle Seite der Macht zu sehen. Ich bekam den Job, weil die Agentur jemanden mit einer „flotten Schreibe“ suchte.

PR-Agenturen haben allerdings keinen Bedarf für „flotte Schreibe“. Die, die ausdrücklich danach suchen, sind die, die am wenigsten Ahnung davon oder Verwendung dafür haben. Eines Tages fragte einer der Agentur-Kunden meine Chefin in vollem Ernst und echter Verzweiflung, ob der Neuenkirchen „vielleicht geisteskrank“ sei, nachdem ich eine seiner Pressemitteilungen mal ohne Mehrkosten etwas „flotter geschrieben“ hatte.

Lange durfte ich dann nicht mehr bleiben. Dennoch erachte ich es bis heute als einen meiner größten beruflichen Triumphe, dass der Schwindel erst neun Monate und zwei Gehaltserhöhungen später aufgeflogen ist.

Falls wer meint, tiefer als PR-Agentur könne man nicht sinken: zwischenzeitlich habe ich noch schwarz bei einer namhaften Werbeagentur gearbeitet. Ich schrieb Rundfunkreklame für eine Möbelhauskette. Es ging um ein Geheimagentenpaar auf der Suche nach überirdischen Angeboten. Die Spots wurden produziert, aber nie gesendet.

Nächster Stopp: eine Verlagsneugründung, dort insbesondere ein sogenanntes Lifestyle-Magazin mit Schwerpunkt Unterhaltungselektronik. Unterhaltungselektronik ist nicht gerade das majestätischste Steckenpferd in meinem Stall, ist allerdings ein Thema, das man sich als geübter Blender schnell aneignen kann. Wegen „flotter Schreibe“ durfte ich in gewissen Bereichen des Heftes machen, was ich wollte, also war ich verhältnismäßig glücklich. Eigentlich bin ich ja ein genügsamer Typ.

Leider sind Menschen, denen die Wahl der richtigen Unterhaltungselektronikkomponenten extrem wichtig ist, in der Regel genau die Menschen, die extrem wenig lesen. Nach 1 ½ Jahren war das Magazin am Ende, ein halbes Jahr später der ganze Verlag. Lag vielleicht auch daran, dass der Verlag relativ wenig Skrupel hatte, wenn es um die Erstattung von Reisekosten ging. Eine Zeit lang war meines ein herrliches Leben im Klischee, ein Leben zwischen Deutschland, Marokko, Spanien, Italien, Großbritannien und Japan. Besonders Japan hatte es mir angetan. Sogar so sehr, dass ich eines Tages bei Edeka im Olympia Einkaufszentrum knapp zwei Euro locker machte und mir das Buch Gebrauchsanweisung für Japan von Gerhard Dambmann vom Grabbeltisch kaufte und mir vornahm: ‚Wenn ich einmal groß bin, möchte ich auch so ein Buch schreiben.‘

Nach der Abwicklung des Verlages ging ungefähr die gesamte Belegschaft zu Amazon. Amazon war mir als Unternehmen schon immer sympathisch. Auf einer Party anlässlich der Angebotserweiterung um Video- und Computerspiele, zu der ich einmal als Pressevertreter eingeladen war, gab es leckeres Dosenbier und gelbe Amazon-Badehandtücher als Geschenk. Meines hat extrem lange gehalten und war stets sehr flauschig. Also hatte ich mich gleich dreifach dort beworben: als Redakteur für Bücher, als Redakteur für Videokassetten und notfalls als Redakteur für Unterhaltungselektronik. Letzteres bin ich dann erst mal geworden, wohl wegen beruflicher Vorbelastung.

Meine knapp 15 Jahre bei Amazon brachen endlich den Fluch meiner Reputation als beruflich flatterhaft, die mir mein dreifacher Wechsel in nicht mal drei Jahren eingebracht hatte (dabei war nur der erste Wechsel komplett auf meinem eigenen Mist gewachsen). Ich würde die Amazon-Ära folgendermaßen bilanzieren: 7 magere Jahre, 7 fette Jahre, und eines, in dem ich schon nicht mehr so richtig da war (würde ich auch in der Kategorie ‚fett‘ sehen). Insgesamt keine schlechte Bilanz für ein Arbeitsverhältnis, finde ich. Arbeit ist schließlich Arbeit, und Ponyhof ist Ponyhof, und wenn man nicht gerade auf einem Ponyhof arbeitet, sind das zwei sehr unterschiedliche Dinge. Diesen Umstand habe ich nie als skandalös empfunden.

Selbstverständlich besteht das Leben nur zu einem Bruchteil aus Arbeit, der Rest ist Ponyhof. Das Büro meines frühen Lifestyle-Jobs war passenderweise in der Nähe von Straßenstrich und Kunstpark Ost. Letztere Nähe nutzten die Kollegen und ich recht ungehemmt. Zum Trinken, aber mitunter sogar zum Tanzen. Der Kunstpark war sozusagen unser Ponyhof. Hier feierte ich angstfrei meinen 30. Geburtstag unter Kollegen, die mir Freunde geworden waren, darunter auch CSU wählende Bayern. Einer von ihnen ließ zu vorgerückter Stunde gerne mal die Fäuste sprechen. Vor allem dann, wenn jemand sich anschickte, den Ausländern in unserer Gruppe blöd zu kommen. Sein Wahlverhalten heiße ich trotzdem nicht gut, das kann man auch anders lösen.

Später wurde der Kunstpark umbenannt in Kultfabrik und wurde genauso schrecklich wie dieser Name. Man ging dann nur noch notgedrungen und widerwillig zu unverzichtbaren Konzerten hin und danach schnell wieder weg. Als das Areal im letzten Jahr komplett geschlossen wurde, war es einem schon gänzlich egal. Bei meinem letzten Besuch wurde ich auf dem (kurzen) Weg vom Ostbahnhof zur Kultfabrik dreimal von unterschiedlichen Händlern angesprochen, ob ich gerne Drogen kaufen würde. Nein, wollte ich nicht, will ich nie. (Kleine Randnotiz für besorgte Bürger: Kein Grund zur Besorgnis; die fliegenden Händler waren allesamt weiße Milchgesichter in teurer Marken-Ghetto-Garderobe). Der Zweck meines Besuches war ein Konzert von Peter Murphy gewesen, ihm ging es an dem Abend auch nicht so gut. Hatte sich vielleicht auf dem Weg was andrehen lassen.

Zweimal musste ich in München eine Wohnung suchen, beide Male war es ein Kinderspiel. Ich kenne die epischen Horrorgeschichten anderer Wohnungssuchender und komme nicht umhin, ihnen eine Mitschuld zu geben. Sie scheinen an ihren eigenen Ansprüchen zu scheitern. Offenbar besteht jeder auf ein geräumiges Apartment im Glockenbachviertel oder in Schwabing oder sonst wo direkt über der eigenen Stammszenekneipe, selbstverständlich Altbau mit Parkettboden, und selbstverständlich technisch und hygienisch auf dem neuesten Stand und bitteschön bezahlbar vom Praktikumsgehalt. Ich hingegen habe rund 18 Jahre in Moosach gut und günstig gewohnt. Zuerst mit Teppichboden, bin ich auch nicht dran gestorben. Einer meiner Vermieter war besser als der andere, in Ordnung waren beide. Ich habe nie eine Wohnungsbesichtigung erlebt, bei der mehr Interessenten als meine Frau und ich anwesend waren. Ich habe es nicht als Zumutung empfunden, ein paar Stationen mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu müssen, wenn ich etwas mehr Aufregung haben wollte, als Moosach zugegebenermaßen zu bieten hat. Tatsächlich glaubte ich, dass die Distanzüberwindung im Begriff ‚Ausgehen‘ mitschwingt (für viele ist das aber wohl nur ein Synonym für ‚vor die Türschwelle treten‘).

Meine Zeit in München war nicht zuletzt eine Zeit stetiger Gesundung. Das mag mehr an der Zeit und der zunehmendem Alterseinsicht liegen als am Ort, im Bewusstsein wächst es trotzdem zusammen. Während ich eines Silvesters alleine zu Hause saß, so wie ich es gerne tat, und den Film Elementarteilchen schaute, sagte ich mir: ‚Wie wäre es, wenn ich mir nach dieser fast leeren Zigarettenschachtel nie wieder eine neue kaufe?‘ Und so kam es, dass ich mich bezüglich Elementarteilchen in erster Linie daran erinnere, dass ich während des Schauens meine letzte Zigarette geraucht habe. Ob ich sie rauchte wie Houellebecq, weiß ich nicht mehr.

Zu illegalen Drogen hatte ich in Bremen stets ein Verhältnis wie zu Toffifee: Ich habe mal ein oder zwei genommen, wenn welche auf dem Tisch standen; ich wäre aber nie auf die Idee gekommen, mir selbst welche zu kaufen (der Fachterminus ist wohl ‚Schnorrer‘). Da in München nie jemand welche auf meinen Tisch gestellt hat (Drogen, nicht Toffifee), durchlebte ich den unspektakulärsten kalten Entzug aller Zeiten.

Mein Alkoholkonsum, das muss ich eingestehen, blieb lange Zeit auf einem hohen Niveau, das bei aufgekratzten Teenagern vielleicht niedlich ist, bei Volljährigen allerdings eher traurig und beunruhigend. Ich war überrascht, wie einfach die Lösung war: Sport. Als aufgekratzter Teenager hatte ich stets gehässig über all die gut gemeinten Gesundheitskampagnen gekichert, die sogenannten ‚Kids‘ weismachen wollten, dass Sport viel mehr Böcke mache als Drogen, Alter. Das Problem dieser Kampagnen, so weiß ich inzwischen, ist nicht, dass die Aussage nicht stimmt. Das Problem ist, dass die Kids das nicht glauben. Könnt ihr aber, Kids.

Natürlich trinke ich weiterhin Alkohol, ich bin ja nicht blöd. Allerdings inzwischen auf familienfreundlichen Niveau.

Das war nun also in sehr groben Zügen Episode 2: München. Und so vieles wurde noch nicht mal angerissen. Etwa wie ich einmal Gefangener einer religiösen Sekte war. Oder wie ich eine Bande mallorquinischer Poker-Betrüger verklagte. Und die Familienwerdung scheint mir auch nicht ganz unerheblich.

War diese Episode besser oder schwächer als Episode 1: Bremen? Schwer zu sagen, sie war halt anders. Vielleicht ein kleines bisschen erwachsener, also mit mehr Längen. Jetzt freue ich mich auf jeden Fall auf Episode 3: Tokio.
(Die Bilder dieses Beitrags stammen übrigens von der verehrungswürdigen Quasi-Ko-Autorin meines nächsten Buches Matjes mit Wasabi.)

Deutsch-amerikanischer Monster Mash (DaMM)

Die ausklingende Woche war bestimmt von zwei unangenehmen Themen: Halloween und Akif Pirincci (Abb. unten).

Wäre die Halloween-Industrie hierzulande so auf Zack wie im Ursprungsland, hätte längst eine findige Firma ein Akif-Pirincci-Halloweenkostüm herausgebracht. So aber müssen wir die Themen isoliert betrachten, obwohl sie so viele Steilvorlagen für Verquickung bieten.

Im Gegensatz zum Thema Akif Pirincci ist es mir beim Thema Halloween ein bisschen unangenehm, dass es mir unangenehm ist. ICH bin ja nun nicht jemand, der meint, Deutschland vor außerkulturellen Einflüssen schützen zu müssen. Ich weiß nicht so recht, woher meine Abneigung gegen ausgerechnet dieses Fest kommt. Es wird eine Gefühlssache sein, doch das darf ich nicht zulassen. Emotionen sind das Metier der Schlechtmenschen, die ihre militanten Abneigungen gegen alle, die nicht haargenau so sind wie sie, aus irgendwelchen diffusen Angstgefühlen speisen. Ich glaube nicht, dass meine Abneigung etwas mit Antiamerikanismus zu tun hat. Ein Land, das uns Fast & Furious und die Craft-Beer-Bewegung geschenkt hat, kann kein schlechtes Land sein. Ich glaube auch nicht, dass es was mit der kommerziellen Travestie zu tun hat, zu der dieses Volksfest inzwischen verkommen ist. Dann müsste ich ja auch etwas gegen Weihnachten haben, und das ist freilich undenkbar (wer jetzt übrigens noch nicht alle Weihnachtsgeschenke beisammen hat, setzt seinem Leben die falschen Prioritäten). Möglicherweise hat es etwas mit der Verniedlichung von Horrorsujets zu tun, da verstehe ich keinen Spaß. Horror muss aus den Augen bluten und aus halbzerkauten Gedärmen dampfen, das ist einfach nichts für die ganze Familie.

Und dann doch – gestern beinahe die geistige Kehrtwende. Am frühen Abend auf dem Weg vom Einkaufszentrum nach Hause, passiere ich mehrere Kindergruppen in Halloween-Kostümierungen, alle haben einen Heidenspaß (also ganz im Sinne dieses heidnischen Brauches). Es ist leicht zu erkennen, dass sie unter der Schminke alle unterschiedliche Hautfarben haben, und so ein Bild wärmt einem unverbesserlichen Gutmenschen wie mir natürlich verlässlich das Herz. Am späteren Abend klicke ich dann die Wochenendausgabe der Taz auf – und finde dort einen Artikel, in dem fast genau dasselbe steht, was ich zuvor gedacht hatte: Halloween kann man zwar muffelig blöd finden, aber es ist das einzige Fest, das Kinder aus allen Kulturkreisen miteinander feiern können. Zumindest steht das sinngemäß in der Überschrift und in der Einleitung. Gelesen habe ich den Artikel nicht, am Wochenende habe ich keine Zeit zum Zeitunglesen.

Nach all dieser Fühlerei komme ich schließlich zum Denken und merke: völliger Quatsch. Kinder aller Kulturen können alle möglichen Feste gemeinsam feiern. Zum Beispiel Geburtstag, Silvester, Fasching, Zurück-in-die-Zukunft-Tag. Wenn man sie lässt, können sie selbstverständlich auch Weihnachten und das Fastenbrechfest gemeinsam feiern. Der Kulturenverständigung wird es nicht schaden. Halloween braucht niemand.

Und so haben wir dann gestern wieder das getan, was wir immer tun, wenn an Halloween einer klingelt und im Treppenhaus Kinderkichern zu hören ist: So getan, als wären wir nicht da. Wir haben halt nichts Süßes (nicht aus Gehässigkeit, sondern aus Unachtsamkeit, weil dieser Tag eben in unserem kulturellen Kalender keine Rolle spielt). Ich hätte nicht mal sagen können: „Hier, Kinder, habt ihr ein paar Katzenkrimis, die ich gerade ausgelistet habe. Viel Spaß damit und Happy Halloween!“

Die habe ich nämlich bereits im letzten Jahr ausgelistet, als es auf allen Kanälen unübersehbar wurde, was deren Autor für einer ist. Ja, ich hatte welche und sie sogar gut gefunden – obwohl ich noch nie Katzentyp und seinerzeit noch nicht mal Krimityp war. Ein Beleg für Pirinccis Talent. Ist ja nicht so, dass der nichts kann. Ist leider nur so, dass da irgendwann was schiefgelaufen ist. Nun war er in der letzten Woche wieder in den Nachrichten, weil seine Krimiverlage und viele Buchhändler seine Werke nach einer untragbaren (wenn auch in den meisten Medien böswillig falsch oder missverständlich zitierten) Rede ausgelistet haben. Daran gab es Kritik, auch von einigen vernünftigen Menschen und von Thor Kunkel. Letzteres darf man gerne ignorieren. Wer den Fehler gemacht hat, Kunkel einmal in den sozialen Netzwerken zu besuchen, wird wissen, dass der Mann Pirinccis Bruder im Geiste ist. Möglicherweise momentan noch ein kleiner Bruder. Aber ich hege den Verdacht, dass in ihm bereits der nächste pirinccieske Super-GAU brodelt. Bedenklich ist, wie das Feuilleton ihn nach wie vor allenfalls als putziges Ex-Wunderkind sieht, das jetzt heimelige Bergbücher schreibt. Das sagt, wieder einmal, mehr über das deutsche Feuilleton als über den Autor.

Es wurde bemängelt, dass eine Auslistung Pirinccis Zensur sei; dass in einem freien Land ein freier Buchkäufer die Bücher müsse kaufen dürfen, die er kaufen möchte, auch schlechte und dumme Bücher, auch gute Bücher von schlechten und dummen Menschen.

Ich finde auch, dass diese Auslistungen ein Skandal sind. Es ist skandalös, dass sie erst jetzt geschehen sind. Spätestens mit Erscheinen der Hassschrift Deutschland von Sinnen wusste wirklich jeder und seine Mudder, was Pirincci für einer ist. Man konnte es schon vorher wissen, er rabaukte bereits in einschlägigen Blogs und Nischenzeitschriften herum (war allerdings auch an mir vorbeigegangen, ich lese keines von beiden). Aber die Buchhändler sagten sich wahrscheinlich: „Na ja, solange er nicht im Stechschritt und Hitlerkostüm durch die Fußgängerzone marschiert und ‚KZ!‘ sagt, nehmen wir das Geld gerne mit.“

Es stimmt, dass ein freier Buchkäufer in einem freien Land kaufen dürfen muss, was er will. Genauso darf aber ein freier Buchverkäufer frei entscheiden, was er verkaufen möchte, und eben was nicht. Das ist keine Zensur, sondern gelebte Demokratie.

Ein Teil von mir fantasiert übrigens noch immer, dass sich eines Halloweens Akif Pirincci wie ein Joaquin Phoenix aus der Asche das Akif-Pirincci-Kostüm vom Körper reißt und ruft: „April, April! War alles nur Spaß mit versteckter Kamera! Der Film ab Donnerstag im Kino: Naziquatsch und andere Kleinigkeiten, Regie Sönke Wortmann, Musik Tom Tykwer!“

Ichi, ni – g’suffa [Kaiho-Kolumne]

In der aktuellen Ausgabe der Mitgliederzeitschrift der Deutsch-japanischen Gesellschaft in Bayern ist meine aktuelle Kolumne Panama Geisha und das harte Brot des Heimwehs zu lesen. Dabei handelt es sich um eine etwas kürzere Version eines Textes, der im Internet bereits hier zu finden ist. Drum wird er in diesem Blog nicht noch mal erscheinen, bei Drittverwertung ziehe ich die Grenze. Hier allerdings gibt es nun die vorletzte Kolumne für alle Welt in Zweitverwertung.

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Seit sich einmal während der Oktoberfestsaison auf dem Münchner Hauptbahnhof ein blümeranter Rolltreppenbenutzer von oben auf mich herab übergeben hat, gehe ich nur noch in Ausnahmesituationen aufs Oktoberfest. Zugegebenermaßen bin ich vorher auch nur in Ausnahmesituationen aufs Oktoberfest gegangen. Die Musik entspricht nicht meinen Neigungen, vor Karussells habe ich auch von außen Angst und Bier trinke ich lieber in gemütlicher Runde als in ungemütlicher Reihe. Aber seit dem Bahnhofrolltreppenereignis habe ich wenigstens eine launige Anekdote als Bonusbegründung, warum ich der alljährlichen Narretei in den meisten Jahren fernbleibe.

Dieses Jahr ist allerdings nicht wie die meisten Jahre. In diesem Jahr war ich bereits zweimal auf dem Oktoberfest. Nun gehe ich davon aus, dass diese Kolumne im Juli erscheint, geschrieben wurde sie jedenfalls im Juni. Da darf man sich als kritischer Leser rechtens fragen: Dieses Jahr schon zweimal auf dem Oktoberfest – wie macht er das bloß?

Ganz einfach, ich habe nicht die ganze Wahrheit gesagt: ich war nicht zweimal auf dem Oktoberfest, ich war zweimal auf einem Oktoberfest. Noch genauer gesagt war ich jeweils einmal auf zwei verschiedenen Oktoberfesten. Zuerst auf dem im Hibiya Park, dann auf dem im Komazawa Park.

In Japan gibt es rund 30 verschiedene Oktoberfeste, die meisten davon sinnvoll in den verlässlich warmen Monaten platziert. Da kann es schon mal zu Ballungen kommen, weshalb ich innerhalb weniger Wochen zweimal in derselben Stadt, Tokio, an unterschiedlichen Orten in den Genuss kommen konnte. Der Genuss mag ein fragwürdiger sein, denn selbstredend zeigt sich die deutsche Küche hier nicht immer von ihrer appetitlichsten Seite, und ich befürchte auch nicht immer von ihrer authentischsten. Ich könnte schwören, bei meiner Currywurst war Bockwurst unter dem Curry. Anständiges Essen mag freilich eh nicht die allerhöchste Priorität bei einem Oktoberfestbummel haben. Beim Bier geht es authentischer zu, zumindest authentisch deutscher, nicht unbedingt authentisch bayrischer. Ich weiß nicht, wie viele Maß Kölsch auf dem Münchner Oktoberfest erfolgreich verkauft werden. Auch das Markenreinheitsgebot sieht man nicht so eng. Als ich an der ausdrücklichen Beck’s-Bude für eine Begleitung ein alkoholfreies Bier bestelle, bekomme ich tatsächlich ein alkoholfreies Radler von Paulaner. Daraufhin erkläre ich meiner japanischen Gesellschaft, dass das in Deutschland auf keinen Fall möglich wäre. Dass die Brauereien dort wie verfeindete Yakuza-Clans seien, die jeden Wirt einen Kopf kürzer machen, der trotz Treueschwur das Bier eines anderen ausschenkt.

Es stellt sich heraus, dass meinen japanischen Bekannten das relativ egal ist. Sie freuen sich an gutem Bier, fragen nicht woher, mampfen fröhlich Currybockwurst und ringen sich ein paar Komplimente dazu ab („Interessant!“), schaukeln zu „Ro-sa-mundäää!“ und lassen sich pünktlich alle 30 Minuten von der japanischen Zeremonienmeisterin im Dirndl animieren: „Mina-san – guten Tag!!!“ Deren hauptsächliches Anliegen ist es selbstverständlich, auf die Verkaufsstände mit Oktoberfestandenkenartikeln hinzuweisen.

Wer auf den japanischen Oktoberfesten ein Weilchen nüchtern bleibt (allzu betrunken wird man angesichts der Preise eh nicht), wird schnell ein unheimliches Déjà-vu-Erlebnis haben: immer die gleichen Buden, die gleiche Musik, die gleiche bayrische Showband mit Originaloktoberfestgütesiegel (jetzt weiß man wenigstens, was diese Band den Rest des Jahres macht). Und wenn man ganz genau hinsieht: dasselbe Personal in den Buden, dasselbe Posterdesign, dasselbe Programmheft. Es gelingt mir ohne Weiteres, einen übriggebliebenen 100-Yen-Coupon vom Hibiya Park im Komazawa Park einzulösen. Ja, im Grunde sind diese vermeintlich verschiedenen Oktoberfeste doch ein einziges. Sie sind eine Marke, die Starbucks-Version von German Gemütlichkeit. Haben die Buams und Madels ihre Zelte in Komazawa abgebaut, ziehen sie weiter zur nächsten japanischen Grünfläche (Nara, geschlussfolgert anhand des Tourneeplans auf der Homepage der Band Die Kirchdorfer).

Ich hatte nie ein gesteigertes Bedürfnis, mit dem Zirkus davonzulaufen. Doch vielleicht laufe ich eines Tages mit dem Oktoberfest davon. Ich lasse mich in 100-Yen-Coupons bezahlen und ernähre mich von Bockwurst und alkoholfreiem Radler, wenn ich genügend Coupons gesammelt habe. Ich habe keine Gewissensbisse, den Japanern ein einseitiges Bild vom Deutschen an sich zu vermitteln. Die sollen sich lieber an den freundlichen Bierbankschunkler halten, als an den deutschen Supermarktkassierer oder Busfahrer.

Ein bisschen Bond muss sein

Eigentlich habe ich immer noch keine Zeit zum Bloggen, aber ich muss kurz mal erklären, was Rassismus ist. Also: Wenn einer sagt, Roberto Blanco war (warum eigentlich ‚war‘?) „ein wunderbarer Neger“, dann ist das rassistisch. Selbst wenn derjenige meint, es nicht so gemeint zu haben.

Wenn hingegen einer sagt, er fände, dass Idris Elba nicht die Idealbesetzung für die Rolle des James Bond ist, dann ist das zunächst mal nur eine Meinung. Eine, die man als hyperempfindliche Fanperson gerne leidenschaftlich diskutieren darf. Aber bitte nicht leidenschaftlicher als die gute, alte „Connery oder Moore?“-Gewissensfrage.

Wenn man den zweifellos großartigen Elba (ohne Abb.) als Bond kritisch sieht (ich tue das nicht, meinetwegen soll er Bond spielen; meinetwegen kann er auch Yuka Sato spielen), stellt sich die Frage nach dem Warum, bevor sich einer (oder gleich die ganze Welt das halbe Internet) aufplustert und „Rassismus!“ schreit. Anthony Horowitz, Autor des aktuellen Bond-Romans Trigger Mortis, hat seine vorsichtig kritische Haltung damit begründet, dass Elba für die Rolle zu „street“ sei. Die Aufregung war groß, die weltweite Nachrichtenlage geizt ja auch gerade mit anderen Aufregerthemen.

Ich sage es frank und frei: Horowitz‘ Meinung war auch mein erster Gedanke, als die Elba-Gerüchte aufkamen. Nur nannte ich es nicht „street“, sondern „breitschultrig und geduckt“. Ich bin mir sicher, dass Horowitz ebenfalls genau das meinte. Andere meinen, das meine er nicht, sondern er meine „schwarz“, wenn er „street“ sagt. Dass er im selben Interview, in dem er sich den vermeintlichen Fauxpas leistete, einen anderen schwarzen Schauspieler als geeigneteren Kandidaten nennt, wird ihm nicht etwa mildernd angerechnet, sondern als noch rassistischerer Rassismus ausgelegt: was bildet sich der feine weiße Herr eigentlich ein, dass er bestimmen dürfe, wer ein wunderbarer und wer ein nicht so wunderbarer Neger wäre?

Dass manche leicht Entflammbaren „street“ mit „schwarz“ gleichsetzen, spricht eher für ihr eigenes rassistisches Weltbild als für ein bei Horowitz vermutetes. Horowitz‘ Fehleinschätzung, genau wie meine ursprüngliche, basiert auf Elbas Paraderolle DCI Luther, den impulsiven, straßenkämpfenden Stiernacken-Cop aus dem Fernsehen. Die Rolle spielt er so überzeugend, dass man ihn schon mal für ganz schön „street“ halten kann. Ich habe meine Elba-Bond-Meinung erst geändert, als ich Elba im Frack über rote Teppiche schweben sah.

Ich finde übrigens den weißen Bond-Favoriten Tom Hardy jetzt zu „street“. Das liegt vor allem daran, dass ich ihn nur als den Nuschler aus dem Batman-Film kenne und davon gehört habe, dass er Mad Max spielt. Vermutlich kann er aber auch anders, also bitte nicht übel nehmen. Ist ja nur meine Meinung.

Mit dieser wage ich mich jetzt sogar noch tiefer rein ins Minenfeld und sage: Man darf in Ausnahmefällen sogar finden, dass Idris Elba zu schwarz ist, um Bond zu spielen. Puh, ich weiß, das wird heikel. Es kommt halt drauf an, ob man an der literarischen Figur festhält, oder die Gepflogenheiten der Filminterpretationen akzeptiert. Der Ur-Bond der Fleming-Romane ist, anders als der Film-Bond, kein leeres Gefäß, das dankenswerterweise alle paar Jahre mit frischem Zeitgeist aufgefüllt wird, sondern hat eine sehr klar definierte Biografie, sogar einen detaillierten Stammbaum. Auf Grundlage dessen wäre es zumindest sehr, sehr unwahrscheinlich, dass James Bond als etwas anderes als ein kleiner Kaukasier geboren werden könnte.

Aber erstens ist Bond eh eine sehr, sehr unwahrscheinliche Figur, zweitens scheren sich zum Glück die Filme einen Dreck um die Romane, die zu einem Großteil ziemlich töricht sind. Der Film-Bond tritt mit jedem neuen Bond-Darsteller in eine neue Bond-Ära. Es ist Zeit für die Elba-Ära. Vielleicht sogar für die Street-Ära.

Ein gern gehörteres Argument gegen Elba als seine Hautfarbe ist sein Alter. Ein Außendienst-Agent in den 40ern sei eben unrealistisch.

Etwas Unrealistisches in einem Bond-Film?! Nein, das geht auf gar keinen Fall!

Flachs beiseite, Idris Elba wäre schon eine gute Wahl. Das einzige, was mich an ihr stört, ist, dass sie inzwischen ein bisschen zu offensichtlich ist. Lieber lässt man sich doch überraschen.

Festzuhalten wäre für die Schlechtmenschen, die gerade vom Stammtisch oder vom Zündeln heimkommen, dass ein schwarzer Bond selbstverständlich kein politisch-korrektes Marketing-Gimmick ist, sondern nur ein konsequentes Erkennen und Anerkennen der Tatsache, dass nun schon seit geraumer Zeit nicht jeder echte englische Engländer automatisch blütenweiß ums Näschen daherkommen muss. Sicherlich auch nicht jeder Geheimagent.

Wenn ich allerdings ganz ehrlich bin, habe ich gar keine allzu große Meinung zu der Frage, wer der nächste Bond sein sollte. Mir ist es wichtiger, dass die Filme gut werden. Ich teile durchaus die langweilige Konsensmeinung, dass George Lazenby und Timothy Dalton keine Idealbesetzungen waren (obwohl Dalton nah dran kam). Andererseits gehören alle ihre Filme zu den allerbesten, die die Reihe zu bieten hat. Bond ist keine sonderlich spannende Figur, sie braucht keinen sonderlich spannenden Darsteller. Kennt eigentlich noch jemand Andreas Elsholz?

(Kurz mal eben zur Causa Lazenby: interessanter Typ, und seinerzeit gar nicht so unbeliebt, wie es retrospektiv dargestellt wird. Tatsächlich wurde er mehrfach bekniet, für mehrere Bond-Filme zu unterschreiben. Nur war er der Meinung, diese albernen Schnickschnackstreifen stünden seiner großen Kunstkinokarriere im Weg.

Hab ja nur gesagt: interessanter Typ ist. Nicht: ausgewiefter Fuchs.)

Als vor ein paar Jahren die James-Bond-DVD-Komplettbox so schleuderbillig wurde, dass man sie nicht nicht kaufen konnte, habe ich mir mal den Spaß gemacht alle Filme hintereinander weg zu sehen, natürlich mit Schlaf- und Arbeitspausen. Ich war schockiert, wie schnell Sean Connery verblasste. In jungen Jahren hätte ich noch jedem die Nase blutig geschlagen, der die Connery/Moore-Frage debil lächelnd mit „Roger Moore!“ beantwortete. Doch jetzt sah ich einen Connery, der zwei Filme lang strahlte, und ab Goldfinger nur noch lustlos durch die Kulissen schlurfte, auf der Suche nach seinem Gehaltscheck.

Was war es für eine Wohltat, als in Leben und sterben lassen endlich Roger Moore mit seinem Charme und seiner Spielfreude das Ruder übernahm! Diese Spielfreude ließ zwar Unken zufolge auch im Laufe seiner Karriere nach, aber ich sage: das ist Erbsenzählerei gegen Connerys Sturzflug. Ganz ehrlich: Diamantenfieber hätte niemals veröffentlicht werden dürfen. Octopussy Meisterwerk dagegen.

Will damit eigentlich nur sagen: Lieblings-Bond ist ein Rotationsjob, und letztendlich hat die Qualität des Hauptdarstellers keinen großen Einfluss auf die Qualität des Films (Diamantenfieber hat weiß Gott noch größere Probleme als die unrealistische Sean-Connery-Puppe, die da immer in die Kamera gehalten wird). Bond-Filme sind keine Schauspielerfilme, sondern wunderbare Schnickschnackstreifen.

Und ganz eigentlich will ich sagen: am liebsten wäre mir, wenn der nächste Bond eine asiatische Frau wird. Und ich möchte jetzt nicht hören, dass Lucy Liu zu alt für irgendwas sei.

Was alles los ist, wenn hier nichts los ist

Davon auszugehen, dass sich gleich jemand Gedanken oder gar Sorgen macht, nur weil einer mal nicht bloggt, hat ja etwas leicht Anmaßendes. Ich möchte mir auf keinen Fall etwas anmaßen. Andererseits wäre es auch traurig davon auszugehen, dass das alles eh gar niemanden interessiert. Deshalb möchte ich mich heute auf den eigentlich gar nicht so schmalen Grat zwischen Selbstüberschätzung und Selbstverleugnung begeben und diejenigen beruhigen, die sich eine oder mehrere der folgenden Fragen gestellt haben:

  • Ist ihm etwas zugestoßen?
  • Hat er sich in einem komischen Land eine unkomische Krankheit geholt?
  • Hat er sich eine von diesen Schreibblockaden eingefangen, die gerade grassieren?
  • Oder hat der feine Herr etwa nach nur sechs kurzen Jahren schon wieder das Interesse an diesem Blog verloren und möchte jetzt lieber ein Pony?

Die Antwort auf jede dieser Fragen: I wo! Mir und diesem Blog geht es prächtig, wir haben nur momentan nicht so viel Zeit füreinander. Wir führen eine offene Beziehung, die auf Vertrauen und Ehrlichkeit beruht, deshalb sage ich ganz ehrlich: ich habe mich in letzter Zeit auch mit anderen Blogs getroffen. Etwa mit dem Magazin des Conbook Verlages, für das ich während meines Japanaufenthalts im Mai und Juni über das Reisen mit Halbblut, die Sache mit der Mehrwertsteuer und das harte Brot des Heimwehs geschrieben habe. Man kann also nicht mal sagen, dass ich zuletzt deutlich weniger gebloggt hätte als üblich. Ich habe es nur anderswo getan.

Generell habe ich in den letzten Tagen, Wochen, Monaten eher mehr denn weniger als sonst geschrieben. Es sollen nach Möglichkeit Bücher draus werden. In der Vergangenheit habe ich genau zweimal den Fehler gemacht, meinen übersprudelnden Enthusiasmus nicht für mich zu behalten und öffentlich über Bücher sprechen, die vertraglich noch nicht komplett spruchreif waren. In beiden Fällen ist dann kurz vor knapp doch nichts draus geworden. Seitdem halte ich mich mit entsprechenden Details bedeckt. Spruchreif ist selbstverständlich der dritte Yuka-Sato-Roman, der gerade meine Hauptschreibarbeit ist. Zum ersten Mal in dieser Reihe möchte ich den Titel verschweigen, bis es soweit ist. Ich habe ihn nämlich selbst gerade kopfmäßig von einem total langen Drei-Wörter-Arbeitstitel zu einem knackigen Ein-Wort-Arbeitstitel geändert. Wer weiß, was mir noch so alles einfällt. Anvisiert ist jedenfalls ein Erscheinen im Herbst nächsten Jahres. Ja, das macht die Wartezeit etwas länger als die zwischen den ersten beiden Bänden, und nein, auch das hat nichts mit Blockade oder Unlust zu tun. Sondern damit, dass es der Herbstroman wird, wie aufmerksame Leser wissen. Am liebsten wäre es mir, wenn jeder der vier geplanten Romane in der Jahreszeit erschiene, in der er spielt. Das geht leider nicht ganz, denn auf dem Buchmarkt gibt es nur zwei Jahreszeiten (Frühling und Herbst).

Sollte sich bei den anderen Buchprojekten etwas konkretisieren, werde ich es auf meiner Autorenseite bei Facebook sofort herausposaunen und irgendwann ausführlicher auch hier. Bis dahin werde ich viel an diesen Blog denken. Obwohl ich weiß, dass er vom Denken nicht voll wird. Doch es gibt eine Zeit für Gedanken, und es gibt eine Zeit für Taten. Und es gibt eine Zeit, in der man eine Sache tut, und an eine andere Sache nur denkt. Und es kommt die Zeit, in der sich dieses Verhältnis wieder umkehrt. Aber jetzt ist die Zeit, in der ich keine Zeit mehr habe, weil ich versprochen habe: nur eine halbe Stunde, Schatz!

Mit dem Beagle-Bus ins Natto-Land [Kaiho-Kolumne]

In der aktuellen Ausgabe der Mitgliederzeitschrift der Deutsch-japanischen Gesellschaft in Bayern ist meine aktuelle Kolumne Ichi, ni – g‘suffa zu lesen. Drum gibt es die vorletzte Kolumne nun hier für alle Welt in Zweitverwertung.

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Zwei der Initiationsriten, mit denen Außenstehenden die höheren Weihen der japanischen Lebensweise erfahren, sind Bus fahren und Natto essen. Möglichst nicht beides auf einmal, das wäre unschicklich. Schon beides für sich ist mit gewissen Unsicherheiten verbunden. Netz- und Fahrpläne sowie das Bezahlsystem von Buslinien sind weniger selbsterklärend als die Äquivalenzen im Schienenverkehr, das kann schon abschrecken. Und wie kann man einer Abschreckung am effektivsten entgegenwirken? Mit unwiderstehlicher Niedlichkeit! Mir nahm ein Beagle die Angst vorm Bus. Es handelte sich um das gezeichnete Maskottchen der lokalen Buslinie im Tokioter Bezirk Bunkyo, in dem ich eine Zeit lang wohnte. Der Bus wurde freilich Beagle-Bus bzw. Biguru-Basu genannt. Der freundliche Hund verschönte die Haltestellen und die blauen Sitzpolster der Fahrzeuge, auf denen er in verschiedenen Posen, bei verschiedenen Aktivitäten und in unterschiedlichen Gemütsverfassungen abgebildet war. Mal hatte er eine kleine Beagle-Freundin dabei, mal weinte er ganz alleine dicke Tränen. Vielleicht hatte ihn seine kleine Freundin da gerade verlassen. Es war bestimmt nur vorübergehend. Mir jedenfalls gab der Beagle Sicherheit: mit einem so süßen Hund an meiner Seite kann ich mich gar nicht verfahren. Und falls doch, wird es schon nicht so schlimm sein. Stattdessen wird ein kleines Abenteuer draus, mit klassischer Besetzung – ein Junge und sein Hund.

Maskottchen machen eben einiges leichter, auch im lukullischen Bereich. An einer Baustellenfassade in Schwabing las ich unlängst ein von Narrenhänden hinterlassenes Graffito: „NO NATO!“ Da ich gedanklich immer ein bisschen in Japan bin, hatte ich mich zuerst verlesen und meinte, dort stünde: „NO NATTO!“ Ich dachte: „Ach, ich bin auch kein großer Freund der fermentierten Sojabohnen, aber man kann sich dran gewöhnen. Kein Grund, seine Abneigung auf Öffentliches zu schmieren.“ Tatsächlich verlief meine erste Verköstigung der klebrigen Spezialität, die in Japan eine von ca. 2 Millionen Nationalspeisen ist und als ungemein (und unrealistisch) gesund gilt, genauso, wie Japaner es sich wünschen: ich keuchte und ächzte, ich konnte mein Tellerchen nicht aufessen; dabei bin ich wirklich kein komischer Esser. Solche Reaktionen freuen die Einheimischen, denn sie sehen sich und ihre Nationalgerichte gerne als etwas ganz Besonderes, so wie alle anderen Menschen auf der Erde auch. Nach weiteren Begegnungen mit Natto machte ich meinen Frieden damit, obwohl ich weiterhin der Auffassung bin, dass die, die behaupten, Natto regelrecht zu mögen, schlichtweg lügen.

Die Akklimatisierung meines Gaumens brauchte ein paar Jahre, so lange können japanische Natto-Produzenten jedoch nicht warten. Es gibt eine Natto-Krise. Die Konsumenten brechen weg, weil die Reiskonsumenten wegbrechen (nur mit Reis ist das Zeug nämlich genießbar, wobei ‚genießbar‘ zu viel gesagt ist). Deshalb ist man bemüht, ins Ausland zu expandieren. Insbesondere Frankreich hat man im Visier, denn in Frankreich gelten schon andere verdorbene Lebensmittel als Delikatesse (so wird es nicht wörtlich ausgedrückt, aber sinngemäß). Für die Eroberung des deutschen Markt hätte ich gleich einen Tipp: Da der Deutschen Reis das Brot ist, könnte man die Bohnen mit Billigschokolade vergären und als Brotaufstrich Nattella ins Regal bringen.

Um den Erfolg im Ausland zu befeuern, hat man sich zwei Strategien überlegt. Die eine ist eine neue Rezeptur, die Natto weniger klebrig macht. (Wer mal vom Natto genascht hat, mag einwenden, dass die Klebrigkeit eigentlich nicht das grundlegendste Problem von Natto ist.) Die zweite Strategie ist natürlich: ein Maskottchen. Glücklicherweise gab es bereits eines, das den Natto-Kreuzzug bereitwillig auf sich genommen hat. Nebaaru-kun, ein unförmiges Häufchen aus der Präfektur Ibaraki, macht gerne Natto-affine Wortspiele (neba heißt klebrig) und ist gerade drauf und dran, weit über Ibaraki hinaus ein Star der Maskottchen-Szene zu werden.

Dennoch war Neebaru-kun vermutlich noch niemals in New York. Sein ärgster Konkurrent unter den aufstrebenden Lokal-Maskottchen Funassyi, ein birnenförmiger Repräsentant der Stadt Funabashi, schon. Er ist die vierte japanische Persönlichkeit, die als Foto ins Empire State Building gehängt wurde, nach dem Kronprinzen, dem Botschafter und Yoko Ono. Aber die meiste Zeit wird Funassyi zukünftig wohl in Funassyiland verbringen, einem eigenen Laden in einem beliebten Einkaufszentrum nahe Tokio.

Die Fans von Funassyi und Neebaru-kun sind nicht gut auf das jeweils andere Maskottchen zu sprechen, in der Maskottchen-Szene geht es alles andere als kuschelig zu. Ihr Star ist zweifelsohne der große dicke Bär Kumamon, der 2011 zum beliebtesten Lokal-Maskottchen Japans gewählt wurde und seitdem allgegenwärtig ist. Möglicherweise möchte man aber gar nicht in der ersten Reihe stehen, wo das Rampenlicht am hellsten und unerbittlichsten strahlt. Jüngst bekam Kumamon Ärger, weil er es trotz gegenteiliger Versprechungen nicht geschafft hatte abzuspecken. Gemeinsam mit Ikuo Kabashima, dem Gouverneur der Präfektur Kumamoto, für die Kumamon wirbt, wurde im Oktober 2014 eine Diät begonnen. Der Gouverneur ging fortan zu Fuß ins Büro und verlor tatsächlich knapp 5 Kilo. Kumamon hingegen wurde beim heimlichen Verspeisen von Valentinstagschokolade erwischt und nahm kein bisschen ab. Das hatte Konsequenzen: Er wurde vom Verkaufsleiter zum Verkaufsleiter-Assistenten heruntergestuft. Vielleicht sollte er es mal mit Natto probieren.

Gebratene Ente unter anonymen Genitalien [Kaiho-Kolumne]

In der aktuellen Ausgabe der Mitgliederzeitschrift der Deutsch-japanischen Gesellschaft in Bayern ist meine aktuelle Kolumne Mit dem Beagle-Bus ins Natto-Land zu lesen. Drum gibt es die vorletzte Kolumne nun hier für alle Welt in Zweitverwertung.

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Über Weihnachten letzten Jahres war Megumi Igarashi auf Bewährung draußen. Zuvor war sie zweimal in relativ kurzen Abständen verhaftet worden. Die Taten, die ihr zur Last gelegt werden, bestreitet sie nicht. Sie bestreitet lediglich, dass es sich bei diesen Taten um Verbrechen handelt.

Sie wollte doch nur ein Kajak. Sie wollte es noch nicht mal stehlen, sondern es selbst bauen. Auch das kostet Geld, deshalb startete sie eine Crowdfunding-Aktion, sie sammelte also Projektspenden im Austausch gegen kleine Geschenke und Gefälligkeiten. Eine dieser Gefälligkeiten hatte durchaus mit ihrem Intimbereich zu tun, war aber weniger intim, als man glauben könnte: War die Spende groß genug, schickte sie dem Spender Koordinaten ihres Geschlechtsteils, zur Reproduktion über einen 3D-Drucker.

Eine niedliche Idee, eigentlich. Fand die japanische Justiz aber nicht. Igarashi wurde wegen der Verbreitung obszönen Materials im Juli zum ersten Mal verhaftet. Erst nach sechs Tagen wurde sie vorübergehend freigelassen, nachdem man zu der Einsicht gekommen war, es bestehe weder Flucht- noch Verdunklungsgefahr. Schließlich steht Igarashis Vagina im Zentrum all ihrer Arbeit (dreimal darf man raten, welche Form sie sich für ihr Kajak wünschte). Da kann man nicht so einfach nach dem alten Spießerspruch verfahren: Ist das Kunst, oder kann das weg?

Im Dezember wurde sie erneut verhaftet, als ihr gutes Stück, beziehungsweise ein Replikat davon, öffentlich ausgestellt wurde. Beziehungsweise relativ öffentlich, in einem Geschäft für Ehehygiene, wie wir Kinder des letzten Jahrtausends sagen. Also an einem Ort, zu dem die jugendliche Unschuld eh keinen Zutritt hat, und wo es kaum Kunden geben dürfte, die das Ausgestellte nicht zumindest auf Abbildungen schon einmal gesehen haben. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, wer gepetzt hat. Vermutlich stand das Kunstwerk vor der polizeilichen Entdeckung schon zwei oder drei Monate ohne Zwischenfall im Laden.

Zugegeben: Ich bin normalerweise nicht empfänglich für Künstler, die ihre Geschlechtsteile zu Kunstwerken ausloben und kein anderes Thema kennen. In der Regel ist deren Kunst faul, vorhersehbar, nicht sonderlich weit gedacht. Deshalb hatte ich die Causa Igarashi schnell wieder in die hinteren Winkel meines Unterbewusstseins verbannt. Von dort kam sie aber neulich schlagartig wieder hoch, als ich unter einer riesigen Vagina saß und versuchte, mich aufs Essen zu konzentrieren. Für eine Buchrecherche (ich schiebe gerne jeden Unsinn auf Buchrecherchen) hatte ich mich in das Chinese Café Eight in Roppongi begeben, das dafür bekannt ist, 24 Stunden am Tag gebratene Ente zu servieren und „originell dekoriert“ (Reiseführer) zu sein. Ich hatte eine vielleicht etwas extremere Version des üblichen China-Restaurant-Kitsches mit Rot und Gold und Drachen erwartet. Tatsächlich erwartet mich ein großes weibliches Geschlecht, gestanzt in eine schmiedeeiserne Glocke, in der Mitte des Raumes von der Decke hängend. Keineswegs nur angedeutet, sondern anatomisch ziemlich eindeutig. Genauso wie der ebenfalls von der Decke hängende große, goldene Penisschlegel, der Kurs auf sie genommen hatte.

Warum durfte man hier, ganz öffentlich mit Kind und Kegel, unter riesigen entblößten Geschlechtsteilen gebratene Ente essen, während es erwachsenen Privatmenschen untersagt war, Reproduktionen des Geschlechtsteils von Frau Igarashi anzuschauen oder herzustellen? Liegt es daran, dass die Glocke im Chinarestaurant nur eine anonyme Vagina zeigt, und nicht die einer bestimmbaren Person? Oder schützt ihre unrealistische Größe sie vor der Verfolgung? Ist demnach ein Geschlechtsteil in Originalgröße obszöner als ein riesengroßes? Oder ist das von Frau Igarashi in jeder Größe überdurchschnittlich obszön? Oder liegt es daran, dass speziell in Roppongi eh so einiges rumhängt, und man dort eher mal ein Auge zudrückt?

Selbstverständlich ist ein Geschlechtsteil überhaupt nicht obszön. Nicht die unbeanstandete Glocke ist der Skandal, sondern die Skandalisierung und vor allem die Kriminalisierung von Megumi Igarashi und ihrer Kunst. Man muss kein Fan sein, um zu erkennen, dass ihre Werke verspielt, fröhlich und bisweilen sogar originell sind; keine lärmende und spritzende Pennäler-Provokation, wie bei so vielen anderen Genitalherzeigern im Kunstbetrieb. Und selbst wenn es sich um lärmende und spritzende Pennäler-Provokation handelte, wäre das kein Grund, gleich die Polizei zu rufen. Kunst darf alles, auch doof sein.

So weit ist man allerdings in der japanischen Rechtsprechung noch nicht. Megumi Igarashi ist zwar wieder auf freiem Fuß. Ihr Ziel aber, ihre Vagina vom Gericht für nicht obszöner als andere erklären zu lassen, hat sie nicht erreicht. Sie wurde zu einer knackigen Geldstrafe verdonnert.

Möglicherweise geht sie nun öfter mal im Chinese Café Eight essen, ein eher preiswertes Lokal. Und möglicherweise tun sich dabei ganz neue Möglichkeiten der gastronomisch-künstlerischen Zusammenarbeit auf. Ich hoffe es sehr.

Lob der Latte-Macchiato-Mütter und Craft-Beer-Väter

Optimistisch hatte ich geglaubt, das larmoyante Herumhacken auf Menschen, für die es im Leben etwas mehr sein darf als Heim, Herd, Sack, Asche und Industrieplörre, würde den larmoyanten Herumhackern selbst irgendwann langweilig werden. Dem scheint leider nicht so zu sein, deshalb muss ich jetzt doch mal was loswerden: ein Hoch auf die Latte-Macchiato-Mütter, überall! Mögen sie mit ihrer Anmut weiterhin die Stadtbilder verschönern und mit ihren Designerkinderwagen (Bayern: Designerkinderwägen) noch so manchem frühvergreisten Griesgram den Weg verstellen. Und ein Hoch auf ihre Partner, die Craft-Beer-Väter! Auf dass sie sich niemals einreden lassen, ihr Bier sei gar kein echtes Männer-Bier, nur weil mehr Geschmack, mehr Alkohol und kein Hopfenextrakt drin ist.

Wir Latte-Macchiato-Mütter (Craft-Beer-Väter mitgemeint) wurden großgezogen von einer Generation von Jacobs-Krönung-Müttern und Haake-Beck-Pils-Vätern (Bayern: Augustiner-Bräu-Vätern). Wir lieben sie, doch das bedeutet nicht, dass wir alles genauso machen müssen wie sie. Das Herumhacken auf unserem Lebenswandel hat etwas von der Runter-von-meinem-Rasen-Mentalität der Generation vor unserer Elterngeneration, die an dieser Stelle aus dem Jenseits jault: „Jacobs Krönung und Haake Beck Pils? Luxus! Wir hatten damals nur die Spucke der Besatzer zu trinken und mussten uns vorstellen, es wäre Jacobs Krönung und Haake Beck Pils! Und aus uns sind trotzdem zufriedene, tolerante, lebenslustige alte Herrschaften geworden! Äh, Moment mal …“

Wat de Buur nich kennt, dat frett he nich. Die Ablehnung des relativ modernen Genusswandels erinnert auch an das verzweifelte Festklammern an der eigenen Jugend. Alles soll genauso bleiben, wie es immer war, und die Musik von heute ist ja nur noch Boingboingboing, und wer Bier trinkt, das es letztes Jahr noch nicht gab, ist ein Mädchen. Was schön und neu ist, muss schnell mit der Gentrifizierungskeule alt und hässlich geschlagen werden. Speziell die Kritik an den Latte-Macchiato-Müttern geht von der antifeministischen Uralthaltung aus, Frauen müssten mit Einsetzen der Mutterschaft das Frausein einstellen. Sie dürften sich fortan nur noch in den eigenen vier Wänden aufhalten und im Trainingsanzug Jacobs Krönung schlürfen. Andere Interessen als Kinder, Kinder, Kinder sind Zeichen von Selbstsucht und stören da draußen die Greise zwischen 30 und 50, die gerade auf dem Weg in ihre Siff- und Suff-Kneipe sind, in der seit dem 20. Jahrhundert nicht mehr geputzt wurde, was sie so gemütlich und ihre Kundschaft so gut gelaunt macht.

Man verwechsle diese Verteidigung ganz normaler Menschen nicht mit Hipster-Verteidigung. Selbstverständlich kann einem das Klein-klein um die neuesten Bier- und Kaffeemarotten auf den Senkel gehen. Vor ein paar Jahren wurde einem noch die Freundschaft gekündigt (richtige Freundschaft, nicht Facebook-Freundschaft), wenn man mal unachtsam ausgeplaudert hatte, man würde zu Hause heimlich Filterkaffee trinken. Die Musik hörte schlagartig auf, alle Scheinwerfer und Blicke waren auf einen gerichtet, und eh man sich versah, saß man ganz alleine da und das Licht ging aus. Inzwischen ist Filterkaffee wieder der letzte Schrei. Natürlich nur mit dem RICHTIGEN Filter und der RICHTIGEN Filterkaffeemaschine. Dieser ganze Kaffeetechnikfetischismus ist natürlich papperlapapp. Ich verrate schnell, was man für guten Kaffee braucht: guten Kaffee. Wenn es sich einrichten lässt noch gutes Wasser (ist in München leider schwieriger zu bekommen als guter Kaffee). Das langt. Dann ist es relativ egal, ob die Maschine drum herum 40 oder 400 Euro gekostet hat (tut mir leid, vielleicht haben Sie den Bon ja noch).

Im Großen und Ganzen ist es aber begrüßenswert, dass immer mehr Menschen eher bewusst genießen als gewohnheitsmäßig kippen. Zum Wohle.

The Making of Roppongi Ripper

Gerne möchte ich ein paar Schnurren von der Entstehung meines aktuellen Romans Roppongi Ripper teilen. Ehe ich allerdings wieder großspurig eine Serie anfange, an der ich dann doch irgendwann das Interesse verliere, wenn draußen die Sonne oder in seinem Bettchen das Kindlein lacht, mache ich diesmal alles in einem Abwasch.

Das Hauptquartier der Tokioter Stadtpolizei in Kasumigaseki, wo Inspector Yuka Sato weiterhin arbeitet, wurde bereits anlässlich des Erscheinen des Vorgängerbandes Yoyogi Park ausführlich abgehandelt. In Roppongi Ripper wird ihr Partner Shun Nakashima unter mauscheligen Umständen in das vielbeschäftigte Polizeirevier Azabu in Roppongi versetzt. Es ist Folgendes:

Am Tore wacht das Polizei-Maskottchen Pipo-kun mit seiner Familie über das Viertel.

So darf man sich das Motorrad vorstellen, das im Finale des Romans die Distanz zwischen Jägerin und Gejagtem verkürzt:

Jenes Finale findet statt am Fuße von Roppongi Hills, einer Büro-, Einkaufs-, Vergnügungs- und Wohnsiedlung, die eine der Konsequenzen der sehr zu begrüßenden Gentrifizierung des Viertels ist, die in den Nullerjahren damit begonnen hat, Roppongi auch für anständige Menschen begehbar zu machen. Nur echt mit dem Mori-Turm und der Maman-Skulptur von Louise Bourgeois.

Ausgangspunkt des Finales ist die fiktive Residenz I, die auf der realen Residence A basiert, zumindest was das Äußere betrifft. Das Innere habe ich komplett erfunden, denn weiter als mit der Nase an die Scheibe bin ich nicht gekommen.

Die Sicherheitskameras fand ich leicht zu umgehen, aber vielleicht habe ich die sichersten übersehen.

Aus dem Türöffnungsmechanismus habe ich in Abwandlung der Realität einen Fingerabdruckleser gemacht, weil ich gerade einen Zeitungsartikel darüber gelesen hatte, wie jeder pensionierte Yps-Detektiv diese neumodischen Fingerabdruckleser austricksen kann, die momentan bei Mobiltelefonen und -computern so en vogue sind.

Im Roman nicht erwähnt habe ich, wie ich gerade zu meiner eigenen Überraschung feststelle, den Regenschirmtropfschutzspender am Eingang.

Dabei könnte ich schwören, ich hätte. Wahrscheinlich liegt das an dem Festplattenabsturz, den ich während meiner Recherche- und Schreibreise erlitt. Auf diesem Foto ist mein altes Netbook zum letzten Mal lebend zu sehen:

Nun gehöre ich selbst zu diesen Spießern, die ständig „Backup! Backup! Backup!“ predigen. Aber welcher Prediger hält sich schon an das, was er predigt. Wertvolle Teile von Roppongi Ripper waren jedenfalls in ihrer Urform für immer verloren und mussten reproduziert werden. Immerhin hat mich mein fruchtloser Besuch bei einer Computerreparaturwerkstatt in Shibuya zu einer kleinen Frotzelei im Roman inspiriert, die für den weiteren Verlauf der Serie große Wichtigkeit haben wird. Ich habe das bis vor kurzem selbst nicht gewusst.

Das oben abgebildete Foto wurde aufgenommen im Hotel Niwa, wo meine Frau und ich untergekommen waren, bevor es ein Jahr später vom Lebemännermagazin Monocle offiziell für weltweit cool erklärt wurde. Wollte ich nur mal erwähnen. Ein Jahr vorher schon. Dort habe ich auch diese Zeichnung vom ersten Tatort des Romans angefertigt:

Nun könnte man mit Recht sagen: „So eine Kinderkritzelei von einem sehr überschaubaren Ort kann man sich ja wohl auch einfach im Kopf machen!“ Empfinde ich ebenso. Dennoch habe ich festgestellt, dass zeichnen dabei hilft, die Orte im Kopf konkreter zu machen. Und wenn Sie diese Kritzelei kindisch finden, dann haben Sie noch nicht mein Storyboard für die Nazi-Razzia in Shin-Okubo gesehen. Werden Sie auch nicht.

Das Hotel Niwa befindet sich übrigens im Stadtteil Jinbocho, bekannt für seine hohe Dichte an antiquarischen Buchläden, was die Nachbarschaft recht inspirierend macht fürs Bücherschaffen. In einem kleinen Nudelrestaurant ganz in der Nähe des Hotels soll sogar der legendäre Kriminalautor Edogawa Rampo regelmäßig sein Süppchen geschlürft haben.

Ansonsten hat Jinbocho gar nichts mit Roppongi Ripper zu tun, deshalb schnell zurück nach Roppongi, in das gewöhnungsbedürftig eingerichtete Chinese Café 8, in dem Yuka und ihre Freundin Sam dinieren, nachdem Sam aus dem Krankenhaus entlassen wurde.

Inzwischen habe ich erfahren, dass das Restaurant fruchtbar geworden ist und sich gemehret hat. Ob die anderen Filialen ähnlich eingerichtet sind, weiß ich nicht.

Mit knurrendem Magen kommt Yuka anderntags nach Shin-Okubo, das koreanische Viertel Tokios. Dort observiert sie eine Parade von Rechtsradikalen in der Okubo-dori. Als ich dort war, war gottlob keine Parade.

In Shin-Okubo wird ein geheimnisvoller Fremder in Yuka Satos Leben treten, mit dem sie koreanisch grillen geht. In einem Restaurant, das frappierende Ähnlichkeit mit dem hat, in dem meine Frau und ich unseren Recherchebummel ausklingen ließen.

Apropos Frau: ihr ward dann bald ein Kind geboren (aus dem Restaurant, sogar aus Japan, waren wir inzwischen raus), weshalb ein Teil der Schreibarbeit in ein Münchner Krankenhaus verlegt werden musste.

(Im Bild übrigens auch mein nigelnagelneues Laptop, das ich mir aus bestimmten Gründen kaufen musste. Ich musste mit Erschrecken feststellen, dass es heutzutage so gut wie keine Netbooks mehr gibt, weil jeder Lümmel ein Tablet hat. Es muss aber nicht jeder Lümmel auf Reisen Bücher schreiben, Herrschaftszeiten!)

Vorher jedoch machte ich noch einen Abstecher nach Saitama-City, ein wichtiger Handlungsort von Roppongi Ripper. Leider hatte meine ortskundige Kontaktperson kurzfristig das Treffen abgesagt. So ist das halt manchmal bei kriminologischen Ermittlungen. Also irrte ich allein durch Stadt- und Wohngebiete und kam bald zu dem Schluss, dass ich lieber meine Erinnerung verblassen lasse und alles an fiktiven Orten ansiedle, um nicht irgendwelche Gegenden oder Institutionen in Verruf zu bringen. Quasi im Schreiben und Beschreiben eher der Seele Saitamas als der Geografie gerecht zu werden. So habe ich auch nur ein einziges Fotos gemacht, in einem Einkaufszentrum am Bahnhof Omiya.

Im heimischen Büro/Wickelzimmer füllt man schließlich die eigenen Erfahrungen mit Fakten aus Sekundärliteratur, Straßen-, Netz- und Geländeplänen (im Bild u.a.: Shin-Okubo, Saitama-City, Roppongi Hills).

Dann ist man irgendwann mit dem Schreiben fix und fertig und liest sich alles noch ein paar Tausend Mal durch, bis man ganz sicher ist, dass es das Allererbärmlichste ist, was man selbst oder sonst jemand jemals geschrieben hat. Dann druckt man alles aus und liest es ein letztes Mal durch, wobei man noch Tausend kleinere und größere, eingebildete und tatsächliche Fehler findet.

Dann liest es die Lektorin, die ein paar Tausend weitere findet. Dann wird es veröffentlicht, alle finden es gut und es verkauft sich wie Biolimonade in einer New-Economy-Kantine. So einfach ist das.

Wer einen Großteil der Bilder bereits kannte, hat vermutlich auf meiner Facebook-Seite die große, allgemeine „Gefällt mir“-Schaltfläche geklickt. Wer das nicht getan hat, kann es ja noch nachholen.

Endlich: Sex bei Houellebecq

Kennen Sie den noch?

Michel Houellebecq, der Skandalautor von vor zwei Monaten. Ich hatte mir das dazugehörige Skandalbuch Unterwerfung noch am Skandalerscheinungstag gestreamt-oder-wie-das-heißt, damit ich schnell etwas drüber schreiben könne, bevor das Thema wieder vorbei sei.

Gut, habe ich halt nicht geschafft. Nicht weil ich so langsam lese oder schreibe, auch den Planungsunsicherheitsfaktor Baby trifft nur eine Teilschuld. Hauptschuld hat allein das Buch, ich musste mehrmals pausieren und andere Lektüren einschieben. Nicht wegen Ekel, Empörung oder Ergriffenheit, sondern aus Langeweile. Dabei bin ich eigentlich ein bei jeder neuen Veröffentlichung glucksender Houellebecq-Fanboy (kurz: Houelleboy). Ich sammle jeden Schnipsel über den süßen Fische-Boy aus Frankreich und mag alle seine Bücher, außer vielleicht Die Möglichkeit einer Insel, und jetzt eben Unterwerfung.

Schon am Titel hakt’s, er ist zumindest irreführend. Es geht hier in erster Linie nicht um eine Unterwerfung, sondern um eine Ermüdung. Der Protagonist des Romans ist, wie Houellebecq, Huysmans-Experte. Und wie Joris-Karl Huysmans sich in der Herbst/Winter-Saison seines Lebens, körperlich und seelisch erschöpft, dem Katholizismus zuwendete, so wendet sich Houellebecqs Romanfigur lebensmüde dem Islam zu. Houellebecq hat erkannt, dass der Katholizismus inzwischen außerhalb von Entwicklungsländern seine religiöse Bedeutung komplett verloren hat (seine gesellschaftliche nicht, die katholischen Werte trägt jeder noch so überzeugte abendländische Atheist unter Haut und Nägeln). Für jemanden, der sich einer echten Religion ohne Larifari anschließen will, ist der Islam also konkurrenzlos. Eigentlich ein schönes Thema, wäre der Roman nicht genauso müde geschrieben und konzipiert, wie es seine Hauptfigur ist. Das mag durchaus künstlerische Absicht sein. Jedoch ist nicht jede bewusste Entscheidung automatisch eine richtige Entscheidung. Houellebecqs Romane waren stets Thesenromane, aber immerhin waren unter den Thesen noch Romane auszumachen. Wenn in Unterwerfung zwei Figuren miteinander sprechen, dann entstehen daraus keine Dialoge, sondern aufeinanderfolgende Monologe in der Länge und im Duktus von Aufsätzen. Dabei gibt es Figuren, die offenbar dem Autoren nach dem Mund reden, und solche, die offenbar das Gegenteil tun; jene sind selbstverständlich lächerliche Figuren.

Immerhin taugt das Buch kaum zur Steilvorlage der Pegida-Arschgeigen äh -Bewegung (zu inter … inti … intellele-dingsbums) oder sonst irgendeinen Skandal (zu müde). Darin waren sich die meisten deutschen Medien dann auch einig, zumindest im ersten Punkt, nachdem sich die französischen wohl sehr aufgeregt hatten. Bei der taz zeigte man majestätische Großmut und tat einen erleichterten Stoßseufzer: Houellebecq sei gar kein rechter Autor, war dort zu lesen, quasi Begnadigung. Nun haben wir zwar erst März, ich wage aber schon jetzt die Prognose, dass das eine der steilsten Thesen des Jahres bleiben wird. Houellebecq war, ist und bleibt so rechts wie der deutsche Straßenverkehr. Das ist ja nicht schlimm, so was kann in einer Demokratie schon mal vorkommen. Daran stirbt man nicht, nicht mal als linker Leser. Gerade als solcher sollte man bevorzugt rechte Autoren lesen, sonst erfährt man nichts von der Welt außerhalb der eigenen Doktrin. Umgekehrt gilt das natürlich genauso. Man nennt es „Blick über den Tellerrand“. Irgendwann sieht man dabei vielleicht, dass es großer Blödsinn ist, so ein hochkomplexes Feld wie Politik in lediglich zwei Richtungen zu unterteilen; dass das Beharren auf „rechts“ und „links“ nur ein bockiges und bequemes Festhalten an „Cowboy“ und „Indianer“ im Erwachsenenalter ist. Ich bin in der Erkenntnis schon fast soweit. Bis ich es auch in der Konsequenz bin, bleibe ich bei meinem gemütlichen Schubladendenken: Houellebecq rechte Schublade, ich linke Schublade, gemeinsam sind wir ein gut geölter Schuhschrank im Hausflur der Ideologien.

Michel Houellebecq hat seine bekannten Aussagen zum Islam („dümmste Religion der Welt“) inzwischen nach Koran-Lektüre („ein kluges Buch“) öffentlich revidiert, was von der Presse nach wie vor weniger laut posaunt wird als die ursprüngliche Aussage. In Unterwerfung gibt er sich buchhalterisch neutral, er zählt allzu brav Vor- und Nachteile eines Frankreichs unter islamischer Regierung ab (gut: weniger Frauen in akademischen Berufen, schlecht: weniger Frauen in Miniröcken). So müde wie über alles wird über Leichen gegangen und das rasche Verschwinden der jüdischen Kultur in ein paar lapidaren Randbemerkungen abgehandelt. Hinter der müden Fassade lauert da doch ein bisschen von der alten Houellebecq-Dämonik. Gerade bei diesem Thema hätte man im deutschen Feuilleton auch mal etwas genauer lesen und hinterfragen dürfen, aber ich möchte niemanden wecken.

Man muss ohnehin Houellebecq gar nicht erst mit diesem ganzen Politidingsbums kommen, wie Die Welt eindrucksvoll bewiesen hat. Zum persönlichen Gespräch mit dem Autoren schickte man einfach eine Praktikantin aus der Beauty-Redaktion, die dann keck ein paar Selfies knipste und hinterher betont stolz drauf war, keine politischen Fragen gestellt zu haben. Es ist mit dem deutschen Feuilleton hinsichtlich der Literaturbesprechung gar nicht immer so schlimm, wie in letzter Zeit gerne mal behauptet wird. Oft ist es noch viel, viel schlimmer.

Eines hat mir an Unterwerfung gefallen: Die Bettszenen. An dieser Stelle möchte auch endlich mal etwas Provokantes sagen: Ich interessiere mich nicht für Sex [dramatische Wirkungspause] in der Literatur. Oder allen anderen Kunstformen. (Zur Wahrung meiner eigenen Menschenwürde habe ich auf den obligatorischen „Ich bin nicht prüde, aber“-Einstieg verzichtet.) Ich sollte das präzisieren: Ich interessiere mich nicht für die mechanische oder romantische Beschreibung des Vorgangs, seines Versprechens und seiner Anbahnung, vulgo Erotik bzw. Pornografie (aus Desinteresse differenziere ich da ebenso wenig, wie ich werturteile). Durchaus interessiere ich mich für die gesellschaftliche Bedeutung und die politischen wie wirtschaftlichen Möglichkeiten der Instrumentalisierung des Vorgangs, seines Versprechens und seiner Anbahnung. Das hatte Houellebecq für mich immer lesenswert gemacht: nicht die Ferkelei, sondern die höhere Bedeutung der Ferkelei. In Unterwerfung hat die Ferkelei keine höhere oder tiefere Bedeutung, sie lockert nur das müde Einerlei auf, also wie im richtigen Leben. Dass ich entsprechende Passagen dennoch als die erfrischendsten des Romans wahrgenommen, ihnen beim Lesen sogar regelrecht entgegengefiebert habe, kann zweierlei bedeuten: das Buch hat sonst nicht viel zu bieten, oder ich werde mit zunehmendem Alter immer ferkeliger. Ich entscheide mich fürs erste. Und ich überlasse dem deutschen Feuilleton die Themen, die es versteht.