Als ich am Sonntag in meinem Münchner Badezimmer beim Zähneputzen auf und ab ging, ertappte ich mich bei dem Gedanken: Oh je, das ist bestimmt auf Monate das letzte Mal, dass ich in einem Badezimmer auf und ab gehen kann. Denn nach dem Zähneputzen geht es ab nach Tokio, und erst ein paar Tuben später wieder zurück. Und wie die Wohnverhältnisse dort aussehen, weiß man ja.
Tatsächlich kann man in meiner Tokioter Wohnung kaum von einem Badezimmer reden, eher von einem dreiteiligen Hygiene-Wellness-Flügel mit Bad, Toilette und Waschbereich getrennt. Dazwischen kann man wunderbar auf und ab gehen, im Rest der Wohnung sowieso. Ich kann mich gar nicht entscheiden, wohin mit meinem ganzen Zeug. Ich werde mir wohl noch mehr Zeug kaufen müssen. Ich habe zwei Zimmer, eines in Blau, eines in Rosa. Das blaue habe ich zum Wohnen und Arbeiten eingerichtet, das in Rosa nutze ich als Schlaf- und Ankleidezimmer. War ja klar, sagt der, der meine farblichen Vorlieben zu kennen glaubt. Ich aber sage: War ja gar nicht klar. Schließlich verbringt man im Wohn- und Arbeitszimmer viel mehr Zeit mit offenen Augen als im Schlafzimmer. Ich hätte lieber den ganzen Tag rosa gesehen und mich blau gebettet. Es begab sich aber leider, dass die Internetsteckdose im blauen Zimmer ist. Wenn man Gender studiert und mit rosa Schleifchen abgeschlossen hat, kann man am Herd stehen und vor Wut kochen über diesen Sexismus: Der Technikkram wie selbstverständlich im blauen Maskulisten-Zimmer. Und was sollen Mädchen den ganzen Tag tun? Ist im rosa Zimmer etwa das Bügelbrett vorinstalliert? Nein, dort ist der Telefonanschluss. Für den Palast bezahle ich freilich ungefähr das Dreifache wie für mein vergleichbares Anwesen in Mietschnäppchen-München. Meinen Sie deswegen bitte nicht, bei mir gäbe es was zu holen. Aus genanntem Grund ist genau das Gegenteil der Fall. Sie kommen zu spät. Mein neuer Nachbar ist ein junger Chinese, glaube ich (d. h., bei ‚junger‘ bin ich mir sicher). Ich sehe ihn nur, wenn er draußen raucht und ich gucke, was denn da draußen jetzt schon wieder los ist. Ich möchte gerne ein authentischer japanischer Nachbar werden, deshalb interessiert mich immer sehr, was denn da draußen jetzt schon wieder los ist. Man sagte mir, japanische Nachbarn überprüften gerne die hinausgestellten Müllsäcke ihrer Nächsten auf korrekte Trennung und telefonierten die Ergebnisse ggf. an den Vermieter weiter. Ich kann es gar nicht erwarten, das erste Mal ganz eigenen Müll hinausstellen zu dürfen. Ich werde mir den Wecker stellen müssen, denn der Müll darf nur zwischen 7 und 8 Uhr morgens am Tag der Abholung hinausgestellt werden. Da bin ich normalerweise nicht auf, ich hab schließlich drei Monate Feierabend. Ich habe außerdem einen coolen Apfelwecker, den Sie nicht haben: Letztes Jahr spontan in Korea gekauft, jetzt wieder dran erinnert und ausgepackt. Wenn man ihm am Stiel zupft, sagt er mit futuristischer, also Jahr-2000-mäßiger Roboterstimme Zeit und Temperatur an und macht groovy Farben im Anzeigefeld. Für die Müllabfuhr stelle ich ihn gerne. Die japanische Mülltrennung hat einen Ruf als ähnlich kompliziert wie Kimono anziehen. In der Agentur, in der ich meinen Wohnungsschlüssel bekam, nachdem ich 10.000 Dokumente an jeweils mehreren Stellen unterschrieben, eine Schale Tee getrunken und zwei Bonbons gelutscht hatte, wurde mir ein spannendes und informatives Video über das Mülltrennungssystem vorgespielt, während meine ganz reizende Sachbearbeiterin von den unterschriebenen Dokumenten 20.000 Farbfotokopien anfertigte. Zur Sicherheit, falls einer beim Video nicht aufgepasst hat, sind an den Mülleimern in meiner Wohnung auch noch mal ausführliche Anweisungen mit Beispielen angebracht, was wo hinein gehört. Etwas bedenklich ist, dass einige der Beispiele auf den Eimern denen aus dem Video widersprechen. Unterm Strich ist das System aber nach all dem Hype relativ enttäuschend: Es wird im Wesentlichen nur nach Brennbarem und nicht Brennbarem sortiert. Lediglich was was ist, ist dann doch eine rechte Wissenschaft. Schließlich weiß jeder, der mal männliches Kind (vulgo: Junge, landsch.: Bub) war, dass so ziemlich alles brennbar ist, wenn man sich etwas Mühe gibt („und mitunter angezuendet / ganz munter anzuschaun“ – Feurio!, Einstürzende Neubauten). Ich will nicht angeben, aber in Deutschland trenne ich schärfer, wenn auch freiwillig, und meinen Nachbarn ist’s egal, solange ich dabei keine Einstürzende Neubauten Classics aus voller Brust nachsinge. Ich habe mich nämlich entschlossen Gutmensch zu sein, weil Gutmensch zwar nicht toll ist, aber viel besser als Schlechtmensch. Ich sollte mir zum Ziel meines bislang ziellosen Aufenthalts in Tokio machen, das japanische Mülltrennungssystem nötig zu verkomplizieren. Man wird mich noch mehr lieben. Apropos Nachbarn nah und fern: Eine Japanerin steckte mir einmal, sie wolle nicht in Deutschland leben, weil sie gehört hatte, dass man dort nach 22 Uhr zuhause keinen Löffel mehr aus Versehen fallen lassen darf (okay, das war nur einer von knapp 10.000 Gründen). Im Verhaltensreglement für meine Wohnung in Japan steht aber, dass ich hier bereits ab 21 Uhr nichts mehr unangemeldet fallen lassen darf (okay, das steht da nur sinngemäß, ist auch ein bisschen Interpretationssache). Und trotzdem bin ich hier (okay, hab ich ja nicht vorher gewusst). ICH habe kein Problem damit. Mal sehen, wie laut mein chinesischer Nachbar nach Neun so raucht. Den hab ich eh auf dem Kieker, diesen Ausländer. Wenn er integrationswillig ist, hat er von mir nichts zu befürchten, da bin ich tolerant. Morgen ist Mülltag. Bin auf Position. Over and out.