Schon seit geraumer Zeit merke ich mir die Namen von Schauspielern nicht mehr. Quatsch, ich meinte gar nicht Namen, ich meinte Gesichter. Namen gehen. Ich habe darüber schon einmal in diesem Blog geschrieben, und zwar im Jahre 2012. Leider habe ich das erst bemerkt, als es schon zu spät war, der Stift zu viele Kladdeseiten vollgeschrieben hatte, um sie einfach herauszureißen und Pappmacheschneemänner daraus zu rollen. Ich werde den älteren Beitrag an dieser Stelle nicht verlinken, damit ich mich unentlarvter wiederholen kann.
Damals war mein Fallbeispiel Megan Fox, eine Schauspielerin, von der ich immer wieder hörte, zu der sich mir aber kein Bild einprägen mochte. Um sie ist es inzwischen stiller geworden, doch das ist kein Grund für selbstgerechte „Siehst du?!“-Häme. „Es war nicht sie, es war ich“, wie man in schlecht übersetzten amerikanischen Filmen sagen würde. Die Nichtmehrteilnahme am Schauspielermerken scheint mir ein typisches Altersphänomen. Ich schaue nach wie vor gerne Filme, mir ist nur zusehends egaler, wer die macht und wer darin mitspielt, solange alle ihre Arbeit gut machen. Die bekommen ja schon Geld dafür, die brauchen nicht auch noch mein Personengedächtnis. Das Geld gönne ich ihnen, selbst wenn es unverhältnismäßige Ausmaße annimmt. Besser die als Waffen- oder Drogenhändler, sage ich mir. Altenpfleger oder Entwicklungshelfer wären noch besser, aber die Welt ist halt nicht perfekt. Das Abwenden vom Personenkult in Kunst und Unterhaltung ist eine persönliche Konzentration aufs Wesentliche. Man sollte vermeiden, daraus allgemeingültige Schlüsse zu ziehen, etwa zu maulen: „Die Zeit der großen Stars ist vorbei!“ Die ist nicht vorbei, und die wird so schnell nicht vorbeigehen. Wenn einer ‚Filmstar‘ sagt, habe ich immer zuerst Harrison Ford vor Augen. Nicht, weil ich ein besonders ergebener Verehrer wäre. Sehe ich heute seine alten Filme, denke ich: Na ja, einen gewissen Charme hatte er schon, aber nicht gerade säckeweise Talent. Er war allerdings der erste (nicht der letzte) Filmsuperduperweltstar, der zu meinen Lebzeiten zu einem solchen geworden ist. Quasi live vor meinen Augen. Das vergisst man nicht so leicht. Nun gibt es nicht wenige Menschen meines Alters, die, wenn sie an Harrison Ford denken, klagen: „So einer kommt nie wieder! Die Zeit der großen Stars ist vorbei!“ Sie vergessen all die Griesgrame, die in den Achtzigern an Leute wie James Stewart dachten und klagten: „Die Zeit der großen Stars ist vorbei!“ Wahrscheinlich klagten zu James Stewarts Zeiten die Freunde Clark Gables: „Die Zeit der großen Stars ist vorbei!“ Und zu dessen Zeiten klagten die Fans von Errol Flynn: „Die Zeit der großen Stars ist vorbei!“ Und nach der Ära Rudolph Valentinos klagten seine Verehrer: „Die Zeit der großen Stars ist vorbei!“ Und davor mochte sich keiner vorstellen, dass das vulgäre Lichtspiel jemals ähnlich funkelnde Sterne hervorbringen würde wie die romantisch knarzenden Theaterbühnen der Welt. Denke ich zwei Sekunden länger nach, fällt mir neben Ford noch John Travolta als zweiter Weltstar derselben Ära ein, dessen Werdegang ich nahezu von Anfang an verfolgen durfte. Sein Ruhm ist allerdings mit dem von Harrison Ford nicht ganz vergleichbar. Fords Image scheint völlig immun gegen Flops. Seit Jahrzehnten hat er außerhalb seiner Nostalgie-Franchises keine Rolle von Belang mehr gespielt, trotzdem bleibt die Verehrung breiter Bevölkerungsschichten ungebrochen. Travolta hingegen hat eine rechte Jo-Jo-Reputation zwischen Kult- und Witzfigur. Hat vielleicht auch etwas mit Glaubensfragen zu tun. Zu hoffen wär’s. Um noch einmal auf Megan Fox zurückzukommen: Meine neue Megan Fox ist Channing Tatum. Also die Personifizierung meines gepflegten Unwissens in Sachen ‚Unterhaltungsindustriepersonal nach Harrison Ford‘. Kommt mir der Name unter, und er kommt mir häufig unter, denke ich: Hey, das ist wie damals bei Megan Fox. Keine Ahnung, wer das genau ist. Zeigte mir jemand Bilder von drei gleichaltrigen Schauspielern, könnte ich Channing Tatum wahrscheinlich nicht identifizieren. Es sei denn, einer der Schauspieler wäre ‚schwarz‘, einer ‚asiatisch‘ und einer so weiß wie der berühmte weiße Fußballspieler Franz Beckenbauer. Dann würde ich per Ausschlussverfahren raten: „Es ist dieser Beckenbauer-Typ!“ Ein anderes gutes, wirklich nicht böse gemeintes Beispiel sind die beiden Chrisse aus den Superheldenfilmen. Einer ist Thor, einer Captain America. Wüsste ich es genauer, würde ich mich damit bei Frank Elstners Wetten dass..? anmelden. Nach allem, was man so hört, haben die beiden Chrisse Schwierigkeiten, sich außerhalb der Superheldenfilme einen Namen zu machen (oder zwei, jeweils einen). Hier schätze ich, weiterhin nüchtern analytisch und ohne Häme, dass es vielen Menschen ähnlich geht wie mir, selbst jüngeren: Sie können sich die Chrisse einfach nicht merken. Das liegt nicht an ihnen, das liegt an der Natur der Superheldenfilme: Die brauchen schlicht keine wiedererkennbaren Schauspieler. Das wiederum spricht nicht gegen die Qualität der Filme, eher für die Strahlkraft der Figuren. Früher dachte man noch, Superheldenfilme bräuchten zumindest ‚charismatische‘ Schurken, also holte man Gene Hackman, Jack Nicholson oder Willem Dafoe. Inzwischen weiß man, dass es völlig egal ist, ob Schurken ‚charismatisch‘ sind oder nicht, solange sie nur böse sind. So investiert man das Geld lieber in Spezialeffekte und Marketing. Jetzt haben wir das klitzekleine Problem, dass dieser Text wegen Weihnachten kein richtiges Ende hat. Ich habe nämlich nach langem Überlegen den finalen Absatz komplett gestrichen, denn er enthielt dann doch noch eine unverblümte Pöbelei gegen einen zeitgenössischen Filmarbeiter, dessen Arbeit mir graust und dessen allgemeine Verehrung mir das Gesicht tief in die Handflächen treibt. Vielleicht reiche ich es später nach, aber kurz vor Weihnachten gehört sich so was nicht. Nur so viel sei verraten: Es handelt sich weder um Chiwetel Ejiofor noch um Apichatpong Weerasethakul. Das sind Namen, die man sich merken sollte.