Kurz: Kokuhaku
Interessiert sich hier jemand für Tetsuya Nakashima? Ja, ich. Besser und knapper hätte es Japan kaum hinbekommen können, als den neuen Film meines Lieblingsregisseurs (u. a. Kamikaze Girls und Memories of Matsuko) genau eine Woche vor meiner vorläufigen Abreise noch schnell in die Kinos zu bringen. Gerne würde ich mit Kloß im Hals von einem Geschenk sprechen, aber freilich musste ich Eintritt bezahlen.
Kokuhaku (告白) heißt der neueste Streich, international wird wohl Confessions draus, was auch hinkommt. Takako Matsu spielt eine Lehrerin, die zwei ihrer Schüler verdächtigt, für den Tod ihrer Tochter verantwortlich zu sein. Als sie ihrer Klasse mitteilt, dass sie den Schuldienst quittiert, gesteht sie ihnen auch gleich, dass sie ihre Tochter rächen wird und ihr Racheplan bereits im vollen Gange ist. Sie ist nicht die einzige im Raum, die etwas zu gestehen hat. Und nicht die einzige mit mörderischen Plänen. Mehr sollte man nicht verraten, um die vielen überraschenden Wendungen nicht auszuplaudern, und um wirkungsvoll zu kaschieren, dass man rein sprachlich nicht alles verstanden hat.
Viel wird darüber schwadroniert, dass Nakashima mit diesem Film endlich erwachsen würde, als wenn er das nötig hätte. Keine Anime-Sequenzen und Tanzeinlagen, kein Genrewechsel alle fünf Minuten, keine grellen Farben und schnellen Schnitte, dafür Story, Story, Story. Ich aber sage euch: Kokuhaku ist ein waschechter Nakashima, nur anders als die anderen. Und eine Tanzeinlage gibt es wohl. Handlungsstark waren alle bisherigen Filme des Regisseurs. Wer das nicht erkennt, hat vermutlich Schwierigkeiten, sich auf gewisse Geschichten einzulassen. Was Nakashimas Filme überdies eint ist die Tatsache, dass sie alle optisch 1A, aber ebenso alle optisch unterschiedlich sind. Die Geschichte diktiert, wie sie bebildert werden will. Kamikaze Girls mit seinen überzeichneten aber liebenswerten Figuren muss als knallbunter Comic-Film daherkommen. Memories of Matsuko erzählt ein ganzes Leben in nur etwas über zwei Stunden, deshalb muss sich das Genre und damit die Bildsprache ständig ändern, denn das echte Leben hat im Idealfall mehr als nur ein einziges Genre. Melodram, Komödie, Porno, Horror – alles drin. Der Kinderfilm Paco and the Magical Book wäre viel zu traurig, wenn er nicht fröhlich inszeniert wäre. Und Kokuhaku kann nicht anders als dem schweren Schicksal seiner Figuren mit ruhigen Bildern und gemäßigtem Tempo den nötigen Respekt zu zollen. Ruhige Bilder heißt selbstverständlich nicht, dass der Film weniger sorgfältig gestaltet wäre als seine Vorgänger. Waren frühere Nakashimas wie Videoclips, ist der neue wie ein Gemälde. Beides legitime Kunstformen übrigens, die eine ist im Jahre 2010 nicht weniger erwachsen als die andere. Alles in Kokuhaku ist an seinem Platz. Man sollte nicht glauben, dass irgendein Spiegelbild Zufall ist, oder dass irgendein Regentropfen nicht genau dahin fällt, wo der Meister gesagt hat. Ebenfalls typisch: Konstante, eklektizistische Musikbegleitung zwischen J-Pop, Radiohead, Klassik und Avantgarde. Mal musicalmäßig weit vorne, oft so subtil, dass nur anspruchsvolle Ohren sie bewusst wahrnehmen.
Die Geschichte wirft vieles in ihren Topf. HIV! Häusliche Gewalt! Amoklauf! Mobbing! Liebe! Tod! Trauer! Undsoweiter! Die Verknüpfungen sind dabei häufig überraschend, manchmal auch etwas arg konstruiert. Aber einem Kunstwerk Konstruktion vorzuwerfen scheint mir falsch. Kokuhaku ist, bei allen Unterschieden, wie alle Filme des Regisseurs ein in erster Linie emotionales, dann erst intellektuelles Kunstwerk. Soll heißen: Zielt aufs Herz, aber der Kopf muss nicht draußen bleiben. Es ist definitiv unter allen Nakashima-Filmen der, der nach dem ersten Sehen am längsten nachwirkt. Eigentlich ist es zu früh, jetzt schon etwas drüber zu schreiben. Aber so ist das Internet. In erster Linie wollte ich ja auch nur damit angeben, dass ich den Film schon gesehen habe, und Sie nicht. Wahrscheinlich ist davon keiner außer mir selbst beeindruckt. Aber das muss reichen.