Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest Teil 3: Das letzte Kapitel

So spielt das Leben: Gestern denkt man noch, man hätte alle Zeit der Welt, und heute – Bäng! – steht plötzlich Weihnachten vor der Tür. Damit konnte keiner rechnen. Es kam quasi aus dem Nichts. Dabei hatte man noch so viel vorgehabt. Doch wie heißt es schon in der Fibel: Wenn du den Weihnachtsmann zum Lachen bringen willst (im Original: Ho ho ho!), erzähle ihm von deinen Plänen. Sicher, die Geschenke hat jeder vernünftige Mensch schon im August besorgt, und das Essen kommt sowieso von KFC. Aber was ist mit all dem ungeguckten Weihnachtsfernsehen? Im Januar kann man es sich nicht mehr ansehen, dann ist es vergammelt. Jetzt ist es an der Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und vor der Welt zu gestehen: „Ich werde es nicht mehr schaffen, in die Weihnachtsspionageserie Black Doves auch nur reinzuschauen, obwohl ich mich so darauf gefreut hatte, ehrlich. Ich werde das ganz witzige, jedoch für ununterbrochenes Ansehen zu anstrengende Musical Spirited nicht mehr rechtzeitig zu Ende schaffen. Vielleicht doch noch rechtzeitig vor Weihnachten, aber nicht mehr rechtzeitig, um darüber zu schreiben, womit ich die Leser meines Blogs maßlos enttäuschen werde, alle beide. Und Nutcrackers mit Ben Still als Lindsay Lohan … nun gut, so eine unerwartete Zeitverknappung kann auch Vorteile haben.“

Machen wir das Beste aus dem, was wir haben. Wenn Netflix in den letzten Jahren eines richtig gemacht hat, dann ist es Is It Cake?, die Backwettbewerbsshow, in der die Kandidaten gegeneinander Alltagsgegenstände täuschend echt in Kuchenform nachbilden müssen. Ich mache mir wohlgemerkt rein gar nichts aus Kuchen. Ich esse ihn, wenn er auf dem Tisch kommt. Ich knipse ein Foto und mache es meiner Gemeinde im Internet zugänglich, wenn er likeable aussieht. Weil sich das so gehört und ich ein höflicher Mensch bin. Würde allerdings über Nacht aller Kuchen von dieser Welt für immer verschwinden, würde ich es wahrscheinlich gar nicht bemerken. Woraus ich mir durchaus etwas mache: Drama! Tragik! Komik! Tränen! Gelächter! Freud! Und Leid! All das hat Is It Cake? zuhauf. All das braucht natürlich gute Charaktere, und für die vierteilige Weihnachtssonderausgabe hat man die besten aus den ersten drei Staffeln noch einmal eingeladen. Hätte ich mir gerne 24 Folgen lang angesehen. Allerdings emotional wohl nicht verkraftet.

In erster Linie ist Is It Cake? eine Familiengeschichte, und zwar eine Neuenkirchen/Katayama-Familiengeschichte. Damals, in der Corona-Zeit (die Älteren erinnern sich vage), erwischte es meine Tochter. Sie war noch ein Kind, also steckte sie es gut weg, doch Regeln sind Regeln: Wir mussten sie ebenfalls gut wegstecken, und zwar in ihr Zimmer, 10 Tage lang. Hin und wieder flutschte einer gesichtsverhüllt kurz durch den Türspalt, um Wasser und Brot bereitzustellen. Aber wir sind ja keine Unmenschen, deshalb richteten wir unsere IT-TV-Infrastruktur dahingehend ein, dass wir alle gemeinsam Fernsehen und uns dabei gegenseitig im Fernsehen sehen konnten. Die erste Staffel von Is It Cake? war die Sendung, die uns als Familie trotz Sozialdistanzierung zusammenhielt. Danke, Mikey. Danke, Hemu. Danke, April. Danke, Justin. Danke, Dessiree. Danke, Andrew. Danke, Jonny. Danke, Sam. Danke, Nina. Danke, Steve. Ihr seid alle Gewinner.

Der Film Carry-On ist ebenfalls von Netflix, jedoch kein Kuchen. Ein niederer Ordnungshüter muss in einer kniffligen Bedrohungssituation über sich selbst hinauswachsen, um den Bösen möglichst unbemerkt das Handwerk zu legen und seine Liebsten zu retten, mit ein klein bisschen fernmündlicher Hilfe von zunächst skeptischen externen Ordnungshütern. Die Prämisse hat es womöglich schon mal gegeben, aber ganz bestimmt nicht als Weihnachtsfilm. Das Ganze wurde geschrieben von einem Videospiele-Autor und inszeniert von einem Liam-Neeson-Regisseur. Man bekommt also das, was man bestellt hat. Carry-On verrät einem nichts grundlegend Neues über die Conditio humana und zeigt uns keine Wege aus dem Weltschlamassel. Aber der Film erinnert uns daran, dass andere Menschen es auch nicht leicht haben. Zum Beispiel wenn sie Giftgasanschläge verhindern müssen, während sie um ihren Job und ihre Beziehung kämpfen. Ich muss leider darauf bestehen, dass die Fortsetzungen (Carry-On 2, Carry-On with a Vengeance, Live Free or Carry-On, A Good Day to Carry-On) pünktlich zu den nächsten Weihnachtsfesten ausgestrahlt werden, denn dieser Film hat mir gut gefallen. Wenn auch nicht so gut wie Is It Cake?.

Amazon hat immer noch nicht gelernt, dass man für Geld nicht alles kaufen kann. Gute Drehbücher zum Beispiel nicht (obwohl ich meinen möchte, so wie ich Autoren kenne, dass sich gerade da mit Geld eigentlich was machen lassen müsste). Red One – Alarmstufe Weihnachten ist genau die Art von zynischem, waffenstarrenden, Product-Placement-verseuchten Unsinn, der in Die Geister, die ich rief noch als Film-im-Film parodiert wurde. Doch wir leben in einer post-satirischen Epoche, und uns wundert gar nichts mehr. Der Weihnachtsmann wurde jedenfalls von der bösen Weihnachtshexe entführt, und The Rock und Captain America müssen ihn retten. Wer mich kennt, der weiß, dass ich überraschende Handlungswendungen gemeinhin als billige Taschenspielertricks abtue, die nur bemüht werden müssen, wenn man sonst nichts zu bieten hat. Im Umkehrschluss heißt das allerdings auch: Wenn man tatsächlich sonst nichts zu bieten hat, dann sind billige Taschenspielertricks immerhin etwas. Red One ist eine Action-Komödie ohne echte Witze (und ich habe nicht das Gefühl, dass das posthumoristische Absicht ist wie bei dezidierten Anti-Komödien à la The Bear und diesem ganzen öden Mist, Entschuldigung, aber stimmt doch). Ohne Action ist sie leider nicht, man fummelt also ständig wegen Lautstärkeregelung mit der Fernbedienung rum. Es passieren unentwegt Sachen vor sich hin, doch nichts davon scheint allzu dringlich oder wichtig. Ein Film wie eine zweistündige Star-Wars-Cantina-Szene. Man wünschte sich, dass das Happy End dann wenigstens durch eine überraschende Wendung herbeigeführte würde, wo sonst schon nichts Interessantes passiert ist, aber nein: Die Liebe siegt wegen Liebe, einfach so. Die Überraschung: Es gibt keine Überraschung.

Ähnlich überfüllt und hibbelig ist das Musical Spirited, gleichwohl etwas origineller konzipiert und sympathischer besetzt. Ein weiterer Remix von Dickens‘ Weihnachtsgeschichte, diesmal mit dem Hauptaugenmerk auf dem Geist der diesjährigen Weihnacht (Will Ferrell), der kurz vor der Pensionierung steht, aber vorher noch eine als hoffnungslosen Fall kategorisierte besonders dunkle Seele (Ryan Reynolds) retten möchte. Reynolds macht sich beim Tanzen besser, Ferrell beim Singen. Kann halt nicht jeder Hugh Jackman sein. Wie bei Red One möchte man den Film öfter mal anhalten und ihn anherrschen: „Nun beruhig dich doch mal!“ Das haben wir auch getan, deshalb bin ich noch nicht fertig damit. Mit diesem Beitrag hingegen schon.

Und das war es nun wirklich. Hier enden meine jährlichen Weihnachtsfilm- und -fernsehbetrachtungen mit Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest Teil 3: Das letzte Kapitel für immer. Darum schalten Sie auch nächstes Jahr wieder ein, wenn es heißt: Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest: Ein neuer Anfang.