Archiv für den Monat Mai 2010
Noch ein taiwanisches Buchstabenrätsel
Zwei Leuchtbuchstaben kaputt. Unfall oder mutwillig herbeigeführt? Entscheiden Sie.
Apropos (Buchstaben usw.): Die Initiative „Travel in Taiwan“ hat sich eine, wie ich finde, sehr unglückliche Abkürzung für ihren Namen gewählt. Aber darauf kommen Sie selbst.Who put the Ö in Taipei?
Liebes Blög,
ich bin in Taiwan, und hier ist alles so fremd. Überall sind eigentümliche Schriftzeichen, besonders häufig sehe ich das sogenannte Ö. Der Fernseher in meinem Hotelzimmer ist von dieser Marke: Darauf empfange ich unter anderem diesen Spielfilmsender: (Mit im Bild: ein Gladiatör.) Und in der Apotheke um die Ecke hatte dieser Arztbär eine gemütliche Sprechstunde: Um auf die Frage in der Überschrift zurückzukommen: Ich glaube, dieser Kollege war es. Das Maskottchen des Gebäudes Taipei 101.Mein erstes Mal in Japan (5): Karaoke
11 Jahre habe ich gebettelt, dass mich mal einer mitnimmt, aber ich kenne nur zu feine Pinkel. Dachte ich. Der einzige japanische Mensch, den ich prinzipiell nicht gefragt hatte, war ausgerechnet Schwester M. Weil ich meinte: Die singt ja sowieso, da ist Karaoke bestimmt unter ihrem Niveau. Stellt sich aber heraus: Jeder muss mal üben. Als sie selbst das Gespräch auf das Thema bringt, frage ich kleinlaut, ob sie mich mal mitnimmt. Sagt sie: „Okay, gehen wir!“
So habe ich freilich nicht gewettet. Ich meinte: Irgendwann mal, abends, wenn ich beschwipst bin und mich ganz toll finde. Nicht bei Tageslicht, nüchtern, kurz nach dem Mittagessen. Aber ich habe keine Wahl. Megumi hat in einer Stunde Vorstellungsgespräch. Es wäre ja gelacht und sie keine echte Japanerin, wenn da nicht noch Platz für eine halbe Stunde Karaoke wäre. Möglicherweise ist es nicht das erste Mal, dass ich überhaupt Karaoke singe. Könnte sein, dass da mal was auf einer Party in Bremen war. Aber ich habe an den betreffenden Abend keine klare Erinnerung, und die Oral History widerspricht sich von Historiker zu Historiker. Außerdem ist Karaoke in Japan eh anders. Man blamiert sich nicht vor einer Meute Wildfremder bis auf die Knochen, sondern, in meinem Fall, vor nur einer Person, die man schon locker eineinhalbmal im Leben gesehen hat. Karaoke findet in Privatkabinen statt, die auf Zeit gemietet werden. Nach westlichem Moralkodex, vielleicht auch nur nach meinem eigenen, haben Vergnügungen in schalldichten Privatkabinen, die im Halbstundentakt abgerechnet werden, grundsätzlich etwas Verdorbenes. Während wir durch die zugleich schummrigen und sterilen Korridore des Karaoke-Zentrums auf der Suche nach unserer Zelle schleichen, muss ich schwer an mich halten, um nicht ins Telefon zu rufen: Ehrlich, Mama, wir machen nur Hausaufgaben! Unsere Kabine beinhaltet ein schmutzabweisendes Sofa, einen Couchtisch mit Musikkatalogen und Speisekarten, mehrere Lautsprecher, eine Klimaanlage und selbstverständlich eine Karaoke-Maschine + großem Fernseher, auf dem Fernseh-Menschen quiekend neue Produkte anpreisen, wenn gerade kein echter Mensch singt. Zwei Mikrofone und ein Fernbedienungspult haben wir in einem Körbchen, das uns am Empfang überreicht worden war, selbst mitgebracht. Megumi stellt es auf einmal so dar, als sei das Ganze meine Idee gewesen, deshalb soll ich anfangen. Ich bin nicht mal halb durch Bullet With Butterfly Wings, da verlässt sie kommentarlos und fluchtartig das Zimmer. Es war trotzdem schön, sie kennengelernt zu haben. Wir hatten auch gute Minuten, bevor die Karaoke zwischen uns kam. Womöglich singe ich als nächstes mit Morrissey: No true friends in modern life! Aber es ist halb so schlimm, sie ist im Nullkommanichts zurück mit einem Tamburin und zwei Rumba-Rasseln. Ein Glück, dass sie daran gedacht hat. Gute Laune ohne Rumba-Rasseln ist einfach keine echte gute Laune, das war schon immer mein Lebensmotto. Apropos Morrissey: Der Sinatra meiner Generation, ohne jede Frage und Diskussion. Man soll sich bei Karaoke nicht mit Minderheitengeschmack brüsten, sondern Evergreens schmettern, deshalb durchsuche ich die Datenbank nach THE SMITHS, aber da ist nur How Soon Is Now?. Vielleicht der feinste Song der Band überhaupt, aber eben einer, der textlich so auf den Punkt gebracht ist, dass kaum Text übrig ist. Also nicht gerade ein Karaoke-Kracher, wie man ihn sich von The Smiths wünscht. Trotzdem soll der es sein. Wenn man in echt nie singt, aber in Gedanken quasi ständig, ist es schrecklich, wenn man sich plötzlich tatsächlich singen hören muss. Besonders, wenn man keinen im Tee hat. Es ist leider nicht mal die alte Leier von der eigenen Stimme, die einem von Natur aus zuwider ist. Es ist viel schlimmer. Wohin ist all die Leidenschaft auf dem Weg vom Herzen in den Lautsprecher verschwunden? Warum klinge ich wie irgendein grober Karaoke-Proll, dem dieses sorgfältig ausgewählte Lied auch nicht mehr bedeutet als Dschinghis Kahn oder Paradise City? Ich bin doch was Besseres! Bin ich aber nicht, hört man ja, eher niedriger. Eine eigenwillige Version von Friday I’m In Love gerät kaum feinfühliger, das Authentischste bleibt Megumis perkussive Begleitung. Dass sie auch das mit dem Singen viel besser hinbekommt, reibt sie mir u. a. mit Boulevard Of Broken Dreams und Can’t Take My Eyes Off You unter die Nase. La Isla Bonita hätte schön werden können, wenn ich nicht ganz gemein einfach mitgesungen hätte. Aber ich will nicht immer nur zerstören. Ich muss beweisen, dass ich auf dem Grunde meines Herzens ein vermittelbarer Musikliebhaber bin. Wird fortgesetzt. Ich habe schon eine Liste gemacht.Just do it (soon)
Nach meiner furchtlosen Visite des Yasukuni-Schreins gehe ich heute wieder hin, wo es wehtut (wenn auch nicht so weh, als würde ich dabei einen Mikoshi tragen). Der Miyashita-Park ist ebenfalls ein Politikum, wenn auch eines, bei dem die Weltpolitik mit den Schultern zuckt. In Tokio aber wird durchaus kontrovers diskutiert.
In den Miyashita-Park gerät man als Tourist nur, wenn man zu Tower Records will und im Bahnhof Shibuya den falschen Ausgang erwischt hat. Der Park ist auf Karten in Reiseführern der Vollständigkeit halber eingezeichnet, wird aber im Text sicherlich keine Erwähnung finden. Mit Sicherheit steht hingegen in jedem Reiseführer der Hinweis, dass man sich in dieser Stadt selbst als Frau immer und überall ohne Leibgarde frei bewegen kann. Fragt man Tokioterinnen nach der Richtigkeit dieser Einschätzung, pflichten sie im Großen und Ganzen bei. Hängen aber oft noch an: „Außer vielleicht im Miyashita-Park.“ Es handelt sich um einen schmalen, leidlich grünen Streifen zwischen Eisenbahnschienen und Meiji-dori. Ein öffentlicher Park, er gehört also den Bürgern, und die Bürger haben ihn seit Jahrzehnten aufgegeben. Man erinnert sich allenfalls an ihn, wenn man Sperrmüll hat und die Gebühren sparen möchte. Jetzt hat der Sportartikelhersteller Nike für einen zunächst begrenzten Zeitraum den Park gekauft. Die Firma will dort renovieren und Gratis-Skatergedöns errichten. Außerdem hat Nike für die vereinbarte Zeit das Recht, den Park nach eigenem Gutdünken umzutaufen. Es gilt also als sicher, dass der Miyashita-Park bald Nike-Park heißen wird. Könnte einen als Skater freuen. Könnte allen anderen Menschen völlig egal sein, wie einem der Park schon immer völlig egal war. Dennoch regt sich jetzt Protest. Wir sind das Volk, und der Park gehört uns, meinen ein paar Aktivisten, die ohne gute Argumente viel Presse bekommen. Eines der besseren Argumente ist noch, dass der Miyashita-Park beliebt bei Obdachlosen sei. Das ist allerdings kein spezifisches Phänomen dieses einen Parks, sondern wirft auf höherer Ebene die Frage auf, wie eine Gesellschaft mit ihren Opfern umgeht. Es kann keine Lösung sein zu sagen: „Wir lassen die Obdachlosen einfach im Miyashita-Park, den haben wir eh aufgegeben, passt ja.“ Es wäre mir darüber hinaus neu, dass Obdachlose schäbige Parks gegenüber gepflegten bevorzugen. In Tokios schöneren Grünanlagen sind sie durchaus auch anzutreffen. Und es dürfte ihnen genauso egal wie mir sein, ob der Park Miyashita, Nike oder sonstwie heißt. Mir scheint der jetzige Miyashita-Park ohnehin weniger wie eine Oase für Obdachlose als ein günstig gelegener Ort, wo junge Leute hingehen um Drogen zu kaufen und sich zu erbrechen. Von Drogenhandel halte ich eh nicht viel, und was das Erbrechen angeht: Können das die jungen Leute nicht in den Zügen der Yamanote-Linie machen, wie alle anderen auch? Könnte es sein, dass es beim Protest nicht etwa um Solidaritätsbekundung mit nicht existierenden Miyashita-Liebhabern geht, sondern um stumpfen Anti-Amerikanismus, gepaart mit plumpen japanischen Nationalstolz, getarnt als Kapitalismuskritik? Schließlich ist es ausgerechnet ein amerikanisches Unternehmen, das hier ein bisschen aufräumen möchte. Dass, ebenfalls in Shibuya, schon seit geraumer Zeit ein ebenfalls öffentliches Veranstaltungszentrum nicht mehr Shibuya Public Hall heißt, sondern nach meiner Lieblingsbrause C.C. Lemon Hall, scheint niemanden groß aufzuregen. C.C. Lemon kommt freilich nicht aus dem Hause Coca-Cola, sondern von der urjapanischen Suntory-Abfüllerei. Das Vitamin C von wie vielen Zitronen passt wohl in die Halle, wenn in der Haushaltsflasche schon 210 sind?Shinto Loveparade
Bei lokalen shintoistischen Straßenfesten ist es Brauchtum, mit großem Hallo und vereinten Kräften Schreine durch die Straßen zu tragen. In Nachbarschaften, in denen Ausländer oder ausländerfreundliche Organisationen beheimatet sind, dürfen auch Ausländer mittragen, was diese offenbar gerne tun. Als ich zum ersten Mal davon hörte, dachte ich spontan: Wow – das interessiert mich null. Zuschauen ja, wenn ich in der Gegend bin und es Getränkeverkauf gibt, aber bestimmt nicht aktiv mitschleppen.
Als aber unlängst die Agentur, die mir meine Tokioter Wohnung vermietet, rumfragte, wer denn gerne den Agenturschrein beim Misaki-Festival im Stadtteil Jimbocho mittragen möchte, reckte ich sofort den Arm in die Höhe und rief: „ICH, ICH, ICH!“ Dabei hatte sich meine Einstellung gar nicht großartig geändert. Aber da war der nuttige Gedanke: Ich mach das, damit meineEine von 127 Millionen (und noch eine)
Ramen Square NY. Warum wirbt ein japanisches Gastronomie-Erlebniszentrum, das sich auf chinesische Nudelsuppen spezialisiert, mit New York im Namen? Das einzige, was mich daran wundert, ist, dass es mich gar nicht mehr wundert. Alles, was ich weiß und wissen muss: Befindet sich in Tachikawa, westlich der Stadt Tokio, innerhalb der Präfektur Tokio, erreichbar über einen Laufsteg direkt vom örtlichen Bahnhof. Etliche Ramen-Blogger haben schon darüber gebloggt.
Bin ich hier etwa auch wegen der Nudeln rausgefahren? Nein, Nudeln gibt’s auch in Tokio, ich bin hier wegen der Musik. (Die Nudeln sind allerdings auch ganz gut, nur als Pescetarier muss man ausnahmsweise mal ein Auge zudrücken, und als noch schlimmerer Tarier alle beide, oder eben Magen knurrt während des Konzerts.) Zweimal die Woche singt hier Megumi Sakurai zur Begleitung ihrer bis zu vierköpfigen Jazzband. Megumi, wir sind per Vornamen, unterscheidet sich von den meisten Japanern. Die meisten Japaner sagen: „Was auch immer Sie tun – schreiben Sie bloß nichts über mich!“ Megumi hingegen sagt: „Schreib doch mal was über mich!“ Das lass ich mir nicht zweimal sagen. Megumis vorauseilende Bereitwilligkeit zur Berichterstattung begründet sie übrigens haargenau so wie all die anderen Japaner ihre Zurückhaltung in dieser Angelegenheit: „Ich bin doch nicht berühmt!“ Im Gegensatz zu den meisten anderen Japanern hätte Megumi es aber sein können. Das Vorsingen war bestanden, das Bett in der offiziellen Starwohnung frisch bezogen, die Verträge lagen bereit. Aber Megumi kam gerade noch rechtzeitig auf den Trichter, dass frei sein wichtiger ist als berühmt sein, und so reiste sie lieber in der Welt herum, studierte unter anderem in Stuttgart Anthroposophie, die Fantastischen Vier und die deutsche Sprache. Heute schreibt sie Lyrik und Journalismus, legt Karten und malt mit behinderten Kindern. Das muss Ayumi Hamasaki ihr erstmal nachmachen. Und montags und dienstags singt sie im Ramen Square NY den Bossa Nova (der war aber nicht allein schuld) für alle, die es hören wollen. Das sind gar nicht wenige. Die umliegenden Lokale sind beliebt in der Ramen-Szene, ein paar Obdachlose sagen auch nicht nein zu überdachten Gratissitzgelegenheiten mit Musik. Wenn einer zu deutlich schnarcht, muss Trommler Alex halt mal etwas lauter trommeln. Ich lernte Megumi in der Kleinstadt Kunitachi kennen, mit der unverzichtbaren Chuo-Eisenbahnlinie gar nicht so weit von Tokio. Kunitachi zeichnet sich in erster Linie durch einen Bahnhofsvorplatz aus, der in der Saison ganz besonders eindrucksvoll von Kirschblüten umringt ist. Ich habe leider kein Foto gemacht, weil ich dachte: Kann ich später immer noch machen. Konnte ich aber doch nicht mehr. In zweiter Linie zeichnet sich Kunitachi dadurch aus, dass jeder entlegene Trampelpfad von einer trägen Fußgängerampel reglementiert wird, nur auf der mehrspurigen und pausenlos befahrenen Hauptstraße ist man ampellos dem Schicksal ausgeliefert. Zebrastreifen, das sollte der Reisende wissen, sind in Japan nicht Signal für Autofahrer, dass sie auf Fußgänger achten sollen, sondern umgekehrt. Und es gibt das Jaran-jaran-goya, ein improvisiertes Mini-Café einer örtlich bekannten Biobauerin. Hier gibt es gesunden Kuchen und starken Kaffee, und wenn einer Kopfschmerzen hat, wird eine Stimmgabel auf einen Bergkristall geschlagen. Man sollte solchen Kreisen nicht verfallen, aber ein unverbindlicher Besuch alle paar Jahre ist gestattet. Schlechten Menschen begegnet man anderswo. Megumi (unten rechts im Bild) hatte hier im April das Erdgeschoss für eine Ausstellung ihrer Bilder und Gedichte (gratis) und eine Demonstration ihrer Kartenkünste (300 Yen, Schnäppchen). Einige ihrer Gedichte sind in deutscher Sprache verfasst, bzw. in einem Remake der deutschen Sprache, das viel besser ist als das Original. Megumi hat eine tolle Stimme, eine einnehmende und felsenhaft gefestigte Persönlichkeit, sie pflegt einen furchtlosen, beneidenswert poetischen Umgang mit mehreren Sprachen, und sie hat gerade soviel Macke, wie jeder angenehme Mensch braucht, auch wenn man die spezielle Macke nicht teilt. Vielleicht überlegt sie es sich ja noch mal und wird doch noch berühmt. Der Welt würde es bestimmt nicht schaden. Und Sie erinnern sich in diesem Falle bitte daran, wo sie es Sie es zuerst gelesen haben. Ta-daaa: Noch eine gute Japanerin Zwei weitere Künstlerinnen stellten ihre Werke im Jaran-jaran-goya aus, als mich Megumi unlängst hinein gelockt hatte. Eine traf ich an, als ich schauen wollte, was sich oberhalb dieser schmalen Treppe befindet (mit im Bild: Megumi droht mit Tee und Karten): Satoko Kakimoto hat zwar nicht ausdrücklich gesagt, ich solle über sie schreiben, es aber auch nicht ausdrücklich untersagt. Hier ist sie mit ihren beiden Ballons: Es handelt sich um Luftballons, umgestaltet zu Figuren, die Daruma ähneln, japanischen Glücksbringern, einem wiederkehrenden Motiv in Kakimotos Werk. Aber es gibt auch Ensembles von gefundenen und geschaffenen Objekten, die mich verwirren und mir daher gut gefallen: