(Monat der bildlosen Sprach- und Medienkritik, Episode V – das letzte Kapitel)
Anderntags kam ich an die Werbung für ein neues Videospiel. Wie in der Unterhaltungsbranche üblich, wurde mit wohlwollenden Pressezitaten geworben. Eines lautete: „Wow, bin ich geflashed!” Wie die junge Generation sagt: Wirklich? Wie wir Älteren sagen: Seufz! Zielgruppengerechte Ansprache ist schön und gut. Aber wenn sich nun das sprachliche Niveau der professionellen, bezahlten Gaming-Presse zu 0% vom Gespräch am Urinal auf der Reeperbahn nachts um halb eins unterscheidet, muss man sie auch nicht lesen. Dann reicht es, zu den trostlosen Zahlenkolumnen der Testergebnisse vorzuspulen oder gleich im Internet nachzuschauen, wo unbezahlte Amateure mit vergleichbarem Vokabular gratis ihre Meinung zur Verfügung stellen. Es besteht kein Zweifel, dass Videospiele (Computerspiele sind nach Damenmanier stets ‚mitgemeint‘) heute die anspruchsvollste Art des Geschichtenerzählens sind. Technisch ist ihre Entwicklung weitgehend abgeschlossen; außerhalb von Jahrmarkt-Bereichen wie Bewegungssteuerung und 3D sind keine Quantensprünge mehr zu erwarten und haben seit Jahren keine mehr stattgefunden. Wenn man nicht gerade ein Benchmark-Nazi ist, musste man sich seit gefühlten Ewigkeiten keine neue Hardware kaufen. Das ist gut so, nun kann man sich dem Inhaltlichen zuwenden. Es braucht mehr Spiele-Autoren, die die grenzenlosen Freiheiten des Mediums nutzen und vor allem sinnvoll bändigen können. Da bin ich vorsichtig optimistisch, ein paar gibt es ja schon. Ich teile auch nicht die gern herbeifantasierte Sorge, dass Handy- und Browser-Games den richtigen Spielen den Rang ablaufen werden. Das ist so, als würde man behaupten, dass die Bücher von Trendprominenten eine Gefahr für den Literaturmarkt darstellen. Niemand sagt sich im Buchladen: „Ach, ich kauf mir doch lieber den neuen Glööckler als den neuen DeLillo.“ Genauso sagt niemand: „Ach, ich spiele doch lieber eine Runde Angry Birds als eine Runde Deus Ex.“ Was mir sehr wohl Sorgen bereitet, ist die Frage der Vermittlung über das Hardcore-Gamer-Ghetto hinaus. Das bürgerliche Feuilleton macht lobenswerte Mäuseschrittchen hin zu einer Berichterstattung über Videospiele. Meist allerdings folgt sie nach wie vor dem Event-Prinzip (das teuerste Spiel aller Zeiten! das erfolgreichste Spiel aller Zeiten! das gefährlichste Spiel aller Zeiten!). Von der Selbstverständlichkeit, Regelmäßigkeit und Kompetenz, mit der neue Bücher, Filme, Theater- und Musikstücke besprochen werden, ist man dabei in den Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen noch weit entfernt. Und wie soll man das von der arrivierten Journaille auch anders erwarten, wenn sich die Fachpresse, die mit gutem Exempel vorangehen müsste, als hilflos stammelnder Flash-Mob geriert?! (Ich weiß, es gibt ein oder zwei halbwegs lesenswerte Gaming-Magazine in Liebhaber-Auflagenstärke, aber Positivbeispiele haben in einer geifernden Polemik nichts verloren.) Dass etwas in dieser Branche journalistisch nicht so rund läuft, wie es müsste, war mir schon klar, als ich selbst kurzzeitig dazu gehörte. Das ist lange her. Es war keine bessere Zeit, doch es war eine Zeit, in der Zeitschriftenredakteure noch nicht wussten, dass das Internet bald alle Druckerzeugnisse außer Landlust und Landser killen würde. Ehe sich gleich die Falschen in den Rücken gedolcht fühlen: Ich möchte hier nicht von dem KONSOLEN-Spiele-Magazin erzählen, dem ich eine Zeit lang wegen Anstellung im selben Verlagshaus gelegentlich zuarbeitete. Das war sehr schön, solange der Traum währte. Hier soll es um das COMPUTER-Spiele-Magazin gehen, bei dem ich zwei Jobs früher für kurze Zeit exklusiv redaktionell verpflichtet war. Die Gründe für die Kürze dieses beruflichen Gastspiels waren in erster Linie meine grenzenlose Inkompetenz und meine Abneigung gegen den nordkoreanischen Kasernenton im Chefbüro. Der Liebe Führer hin oder her, es waren nicht alle schlecht dort. Ich teilte mein Büro mit einem sympathisch depressiven Veteranen der Szene, der mir gleich zu Beginn sagte, ich könne meine journalistische Karriere jetzt vergessen, denn die nachweisbare Mitarbeit bei einem PC-Spiele-Magazin sei so etwas wie ein scharlachroter Buchstabe auf der Bluse, ein Stigma, ein Schandfleck im Lebenslauf. Passenderweise war unser Büro in einem Keller untergebracht, der nur von einem schmalen Streifen Tageslicht erhellt wurde, für wenige Stunden am Tag. Ich fühlte mich sofort wie eines der toten Kinder in Stephen Kings Es, aus dem Gullideckel säuselnd: „Hier unten schweben wir alle!“ Schlimmer jedoch war die Arbeit als solche. Genau genommen war man an Spiele-Besprechungen gar nicht interessiert, sondern an buchhalterischen Warentests. Alles im Text, was nicht jeder Vierjährige verstand, wurde hinausgestrichen (Dear Leader: „Porno-Musik?! Darunter kann sich keiner was vorstellen!“). Noch ein bisschen schlimmer und unkreativer ging es nur in meinem nächsten Job als PR-Redakteur, als mal ein Kunde meine Chefin fragte, ob ich eigentlich geisteskrank wäre, weil ich die abwegige Idee hatte, eine Weihnachtspressemeldung im weihnachtlichen Stil zu formulieren. Mein erster Auftrag als Spieletester war der Test einer Baseball-Simulation. Ich verstand nicht viel von der Sportart (oder irgendeiner Sportart), war aber schon mal in Amerika gewesen. Als ich mit meinem Test fertig war, ihn so trostlos wie möglich formuliert und mit der üblichen kunstfeindlichen Prozent- und Punktewertung versehen hatte, begann die Redaktionskonferenz, ob die Punkte und Prozente richtig verteilt waren. Die Bewertung des Spiels oblag also nicht mir, sondern war eine Mehrheitsentscheidung von Menschen, die mehrheitlich das Spiel nicht gespielt hatten und noch weniger von Baseball verstanden als ich. So wurde freilich auch mit jedem anderen Test jedes anderen Testers verfahren. So kam man letztendlich bei Testartikeln an, deren Testergebnisse genauso willkürlich waren wie die vorangegangenen Texte freudlos. Übte man leise Kritik an der Schnarchlangweiligkeit dieser Artikel, bekam man das zu hören, was man noch heute überall dort in der Presselandschaft zu hören bekommt, wo man zu faul zum Arbeiten und zu blöd zum Denken ist: „Die Leser erwarten das so.“ Wahrlich, ich aber sage euch: Die Leser können das gar nicht beurteilen. Weil sie die Alternativen nicht kennen, denn sie wurden ihnen nie angeboten. Und ‚geflasht‘ schreibt man mit t.