Nicht lachen, aber ich krauche immer noch im ersten Teil des Weltraumvideorollenspiels Mass Effect herum. Sie erinnern sich bestimmt, als wäre es erst gestern gewesen: Anfang des Jahres hatte ich mich zuerst etwas herablassend zu diesem Quatsch geäußert um kurze Zeit später mit eingekniffenen Schwanz zurückzurudern, weil es gar so großer Quatsch dann doch nicht war. Dass ich nach wie vor nicht den gesamten Weltraum besiegt, besiedelt oder befreit habe, oder worum auch immer es in diesem Spiel gehen mag, liegt nicht daran, dass ich ein so schlechter oder gründlicher Spieler wäre, sondern eher ein untreuer und seltener. Manche Monate wird kein Controller angerührt, in anderen haben andere Spiele größere Strahlkraft als der Mass-Effect-Quatsch. Aber zurück komme ich immer, irgendwann.
Jetzt habe ich etwas Interessantes gelesen: Wie jedes anständige Unternehmen sammelt der Mass-Effect-Erfinder Bioware Kundendaten. Dabei kam heraus, dass nur 20% der Spieler die Hauptfigur Shephard als Weib erschaffen haben. Das wundert mich ein wenig. Es handelt sich schließlich um Science Fiction und ein Videospiel, also ist davon auszugehen, dass rund 100% der Spieler auch so schon männlich sind. Also quasi wie ich. Aber meine Shephard ist selbstverständlich weiblich. In Rollenspielen spiele ich immer jemanden, der so wenig wie möglich mit mir selbst zu tun hat. Ich bin sogar der Meinung, dazu sind sie da. Und eine Frau zu sein hat recht wenig mit mir selbst zu tun, ob Sie es glauben oder nicht. Warum spielen die meisten anderen Männer lieber mit Männern? Wollen die nicht mal was Neues ausprobieren? Haben die Angst vor starken Frauen wie mir? Und haben die sich im Vorfeld nicht überlegt, dass man in diesen Spielen 80% der Zeit damit verbringt, seiner Figur auf den Hintern zu gucken, während sie hechelnd durch die Gegend läuft? Das bin jedenfalls ich, als InfiltratorIn der 28. Stufe: Da habe ich mich in einem schmeichelhaften Winkel getroffen, denn leider hat meine Shephard ein fliehendes Kinn, da die Kinnpartie bei der Charaktererschaffung am schwierigsten hinzubekommen ist, wenn man nicht mit seiner realen Nase am Fernseher klebt. Aber ich mache das fliehende Kinn mit einem hohen Wert in ‚Schmeicheln‘ wett, den meisten Außerirdischen fällt es gar nicht auf. Wenn ich mich so ansehe, muss ich mir von mir selbst ein paar unangenehme Fragen gefallen lassen. Zum Beispiel: Wenn es mir wirklich so auf die Andersartigkeit meiner virtuellen gegenüber meiner realen Figur ankommt, warum bin ich dann nicht ethnisch experimentierfreudiger? Warum so blass um das Näschen? Ich kann das beantworten. Aber nicht befriedigend, dafür ist das alles zu lange her. Ich erinnere mich nicht genau, aber ich glaube, ich habe damals versucht das Aussehen einer real existierenden Person zu kopieren. Ich weiß noch, dass mir das nicht recht gelungen ist, und ich irgendwann einfach fertig sein und mit dem Spielen anfangen wollte. Ich weiß nicht mehr, wer diese Person war, oder auch nur ob sie eine Person des öffentlichen Lebens oder meines Privatlebens war. Zweite nagende Frage: Wo ich schon im echten Leben ein begeisterter Gutmensch bin, warum muss ich dann auch in Videospielen immer die barmherzige Schwester geben? Wie Sie sehen, ist mein blauer guter Balken viel größer als mein böser roter. Sollte ich im Spiel nicht mal richtig die Sau rauslassen? Vielleicht. Aber hier kommt eine Protesthaltung zum Tragen: Die Fetischisierung des Bösen in Videospielen langweilt mich zu Tode. Noch immer wird so getan, als sei es ein herrlich frecher, emanzipatorischer Akt, in einem Spiel die Rolle des Bösen zu übernehmen. Dabei ist es längst mürbe Gewohnheit. 1997 hatte es etwas Erfrischendes, dass man in der niedlichen Folterkellersimulation Dungeon Keeper nicht den holden Ritter spielte, der in das düstere Verlies einbricht um Untiere abzumurksen und Gold zu raffen, sondern den Typen, dem die Bude gehört. Seitdem wird für so ziemlich jedes Spiel mit dem Versprechen geworben: „Endlich mal der Böse sein!“ Auch nach 13 Jahren wurde das ‚endlich‘ nicht gestrichen. Ganz so, als spiele man nicht seit Jahren fast ausschließlich Soldaten oder andere Profikiller. Moralische Probleme habe ich damit keine, ist ja nur Spiel. Solange man den Dienst an der Waffe auf dem Bildschirm belässt, soll man ruhig. Nur ist das Böse leider so einfalls- und facettenlos. Böse kann jeder. Gegen die „Endich mal der Böse sein!“-Begeisterung möchte ich anquengeln: „Wann kann ich denn endlich mal wieder die Gute sein?!“ In Spielen wie Mass Effect kann ich es, bis zu einem gewissen Grad. Konflikte löse ich hier am liebsten politisch, also durch gutes Zureden und Spendengelder. Außer, wenn ich so nicht weiterkomme. Dann puste ich ein paar Leuten die Birnen weg. Klappt meistens auch. Böse ist schon lange das neue Gut. Da sich videospielende Halbstarke seit Jahr und Tag einig sind, dass Gut langweilig ist, müsste doch so langsam der Groschen fallen, dass inzwischen Böse langweilig ist. Im Umkehrschluss ist Gut das neue Böse. Mit anderen Worten: Gut sein ist abenteuerlich und verwegen. Pädagogischer Auftrag erfüllt, Commander.Archiv für den Monat Oktober 2010
Die Nachrichten: I’m still here
Hier war in letzter Zeit ein wenig himmlische Ruhe eingekehrt, weil ich meine musikalische Karriere vorantreiben musste (Abb. unten).
Inzwischen habe ich mich aber rundherum rasieren lassen und konzentriere mich wieder ganz auf meine Kernkompetenz: Blöd gucken. Zuletzt: The Disappearance of Alice CreedGallants
Symbol Wird fortgesetzt. Update 3. 11.: Auch das noch! Sword with no Name
Wir sind die Nacht Zugabe 10. 12. The Last Days of Emma Blank
Solomon Kane
The Vampire Diaries
Fast vergessen 2. 1. 14 Blades
Merantau – Meister des Silat
Mulan – Legende einer Kriegerin
The Treasure Hunter
Dracula – Mythen und Wahrheiten (Vorsicht: Buch!)
Die schöne Geschichte von Aaron und dem kaputten iPod
Mein iPod ist von Apple, er funktioniert also nur manchmal. Habe ich den impertinenten Wunsch nach einer bestimmte Musik, stellt er sich auf entsprechenden Tastendruck erstmal tot, knattert dann eine Weile empört rum und fängt schließlich ungeachtet meines spezifischen Wunsches an, seine komplette Musikdatenbank durchzuspielen, in alphabetischer Reihenfolge nach Namen des Interpreten. Selbstverständlich breche ich das meistens nach den ersten Takten ab. Ich kann gar nicht zählen, wie häufig ich inzwischen die ersten Takte des Liedes ‚Le Tunnel d’Or‘ von Aaron (Fettung durch Admin) gehört habe. Lange hat mich das fuchsteufelswild gemacht. Nicht wegen der Fehlfunktion, sondern weil ich mir nicht erklären konnte, wie dieses Lied auf meinen iPod kommt. Ich kenne gar keinen Aaron. Ich hegte den Verdacht, es handele sich um eine dieser hartnäckigen Beispielmusiken, die Softwaremonopolisten in ihren Betriebssystemen verstecken, und die sich beim Synchronisieren meiner Maschinen vermehrt hatte, bevor ich sie finden und löschen konnte.
Irgendwann stellte ich aber fest: Diese zerknirscht-gehauchte Pianoballade ist gar nicht so schlecht, eigentlich sogar ziemlich gut. Ich stellte außerdem fest, dass das Lied doch von mir kam. Es war von einer der Chanson-Sammel-CDs, die ich palettenweise aufgekauft hatte, als ich vor ein paar Jahren entdeckt hatte, dass Frankreich, Franzosen und Französisch gar nicht so blöd sind, wie man mir in der Schule weismachen wollte. Natürlich habe ich mir die ganzen CDs nie richtig angehört, übertreiben wollte ich es auch nicht.
Überhaupt bin ich mit Kompilationen nie recht warm geworden. Ich brauche immer eine Weile, bis ich mich auf jemanden einlassen kann. Kompilationen sind wie Speed Dating, da bleibt nichts hängen. Also habe ich mir jetzt das ganze Aaron-Album kommen lassen. Direkt aus Frankreich, da Aaron hier im Nachbarlande offenbar kein Thema ist. Um Versandkosten den Stachel zu nehmen kam noch das neue Soloalbum der reizenden und begabten (wie wir im Peter-Frankenfeld-Fernsehen sagen) Dionysos-Veteranin Babet mit ins Päckchen, was hier nur erwähnt sei, weil die reizende und begabte Babet die eine oder andere Erwähnung mehr als verdient hat.
Drei Dinge über Aaron erfahre ich durch das Album, noch bevor ich es gehört habe. Erstens: Ich hatte gedacht, Aaron sei ein Typ. Aaron sind aber zwei Typen. Das Ganze ist ein Bandname und steht für: Artificial Animals Riding On Neverland. Die offizielle Schreibweise ist übrigens AaRON, aber so einen Schnickschnack mache ich nicht mit. Zweitens: Laut Aufkleber (ein anderer als abgebildet) erscheint das neue Album am vierten Oktober 2010. Gibt es denn sowas? Fans der ersten Stunde warten seit zwei Jahren, ich muss nur das Wochenende irgendwie rumkriegen. Drittens: Als französisch getexteter Chanson ist ‚Le Tunnel D’Or‘ auf dem Album die sprachliche Ausnahme, der Rest ist in der Modesprache Englisch abgefasst. Das ist dann auch das einzige kleinere Problem an der Sache. Wie alle Künstler und normalen Menschen, die sich in einer Sprache äußern, die nicht ihre Muttersprache ist, verfallen Aaron dabei häufig in Klischees oder zwanghafte Originalität. Keiner ist davor gefeit, auch ich nicht, und Sie erst recht nicht. Egal wie viele Einser man schon als Kind hatte, egal wie viele schlaue Bücher man im Original liest und wie viele jargonschwangere Filme man ohne Untertitel schaut, egal wie lange man woanders gelebt hat und mit wie vielen Ausländern man jeden Abend trinken geht, eine Fremdsprache bleibt eine Fremdsprache. Die Unnatürlichkeit im Umgang mit ihr liegt nicht zwangsläufig darin begründet, dass man sie nicht richtig kann, sondern darin, dass man so vernarrt in sie ist, dass man ständig über das Ziel hinausschießt, mal meilenweit, mal nur ein trügerisches Quäntchen. Deshalb bin ich dafür, dass sich Liedermacher, Dichter, Journalisten u. ä. stets nur in ihrer Muttersprache ausdrücken. Nicht als national identitätsstiftende Maßnahme oder so ein Quatsch, sonder um zu zeigen, was sie drauf haben. Alles andere ist Verstellung. Nun könnten Sie sagen: „Aber was ist, wenn ein Künstler beispielsweise aus Island kommt und in seiner Muttersprache nur von ungefähr 347 Menschen weltweit verstanden würde? Wäre es dann nicht besser, er bediene sich trotz eines gewissen Genauigkeitsverlustes der englischen oder einer anderen Allerweltssprache, um seine vielleicht wichtige Botschaft so vielen Menschen wie möglich verständlich zu machen?“ Daraufhin würde ich die Arme vor der Brust verschränken, die Zunge zwischen die Lippen schieben und ein unanständiges Geräusch machen, woraufhin Sie sagen würden: „Sehr, sehr erwachsen, Herr Neuenkirchen.“
Ach, hören wir auf zu streiten. Es gibt keinen Grund, hören wir diese wunderbare Musik doch einfach wegen der Musik. Wäre mir daran gelegen, musikjournalistisch korrekt darauf einzugehen, müsste ich wohl von Loops und Grooves und Bleeps und Klaviertupfern und dunklen Klang- und Seelenlandschaften faseln, aber das möchte ich Ihnen und in erster Linie mir ersparen. Ist jedenfalls genau das Richtige, wenn einem der Herbst noch nicht Herbststimmung genug ist. Ich habe vorsichtshalber schon mal das zweite Album bestellt.
Eigentlich geht es mir gar nicht darum, Ihnen ein obskures französisches Pop-Duo schmackhaft zu machen. Ich möchte nur der Welt mitteilen, wie glücklich ich bin, dass mein iPod nicht richtig geht. Und ich möchte an Sie appellieren: Wenn Ihr kaputter iPod Ihnen etwas zu sagen versucht, dann hören Sie auf ihn.