Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest Teil 3: Das letzte Kapitel

So spielt das Leben: Gestern denkt man noch, man hätte alle Zeit der Welt, und heute – Bäng! – steht plötzlich Weihnachten vor der Tür. Damit konnte keiner rechnen. Es kam quasi aus dem Nichts. Dabei hatte man noch so viel vorgehabt. Doch wie heißt es schon in der Fibel: Wenn du den Weihnachtsmann zum Lachen bringen willst (im Original: Ho ho ho!), erzähle ihm von deinen Plänen. Sicher, die Geschenke hat jeder vernünftige Mensch schon im August besorgt, und das Essen kommt sowieso von KFC. Aber was ist mit all dem ungeguckten Weihnachtsfernsehen? Im Januar kann man es sich nicht mehr ansehen, dann ist es vergammelt. Jetzt ist es an der Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und vor der Welt zu gestehen: „Ich werde es nicht mehr schaffen, in die Weihnachtsspionageserie Black Doves auch nur reinzuschauen, obwohl ich mich so darauf gefreut hatte, ehrlich. Ich werde das ganz witzige, jedoch für ununterbrochenes Ansehen zu anstrengende Musical Spirited nicht mehr rechtzeitig zu Ende schaffen. Vielleicht doch noch rechtzeitig vor Weihnachten, aber nicht mehr rechtzeitig, um darüber zu schreiben, womit ich die Leser meines Blogs maßlos enttäuschen werde, alle beide. Und Nutcrackers mit Ben Still als Lindsay Lohan … nun gut, so eine unerwartete Zeitverknappung kann auch Vorteile haben.“

Machen wir das Beste aus dem, was wir haben. Wenn Netflix in den letzten Jahren eines richtig gemacht hat, dann ist es Is It Cake?, die Backwettbewerbsshow, in der die Kandidaten gegeneinander Alltagsgegenstände täuschend echt in Kuchenform nachbilden müssen. Ich mache mir wohlgemerkt rein gar nichts aus Kuchen. Ich esse ihn, wenn er auf dem Tisch kommt. Ich knipse ein Foto und mache es meiner Gemeinde im Internet zugänglich, wenn er likeable aussieht. Weil sich das so gehört und ich ein höflicher Mensch bin. Würde allerdings über Nacht aller Kuchen von dieser Welt für immer verschwinden, würde ich es wahrscheinlich gar nicht bemerken. Woraus ich mir durchaus etwas mache: Drama! Tragik! Komik! Tränen! Gelächter! Freud! Und Leid! All das hat Is It Cake? zuhauf. All das braucht natürlich gute Charaktere, und für die vierteilige Weihnachtssonderausgabe hat man die besten aus den ersten drei Staffeln noch einmal eingeladen. Hätte ich mir gerne 24 Folgen lang angesehen. Allerdings emotional wohl nicht verkraftet.

In erster Linie ist Is It Cake? eine Familiengeschichte, und zwar eine Neuenkirchen/Katayama-Familiengeschichte. Damals, in der Corona-Zeit (die Älteren erinnern sich vage), erwischte es meine Tochter. Sie war noch ein Kind, also steckte sie es gut weg, doch Regeln sind Regeln: Wir mussten sie ebenfalls gut wegstecken, und zwar in ihr Zimmer, 10 Tage lang. Hin und wieder flutschte einer gesichtsverhüllt kurz durch den Türspalt, um Wasser und Brot bereitzustellen. Aber wir sind ja keine Unmenschen, deshalb richteten wir unsere IT-TV-Infrastruktur dahingehend ein, dass wir alle gemeinsam Fernsehen und uns dabei gegenseitig im Fernsehen sehen konnten. Die erste Staffel von Is It Cake? war die Sendung, die uns als Familie trotz Sozialdistanzierung zusammenhielt. Danke, Mikey. Danke, Hemu. Danke, April. Danke, Justin. Danke, Dessiree. Danke, Andrew. Danke, Jonny. Danke, Sam. Danke, Nina. Danke, Steve. Ihr seid alle Gewinner.

Der Film Carry-On ist ebenfalls von Netflix, jedoch kein Kuchen. Ein niederer Ordnungshüter muss in einer kniffligen Bedrohungssituation über sich selbst hinauswachsen, um den Bösen möglichst unbemerkt das Handwerk zu legen und seine Liebsten zu retten, mit ein klein bisschen fernmündlicher Hilfe von zunächst skeptischen externen Ordnungshütern. Die Prämisse hat es womöglich schon mal gegeben, aber ganz bestimmt nicht als Weihnachtsfilm. Das Ganze wurde geschrieben von einem Videospiele-Autor und inszeniert von einem Liam-Neeson-Regisseur. Man bekommt also das, was man bestellt hat. Carry-On verrät einem nichts grundlegend Neues über die Conditio humana und zeigt uns keine Wege aus dem Weltschlamassel. Aber der Film erinnert uns daran, dass andere Menschen es auch nicht leicht haben. Zum Beispiel wenn sie Giftgasanschläge verhindern müssen, während sie um ihren Job und ihre Beziehung kämpfen. Ich muss leider darauf bestehen, dass die Fortsetzungen (Carry-On 2, Carry-On with a Vengeance, Live Free or Carry-On, A Good Day to Carry-On) pünktlich zu den nächsten Weihnachtsfesten ausgestrahlt werden, denn dieser Film hat mir gut gefallen. Wenn auch nicht so gut wie Is It Cake?.

Amazon hat immer noch nicht gelernt, dass man für Geld nicht alles kaufen kann. Gute Drehbücher zum Beispiel nicht (obwohl ich meinen möchte, so wie ich Autoren kenne, dass sich gerade da mit Geld eigentlich was machen lassen müsste). Red One – Alarmstufe Weihnachten ist genau die Art von zynischem, waffenstarrenden, Product-Placement-verseuchten Unsinn, der in Die Geister, die ich rief noch als Film-im-Film parodiert wurde. Doch wir leben in einer post-satirischen Epoche, und uns wundert gar nichts mehr. Der Weihnachtsmann wurde jedenfalls von der bösen Weihnachtshexe entführt, und The Rock und Captain America müssen ihn retten. Wer mich kennt, der weiß, dass ich überraschende Handlungswendungen gemeinhin als billige Taschenspielertricks abtue, die nur bemüht werden müssen, wenn man sonst nichts zu bieten hat. Im Umkehrschluss heißt das allerdings auch: Wenn man tatsächlich sonst nichts zu bieten hat, dann sind billige Taschenspielertricks immerhin etwas. Red One ist eine Action-Komödie ohne echte Witze (und ich habe nicht das Gefühl, dass das posthumoristische Absicht ist wie bei dezidierten Anti-Komödien à la The Bear und diesem ganzen öden Mist, Entschuldigung, aber stimmt doch). Ohne Action ist sie leider nicht, man fummelt also ständig wegen Lautstärkeregelung mit der Fernbedienung rum. Es passieren unentwegt Sachen vor sich hin, doch nichts davon scheint allzu dringlich oder wichtig. Ein Film wie eine zweistündige Star-Wars-Cantina-Szene. Man wünschte sich, dass das Happy End dann wenigstens durch eine überraschende Wendung herbeigeführte würde, wo sonst schon nichts Interessantes passiert ist, aber nein: Die Liebe siegt wegen Liebe, einfach so. Die Überraschung: Es gibt keine Überraschung.

Ähnlich überfüllt und hibbelig ist das Musical Spirited, gleichwohl etwas origineller konzipiert und sympathischer besetzt. Ein weiterer Remix von Dickens‘ Weihnachtsgeschichte, diesmal mit dem Hauptaugenmerk auf dem Geist der diesjährigen Weihnacht (Will Ferrell), der kurz vor der Pensionierung steht, aber vorher noch eine als hoffnungslosen Fall kategorisierte besonders dunkle Seele (Ryan Reynolds) retten möchte. Reynolds macht sich beim Tanzen besser, Ferrell beim Singen. Kann halt nicht jeder Hugh Jackman sein. Wie bei Red One möchte man den Film öfter mal anhalten und ihn anherrschen: „Nun beruhig dich doch mal!“ Das haben wir auch getan, deshalb bin ich noch nicht fertig damit. Mit diesem Beitrag hingegen schon.

Und das war es nun wirklich. Hier enden meine jährlichen Weihnachtsfilm- und -fernsehbetrachtungen mit Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest Teil 3: Das letzte Kapitel für immer. Darum schalten Sie auch nächstes Jahr wieder ein, wenn es heißt: Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest: Ein neuer Anfang.

Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest Teil 2: Ho-Ho-Horror-Special

Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema komme, möchte ich eine kleine Anekdote von neulich loswerden, die gar nichts mit dem Thema zu tun hat, obwohl ich, wie ich mich kenne, trotzdem krampfhaft einen Übergang versuchen werde.

Neulich lud mich eine Geschäftsfreundin zu einem Catch-up-Mittagessen (nicht zu verwechseln mit einem Ketchup-Mittagessen) in den etwas vornehmen Tokyo American Club ein. Besorgt, dass ich womöglich als Junge vom Lande nicht mit den Gepflogenheiten urbaner Erwachsener vertraut wäre, sagte sie gegen Ende der Terminabsprache: „You have to wear a shirt with a collar.“ Ich sollte also ein kragenbewehrtes Hemd tragen, so ich Zutritt zum Speisesaal begehrte. Das war natürlich kein Problem; abgesehen von Unterhemden habe ich gar keine Hemden ohne Kragen, und nur fürs Unterhemd ist es jetzt (endlich) zu kalt. Allerdings war unsere Internet-Telefonverbindung nicht gerade von Fünf-Sterne-Qualität und die Geschäftsfreundin saisonbedingt arg verschnupft, deshalb verstand ich: „You have to wear a shirt with the colors.“

Da dachte ich mir: Die sind aber streng geworden! Das letzte Mal, dass ich mich im TAC verlustieren durfte, musste man kein Hemd in den amerikanischen Farben tragen. Ist das wegen Trump? Ist diese vormals gar nicht so unsympathische Ausländerorganisation jetzt auch eingeknickt? Dann vielleicht doch lieber Ketchup-Mittagessen bei Mos Burger.

Glücklicherweise fragte ich noch zweimal nach, und das Missverständnis klärte sich auf. Weder erschien ich zur Verabredung angetan wie ein Rodeo-Clown noch zornig mit Protestbanner. Das Erstaunliche an dieser kleinen Schnurre ist meines Erachtens, dass ich den Gedanken, ich könnte mich eingangs NICHT verhört haben, zwar ein wenig absurd fand, aber nicht völlig undenkbar. Vielleicht sind wir schon so weit gekommen. Vielleicht bin auch nur ich schon so weit gekommen.

Das ist ein idealer Übergang zu meinem eigentlichen Thema: Amerikanische Filme. Speziell amerikanische Weihnachtsfilme. Heute insbesondere amerikanische Weihnachtshorrorfilme. Und einer kommt nicht mal aus Amerika.

Es geht also um das sogenannte Ho-Ho-Horror-Subgenre. Bitte vergessen Sie meine Titelankündigungen aus der letzten Folge, ich habe es auch längst getan. Manchmal hat das Schicksal andere Pläne, und dann macht man Limonade. Oder holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank, um beim Thema zu bleiben.

Hand aufs Herz: Weihnachtshorrorfilme sind selten gut. Zumindest selten richtig gut. Kein Wunder, schließlich bringen Weihnachtshorrorfilme nur an Weihnachten die Kassen zum Klingeln, und dann wahrscheinlich sogar unabhängig von ihrer Qualität (also wie alle anderen Weihnachtsfilme auch). Da muss man sich keine Mühe geben. Da kann man ruhig mal Fred Olen Ray anstatt David Cronenberg ranlassen, denkt man sich in der Filmproduktionsbuchhaltung. Doch Wunder gibt es immer wieder, und in diesem Jahr ist mir das eine oder andere geschehen. Ich rede dabei nicht von Violent Night, dem Saison-Hit von vor zwei Jahren mit dem Weihnachtsmann als Action-Held, den ich nach kurzer Zeit abgebrochen habe. Das hätte ich mit 12 Jahren vermutlich im Brustton der Überzeugung als „messerscharfe Satire“ gepriesen, aber heute ist es mir zu stumpf. Apropos Messer.

Angesichts des bescheuerten Titels hätte ich mir It’s a Wonderful Knife beinahe gar nicht erst angeschaut. Doch mir blieb buchstäblich kaum eine Wahl. Zum Glück. So viel Spaß hatte ich mit einem Weihnachtsfilm schon lange nicht mehr. Wie der Filmtitel ist die Handlung eine Annäherung an den Weihnachtsklassiker It’s a Wonderful Life (das entschuldigt natürlich nichts): Einer jungen Frau, die sich eines Nachts im Affekt wünscht, nie geboren worden zu sein, wird paralleldimensional vor Augen geführt, wie viel schrecklicher die Welt ohne sie darin wäre; insbesondere in Bezug auf den maskierten Serienmörder, der sich äußerst negativ auf die Stimmung und die Einwohnerzahl in ihrem Heimatort auswirkt.

Erfrischenderweise betet das Skript nicht die falschen Götzen des Plots und der überraschenden Handlungswendungen an. Ein gesundes Tempo und liebevoll gezeichnete Figuren sind ihm wichtiger. Die Geschichte wird kaum über die Prämisse hinaus entwickelt, und selbst deren innere Logik wackelt arg, wenn man unbedingt Spielverderber sein muss und allzu verbissen drüber nachdenkt. Oder überhaupt drüber nachdenkt. Doch vor der öden, buchhalterischen Logiklückenerbsenzählerei mancher angeblicher Filmfreunde sollten wir zumindest an Weihnachten Aug und Ohr fest verschließen, dafür unser Herz so sperrangelweit öffnen, als wäre es ein sternebestrahltes Scheunentor in Betlehem.

Kritiker waren übrigens von It’s a Wonderful Knife nur mäßig begeistert. Das hat der Film heute mit It’s a Wonderful Life damals gemeinsam. Ich meine ja nicht, ich sage ja nur.

Norwegischer Horror scheint so langsam ein Ding zu werden, wie wir Berufsjugendlichen sagen. Ist das N-Horror? No-Horror? No-Ho-Ho-Horror? An der Verschlagwortung muss noch gefeilt werden. There’s Something in the Barn ist so etwas wie das norwegische Gremlins, nur mit lieben Elfen/fiesen Elfen anstatt Mogwais/Gremlins. Wer Gremlins mag und etwas für Norwegen übrig hat, kann damit nichts falsch machen.

Silent Night – leise rieselt das Blut von 2012 ist angeblich ein Remake von Stille Nacht – Horror Nacht von 1984, den ich in meinen Flegeljahren höchstwahrscheinlich mindestens einmal gesehen habe. Es stellte sich allerdings beim Ansehen des neueren Films kein Ach-ja-Effekt ein. Vielleicht ist es nur ein Remake dem Namen nach, um sich bei den Horrorfans anzubiedern. Die sind ja bekanntlich ganz verrückt nach Remakes, können gar nicht genug davon bekommen, schreiben zu Abertausenden tagtäglich das Internet voll: „Mensch, wann kommt endlich mal wieder ein Remake? Immer nur Originalstoffe, Originalstoffe, Originalstoffe! Den Studios fällt auch echt nichts Altes mehr ein!“

Mein Verhältnis zu Silent Night – leise rieselt das Blut ist ein wie von einer großen, scharfen Axt gespaltenes: Einerseits hat der Film ein paar gut gespielte exzentrische Charaktere deutlich über Slasher-Film-Niveau, die für vereinzelte Momente von regelrechter Tiefganggefahr sorgen. Andererseits werden die stets von so maßlosen Gewaltexzessen abgebrochen, dass man sich fragt: Ist das noch Unterhaltung, oder kann das weg? Gut möglich natürlich (nein, eigentlich nicht), dass genau das künstlerische Absicht war: Das Genre und das Publikum entlarven und letzterem einen Spiegel vors Gesicht halten, auf dass es seine eigene hässliche Fratze erkenne und ihm das Ho-Ho-Ho im Halse steckenbleibe. Aber wir sind hier ja nicht bei Michael Ho-Ho-Haneke.

So, machen wir an dieser Stelle mal einen Cut (Mann, bin ich heute in Form!) und sehen uns zum allerallerallerletzten Teil kurz vor Weihnachten noch mal wieder, so alles gutgeht. Dann unter anderem mit der Endschlacht der Titanen: Red One – Alarmstufe Weihnachten gegen Is it Cake? Holiday.

Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest

Nur mein wirklich letztes Weihnachtsfest vor dem Fernseher, keine Sorge.

Hilfreich wäre es, wenn man sich an sein Geschreibe von gestern stets erinnern könnte, denn dann hätte ich gewusst, dass ich bereits im letzten Jahr damit gedroht hatte, in diesem Jahr zur Weihnachtszeit die ‚Flimmerkiste‘ auszulassen und meine Familie lieber mal bei Gesellschaftsspielen und Käsefondue neu kennenzulernen, als noch einmal dieses Elend zu ertragen, das sich dieser Tage Weihnachtsfilm nennt (Weihnachtsfernsehen mitgemeint). Aber nein, ich habe mich nur an eins erinnert: Dass ich jedes Jahr so viel Weihnachtsfilm und -fernsehen gucke, wie ich kann, um dann in meinem stets aktuellen Blog mit erschöpfender Ausführlichkeit darüber zu berichten.

Meine Frau und ich haben uns in diesem Jahr größtenteils an die Filme der letzten Jahre gehalten, für die wir damals keine Kraft mehr gehabt hatten. Diese Ausschussware schien immer noch verheißungsvoller als die aktuellen Neuerscheinungen. Die Sharknadoisierung des Weihnachtscontents schreitet unerbittlich voran.

Dieses Jahr begann für uns alles mit Genie, und da begann auch schon gleich der Ärger. Nicht so sehr über den Film; der war erträglich genug, um ihn in einem Rutsch zu schaffen (eine Seltenheit in meinem Alter). Aber hier ist die moderne Unsitte, englische Werktitel nicht mehr ins Deutsche zu übersetzen, besonders ärgerlich, geht es in der Geschichte doch nicht um ein Genie im Sinne der deutschen Wortdefinition (also einen Menschen „mit überragender schöpferischer Begabung, Geisteskraft“ – Duden), sondern im Sinne des orthographisch identischen englischen Begriffs, also einen „bösen Geist im vorislamischen Volksglauben“. Im Deutschen sagt man Dschinn dazu, ihr Genies! Wo sind die Zeiten geblieben, als man Filme wie diesen im deutschen Verleih noch Na hoppla – ein Flaschengeist lässt es ordentlich krachen! genannt hätte?

Hollywood jedenfalls hat dem vorislamischen Volksglauben längst das Böse ausgetrieben, deshalb ist der Dschinn in Genie natürlich nicht böse, sondern Melissa McCarthy. Wie immer macht sie lustige Sachen, und wie immer sind die nicht so lustig, wie sie sein könnten, würde McCarthy sich vorher mal durchlesen, worauf sie sich da einlässt. Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass sie sich seit Jahren unter Wert verkauft.

Allzu viel kann ich über Genie nicht mehr sagen, das ist schließlich schon rund zwei Wochen her, und es ist keiner dieser Filme, an die man sich am nächsten Tag noch erinnern würde (tatsächlich musste ich gerade überlegen, ob ich ihn dieses oder letztes Jahr gesehen habe). Eines meine ich allerdings doch im Gedächtnis zu haben, vielleicht auch eher im Gefühl: Es hat nicht weh getan. Was man nicht über alle Weihnachtsfilme sagen kann. Und das bringt uns direkt zu Our Little Secret, dem dritten und letzten Film aus Netflix‘ Knebelvertrag mit dem ehemaligen Kinderstar und der vorübergehenden Skandalnudel Lindsay Lohan. Endlich frei! Endlich wieder richtige Filme! Das hat sie sich verdient, und wir uns auch. Wie schon bei der Lohan-Netflix-Weihnachtszumutung Falling for Christmas (wir berichteten) gingen die Feuilleton-Meinungen über Our Little Secret in die Richtung, dass der Film nicht viel hermache, aber die alte Comebacknudel Lohan einiges raushaue. Und wieder sage ich: Nein, nein uuuund: Nein! Der Film macht in der Tat nicht viel her, doch leider macht‘s Lohan nicht besser. Sie kann vieles, aber nicht alles. Wunder wirken zum Beispiel nicht. Sie ist ja kein Dschinn. Ihre Lebenserfahrung hat sie gezeichnet, wie es Lebenserfahrung halt so tut. Ihre Zeit für Meet-Cute unterm Mistelzweig ist vorbei, und das ist keine Schande. Lindsay Lohan muss kurz vor 40 keine herzensguten, unverdorbenen Vorstadtmädchen mehr spielen. Lindsay Lohan soll gerne, zum Beispiel, Red Sonja spielen. Wenn sie dann auf dem Schlachtfeld versehentlich von hinten Conan den Barbaren anrempelt, klappt’s auch wieder mit dem Meet-Cute. Dafür würde ich sogar eine Kinokarte lösen. Aber nicht für diesen faden Weihnachtseintopf mit den üblichen Weihnachtseintopfzutaten: Erste Liebhabervorstellung bei den strengen Eltern, eine tote Mutter, ein rührender alleinerziehender Vater und ein Haus voller Erinnerungen, das zum Schluss doch nicht verkauft werden muss. Zu behaupten, dass dieser Lohan-Netflix-Eintopf ein kleines bisschen weniger fade wäre als der von 2022, ist rein wissenschaftlich betrachtet nicht ganz verkehrt, jedoch muss man schon sehr mikroskopisch rangehen, um den Qualitätsunterschied festzustellen.

Ein Schauspieler, der gesichtsmäßig prädestiniert für Liebesgeschichten im Kunstschnee scheint, ist Justin Heartley, der Kevin aus This Is Us, Sie wissen schon, die Manny, der Tracker. Einer dieser Typen wie früher Brad Pitt, wo man es als Mann gar nicht verknusen konnte, dass der gleichzeitig aussehen und schauspielern konnte. In The Noel Diary spielt Heartley einen Schriftsteller mit toter Mutter, der sich in eine Frau mit verschwundener Mutter verliebt (im Schnee).

Hätte ein richtig guter Film werden können, wenn man über das Skript noch mal einen geübten Ghostwriter hätte drüberschreiben lassen und sich der Regisseur und der Kameramann nicht gesagt hätten: Was soll’s, die Leute schauen sich’s ja eh nur auf dem Mobiltelefon an. Man kann direkt froh sein, dass The Noel Diary nicht gleich im Hochformat gedreht wurde. Mit anderen Worten: Die Story ist gar nicht mal schlecht, die Nasen sind sympathisch, hätte man sich in dieser Form aber auch auf dem Mobiltelefon ansehen können. Und mit diesem Skript meinetwegen sogar im Schnellvorlauf.

Interessant ist an dem Film vor allem eins: Meine Frau. Mitunter kommt es ja vor, dass Filme recht plötzlich enden, ohne jeden kleinen Nebenkonflikt in Wohlgefallen aufgelöst zu haben. Normalerweise fällt dann meine Frau aus allen Wolken und ich mannkläre ihr, dass das bewusst so gemacht wurde und auch gut so ist. The Noel Diary endet ebenfalls mittendrin, und diesmal traf es mich völlig unvorbereitet. Ich schimpfte wie ein Rohrspatz, und es war an meiner Frau mir kühlen Kopfes zu frauklären, dass man sich den Rest ja wohl „denken“ könne. Nein! Denken kann ich nicht! Nicht bei Weihnachtsfilmen! Einen der Haupthandlungsstränge nicht zu Ende zu erzählen ist viel zu mutig für dieses Genre.

In Christmas with You machen ein Popstar mit toter Mutter und eine Highschool-Schülerin mit toter Mutter musikalisch gemeinsame Sache, und am Rande verlieben sich der Popstar und der rührende alleinerziehende Vater der Schülerin. Der rührende alleinerziehende Vater wird von Freddie Prinze Jr. gespielt, der früher mal ein unanständiger Teenager-Traum war. Heute sieht er aus wie du und ich, also in erster Linie wie du. Das macht ihn so sympathisch. Wie der Film überhaupt unerwartet sympathisch ist. Besonders der Kunstschnee. Künstlicheren habe ich noch nie gesehen. Er fällt gerne mal von unten nach oben, ganz ohne andere Anzeichen von Aufwinden. Außerdem macht er nie etwas nass und scheint auch nicht allzu kalt zu sein.

Weil wir erst mal genug Netflix-Kunstschnee gesehen hatten, wandten wir uns an die BBC, die jedes Jahr um diese Zeit einen Film namens Nativity! mit Dr. Watson als Grundschullehrer im Krippenspielstress wie Sauerbier anbietet. Ungefähr 50 Prozent der Witze im Trailer kann man als solche durchgehen lassen. Mir hat das gereicht, doch meine Frau legte Veto ein. Stattdessen blieben wir eine Weile bei The Making of Do They Know It’s Christmas? hängen, eine neu zusammengeschnittene Dokumentation aus alten Filmaufnahmen von den Tonaufnahmen der All-Star-Benefiz-Single. Die Aufnahmen waren wohl lange Zeit verschollen (das scheint bei der BBC öfter vorzukommen), und ihr Wiederauftauchen ist vermutlich eine pophistorische Sensation. Aber muss man sich das in Spielfilmlänge ansehen? Man weiß ja eh, wie es ausgeht.

Wo ich allerdings schon mal eine stabile Verbindung zur BBC hatte, was auf unserer kleinen, entlegenen Insel keine Selbstverständlichkeit ist, schaute ich auch noch in das Death in Paradise Christmas Special 2023 hinein. 2023! Das klingt ja wie Science-Fiction! Bei Death in Paradise bin ich ca. 2014 steckengeblieben, als Ben Miller zum letzten Mal die Rolle des steifen, weißen, britischen Polizeibeamten spielte, der auf einer fiktiven Karibikinsel mit nicht-steifen, nicht-weißen, quasi-britischen Kolleginnen und Kollegen einen hochkomplexen Mordfall nach dem anderen aufklären muss. Ich habe wirklich versucht, offen für die Nachfolger zu sein, doch es hat mit keinem geklappt. Für solch einschneidende Veränderungen ist einfach kein Platz im Cosy-Crime-Genre.

So nahm sich dieses Christmas Special zunächst erwartungsgemäß furchtbar aus. Wer waren all diese Leute? Warum war jetzt nicht nur die Hauptfigur so steif, sondern auch die gesamte schauspielerische Ensembleleistung und die Inszenierung? Als hätten die letzten zwei bis drei Jahrzehnte tatsächlich guten Fernsehens nie stattgefunden. Ich glaubte nicht, länger als zehn Minuten am Ball bleiben zu können. Allerdings war meine Frau inzwischen neben mir auf dem Sofa eingeschlafen, und vor dem Fernseher zu schlafen heißt dem Fernseher zu vertrauen. Ich wollte ihren Schlaf nicht stören und ihr Vertrauen nicht missbrauchen, indem ich zu etwas Aufregenderem umschaltete.

Gott sei Dank. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an dieses seltsame 2023-Zukunftsszenario. Vielleicht war das, was ich zunächst für ungelenk gespielt und inszeniert gehalten hatte, einfach nur ungewohnt. Vielleicht war der neue Typ gar nicht so übel. Jedenfalls flutschte das irgendwann alles einigermaßen, und zum Schluss wurde der Mörder dingfest gemacht, wegen irgendwas mit einer Flasche, und Patsy Kensit, die Lindsay Lohan meiner Generation, war auch dabei, in einer altersgerechten Rolle (BBC, bitte einmal bei Lindsay Lohan anrufen). Das Death in Paradise Christmas Special 2023 ist klassisches Fernsehen in dem Sinne, dass man nebenher gerne noch andere Sachen macht, wie das handschriftliche Erstverfassen dieses Blogeintrags, und sich hinterher selbst nicht böse ist, wenn man nicht restlos alles mitbekommen hat.

Ich habe übrigens tiefenpsychologisch analysiert, warum ich entgegen meinen sonstigen, sehr veränderungstoleranten Sehgewohnheiten so an Ben Miller hänge, wenn es um Death in Paradise geht. Er verließ die Serie nach der zweiten Staffel, weil er lieber bei seinem neugeborenen Kind in England bleiben wollte, als in der Karibik Krimis zu drehen. Ich entdeckte die Serie, als ich selbst gerade Vater wurde. Sie bot nicht nur die Art von unkompliziertem Eskapismus, die man in dieser Lebensphase gut vertragen kann, sondern ich konnte mich auch gerade durch seinen Weggang mit dem Hauptdarsteller genauso gut identifizieren wie mit der Rolle, die er spielte. Dagegen können die Zweit-, Dritt-, Viert- und die kommende Fünftbesatzung schwerlich anspielen.

Bevor es zu sentimental wird (das können wir an Weihnachten natürlich nicht gebrauchen), mache ich an dieser Stelle erst mal Schluss. Lesen Sie im zweiten, vermutlich wirklich allerallerletzten Teil meiner Weihnachtsfilm- und Weihnachtsfernsehbetrachtungen: Violent Night, Black Doves, Carry-On und wenn ich ganz viel Mut aufbringen kann Nutcrackers sowie ausführliches allgemeines Abschlussgemecker über den Zustand der Welt (also das Weihnachtsprogramm von Streamern und anderen Fernsehsendern).