Mein erstes Mal in Japan (3): Oktoberfest

Aufs Münchner Oktoberfest kriegen mich keine zehn wimpernklimpernden Bikinimädchen, seit mir dort mal jemand auf den Kopf gekotzt hat. Lange Geschichte. Eigentlich extrem kurze Geschichte, sie ist ja auch in der Quintessenz bereits wiedergegeben, die genaueren Umstände sind schwierig zu erklären, man müsste Diagramme zeichnen, das ginge zu weit. Ich habe Glück: Ich lebe ohnehin in München, deshalb muss ich nicht aufs Oktoberfest. Bier ist in München ganz legal an jedem Tag des Jahres zu bekommen, ausgeschenkt in Gaststätten, in denen teilweise sogar noch bessere Musik gespielt wird als auf dem Oktoberfest, und in denen Menschen verkehren, die ihre Zuneigung anders zeigen können als fremden Menschen auf die Köpfe zu kotzen.

Aber in Tokio kann ich so ein Oktoberfest mal mitmachen, finde ich. Das Stadtviertel Roppongi ist in den letzten Jahren wahnwitzig schnell versnobt und ver-yuppiet, und das ist eine ganz wunderbare Entwicklung. Jeden Tag danke ich Gott auf Knien dafür. Vorher war Roppongi Ballermann, nur nicht so kultiviert. Jetzt gibt es hier die besten Kunstmuseen, die schönsten Hochhäuser und die teuersten Einkaufszentren der Welt, man möchte gar nicht mehr weg. 2003 war der protzige Büro/Shopping/Gastro/Wohn/Kultur-Komplex Roppongi Hills der letzte Schrei, seit 2007 ist es der noch protzigere Büro/Shopping/Gastro/Wohn/Kultur-Komplex Tokyo Midtown ein paar Ecken weiter. Dort findet auch der ‚Tokyo Midtown Deutsch Bier Garten‘ statt, zu dem es mich zieht. Gut, es heißt nicht direkt ‚Oktoberfest‘, fällt mir gerade auf. Sein Sie doch nicht so. Ich bin bereit, ein Auge zuzudrücken.

Sieht auch nur bedingt nach Oktoberfest aus, was dort auf der Rasenfläche von Tokyo Midtown aufgestellt wurde. Die Sauf- und Fressstände scheinen mir authentische Importe, alles Hofbräu-lizensiert. Aber die mit weißem Tuch überdachten Sitzbänke und die weißen Stehtischchen sind eher Ferrero-Party mit German Kleinigkeiten. Gefällt mir. Es gibt eine Musikbühne, da stehen Tuba und Kuhglocke, aber keine Musiker. Gefällt mir auch.

Natürlich bestehe ich auf Japanerinnen in Dirndls. Aber dafür hätte ich wohl doch auf die Münchner Ausgabe gehen müssen. Eine immerhin läuft rum, sie verteilt Handzettel, auf denen mehrsprachig die Biersorten und die Maßeinheiten erklärt werden. Ich bekomme keinen, weil ich wissend lächle. Man kauft sich Wertmarken an einer Bude, die tauscht man an einer anderen Bude gegen das frisch gezapfte Bier ein. Am Ausschank ist eine junge Dame mit mehrfach gefärbten Haaren, die ich für deutsch halte (die Dame [okay, die Haare auch]). Ganz sicher bin ich mir nicht, sie macht das gut mit Japanisch, Deutsch und Englisch. Sie kann besser Sprachen als Zapfen, und das begrüße ich. Zapfen ist zwar auch wichtig, kann man aber spät im Leben noch lernen. Sprachen nicht, glauben Sie mir.

Hunger habe ich leider auch. Das ist gemeinhin ein Problem auf solchen Veranstaltungen. Bei ähnlichen Anlässen in Bayern wird bloß groß geschaut, wenn ich frage: „Gibt’s das Hendl auch in Tofu?“ Auch hier kann man nur wählen zwischen zwei Ständen: ‚München Oktoberfest Originale Wurst‘ und dem ‚Franzl Grill‘. Also kaufe ich für viel Geld eine Brezn. Ich hätte gern noch eine Gurke dazu gekauft, so großen Hunger habe ich, aber so viel Geld nicht. Angesichts des Preises gehe ich davon aus, dass es sich um eine dieser Riesenbrezn handelt, von denen man Bauchschmerzen bekommt, wenn man sie nicht mit den anderen Kindern teilt. Ist aber nur eine kleine, ist schließlich Tokioter Oktoberfest, nicht die Münchner Schnäppchen-Wiesn. Macht nichts, mein Bier ist ja auch nur ein kleines. Der Wertmarkenverkäufer hat mich bei der Bestellung mit einer Mischung aus Enttäuschung, Mitleid und Verachtung angesehen, bilde ich mir ein. Aber mein Tokio-Aufenthalt neigt sich dem Ende zu, da sitzt das Geld nicht mehr so locker. Außerdem spiele ich mit dem Gedanken, mir noch den neuen ‚20th Century Boys‘-Film auf DVD zu kaufen.

Wie gut, dass es zu regnen anfängt. Ich habe nur einen unüberdachten Stehplatz, da komme ich nicht in Versuchung, meine Besuchszeit auszudehnen. Womöglich noch, bis die Blasmusik mit Kuhglocke käme. Wenn die kommt, kenne ich immer kein Halten mehr, dann wird durchgemacht bis morgen früh.

Aber sche war’s scho. Fast so schön wie in München, wenn kein Oktoberfest ist.