„Ich habe gehört, du wärst gestürzt und dein Gesicht sei vollkommen entstellt!“ So und ähnlich tönte es mir entgegen, als ich unlängst in Bremen sommerte. Das kommt davon, wenn man hier mal was bloggt und da mal so Andeutungen über seinen Gesundheitszustand macht (nicht gut, aber auch nicht überaus besorgniserregend). Hierzu stelle ich fest: Die Verletzungen meines Sturzes sind längst auskuriert, und die Blessuren abgesehen von einer Verfärbung des rechten Knies und einer klitzekleinen Narbe über dem rechten kleinen Finger verblasst. Ich hatte sogar zaghaft bereits wieder ein paar Dauerläufe unternommen, bevor mich die nächste Unglücksverkettung ereilte, auf die ich nun nicht näher eingehen möchte. Nicht aus Diskretionsgründen, sondern weil es mich mittlerweile selbst langweilt. Nur eins: Mein Gesicht war nie in Mitleidenschaft gezogen; das sah schon immer so aus (Sie wissen schon, frei nach den alten Meistern: Maske-welche-Maske).
Sehen wir die positive Seite: Tabletten. Ich nehme am Tag 14 bis 15 ½ davon und bin überzeugt, dass mindestens eine dafür verantwortlich ist, dass ich in letzter Zeit nahezu verlässlich jede Nacht recht intensiv träume. Und das habe ich auch verdient, denn ich finde selten vor sieben Uhr morgens Schlaf (die ‚Nacht‘ im vorangegangenen Satz ist also relativ). Das wiederum liegt nicht an Krankheit oder Medikamenten, sondern an meiner Tochter, die diesmal der Jetlag voll erwischt hat. Vor 5:30 fällt ihr kein Auge zu, deshalb bleiben wir gemeinsam auf und gucken alternierend School Meals Time und The Caped Crusader, denn Gefälligkeiten sind keine Einbahnstraße. Ich selbst hätte keine Schwierigkeiten, zu üblichen Spießerzeiten einzuschlafen, aber wenn Hana endlich müde wird, bin ich wieder hellwach, und es dauerte eine Weile, bis ich ins Reich der intensiven Träume entschwinden darf. Davon möchte ich heute gerne erzählen. Denn was ist mir geblieben, außer meinen Träumen? Wir sind nun zurück aus dem wohltemperierten Europa mit seiner herrlichen Knipp-Cuisine und seinen reuelosen Outdoor-Verlustierungen. Zurück in dem Land, in dem man bis Oktober nicht das Haus verlassen sollte und mit Appetit nur kalte Nudeln und halb gefrorenen Wackelpudding essen kann. Letzte Nacht träumte ich, mein Nachbar hätte ein Stachelschwein. Allerdings nicht lange, denn eines Tages verschwand er und ließ das Tier auf meiner Türschwelle zurück. Zuerst war ich gar nicht begeistert, aber dann ging es: Ich nahm das Stachelschwein überall mit hin, und es wurde ein großer Erfolg in meinem sozialen Umfeld. Mit so einem Stachelschwein ist man einfach überall gern gesehen. Wann und wo genau mein Traum spielte, ist, wie es oft in der Natur der Träume liegt, nicht klar auszumachen. Ich war jedenfalls eine jüngere Version meiner selbst, ungebunden und mit vollem Haar (also eher eine völlig fiktive Version meiner selbst). Ich „ging“ noch regelmäßig zur „Arbeit“ (irgendwas mit Online) und hatte es romantisch auf eine neue Kollegin „abgesehen“, die meinem Absehen äußerst wohlwollend gegenüberstand (definitiv eine fiktive Version meiner selbst). Jeden Morgen holten mein Stachelschwein und ich sie mit dem Fahrrad von dem Bauernhof ab, auf dem sie lebte (ich und Fahrrad! lächerlich!), um gemeinsam ins Büro zu radeln. Wir fuhren auf Fahrradwegen, also wahrscheinlich nicht in Japan. Andererseits dachte ich im Traum einmal, ich würde gern mal wieder eine richtig leckere Tiefkühl-Pizza essen, aber „hier“ gäbe es ja nicht so gute. Also vielleicht doch Japan. Wir (die Kollegin und ich) einigten uns auf ein sogenanntes „Date“, also ein außerberufliches Abendtreffen mit Speisen und Getränken und unverfrorenem Blickkontakt. Gerade an jenem Tag wurde das Stachelschwein krank. Ich brachte es zum Tierarzt, der mir schwere Vorwürfe machte ob der Verwahrlosung des Tieres. Ich wies die Vorwürfe entschieden zurück: Ich hatte das Schwein erst seit kurzem und mich im Rahmen meiner Möglichkeiten exzellent und liebevoll darum gekümmert. Die Verwahrlosung musste auf den Vorbesitzer zurückgehen. Der Arzt zog sich mit dem Stachelschwein in den OP zurück, und ich wartete. Währenddessen kam immer wieder anderes medizinisches Personal auf mich zu, um mir ebenfalls Vorwürfe ob der Stachelschweinverwahrlosung zu machen, was mich so langsam fuchsteufelswild machte. Es wurde immer später, und ich musste bald zu meinem Date aufbrechen, idealerweise natürlich mit Stachelschwein. Ich war mir zwar sicher, dass meine Kollegin mich auch ohne ganz gut fand, aber ich wollte das Tier nicht allein lassen, einfach so. Es war schließlich schon einmal einfach so allein gelassen worden. Wie es ausging? Kennen Sie etwa keine Träume? Wenn es zu kompliziert oder interessant wird, geben die einfach auf. Deshalb eignen sie sich auch so gut wie nie als Vorlagen für literarische Arbeiten. Alles muss man selbst machen. Oder KI. Ich wachte auf, morgens gegen 14 Uhr, und fand meine Tochter neben mir (am Wochenende ist immer Familienschlafen). Ich erzählte ihr: „Ich habe geträumt, ich hätte ein Stachelschwein.“ Ich dachte, das würde sie höchst erfreuen, denn sie liebt Stachelschweine. Sie lächelte nur matt und nickte knapp. Als wollte sie sagen: „Normal.“