Mein Kampf (der Titanen)

Unlängst ließ ich mir aus der Videothek zwei Filme kommen, die ich ihrerzeit für einen Kinobesuch als zu unbedeutend eingestuft hatte, Avatar und Kampf der Titanen. Als erstes widmete ich mich Avatar, denn insgeheim konnte ich es kaum erwarten. Nach einer endlosen knappen Stunde aber dachte ich: Also, vergackeiern kann ich mich auch selbst. So zappte ich vorzeitig rüber zum Sandalenschinken und kehrte nie wieder zurück.

Nun ist Kampf der Titanen ein heikles, sehr persönliches Thema. Das Original von 1981 war mein Leib- und Magenfilm, als ich schätzungsweise 12 war, also auf dem Höhepunkt meines cineastischen Urteilsvermögens. Nostalgie halte ich allerdings für ein Geschwür, das mit dem Skalpell der Vernunft und zwei Tupfern namens Hier und Jetzt entfernt gehört. Meinetwegen kann Google bei mir mit Röntgenkameras alles nacktscannen, man wird nichts von Nutella, drei Fragezeichen oder Boba Fett finden. Aber Phantomschmerzen bleiben nach der Operation, und so kann ich nicht verhehlen, dass ich mir den neuen Kampf der Titanen ganz sicher nicht angeschaut hätte, wenn da nicht mal was zwischen mir und dem ersten Film gelaufen wäre.

Eines ist hier schon im emotionalen Vorfeld anders als bei anderen Neuverfilmungen. Ich gestehe es nur ungern ein, aber normalerweise reagiere ich bei Ankündigungen anstehender Remakes wie all die anderen beleidigten Leberwürste, die das Internet vollschreiben: Ich bekomme einen hochroten Kopf und plärre wie ein kleines Mädchen. Bei der Ankündigung der Zweitverwertung von Kampf der Titanen aber blieb ich ganz ruhig und freute mich still in mich hinein, denn ich fand: Wurde auch Zeit. Kampf der Titanen flehte geradezu um Aktualisierung. Ja, wegen der Spezialeffekte, so oberflächlich muss man schon sein. Sonst hat der Film ja nicht viel. Man darf da nicht sentimental schluchzen: „Aber … aber … die sind doch von Ray Harryhausen!“ Ja, eben, sie waren schon Anfang der Achtziger indiskutabel hinter der Zeit, hat man bloß mit 12 nicht gesehen, weil man zu viel Angst hatte, dass Medusa einen vielleicht auch in Stein verwandeln könnte, wenn man im falschen Moment hinguckt. Die Milchmädchengleichung Analog=Gut/Digital=Böse geht mir schon lange gegen den Strich. Glauben die anderen beleidigten Leberwürste wirklich, dass Digitaleffekte von kalten, gefühllosen Robotern ausgedacht und ausgeführt werden? Nein, liebe Geschwister im Geiste, die werden von Menschen ersonnen und umgesetzt. Meistens Menschen mit Bärten und Metal-Shirts. Diese Menschen haben genauso viel oder wenig Leidenschaft für ihre Kreationen wie die Puppenbieger in Uropas Kino. Sie machen es mal gut, mal schlecht. Für manche ist es Berufung, für andere nur ein Job. Wenn man sie sticht, bluten sie. Wenn man sie am Flughafen abtastet, machen sie hihihi. Es sind Menschen. Ob diese Menschen mit Modelliermasse oder Mausklick arbeiten, ist für die Herzenswärme des Resultats unerheblich. Die Modelliermasse an sich ist nicht menschlicher als der Pixelklumpen. Entscheidend ist, was hinten rauskommt.

Der Film, der in diesem Jahrtausend dabei herausgekommen ist, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Film, der 1981 hinten rausgekommen ist. Ein paar Details wurden modifiziert, weggelassen, hinzugefügt. Aber wer die Details zum Elefanten aufplustert, der sieht den Film falsch.

Kurz zwischendurch für alle, die seit 1980 oder früher ohne Kommunalkino und Internet in einer Marskolonie lebten und letzte Woche erst zurückgekehrt sind: In Kampf der Titanen geht es um den Halbblutgott Perseus, der im antiken Griechenland gegen allerlei Monster kämpft.

Im Originalfilm tut er es für die Gunst und das Wohlergehen der holden Andromeda, im neuen aus Rache. Das war zunächst mein großer banger Moment. Was den alten Film heute noch so charmant macht, ist nicht der Harryhausen-Kitsch, sondern der Romantikkitsch. Wenn ein gelockter Perseus für sein Mädchen das Schwert schwingt, ist das oberflächlich verlockender als ein Sauertopf mit G.I.-Cut, der bloß Blut sehen will. Weil Perseus 2010 aber nicht irgendwen, sondern seine innig geliebte und völlig unnötig dahingeraffte Adoptivfamilie rächen geht, ist der emotionale Aspekt auch in der Stoppelschnitt-Version voll vorhanden. Ob Harry Hamlin oder Sam Worthington die geilere Frisur hat, sollen die kleinen Mädchen entscheiden, oder wer immer sich sonst berufen fühlt. Was das schauspielerische, sagen wir mal: Talent angeht, ist man schon genug hin- und hergerissen.

Oh, fällt mir jetzt erst auf, Sam Worthington war ja auch in Dings, hab ich gerade noch gesehen, komm ich nicht mehr drauf. Aber mal ehrlich und ernst: Seien wir nicht so hart mit ihm, wie es gerade Mode zu sein scheint. Dass er in jedem amerikanischen Mackerfilm der jüngeren Geschichte auftaucht, wird nicht von ungefähr kommen. Irgendwas ist dran an diesem grimmigen Knuddelbären. Dass Avatar Blödsinn und Terminator: Salvation nicht ganz so gut ist wie 3 Engel für Charlie, ist nicht seine Schuld. Ich jedenfalls werde mir The Expendables erst anschauen, wenn ein paar Szenen mit Sam Worthington hineingeschnitten wurden.

Im Großen und Ganzen ist der aktuelle Kampf der Titanen weniger blutig und nackig als das Original, wie Mainstreamfilme überhaupt über die Jahrzehnte eher zahmer als wilder geworden sind, auch wenn die hysterische Schweinepresse das Gegenteil herbeifantasiert. Lediglich bei der Darstellung des fiesen Calibos hat man diesmal noch eins draufgesetzt. Im Original wurde er gespielt vom Schauspieler Neil McCarthy, kaum zu erkennen unter einer furchterregenden, fratzenhafte Maske. Nicht erschrecken: Der neue Calibos sieht aus wie Mickey Rourke. Er wird allerdings gespielt vom Schauspieler Jason Flemyng, kaum zu erkennen unter einer furchterregenden, fratzenhafte Maske.

In meiner Kindheit hatte mich die Geschichte Perseus’ derart gefesselt, dass ich sogar dicke Bücher über griechische Mythologie wälzte. So musste ich erfahren, dass der Film sich hier und da ein paar künstlerische Freiheiten herausnahm. Wenn sich die griechische Mythologie nicht inzwischen als Aberglaube herausgestellt hätte, müsste man wohl von Blasphemie sprechen. Ich war damals ein wenig enttäuscht, dass nirgendwo in den alten Sagen von einer urkomischen, tollpatschigen kleinen Robotereule die Rede war. Heute schätze ich gerade das an den alten Sagen.

Manch Kenner der griechischen Mythologie nimmt beim 2010er Kampf der Titanen Anstoß an der Zeile: „Don’t look that bitch in the eye!“ Sowas hat Perseus niemals gesagt, nicht mal im Angesicht der Medusa, da sind sich die Gelehrten nach langem Schriftstudium einig. Sie haben bestimmt recht. Mir war der falsche Jargon kaum aufgefallen, ich erfuhr erst später von der Welle der Empörung, mein Fehler. Ich störte mich bereits zuvor nicht daran, dass alle Figuren modernes Englisch sprachen. Skandal natürlich, weiß ich jetzt. Man darf Kampf der Titanen eigentlich nur in Altgriechisch mit Untertiteln und ohne Schimpfwörter (wurden erst später erfunden, ca. 1997) verfilmen. Quasi The Passion of the Perseus. Dafür müssten wir aber wohl zwielichtige Regisseure aus der Klapse entlassen, die wir nie wieder in Freiheit sehen wollen.

Apropos Medusa: Sie ist und bleibt der Endgegner der Herzen, der Darth Vader von Kampf der Titanen. Sie dominiert. Alles, was nach ihr geschieht, ist völlig banane. Dass es auch noch ein Krakenmonster/einen Imperator gibt, interessiert allenfalls die penibelsten Erbsenzähler.

Der Reiz der Medusa ist geblieben, ganz egal, ob man die Knetgummiversion aus dem einen, oder das digital verbesserte Supermodel aus dem anderen Film bevorzugt. Wovon man sich darüber hinaus im neuen Film nicht trennen mochte, ist die Götter-WG in den Wolken, in der hochkarätige Schauspieler Verkehrt-rum-Tag spielen. Sie sagten sich: „Au ja! Heute machen wir all das, wovon man uns in der Schauspielschule gesagt hatte, dass man es auf keinen Fall tun darf!“ Hinterher schauten sich die Nachbearbeiter die Szenen an, und einer sagte: „Das ist ja fürchterlich! Aber wir könnten es noch fürchterlicher machen, indem wir willkürlich ein paar Photoshop-Filter drüberknallen!“ Und alle anderen Nachbearbeiter riefen: „Ja! So machen wir es!“ Das Ergebnis ist herrlich.

Jedoch nicht göttlich. Göttlich ist nur Sir Laurence Olivier als Zeus auf seinem funky Laser-Disco-Thron. Deshalb bevorzuge ich nachwievor den alten Film. Aber das ist mit Augen des Nostalgikers gesehen. Alle richtigen zwölfjährigen Jungs sollten mit dem neuen Film bestens bedient sein. Und wer an dem was zu meckern hat, ist wahrscheinlich kein richtiger zwölfjähriger Junge. Für den ist der Film dann aber auch nicht gedacht. Genau wie damals. Gut möglich, dass in ein paar Jahrzehnten die heutigen Zwölfjährigen wutschnaubend über ein neues Remake herziehen, das in ihren Augen keinesfalls so viel Herz, Charme und Fantasie hat wie der gute alte Film von 2010, der damals ihr Lieblingsfilm war, wie sie nicht müde werden jedem jederzeit mitzuteilen. Und das geht in Ordnung. Sie hätten sich schlimmere Lieblingsfilme aussuchen können. Avatar, zum Beispiel.

Bitte machen Sie sich Ihr eigenes Bild: