Das Glück gibt’s nicht in Wundertüten (nicht der Titel meines kommenden Schlageralbums)

Das Schöne am japanischen Neujahrsfest ist, dass tagelang alles stillsteht und nichts aufhat. Wenn man den Heimaturlaub so koordiniert, dass man direkt von den deutschen Weihnachtsfeiertagen ins japanische Neujahr schlittert, hat man knapp zwei Wochen süßen, zwangsverordneten Nichtstuns. Zeit für Andacht, Schnaps, Lego-Friends-Wohnmobile zusammenbauen, und dann gleich wieder Schnaps.

So richtig stimmt es natürlich auch nicht, dass in Japan dieser Tage gar nichts aufhat. Schließlich müssen die traditionellen Neujahrswundertüten verkauft werden, international bekannt als Lucky Bags. Also Beutel mit Überraschungsqualitätsprodukten zu Schnäppchenpreisen. Ich wollte dieses Jahr unbedingt die von meinem bevorzugten Büromaterialienhändler Smith/Delfonics haben, denn ich hatte von Leuten gehört, die von Leuten gehört hatten, dass diese Lucky Bags sich besonders lohnten. Ganz genau konnte es keiner sagen, denn keiner hatte je eine abbekommen.

Ich auch nicht. An zwei verschiedenen Tagen habe ich es versucht, Pustekuchen. In den Schnickschnackgeschäften Loft und Tokyu Hands versuchte ich mein Glück ebenfalls, dort wurden die Tüten allerdings nur in Abteilungen angeboten, die mich nicht interessierten. Die Wein-Beutel diverser Luxussupermärkte lockten mich, doch ich widerstand. Die Preise waren gut für japanische Verhältnisse, aber im internationalen Vergleich nach wie vor nicht tragbar. Besonders wenn man gerade aus dem Billigweinland Deutschland zurückgekehrt ist.

Heute Morgen hatte es dann doch noch geklappt mit dem Tütenerwerb, in der internationalen Kinokuniya-Buchandlung in Shinjuku. Die hatte ich fast vergessen. Obwohl, wie könnte ich sie jemals vergessen?

(Ich weiß, dass ich gar nicht so heiße. Der Fehler wurde allerdings inzwischen nach einem anonymen Tipp meiner Frau korrigiert.)

Ich hatte am Morgen extra einen kleineren Kaffee als sonst getrunken, um Punkt 10 auf der Rolltreppe zu sein. Ich griff mir gleich vier Tüten: Literature, Japanese Literature, Sci-Fi Fantasy und Mysteries. Kürzer gesagt ließ ich nur zwei Tüten stehen: Self-Help und Love Stories. Bislang ist mir kein gewohnheitsmäßiger Leser von Selbsthilfebüchern untergekommen, der ein überzeugendes Plädoyer für deren Wirksamkeit gewesen wäre. Zum sogenannten Romance-Genre war ich stets um dieselbe Offenheit bemüht, die ich von anderen gegenüber der Kriminalliteratur einfordere. Hat langfristig aber nicht geklappt. Zuletzt las ich einen Romantiktitel an, der selbst im gefürchteten Feuilleton einer amerikanischen Edeltageszeitung lobend besprochen worden war. Im begleitenden Interview mit der sympathischen Autorin hatte diese ein paar durchaus vernünftige Dinge gesagt.

Herrschaftszeiten, mein ganzes Leben habe ich kein Buch so schnell zurückgehen lassen. Wenn das das Sahnehäubchen des Genres war, wollte ich mich mit den Krümeln gar nicht erst befassen. Für mich bitte keine Liebesgeschichten mehr, vielen Dank.

Selbst wenn ich auch die verschmähten Tüten zur Kasse geschleppt hätte, ich hätte sie wieder zurückgelegt. Denn die freundliche Verkäuferin erklärte mir, dass es ihr sehr leidtäte, aber: nur eine Tüte pro Nase.

Ich wurde zweimal puterrot vor Zorn. Zuerst wegen dieser kleinlichen Regel (Es sind doch sechs Kategorien! Sechs Tüten pro Nase würde ich ja noch verstehen!), dann wegen mir selbst. War ich etwa zu einem raffgierigen Black-Cyber-Friday-Geiz-ist-geil-Schnäppchenjäger geworden?

Ich behielt lediglich die Sci-Fi-Fantasy-Tüte, weil ich in diesen Gattungen am meisten Hilfe benötige. Ich habe schon versucht, mir selbst zu helfen, jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Vielleicht aus altersbedingter Rührseligkeit würde ich gerne mal wieder diese Genres meiner Kindheit lesen, allerdings finde ich da nüscht. Zumindest in der Science-Fiction; in der Fantasy hat mir zuletzt doch einiges gefallen. Lian Hearn, V. E. Schwab, Fonda Lee. Ich weiß gar nicht, ob überhaupt noch Männer Fantasy schreiben. Wäre mir auch egal.

Nun sagt sich der gewiefte Japan-Kenner: „Wie kann das denn angehen, dass der Laden seine Kunden mit einer Tüte durch die Straßen laufen lässt, an der dick und fett ein Schild hängt, auf dem steht, was drin ist? Wo doch sonst sogar einzelne Bücher gleich an der Kasse mit einem neutralen Umschlag verkleidet werden.“

Raffinierter Trick: Die flinken Finger des Personals drehen das Schild einfach um:

Im Beutel war ein weiterer Beutel:

Sowie diese Bücher:

Leider fehlte mir heute Mittag die Zeit, alle Bücher zu lesen, deshalb hier nur kurz meine Erwartungen, Ängste und Hoffnungen:

Artemis von Andy Weir: Gutes drüber gehört, weiß nicht mehr genau was. Von der Verfilmung eines anderen Buches desselben Autors, Der Marsianer, ist mir positiv in Erinnerung geblieben, dass darin derselbe Ikea-Teddy vorkommt, den meine Tochter doppelt hat. Wenn Hollywood weder Kosten noch Mühen scheut, dann ist das Ergebnis reine Magie.

A Knight of the Seven Kingdoms von George R.R. Martin. Sympathischer Typ, dieser Martin, mit seinem Hut, seinem Bauch und seiner lässigen Einstellung zu Abgabeterminen. Mit A Game of Thrones bin ich allerdings nie warm geworden, in keinem Medium. Vor knapp drei Jahren nicht und später ebenfalls nicht. Ich habe offiziell aufgegeben.

The Godwhale von TJ Bass. Erster Satz des Klappentextes: Rorqual Maru was a cyborg – part organic whale, part mechanised ship – and part god. So fühlt sich sicherlich jeder mal. Gekauft. Geht ja nun auch nicht mehr anders.

The Three-Body Problem von Cixin Liu. Das habe ich natürlich schon auf Deutsch gelesen, hinterm Mond lebe ich schließlich nicht. Die große Ausnahme bei meinen fruchtlosen Versuchen, mich wieder mit der Science-Fiction anzufreunden. Ich fand es allerdings nicht nur einfach großartig, sondern auf so viele verschiedene Arten großartig, dass ich mich fast ein bisschen sträube, es als Science-Fiction zu bezeichnen. Huch, dass ich mich mal so Science-Fiction-feindlich äußern könnte, hätte ich selbst nicht gedacht.

The Grace of Kings von Ken Liu sagt mir nichts, aber dafür sind Wundertüten ja da. Mir ist nicht entgangen, dass dieser Autor auch der Übersetzer des zuvor genannten Buches ist. Ulkiger Zufall oder ein kompetenter Tütenpacker mit verschmitztem Witz?

Children of Time von Adrian Tchaikowsky. Das Lob von Peter F. Hamilton auf dem Cover lässt mich befürchten, dass es sich hierbei um die Art von Science-Fiction handelt, in der detailliert beschrieben wird, wie genau die Antriebe all der Raumschiffe funktionieren, die da so rumfliegen. Das interessiert mich eher nicht die Bohne. Bei Science-Fiction interessieren mich vor allem gesellschaftspolitische Spekulationen und Schießereien mit Laserpistolen.

Saint Odd von Dean Koontz, dem alten Schweden. Seit es Netflix gibt, habe ich den Film Odd Thomas auf meiner Guckliste, nur leider guckt man nie die Filme von seiner Guckliste. Koontz jedenfalls war mir stets so etwas wie ein minderer Stephen King, was nicht ganz so böse gemeint ist, wie es vielleicht klingt. Manchmal mag man schließlich Corman lieber als Fellini.

Letztendlich bin ich sehr zufrieden mit meiner Wundertüte und finde es auch nicht mehr schlimm, dass ich die anderen drei nicht kaufen durfte. Dadurch hatte ich noch genügend Bares, um im Gemischtwarenladen in die Krankenkasse einzuzahlen, was ich um ein Haar vergessen hätte. Darüber sollte mal jemand ein Selbsthilfebuch schreiben, dass man das nicht immer vergisst. Würde ich aber wahrscheinlich nicht lesen.

Wider ein Leben mit dem Senfglas

Letztes Jahr um diese Zeit wollten wir mal was ganz Verrücktes und total Japanisches machen, also haben wir eine Beaujolais-Party gefeiert. Es sollte natürlich eine ironische Beaujolais-Party werden, denn wir wussten ja, dass Beaujolais nouveau total eklig ist. Wir wussten es freilich nicht aus eigener Erfahrung, sondern hatten unkritisch die Vorurteile übernommen, die in besseren Kreisen bei diesem Reizthema zum guten Ton gehören. Alle Welt macht sich lustig darüber, dass Japan den jungen Wein jedes Jahr in großen Mengen aufkauft, und die Franzosen, so hört man, sind froh, dass sie das Gesöff los sind. Doch was soll ich sagen? Uns hat es so gut geschmeckt, dass wir dieses Jahr schon wieder eine Beaujolais-Party gefeiert haben. Diesmal in echt, ohne Ironie. Die Kritik, Beaujolais nouveau schmecke wie Obstsaft mit Alkohol, ist zwar sachlich nachzuvollziehen. Ich verstehe nur nicht, wo darin die Kritik liegt. Obstsaft ist lecker, und Alkohol kann, gewissenhaft genossen, auch mal ganz lustig sein.

Die ungeprüften Vorurteile gegenüber Beaujolais erinnern mich an den strunzdummen Merlot-Hass, der kurz nach der mäßigen amerikanischen Kinoklamotte Sideways grassierte. In der Filmhandlung überredet der eine Tunichtgut den anderen Tunichtgut zu einer Doppelverabredung mit zwei Damen, woraufhin der nur bedingt überredete Tunichtgut die Bedingung stellt: „Aber wenn sie Merlot bestellen, gehen wir!“

Man nagele mich nicht auf die I-Tüpfelchen-Genauigkeit des Wortlauts fest, es ist eine Weile her. Es ist mir trotzdem sinngemäß hängengeblieben, weil es lustig ist.

Mehr ist es derweil nicht. Ein flotter Spruch einer ausgedachten Figur in einer ausgedachten Geschichte. Daraus muss man keine Konsequenzen für das eigene Leben ziehen. Und trotzdem behaupteten plötzlich Hinz und Kunz, etwas gegen Merlot zu haben. So ein Unsinn. Merlot. Darüber haben sich Hinz und Kunz vor Sideways nie irgendwelche Gedanken gemacht. Wozu denn auch. Ist halt eine Traube. Daraus gärt man Traubensaft mit Alkohol, der wird mal so, mal so, wie bei anderen Trauben auch. Behauptet jemand, Merlot ganz generell zu verachten, plappert er mit großer Wahrscheinlichkeit nur etwas nach, was mal ein abgehalfterter Alkoholiker in einer amerikanischen Komödie gesagt hat.

Mit Amerika und Wein ist das ja eh so eine Sache. Ich spreche nicht vom amerikanischen Wein, der ist mitunter ganz gut, sondern von der amerikanischen Weinetikette. Zumindest die, die man aus dem Fernsehen kennt. Fast niemand im amerikanischen Fernsehen weiß, wie man ein Weinglas hält. Nicht mal im Weißen Haus, inzwischen Pflichtschauplatz in so ziemlich jeder einigermaßen aktuellen US-Serie, weiß man das. Was glauben diese Menschen denn, wozu der Stiel am Glas da ist?

Schlimmste Sünderin ist Olivia Pope, Hauptfigur der Serie Scandal. Ein kurzer weinseliger Exkurs: Ich liebe diese Serie aus dem gleichen Grund, aus dem ich die Saw- und die Fast-&-Furious-Filme liebe: Wegen des völlig ungehemmten Storytellings. Wo ich schon entgegen meiner Überzeugung unnötigen Anglizismen Tür und Tor öffne (der Alkohol), packe ich gleich noch einen oben drauf und gebe dieser Storytelling-Technik einen vollmundigen Titel; und zwar nenne ich sie den ‚We make it up as we go along‘-Ansatz. Das gänzlich schamlose Verheddern und Voranpeitschen der Plots hat zur Folge, dass die Serien kaum noch etwas mit ihren ursprünglichen Konzepten zu tun haben, und das ist gut so. Fast & Furious wurde erst sehenswert, als man endlich aufhörte so zu tun, als ginge es in diesen Filmen um illegale Autorennen. Scandal ist schon lange keine episodenhafte Serie mehr über eine Gruppe von Rechtsexperten, die Woche für Woche einem anderen Klienten aus der Bredouille helfen, sondern ganz großes amerikanisches Theater, eine Art Mischung aus The Blacklist und House of Cards, nur auf Speed.

Saw handelt zugegebenermaßen immer noch von einem kranken alten Mann, der seine schlechte Laune an anderen auslässt. Allerdings wurde inzwischen durch das fröhliche Rückblendenbombardement der Fortsetzungen so vieles relativiert, dass an den ersten Filmen eigentlich gar nichts mehr stimmt. Saw und Fast & Furious sind so etwas wie der Beaujolais und der Merlot unter den amerikanischen Filmserien. Kritisiert werden sie meist von denen, die zu der Materie gar keinen nennenswerten Bezug haben.

Doch zurück zu Olivia Pope und ihrem Weinproblem. Ich habe die Figur von Anfang an nicht gemocht; sie ist weinerlich, selbstgerecht und opportunistisch. Ich bin begeistert, dass sie in der aktuellen, finalen Staffel endlich gewissenlos über die Leichen von Frauen, Kindern und Männern geht. Ich hoffe, es folgt keine überraschende Wendung mehr, die alles wieder relativiert. Jeder soll endlich sehen, was für ein Miststück sie wirklich ist und immer gewesen ist. Aber am meisten stört mich nach wie vor die Sache mit dem Weinglas.

Im amerikanischen Fernsehen gibt es nur eine einzige Figur, die fähig ist, ein Weinglas korrekt zu halten, und die ist ausgerechnet ein Serienmörder mit Migrationshintergrund.

Kein Wunder, dass die Serie eingestellt wurde in dem gerade wieder sehr serienkillerfeindlichen politischen Klima in den USA.

Denke ich an Wein, Amerika und Manieren, dann denke ich an Max Goldt, denn er hat zu all diesen Themen gearbeitet. Weil es Max Goldt sehr daran gelegen ist, nicht ständig als Benimmonkel missverstanden zu werden, hat er einmal sinngemäß geschrieben, das ganze Weinglasgewese sei ihm herzlich schnuppe, man könne Wein genauso gut aus Senfgläsern trinken (vielleicht schrieb er gar nicht: „Senfgläser“, sondern: „Limogläser“, aber ich finde Senfgläser lustiger). Ich widerspreche Max Goldt äußerst ungern, muss es gleichwohl in diesem Fall tun. Ein guter Wein gehört in ein gutes Glas, und das will gut gehalten werden. Nein, falsch. Ich korrigiere: Ein richtiger Wein gehört in ein richtiges Glas. Ob das nun ein Glas für zehn Mark oder hundert Euro ist, ist tatsächlich herzlich schnuppe. Ein Weinglas derweil sollte es schon sein. Wer Wein (oder überhaupt irgendetwas) aus Senfgläsern trinkt, geht vermutlich auch in Trainingsanzügen aus Ballonseide aus dem Haus. Geht alles, ist vermutlich genauso warm und bequem wie richtige Kleidung. Doch schuldet man es nicht nur den Augen anderer, sondern auch seinem eigenen Körper, ihn in einen geringfügig edleren Zwirn zu hüllen. Es muss nicht haute couture sein, ein mit Bedacht gewähltes Ensemble von C&A ist zur Wahrung der Menschenwürde völlig ausreichend. Nur eben eines aus der Damen- oder Herrenabteilung, nicht aus der Sportabteilung.

Als ich mich übrigens neulich in Ermangelung anderer großer Geister der muttersprachlichen Sachprosa noch einmal durchs bisherige Gesamtwerk Max Goldts querlas, stolperte ich dabei über zwei Ausdrücke: Bundeskanzler Gerhard Schröder und PDA. Hatte ich so lange nicht mehr gehört oder gelesen, dass ich im ersten Moment gar nichts damit anfangen konnte.

Wenn man schon Max Goldt zitiert, kann man auch gleich David Byrne zitieren, der gesagt haben soll, Tischmanieren seien etwas für Leute, die sonst nichts zu tun haben. Bei Byrne wie bei Goldt scheint mir die Ablehnung von Etikette zumindest zu Teilen eine Trotzreaktion auf die eigene Etepetete-Reputation. Dabei ist es bei Etepetete wie bei der Etikette: Zu viel ist doof, aber ein gewisses Mindestmaß sollte sein. Ohne bricht vielleicht nicht gleich die ganze Zivilisation zusammen. Doch ein bisschen bröckeln und wackeln wird sie schon.

Bei Etikette und Zivilisationsverlust fällt mir ein, dass Donald Trump neulich hier in Tokio zu Besuch war. Zu unserer Beaujolais-Party war er nicht eingeladen, dennoch waren wir betroffen, denn wir mussten wegen seines Sicherheitskonvoys erhebliche Umwege bei unserem sonntäglichen Spaziergang in Kauf nehmen. Das war sehr schön, bekam ich doch endlich mal all die verschiedenen Polizeiautos auf einem Haufen zu sehen, die ich sonst nur aus meinen Romanen kenne. Eine der großen Jubelschlagzeilen in der lokalen Presse war indes die, dass Präsident Trump sich in der Gegenwart Kaiser Akihitos nicht sonderlich danebenbenommen hatte.

Ich finde, man könnte bei Staatsmännern die Messlatte für Jubelschlagzeilen ruhig etwas höher hängen. Aber ich möchte auf keinen Fall als Benimmonkel missverstanden werden.

Von dem Missverständnis, Fernsehen sei das neue Lesen; und von dem Irrtum, Internet sei das neue Fernsehen [nach kräftigem Durchatmen und einem langen, heißen Wohlfühlbad stark gekürzte Version]

Seit geraumer Zeit hört man es nun aus dem Blätterwald rauschen (ich nenne ihn noch immer so, weil Pixelwald so doof klingt): „Diese modernen, anspruchsvollen amerikanischen Fernsehserien, die sind … die sind …, mein lieber Scholli, die sind … DER NEUE ROMAN!“

Schon lange war mir angesichts dieser Unsinnsbehauptung nach einem #Aufschrei, aber ich halte halt nichts von Gebrüll. Doch jetzt kann ich nicht länger schweigen. Der letzte Tropfen für das Fass in meinem Kopf war eine Liste in einer Unsinnszeitung, welche die tollsten Schmöker für den Sommer benannte. Darunter auch der New-York-Schmöker City on Fire von Garth Risk Hallberg. Viel wurde über dieses Buch geschrieben, in 46 Sprachen und mehr. Und das höchste Lob, das dem Listenmacher in der Unsinnszeitung dazu einfiel, war, dass der Roman ihn irgendwie an eine HBO-Serie erinnere.

(Mal eben am Rande: Wann ist dieser vom Film schon länger bekannte Schwachsinn, englische Titel nicht mehr mitzuübersetzen, eigentlich im großen Stil auf den Buchmarkt übergeschwappt? Girl on a Train? Oder schon bei About a Boy? Gone Girl? Werden vor allem Titel von Girl-Books nicht mehr translated? Und werden bald auch spanische, chinesische, isländische Titel nicht mehr übersetzt? Oder gleich ins Englische, wie bei Filmtiteln längst Usus?)

Ich habe das City-on-Fire-Buch wohlgemerkt nicht gelesen, ich werde das vielleicht in fünf Jahren nachholen. Man hört ja nicht nur Gutes. Bei stark gehypeten Büchern, die mir irgendwie verdächtig vorkommen, wende ich seit einiger Zeit die 5-Jahre-Regel an: Wenn man in fünf Jahren noch vom Buch spricht, versuche ich es mal. Mir ist meine Zeit auf Erden zu kostbar, um sie mit jedem x-beliebigen Sommerschmöker totzuschlagen. Ich kannte mal einen, der lebte in der ständigen Angst, versehentlich mal ein Buch zu lesen, das nicht Epoche macht. Der las sicherheitshalber nur Bücher von Autoren, die schon seit mehreren Jahrzehnten tot waren. So lange kann ich häufig nicht warten. Manche Schriftsteller leben ja auch gegen alle Klischees recht gesund. Und selbst wenn welche doch standesgemäß leben (eine Flasche Rotwein statt Frühstück, und danach wird gesoffen), scheinen Schriftsteller eine überdurchschnittlich hohe Lebenserwartung zu haben, so nicht gerade etwas Dramatisches dazwischenkommt. Liegt vielleicht daran, dass ihrem Berufsalltag die Aspekte abgehen, die in den Alltagen anderer Berufe Magengeschwüre und Schlimmeres verursachen.

Mir geht es also nicht um dieses spezielle Buch, sondern um die Traurigkeit des genannten Komplimentes, das, glaube ich, symptomatisch ist: Da hat jemand, wenn er Literatur gegenübersteht, keinen anderen Referenzrahmen als die DVD-Komplettboxen in seinem Ikea-Regal. Und der fühlt sich dabei wahrscheinlich auch noch clever und modern. Man muss ihm und seinen Kumpels im Geiste leider sagen: Wer findet, dass Fernsehserien und Romane vergleichbar oder gar austauschbar seien, versteht weder etwas vom einen, noch vom anderen. Der hat keine Ahnung, dass es in der Literatur nicht nur um Storys geht, sondern auch um Sprache, unter anderem. Und dass es in Romanen Sprache nicht nur in Dialogen gibt. Wer nur liest, weil er sich vom Plot peitschen lässt, der darf sich gerne vom Roman abwenden, denn er hat eh vergebens gelesen. Der Plot ist das banalste Element eines guten Romans. Die blinde Plothysterie ist übrigens auch schuld daran, dass viele junge und greise Menschen nur noch so über Erzählungen sprechen können:

„James Bonds neuer Auftrag führt ihn in die Karibik.“
„Ey, hättest du nicht Spoiler-Warnung sagen können?!?!?!“

Gute Literatur ist nicht an Plot-Twists gelegen, sondern an überzeugenden Figuren und wertigen Themen. Figurenentwicklung ist etwas, das in Fernsehserien nicht stattfindet, gerade in offiziell anspruchsvollen nicht. Tony Soprano ist in der letzten Folge derselbe wie in der ersten. Er und andere seines Schlages mögen zwischendurch mal aus der Rolle ausbrechen. Doch sie alle haben einen Reset-Knopf, der jedes Mal gedrückt wird, bevor die Zuschauer Gefahr laufen, sich mit etwas neuem auseinandersetzen zu müssen. Die einzige nennenswerte Ausnahme scheint mir Buffy im Bann der Dämonen. Bis zum Ende der Serie hat wirklich fast jede Figur mindestens eine entscheidende Wandlung mit bleibenden Resultaten durchgemacht. Das scheint mir das Erstaunlichste an dieser ohnehin sehr erstaunlichen Serie. Viel erstaunlicher als die sonst gern positiv hervorgehobenen flotten Sprüche äh geistreichen Dialoge oder die gelegentlichen erzählerischen Experimente.

Fernsehserien stellen also keine Gefährdung für den Roman dar. Für den Kinofilm sind sie es, entgegen beliebter Zeitgeistmeinungen, ebenfalls nicht. Selbst wenn ihre Anmutung ein wenig ‚filmischer‘ geworden ist, fühlt sie sich nach wie vor in erster Linie dem Innenraum und der Großaufnahme verpflichtet. Das verdeutlicht ein langfristiger Selbstversuch in meinem Haushalt. Nach der Geburt des Kindes sahen seine Mutter und ich eine gescheite Weile lang ausschließlich einzelne Fernsehserienfolgen, weil uns für Längeres mal die Zeit, mal die Wachsamkeit fehlte. Als wir uns eines Abends doch mal wieder für einen fürs Kino produzierten Spielfilm entschieden hatten, war es eine ästhetische Offenbarung. Fernsehserien sind heute visuell bestimmt interessanter, als sie es vor 40 Jahren freitags um 20 Uhr 15 im ZDF waren. Deshalb war der empfundene Unterschied zwischen Fernsehen und Film keineswegs so, als würde man nach Jahren in der Besenkammer endlich auf ein großes, freies Feld treten. Gleichwohl war es so, als trete man nach Monaten im Wohnzimmer endlich mal wieder hinaus auf die Straße mit all ihren Möglichkeiten. Wir hingen als Fernsehenthusiasten ja selbst dem Irrglauben an, dass Fernseh- oder Kinoproduktion heute schauwertig keinen großen Unterschied mehr macht. Der Unterschied ist allerdings nach wie vor gewaltig genug. Wer es nicht glaubt, kann den Test mit einfachen Mitteln zu Hause selbst durchführen. Erst mal ein Kind machen (notfalls adoptieren, es muss aber so klein wie möglich sein), der Rest ergibt sich von alleine.

„Aber die Geschichten! Die Geschichten, vertrackt und trickreich über mehrere Staffeln erzählt, die sind doch viel komplexer als in Spielfilmen!“ Nein, sind sie nicht. Serien dehnen, verdünnen und repetieren ihre Geschichten lediglich so lange, bis der Einstellungsbescheid kommt. Dann muss plötzlich alles ganz schnell sinnvoll zu Ende gehen. Das tut es in den seltensten Fällen, weil Geschichten Fernsehautoren eben nicht so wichtig sind, wie ihnen oft von wohlmeinenden (und nicht sehr aufmerksamen) Zuschauern unterstellt wird. Heute rümpft man gern die Nase über Opas wöchentliche Fernsehserie, in denen verlässlich in 45 Minuten ein Mörder gefasst, ein Monster getötet, ein Konflikt gelöst wurde, und nächste Woche dann wieder von vorne. Tatsächlich ist diese Form des Geschichtenerzählens weitaus anspruchsvoller als das unverbindliche Strecken und Verstricken von Handlungssträngen, bis ohnehin jeder die Übersicht über jedes einzelne Detail verloren hat. In Opas Fernsehen musste jede Woche aufs Neue eine Geschichte mit Hand und Fuß erzählt werden, und die musste glaubhaft machen, dass es sich nicht um denselben Mörder, dasselbe Monster, denselben Konflikt wie letzte Woche handelte. Wer etwas von Literatur versteht (also anders als der gemeine Fernsehkritiker oder Sommerschmökerlistenanleger), der weiß, dass die Kurzgeschichte die Königsdisziplin ist. Roman kann jeder. Ein Roman darf mal durchhängen, sich vorübergehend verlaufen. Die Kurzgeschichte hingegen kann sich keine einzige Schwachstelle, kein falsches Wort leisten. Zugegeben, der Vergleich hinkt ein wenig, denn Literatur und Fernsehen sind ja eben nicht dasselbe, wie ich schon sagte, dumdidum.

Am liebsten ist mir heute das offiziell mittelmäßige Fernsehen. Also Serien mit maskierten und kostümierten Protagonisten, die man bei entsprechender Sozialisation aus Comicheften kennt. Ich würde gerne mehr Comics lesen, doch geht es nicht. Ich habe es verlernt, Bild und Text gleichzeitig die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken, und das sollte der ernsthafte Comicleser schon tun. Ich weiß nicht, ob ich ein neues Gehirn oder eine neue Brille brauche, irgendwas funktioniert da jedenfalls nicht mehr richtig. Film und Fernsehen sind zum Glück weniger anspruchsvolle Medien als das Comicheft. Sie sind so leicht konsumierbar, dass sogar ich es schaffe. Beim offiziell anspruchsvollen Fernsehen war schon seit Jahren nichts mehr dabei, was mich ähnlich dauerhaft bei der Stange halten konnte wie Grüner Pfeil und Roter Blitz und alle ihre Freunde.

Von Gotham allerdings musste ich mich relativ schweren Herzens trennen. Es stellte sich heraus, dass ich unnötig explizite Gewaltdarstellung (nicht zu verwechseln mit notwendig expliziter Gewaltdarstellung) und hysterisches Dauerfeixen nicht mehr so leichtfertig verknuse wie mit 16. Wer konnte das ahnen? Da bleibe ich lieber beim Original aus den 60ern. Genauso albern, aber weniger zynisch.

Mir ist bewusst, dass die genannten Serien keine große Kunst sind. Doch sind sie goldenes Handwerk, und das ist nicht nichts. Handwerk kann nur dann wirklich golden sein, wenn es mit Liebe verrichtet wird, und Liebe ist doch schön. Im Zweifel ist mir ein mit Liebe geschaffenes Werk lieber als ein mit kühlem Intellekt berechnetes. Im Idealfall natürlich gerne beides auf einmal. Aber wann bekommt man im Leben schon den Idealfall?

Mit dem, was die anderen Kinder in letzter Zeit offiziell anspruchsvoll fanden, hatte ich, wie gesagt, so meine Probleme. Breaking Bad habe ich ausgelassen, weil ich Drogenhändler so doof finde. Game of Thrones hätte ich vor dem Sehen gern gelesen, und die fünfjährige Probezeit hat das erste Buch der Reihe ja auch bestanden. Dann allerdings fängt man an zu lesen, und die Leute und Ortschaften haben alle so komische Namen, dass man sofort wieder 14 Jahre alt ist und im Rollenspielkeller sitzt und denkt: Mist – Paladin der siebzehnten Stufe, aber Mathe nicht gemacht. Hoffentlich lässt Nicky mich abschreiben. So was kann ich nicht lesen, da bekomme ich Beklemmungen. Es liegt nicht am Stoff, es liegt an mir.

Egal ob herrlich mittelmäßig oder aufdringlich anspruchsvoll – das beste Fernsehen wird heute von Fernsehsendern produziert. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es klingt. Eine ähnlich oft gehörte Unsinnsbehauptung wie die, dass das Fernsehen der neue Roman sei, ist die, dass Opas Fernsehsender einpacken können, weil die besten Serien jetzt von Internetfirmen produziert würden. Ich weiß nicht von welchen, in meinem Internet laufen sie wohl nicht. Dass, was ich da an Streaming-Produktionen sehe, kann für richtiges Fernsehen keine Konkurrenz sein. Die unsympathischen und langweiligen Menschen von Transparent hätte ich gerne nach zehn Minuten ausgeschaltet, aber meine Frau fand, wir sollten ihnen zwanzig geben. Die ersten drei Minuten von Lady Dynamite gehören zum unlustigsten, unoriginellsten, stümperhaftesten, hochnotpeinlichsten, was ich jemals gesehen habe. Da ich es zu meinem und ihrem Glück ohne meine geduldige Frau gesehen habe, kann ich den Rest nicht beurteilen. Daredevil und Bosch … ach, wer bin ich denn, dass ich jetzt jede nichtsehenswerte Fernsehserienimitation aus dem Internet mit Gift und Galle aufwerte? Die einzige, die ich dauerhaft gerne sehe, ist House of Cards. Und das liegt nun nicht daran, dass sie so atemraubend und anspruchsvoll wäre, sondern dass sie so ein angenehmes Hintergrundsummen für den Feierabend macht. Es passieren ungefähr zwei aufregende Dinge pro Staffel, das reicht. Das Leben ist schon aufregend genug.

Selbstverständlich warte ich noch nicht sehnsuchtsvoll auf die nächste Staffel von House of Cards, denn ich bin mit der letzten längst nicht durch. Das sogenannte Koma-Gucken (dt.: Binge-Watching) ist in meinem Haushalt streng untersagt. Mehr als eine Folge pro Tag ist nicht gut für die Konzentration, und eine ungeheure Respektlosigkeit gegenüber denen, die sich viel Mühe gegeben haben, jede Folge so schön wie möglich hinzukriegen.

So, was habe ich noch auf dem Zettel?

Aha, irgendwas mit E-Books, und etwas über die Popeligkeit des demonstrativen Garnichtfernsehens. Das lass ich jetzt mal weg, Sie haben ja bestimmt auch noch was vor.

Japan sucht die Superskandalnudel [Kaiho-Kolumne]

Meine allervorletzte Kolumne aus der Mitgliederzeitschrift der Deutsch-japanischen Gesellschaft in Bayern jetzt hier in Zweitverwertung, mit exklusivem Premium-Bonus-Content.

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Auf einer meiner ersten Reisen nach Japan dachte ich einmal, ich hätte SMAP gesehen. Ich hatte damals allerdings fast keine Kenntnis der Sprache und nur lückenhafte Kenntnis der Eckpfeiler der Gegenwartskultur des Landes. Soll heißen: Ich verstand nichts und wusste eigentlich gar nicht, wer oder was SMAP ist. Es ist schon interessant, welche Schlüsse sich das Gehirn manchmal zusammenreimt, wenn es sich ausschließlich auf visuelle Informationen verlassen muss. Die Situation war folgende: In einem mittelkleinen Plattenladen in Tokio trat eine Band vor ein paar höflich klatschenden Zufallszuhörern auf. Hinter ihnen hing ein Werbeplakat, auf dem irgendwas mit „SMAP!“ stand, und das wohl ein neues Album einer Popgruppe dieses Namens annoncierte. Also dachte ich mir, während ich mir die Band ansah: Das sind also SMAP. Falls die mal groß rauskommen, kann ich mich damit brüsten, dass ich sie bei einem ihrer ersten, bescheidenen Gigs in einem der unauffälligeren Läden der Stadt gesehen habe.

Ich habe mich dann fortan tatsächlich damit gebrüstet. Denn dass SMAP es geschafft haben, war mir irgendwann vage bewusst geworden. Man hat mir die Geschichte mal mehr, mal weniger abgenommen; je nachdem, wie sehr ich bei der Wahrheitstreue ins Detail gegangen bin.

Selbstverständlich war das alles ein riesengroßes Missverständnis meinerseits, wie ich später einsehen musste. Das Plakat hing nur zufällig dort, es war halt ein Plattenladen, und hatte nichts mit dem gerade im Laden auftretenden Akt zu tun. Wie der hieß, weiß ich bis heute nicht. Falls sie groß rausgekommen sind, habe ich es nicht mitbekommen, oder sie nicht wiedererkannt. SMAP, so weiß ich inzwischen, waren schon damals die ganzheitliche Personifizierung der japanischen Unterhaltungsindustrie und hätten bestimmt kein intimes Ladenkonzert geben können, ohne eine Massenpanik auszulösen. Als Boyband waren sie gestartet, als Herrenband sind sie noch immer dick im Geschäft. Doch die Musik ist nebensächlich angesichts der Koch-, Quiz-, Talk- und Mischmasch-Shows, die die SMAPs gemeinsam oder getrennt voneinander im Fernsehen moderieren, ganz zu schweigen von ihren mannigfaltigen Auftritten in Kinofilmen, Fernsehserien und Werbekampagnen.

SMAP waren zuletzt mehr noch als sonst in den Nachrichten aller Medien präsent, als herauskam, dass sich einige von ihnen von ihrem langjährigen Management trennten. Eine Teiltrennung vom Management schien nicht praktikabel für die Band als Ganzes, so machten schnell Gerüchte um eine komplette SMAP-Zerschlagung die Runde. Einige Leitmedien berichteten darüber in den Hauptnachrichten. Andere Leitmedien fragten kritisch, ob so was in die Hauptnachrichten gehöre. Schweigen mochte niemand. Premierminister Abe äußerte den Wunsch, SMAP mögen zum Wohle der Nation zusammenbleiben. Die Bandmitglieder sagten schließlich zu allgemeiner Erleichterung: „Wir schaffen das!“

Als das nationale Klatschgewitter über SMAP hereinbrach, war ich hocherfreut. Nicht, dass ich ihnen etwas Böses wünsche. Ich bin aus dem Alter raus, in dem man sich an negativer Energie berauscht. Als Fernsehpersönlichkeiten finde ich die Smappys nicht unangenehm, mit ihrer Musik bin ich nach wie vor nicht vertraut. Wahrscheinlich gefiele sie mir nicht, aber damit können vermutlich beide Parteien leben. Der Grund, warum ich die negative Aufmerksamkeit für SMAP begrüßte, war der, dass sie zumindest für einen Moment die negative Aufmerksamkeit von TV-Talent Becky abzog. Die quirlige britisch-japanische Unterhaltungskünstlerin war nämlich gerade arg in die Boulevard-Schusslinie geraten, aufgrund von Dingen, die sich eventuell in einem Hotelzimmer mit einem verheirateten Mann zugetragen haben. Becky war mir stets wichtig, und sie ist es noch mehr, seit meine deutsch-japanische Tochter Hana auf der Welt ist. Der Umzug unserer Familie nach Tokio steht unmittelbar bevor, und mein geheimer Plan war es immer gewesen, Hana an die japanische Unterhaltungsindustrie zu verkaufen oder zumindest auszuleihen, falls es mal wirtschaftlich eng wird. Bitte verraten Sie es nicht meiner Frau, es soll eine Überraschung werden. Becky schien mir da immer ein gutes Vorbild. Sie scheint aufrichtigen Spaß an den Nichtigkeiten zu haben, die sie tut, und trotzdem ein ganz aufgewecktes, vernünftiges Persönchen zu sein. Sollte dieser Skandal ihr nachhaltig schaden, stehen meine Argumente auf unsicherem Grund.

Leider kochte die Becky-Sache wieder hoch, nachdem der SMAP-Krach abgeklungen war. Jetzt setze ich alle meine Hoffnungen in die Baseball-Legende Kazuhiro Kiyohara, die letztens wegen Drogenbesitzes verhaftet wurde. Entsprechende Gerüchte hatte es um den Mann immer gegeben, man hatte ihn schon früher mit Yakuza beim Golfspielen erwischt, und er hatte einst in einer SMAP-Talkshow gestanden, tätowiert zu sein, was in Japan im Grunde genommen ein Blanko-Schuldgeständnis für alles Mögliche ist.

Also, liebe Geier, stürzt euch auf Kiyohara, wenn ihr euch unbedingt stürzen müsst. Lasst Becky in Ruhe. Wir brauchen sie noch. Ich brauche sie noch.

Nachtrag aus der Gegenwart

In einem zweistündigen Event-Interview im Fernsehen wurde die Causa Becky inzwischen weitgehend beigelegt. Selbstverständlich in einer SMAP-Talkshow, und selbstverständlich ging es in ca. 90 von 120 Minuten in erster Linie darum, was vor dem Interview von den Beteiligten gegessen wurde, wo die Zutaten geerntet und wie sie zubereitet wurden. Konsens in der Bevölkerung ist, dass Becky sich ordentlich genug geschlagen hat, um ihr mehr oder weniger zu vergeben.

Kazuhiro Kiyohara ist mit vier Jahren auf Bewährung davongekommen.

Luther, Twin Peaks, hallo Jar Jar Binks (oder: ah, la nostalgie, cette petite mort)

[Sicherheitshinweis: Wie jeder aussagekräftige Sekundärtext geht auch dieser auf den Inhalt seines Primärtextes ein. Oder, im Mimimi-Memmen-Duktus: Spoiler-Warnung.]

Keine Fernsehnachricht hat mich in diesem Jahr so begeistert wie die Ankündigung der vorletzten Woche, es solle zwei neue Folgen Luther geben. Zwei richtige neue Folgen, Folgen aus der Zukunft, keine sinnlose Prequälerei, wie es wohl mal angedacht war. Womit ich nicht sagen möchte, dass alle Prequels sinnlos wären. Allenfalls die allermeisten. Ausnahmen gibt es bestimmt. Wir machen weiter nach einer kurzen Werbeeinblendung.

Wie jeder Mensch mit einem schlagenden Herzen in der Brust liebe ich Luther, obwohl ich einsehe, dass die Serie logisch und psychologisch nicht immer auf dem solidesten Fundament steht und wohl keine Auszeichnungen für Originalität erhalten wird (wie sagte neulich jemand hier im Internet: finally, a cop show!). Sie ist halt eine Naturgewalt, und Naturgewalten halten sich nicht lange mit Kleinigkeiten wie Psychologie und Originalität auf. Mir persönlich ist naturgewaltiger Thrill jederzeit lieber als Fakten-Fakten-Vorabendkrimi.

Das Versprechen zweier neuer Luther-Folgen ist wie ein Versprechen, dass nun doch noch alles gut wird. Dass die dritte Staffel doch nur die dritte Staffel war, und nicht das Schlusskapitel, als die sie uns zunächst um die Ohren gehauen wurde.

Wir erinnern uns an das Ende mit Schrecken: Luther hatte gerade begonnen, zarte Bande zur klugen, attraktiven, charmanten, furchtlosen Mary zu knüpfen, nur um dann letztendlich doch mit der durchgeknallten Mörderin Alice durchzubrennen. Mary war übrigens entgegen anders lautenden Gerüchten ganz und gar keine langweilige Figur. Es sei denn, man definiert ‚langweilig‘ als: jeder, der kein durchgeknallter Mörder ist. Als wäre dieser Unsinn nicht Unsinn genug, hatte es dem Herrn Serienerfinder und Alleinautor Neil Cross kurz vorher gefallen, mit DS Ripley eine der niedlichsten Nebenfiguren des Ensembles einfach so abzuknallen. Nur, weil Cross seinem Stoff nicht traute (zu Unrecht), und meinte, dass die Serie schon lange keinen ‚Zoe-ist-tot‘-mäßigen Knalleffekt mehr hatte (brauchte sie auch nicht). Zoes Tod in der ersten Staffel war das zentrale Thema der Geschichte. Ripleys Tod in der dritten Staffel ist kaltherziger Unfug, die Geschichte hätte in jedem Aspekt auch ohne funktioniert. Es wurde theoretisiert, Ripleys Tod solle verdeutlichen, dass der Vigilant mit der Schrotflinte, der dafür verantwortlich ist, in echt keiner von den Guten ist. Ich sage: Das wird auch so klar. Die Entführung und angedrohte Ermordung einer hochschwangeren Unschuldigen hat da ausreichend starke Signalwirkung.

Doch der tote Ripley ist nicht das Hauptproblem, sondern die quicklebendige Alice.

Nicht, dass Missverständnisse aufkommen: Alice ist eine pfiffige Figur und wird von der putzigen Ruth Wilson sehr drollig gespielt. Sie hätte ihre eigene Serie verdient. Aber in Luther ist sie ein Störenfried geworden. Ein faules Requisit, das immer dann rausgeholt wird, wenn Luther sich selbst nicht mehr helfen kann. Sie bombt ihn aus der Haft. Sie tötet stellvertretend den Mörder seiner Frau. Sie tötet den Mörder von Luthers Freund und Kollegen. Sie tötet den Kindermörder, den Luther nur beinahe getötet hat. Die Intention ist klar: Alice symbolisiert Luthers allerdunkelste Seite. Sie ist der veräußerte Schweinehund, den er selbst noch nicht mal dann von der Kette lässt, wenn er Ganoven vom Balkon schubst. Diese Reduzierung allerdings wird Alice‘ Potenzial nicht gerecht. Sie sollte mehr als ein Stellvertreter-Symbol für einen Charakterzug einer anderen Figur sein. Außerdem kann man das, was Luther beinahe tut, und das, was Alice tatsächlich tut, schwerlich auf dieselbe Argumentationskette ziehen. Alice tut, was sie tut, weil sie kein Gewissen hat. Luther hingegen besteht aus so gut wie nichts anderem als Gewissen.

Ob man seine Mittel gutheißt oder nicht: Luther kämpft gegen das Böse. Alice kämpft nur gegen die Langeweile. Wenn nun Luther am Ende der (gottlob vermeintlich) letzten Folge mit Alice Hand in Hand in den Sonnenaufgang spaziert, dann ist das entweder ein Faustschlag ins Gesicht der treuen Zuschauer, oder zumindest eine gepfefferte Backpfeife, je nach Interpretationsansatz.

Interpretationsansatz ‚Faustschlag in das Gesicht des Zuschauers‘: Nach diesem Ansatz hat das Hand-in-Hand-mit-Alice-Ende zu bedeuten, dass Luther nie der war, für den wir ihn gehalten haben. Nie der, für den wir immer wieder eingeschaltet haben. Wenn er mit der durchgeknallten Mörderin durchbrennt, dann war er nie die solitäre stählerne Faust der Gerechtigkeit, sondern nur einer von viel zu vielen. Einer von all diesen öden, blöden Adrenalin-Junkies. Und so einem haben wir unsere Aufmerksamkeit geschenkt? Das hat er nicht verdient. Das haben vor allem wir nicht verdient.

Interpretationsansatz ‚Backpfeife in das Gesicht des Zuschauers‘: Luther war sehr wohl die längste Zeit der, für den wir ihn gehalten haben. Doch auch ein Mann aus Stahl setzt irgendwann Rost an und wird gebrochen. Er musste einfach zu viel einstecken und wusste nicht mehr, was er tat.

Das mag realistisch sein, aber Realismus sollte beim Fernsehen nicht von zentraler Bedeutung sein. Als halbstarker Rabauke hat man für Happy Ends nichts als Spottlieder übrig und gefällt sich darin, die Dunkelheit zu preisen, als wohne ihr eine größere Wahrheit inne als dem Hellen. Mit dem Sammeln von Lebenserfahrungspunkten allerdings schwinden diese Flausen aus den Köpfen und es kommt die Erkenntnis hinein: Wir schalten den Fernseher ein, um das Licht zu sehen. Eine Figur, die uns über drei Staffeln bei allen gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten ein Freund geworden ist, wollen wir am Schluss nicht als gebrochenen Schwachkopf sehen.

Ich entscheide mich dennoch für diesen zweiten Interpretationsansatz, denn der kann durch die neuen Folgen in Würde widerrufen werden. Wollen wir nicht alles, was geschehen ist, überbewerten. Wir kennen schließlich alle solche Tage: zu wenig geschlafen, zu schlecht gegessen, die Freundin wurde entführt, man selbst des Mordes an einem Kollegen beschuldigt, eine Kugel ins Bein geschossen – da kann es schon mal zu Kurzschlusshandlungen kommen. Ein starker Kaffee, eine Mütze Schlaf, den Verband gewechselt – und Luther ist wieder der Alte. Ich bin guter Hoffnung, dass es so in den neuen Folgen kommt.

Bei der anderen großen Fernsehankündigung dieses Jahres habe ich größere Skepsis.

Als ich zum ersten Mal davon hörte, dass Twin Peaks zurückkommt, wurden sofort Erinnerungen an die Große Enttäuschung von 1999 wach. Drei Tage und drei Nächte lang lief damals der Download von Star Wars – Episode I: The Phantom Menace über den Uni-Server, und als man dann endlich im Freundeskreis einen Computer gefunden hatte, der so was abspielen kann … ach, Sie wissen schon. Heute sind die Internetverbindungen schneller, aber die Menschen nicht kreativer. Selbstverständlich werde ich mir die neuen Twin Peaks-Folgen ansehen, und wenn sie gut geworden sind, werde ich zufrieden lächeln. Aber zu großen Hoffnungen mag ich mich nicht hinreißen lassen. Nach dem indiskutablen Inland Empire, den lieb- und einfallslosen Video-, Musik- und Werbewerken der letzten Jahre und seiner beängstigenden wie enttäuschenden Begeisterung für esoterisches Meditationsgedöns halte ich die Hoffnung auf ein überzeugendes neues Werk von David Lynch für in etwa so berechtigt wie die Hoffnung auf ein überzeugendes neues Werk von Dario Argento.

Ich muss außerdem kleinlaut gestehen, dass das gute alte Twin Peaks in zumindest meinen Augen nicht sonderlich gut gealtert ist. Ich habe damals alles mitgemacht: Private Guck-Partys mit Kirschkuchen und Kaffee organisiert, Quizpreise bei offiziellen Twin-Peaks-Mottopartys in Großraumdiskotheken abgeräumt, und ich hatte das Print-Magazin Wrapped in Plastic noch abonniert, als das letzte Secret Diary of Laura Palmer längst verramscht war. Als ich jedoch zur DVD-Veröffentlichung der Serie vor ein paar Jahren die alte Jugendliebe noch einmal neu entflammen wollte, bin ich auf halbem Wege wieder ausgestiegen. Und das obwohl ich stets der stolzen Außenseitermeinung war, dass die zweite Staffel besser gelungen war als die erste; gerade weil so versponnen. Lynch guckt man ja wohl wegen des Lynchigen, nicht weil man wissen will, wer wen wie wo warum umgebracht hat. Dafür gibt es Vorabendkrimis.

Überhaupt wird es so langsam ein bisschen viel mit diesen Nostalgiefortsetzungen. Den Star Wars-Trailer von neulich erspare ich Ihnen an dieser Stelle, sie kennen ihn bestimmt bereits auswendig. Star Wars kann mir eh gestohlen bleiben, ich möchte mein Krieg der Sterne zurückhaben. Der Trailer gibt da Anlass zur Hoffnung, das will ich nicht bestreiten. Doch auf Trailer ist immer seltener Verlass. Die Älteren erinnern sich bestimmt noch an die für Prometheus und Guardians of the Galaxy. Da stellte sich dann später auch heraus, dass es sich bloß um Filme handelte.

Immerhin sieht der Star Wars-Trailer danach aus, als hätte man komplett neues Material gedreht. Ganz anders als ein gewisser anderer Nostalgiefortsetzungstrailer, der so aussieht, als hätte man die ersten vier Filme nur neu zusammengeschnitten und die beliebtesten Bonmots von anderen Schauspielern einsprechen lassen.

Überhaupt, Nostalgie. Mit ihr ist es wie mit dem Sterben. Genauer: wie mit den fünf Sterbephasen nach Kübler-Ross. Die ersten beiden Phasen habe ich hinter mir: Die des Nicht-Wahrhaben-Wollen („Nostalgisch? Ich doch nicht! So was passiert nur den anderen!“) und die des Zornes („Ich werde nie zu einer dieser bescheuerten Drei-Fragezeichen-Playback-Lesungen gehen!“). Ich bin jetzt in der Phase des Verhandelns (was nicht heißt, dass ich jemals zu einer dieser bescheuerten Drei-Fragezeichen-Playback-Lesungen gehen werde): Nostalgie lasse ich dann zu, wenn sie sich auf Dinge bezieht, zu denen ich eigentlich gar keinen starken biografischen Bezug habe. Quasi Phantomnostalgie, eine Nostalgie der verpassten Gelegenheiten. Großen Spaß habe ich auf meine alten Tage zum Beispiel mit den Filmen der Reihe Mad Mission, die ich in jungen Jahren zwar wahrgenommen, aber zunächst nicht angesehen hatte.

Würde jemand in Hongkong diese Serie mal fortsetzen, rebooten oder reimaginieren, würde ich in Sekunden zur glucksenden kleinen Fanperson. Bis dahin gefallen mir die amerikanischen Remakes mit Vin Diesel und Paul Walker allerdings auch ganz gut.

Vor dem Krimi ist nach der Kitty (Enhanced Blogpost mit Facebook- und Twitter-Features)

Sollte der Eindruck entstanden sein, ich würde diesen Blog vernachlässigen, seit ich Facebook beigetreten bin, dann ist dieser Eindruck ganz richtig. Das habe ich natürlich nie gewollt. Wir alten Facebook-Hasen vergessen manchmal, dass nicht die ganze Welt Facebook ist. Drum an dieser Stelle noch mal alle bereits auf Dings dokumentierten Ereignisse der letzten Tage in Sachen Hello-Kitty-Buch, als exklusiver Premium-Content mit erhöhtem Wortanteil.

Als am vorvergangenen Samstag der Postmann einmal klingelte, stellte er ein Paket ins Haus, das mich in den nächsten Stunden damit beschäftigt hielt, Ausreden zu finden, warum ich es jetzt noch nicht aufmache.

Als sich keine Ausrede mehr finden ließ, hätte es idealerweise so ausgesehen:

Allerdings waren alle Bücher unfotogen in Bauchlage, weshalb ich ein wenig nachhalf, bevor das Foto geschossen wurde (mehr dazu in meinem nächsten Buch: „Das sind die teuflischen Tricks der modernen Medien-Macher!“).

Hier tut meine geliebte Gemahlin so, als würde sie das alles interessieren:

Dabei hat sie möglicherweise sowas gesehen:

Die Kitty-Flaschen waren schon mal zu dritt, aber eine musste bereits dran glauben.

Eine weitere (Charmy) wurde prompt zur Feier der Buchveröffentlichung getrunken. Die letzte (Lady) verschicke ich demnächst als business incentive, sobald die Trennungsängste überwunden sind und ich mich aufraffen konnte, so eine Flaschenverschickungsbox zu kaufen.

Eine Woche später war schon das Fernsehen da.

Woran sieht man, dass das Bild perfide gestellt ist? Mit der Verkabelung (siehe Hüfte), brauche ich wohl kaum noch ein Handmikrofon auf mich gerichtet. Dennoch wurde ein ganz echter Beitrag daraus, der ursprünglich am vergangenen Dienstag im ORF-Nachrichtenmagazin ZIB 2 gesendet werden sollte, allerdings kam die Sache mit Andreas Mölzer und seinem Fußballkommentar dazwischen. Am nächsten Morgen meinte jemand auf dem Schulhof: „Schade, dass dein Beitrag wegen diesem alten Nazi nicht gesendet wurde.“ Das halte ich für teilweise sehr subjektiv formuliert und würde es so nie ausdrücken. Zum einen ist man immer nur so alt, wie man sich fühlt, zum anderen war es gar nicht schade, weil der Beitrag dann am Freitag ausgestrahlt wurde, wo die Sendung dank 3sat-Übernahme eine höhere Reichweite hat („höhere Reichweite“ und „3sat“ liest man möglicherweise nicht allzu häufig in einem Satz). War das Interview wirklich nur so kurz gewesen? Selbstverständlich nicht. Hatte ich nichts Originelleres, Kontroverseres zu sagen? Doch, doch. Bin ich trotzdem heilfroh, dass man immerhin zwei Passagen gewählt hat, in denen ich mich grammatikalisch und rhetorisch nicht allzu sehr vergaloppiere? Heilfroh, dankbar und rundum zufrieden.

Unsere Sendereihe Making of Yoyogi Park nehmen wir voraussichtlich über die Osterfeiertage wieder auf.

Polittalk mit Kate Winslet (Werwolfjägerin)

(Monat der bildlosen Sprach- und Medienkritik, Episode II)

Sehen Sie, was Sie angerichtet haben?! Jetzt musste ich mich im letzten Eintrag so aufregen, dass ich gar nicht zu Kate Beckinsale gekommen bin. Eigentlich sollte es nämlich um die beliebte britische Schauspielerin gehen, denn eigentlich sollte jener Eintrag ein Sequel beziehungsweise Spin-off der präzise gearbeiteten Kritik zum Film Total Recall von hier irgendwo weiter unten werden, aber irgendwann war mir die geplante Überleitung nicht mehr eingefallen. Ich erwähnte ja bereits, dass meine Lebensgefährtin und ich das Dekor des besagten Films unterschiedlich wahrgenommen hatten. Ein Wahrnehmungsfehler war uns derweil gemein: Wir haben beide Kate Beckinsale zuerst nicht erkannt. Nun muss man zugeben, dass wir beide nicht sehr mit ihrem Werk vertraut sind. Meine Freundin kannte die Beckinsale bisher nur aus der Kriegsschnulze Pearl Harbor, ich nur aus den Blut-und-Ballerfilmen der Underworld-Serie. Das ist der klassische Unterschied zwischen Frauen und Männern. Folgerichtig habe ich Kate Beckinsale in Total Recall dann doch früher als meine Freundin erkannt, nämlich als sie (Beckinsale) anfing rumzuschreien und Leute zu töten (nein, Spoiler-Warnungen gibt es hier nicht, wir sind ja nicht im Kindergarten).

In Total Recall spielt noch eine Frau mit, die ich bis zum Schluss nicht erkannt habe und hinterher recherchieren musste. Da musste ich schmunzeln, denn es war Jessica Biel. Nun habe ich schon seit Jahren einen flotten Spruch, mit dem ich mein cooles, herablassendes Desinteresse an der amerikanischen Gegenwartskultur demonstriere, eine veritable Catchphrase: „Ich kann mir nie merken, was der Unterschied zwischen Jessica Biel und Jessica Alba ist.“ Catchphrase meiner Freundin: „Die sind doch total unterschiedlich!“ Ich kann mir aber wirklich nicht merken, wer wer ist in dieser Altersgruppe. Zeigte man mir drei Fotos von weißen Frauen, könnte ich nicht sagen, welche davon Megan Fox ist. Den Namen kenne ich, sie war vor ein paar Jahren sehr bekannt, es scheint mittlerweile etwas nachgelassen zu haben. Sie tauchte in meinem Internet immer in den Klatschnachrichtenschlagzeilen auf, aber weil man Klatschnachrichten nicht lesen sollte, habe ich nie draufgeklickt, deshalb blieb mir die Bildinformation vorenthalten. Huch, war es etwa voreilig davon auszugehen, dass Megan Fox eine weiße Frau ist? Ich glaube, ich hatte sie anfangs mit der Schauspielerin Megan Ward aus dem Film Freaked verwechselt. Beinahe hätte ich geschrieben: „ (…) mit der in Vergessenheit geratenen Schauspielerin Megan Ward“, allerdings sehe ich gerade in meinem Internet, dass sie inzwischen wohl in einer dieser CSI-Serien mitspielt. Die kann ich auch nicht auseinanderhalten.

Einen Moment … gerade bekomme ich die Nachricht rein, dass sie in zwei verschiedenen CSI-Serien drei verschiedene Rollen gespielt hat. Also entweder sehr wandlungsfähig oder so was wie ‚zweite Leiche von unten‘. Schade eigentlich. Ich fand sie in Freaked recht apart.

Im vorvorletzten Absatz über Kate Beckinsale hatte ich übrigens ursprünglich versehentlich geschrieben: Kate Winslet. Wer war das noch mal?

Ehe mir irgendwelche Sexismen angedichtet werden: Bei männlichen Hollywood-Schauspielern unter 40 ist es noch schlimmer. Da fallen mir momentan nicht mal genügend Namen ein, um sie miteinander zu verwechseln.

Bei Hollywood-Schauspielerinnen und -Schauspielern denke ich immer an deutsche Polit-Talkshows. Kürzlich las ich ein Buch mit essayistischen Alltagsbetrachtungen, in denen ungewöhnlich häufig die Rede war von politischen Talkshows und ihrem Personal. Mir fiel auf, dass ich in diesen Passagen seltener zustimmend mit dem Kopf nickte (womit eigentlich sonst?) als in anderen. Nicht, weil ich anderer Meinung war, sondern weil ich keiner Meinung war. Es ist nur sehr geringfügig übertrieben, wenn ich behaupte: Ich habe noch nie eine politische Talkshow im deutschen Fernsehen gesehen. Es ist kein bisschen übertrieben, wenn ich behaupte: Ich habe mich noch nie gezielt zum Anschauen einer politischen Talkshow im deutschen Fernsehen entschieden. Hier und da habe ich womöglich mal was aufgeschnappt beim ziellosen Kanalwechsel. Da ich den ziellosen Kanalwechsel aber durch kalten Entzug vor Jahren besiegt habe, ist das auch schon eine Weile her. So haben wir hier den bekannten Megan-Fox-Effekt: Anne Will, Günther Jauch, Maybrit Illner – ich könnte sie bei einer Gegenüberstellung nicht auf Anhieb unterschieden.

Doch, ich bin politisch interessiert, sogar sehr. Ich werde jeden Morgen mit „die Nachrichten“ geweckt, überfliege täglich drei Tageszeitungen (Internet nicht mitgerechnet) und schaue zum Abendessen die Fernsehnachrichten, vorausgesetzt auf Silverline läuft nicht gleichzeitig die Asian Fight & Fright Night. Es ist mir wichtig, was Politiker sagen. Ich gehe allerdings davon aus, dass die allerwichtigsten Aussagen nicht exklusiv in den Talkshows verweilen, sondern in Nachrichtensendungen und Zeitungen wiederholt werden. Außerdem habe ich den Eindruck, wenn ich die Zuschauer über bereits ausgestrahlte Talkshows reden höre, dass diese Sendungen sehr aufregend sind. Und aufregen will ich mich so kurz vor dem Schlafengehen nicht mehr. Da flüchte ich mich lieber in meine flauschige Traumwelt voller Serienmörder und wandelnder Kadaver.

Ist natürlich Quatsch, dass ich Anne Will nicht von Günter Jauch unterscheiden könnte. Die eine macht schließlich Wer wird Millionär?. Das ist eine Sendung, die ich gerne schaue, obwohl sie nicht auf AXN läuft. Seit Jahr und Tag trage ich mich schon mit dem Gedanken, selbst mal zu kandidieren. Nicht, weil ich so viel wüsste, sondern weil ich gerne so viel Geld hätte. Ich müsste mich drauf verlassen, dass die richtigen Fragen kommen und mein Vater wirklich so viel über mitteleuropäische Flüsse und Gebirge weiß, wie ich glaube. Gut wäre ich in Fragen, bei denen die Antwort „Britney Spears“ oder „Der Mann mit der Todeskralle“ lautet. Geliefert wäre ich bei Fragen, bei denen „1947“ oder „Sebastian Vettel“ herauskommt. Bei dem bloßen Gedanken an die Kandidatur wird es wohl bleiben. Zum einen wegen der Angst vor der Blamage, zum anderen weil man immer hört, man müsse eine Unzahl von Textnachrichten schicken, bevor man überhaupt mal von einem Sprecher des Quizshowcastingbeauftragten zurückgerufen würde. Mit diesen modernen Kommunikationsformen stehe ich leider motorisch auf Kriegsfuß. Wegen meines Mangels an SMS-schreiberischer Souveränität wurde ich schon auf offener Straße von 30-jährigen kleinen Kindern ausgelacht. Mehrmals.

Apropos Polit-Talkshows: Bei Polit-Talkshows denke ich immer an Twitter. Das ist ebenfalls etwas, was ich nicht verfolge. Gleichwohl bekomme ich das Spektakulärste aus jener Ecke auch über die richtigen Medien mit, denn anstatt richtige Nachrichten zu verbreiten, verbreiten die in zunehmendem Maße bloß das, was gerade einer über einen anderen getwittert hat. Da erstaunten mich zuletzt die starken Anfeindungen, denen der Schriftsteller Bret Easton Ellis ausgesetzt war, weil er die Wahrheit über den Schriftsteller David Foster Wallace gezwitschert hatte. Der Tenor war, man müsse die Wahrheit über ihn beziehungsweise sein Werk verschweigen, aus Pietätsgründen, weil tot. Als Pietätsfreund kann ich das zwar im Ansatz nachvollziehen. Frage mich aber auch: Wann ist man denn tot genug, um wieder kritikfähig zu sein? Es muss irgendwo ein Cut-off-Date geben. Sonst dürfte kein irgendwann verstorbener Schriftsteller jemals angefeindet werden. Allerdings gibt es kaum eine tote Edelfeder zwischen Shakespeare und Hemingway, die nicht regelmäßig von aufgeregten Jungprofilierern „überschätzt“ und schlimmeres gescholten wird, ohne dass sich jemand ernsthaft drüber aufregen würde. Schade ist freilich, dass Ellis seine Kritik nicht zu Wallace‘ Lebzeiten geäußert hatte. Ob das an Feigheit liegt, wie Wallace-Verehrer kolportieren, oder bloß schlechtes Timing ist, wage ich nicht zu beurteilen. Aus der Geschichte wissen wir, dass Anfeindungen zwischen Autoren oft interessanter sind als ihre Werke. Beispielsweise waren weder Norman Mailer noch Gore Vidal besonders lesenswerte Schriftsteller, behaupte ich in einem Anfall von Rückfall in aufgeregtes Jungprofilierertum. Aber durch ihre Stutenbissigkeit hinterließen sie der Nachwelt ein paar amüsante Youtube-Clips von bleibendem Wert.

Jetzt habe ich mich schon wieder so aufgeregt, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich diesen Text beenden wollte. Sehen Sie, was Sie angerichtet haben?

Von der Ersatzflüssigkeit

Ich lese gerade Bossypants, die Autobiografie von Tina Fey, weil ich Menstruationsanekdoten so gern hab. Sollten Sie es mir gleichtun wollen, und es sprachlich einigermaßen hinzubekommen ist, lesen Sie bitte die Originalfassung des Buches und boykottieren Sie den deutschen Untertitel, der hier aus Nationalscham nicht genannt sei. Im Buch ist mir etwas wiederbegegnet, was mir vermeintlich schon ganz und gar aus dem Gedächtnis entschwunden war (es hatte sich jedoch nur im Unterbewusstsein schlummern gelegt): Ersatzflüssigkeit. Die Älteren erinnern sich: Das künstliche blaue Nass aus dem Werbefernsehen, das in Hygieneartikelreklame die Stunts für diverse Körpersäfte übernahm, die in echt mal diese, mal jene Farbe haben, aber niemals Blau. Die Ersatzflüssigkeit wurde ein beliebtes Sujet für Zoten jedweder Art, ähnlich wie Flugzeugessen und Busfahrer, war bald humoristisch auch ähnlich abgefrühstückt. Heute ist Flugzeugessen genießbar bis köstlich, Busfahrer sind meist zuvorkommend (außer vielleicht in Berlin, aber Berlin geht nur Berliner was an), und Ersatzflüssigkeit gibt es gar nicht mehr. Wer trotzdem noch diese Themen bespaßt, nennt Bühnenkomiker wahrscheinlich auch noch Blödelbarden.

Jemand wie ich, also. Habe mich jetzt so lange nicht mehr über Ersatzflüssigkeit lustig gemacht, dass sich in mir ein erkleckliches, bedenklich schwappendes, hellblaues Reservoir angesammelt hat, das nun durch irgendeine Öffnung raus muss.

Ich habe behauptet: Ersatzflüssigkeit gibt es gar nicht mehr. Behaupten heißt nicht wissen. Mir ist schon lange keine mehr untergekommen, aber vielleicht schaue ich nur nicht richtig hin. Ich gehöre nicht nur zu den nervigen Bessermenschen, die ständig behaupten, sie würden „eigentlich so gut wie gar nicht“ fernsehen. Ich gehöre sogar zu den aufrechten Bestmenschen, die dabei noch nicht mal lügen. (Dass ich gerade zwei Pakete voller attraktiver Premiumkanäle gekauft habe, muss Sie nicht verunsichern. Das ist nur, wenn mal Besuch kommt.)

Tun wir mir zuliebe so, als würden wir alle in der Traumwelt leben, in der ich lebe. Eine Welt, in der Fernsehen nur aus 3sat und Silverline besteht und Ersatzflüssigkeit nur mehr eine verrückte Neunzigerjahre-Schrulle ist. Wenn wir diese Welt als Wirklichkeit akzeptieren, muss unter Umständen jungen Menschen erklärt werden, wie das noch mal war mit der Ersatzflüssigkeit. Ich zitiere hier aus dem Gedächtnis einen typischen Ersatzflüssigkeitwerbespot aus dem Goldenen Zeitalter des Fernsehens (Tutti Frutti):

Zwei Frauen, eine unzufriedene und eine zufriedene, sitzen im Salon der zufriedenen Frau. Auf der Anrichte ist eine kleine Schale mit einer blauen Flüssigkeit, in der die unzufriedene Frau geistesabwesend ihre Finger benetzt.

Unzufriedene Frau: „Ach, gäbe es doch nur eine Flüssigkeit, die sanft meine Phantasie beflügelt, anstatt mich krass mit den schockierenden Realitäten meiner Körperlichkeit zu konfrontieren …“

Zufriedene Frau: „Aber die gibt es! Sie baden gerade Ihre Hände darin!“

„In Vaginalausfluss?! Würg!“

„In Ersatzflüssigkeit! Ich habe immer eine frisch abgefüllte Schale auf der Anrichte, falls mal Besuch kommt.“

„Ersatzflüssigkeit? Lechz!“

Eines der letzten großen Menschheitsabenteuer ist die Suche nach einem schmeckenden alkoholfreien Bier. Ich habe mit Jever Fun schon eines gefunden, hätte aber gerne noch eine Fallback-Lösung. Unlängst ist mir aufgefallen, dass es nun ein Alkoholfreies namens Beck’s Blue gibt. Bei dem Namen musste ich schon wieder an die gute alte Ersatzflüssigkeit denken, und so stelle ich dem sympathischen Familienunternehmen aus meiner alten Heimat unentgeltlich diesen Premium-Claim zur Verfügung:

Beck’s Blue – die Ersatzflüssigkeit unter den Bieren.

Noch heute merkt man, dass ich um die Jahrtausendwende einmal für 5 1/4 Tage als Werbetexter gearbeitet habe. Als cooler Kreativer. Als originell bebrillter, kahlgeschorener Mad Man in Black. Den Magic Touch verliert man nicht. Man hat’s im Blut. Oder in der Sie-wissen-schon-was.

Da ich in diesem Blog aus Furcht und Faulheit keine direkten Kommentare dulde, ein Blog ohne Kommentare aber ein bisschen nackt aussieht, werde ich ab jetzt gelegentlich Kommentare aus anderen Blogs und ähnlichem als Screenshots einfügen. Damit ich weiß, was mir entgeht.

Morituri te salutant

Ich habe eine offizielle Bekanntmachung zu verlesen:

Es ist zu kalt!

Es ist zu kalt für die heiße Phase eines anständigen Marathontrainings, zumindest so lange man kein norwegischer Ultra-Marathon-Veteran ist. Und zu viel Schnee ist auch, vor allem in den Schuhen. Ich hatte den Verdacht schon länger, wollte es aber nicht wahrhaben und bin stur weiter gelaufen, genau wie meine Nase. Dann hat die Grippe geschafft, wozu die Vernunft nicht imstande war: Das Angeber-Trainingsprogramm langfristig zu unterbrechen. Es geht mir schon wieder besser, aber ich werde in den nächsten zwei Wochen nicht aufholen können, was ich in den letzten zwei verpasst habe. Ich werde am 26. Februar trotzdem erst mal loslaufen, ist schließlich alles schon organisiert. Ich bin nur etwas kleinlauter in der Benennung meiner Erfolgsaussichten. Mein ursprünglicher Plan war es, den Tokyo Marathon in erster Linie mithilfe eines rigorosen 10-Wochen-Intensivtrainings zu absolvieren. Mein neuer Plan ist, den Tokyo Marathon in erster Linie mit Gottvertrauen und gutem Willen zu schaffen. Denn der Wille ist noch da, ich bin weiterhin hoch motiviert. Aber ich weiß auch, dass Kopf eben nicht alles ist, egal was die Motivationsseminarspinner sagen. Bein ist auch wichtig, und meine Beine haben in den letzten Tagen mehr Zeit auf der Couch als im Park verbracht.

So eine Grippe hat natürlich auch enorme Vorteile. So weiß ich inzwischen wirklich alles über die Entstehung aller Alien-Filme, und ich habe schon die komplette BBC-Krimiserie Luther gesehen, die Sie ab Sonntag sehen werden.

Wenn sie Ihnen nicht auf Anhieb gefällt, gucken Sie gefälligst nächste Woche wieder rein. Solange bis es Ihnen gefällt, hat bei mir auch geklappt. Ich habe am Sonntag frei und kann endlich Vier Fliegen auf grauem Samt schauen, aber Sie haben die erste Staffel Luther als Hausaufgabe. Die zweite ist freiwillig, weil die nur für Zuschauer mit Nerven wie Drahtseile ist. Will sagen: Die erste Staffel hat mir gut gefallen, aber erst bei der zweiten musste ich öfters fast heulen vor Glück. Lag vielleicht auch an den Medikamenten, aber höchstens ein bisschen.

Apropos irgendwas (mir fällt gerade keine Überleitung ein): Sie erinnern sich an Megumi Sakurai? Ich mich an manches leider zu gut. Da Megumi mitunter Poesie in deutscher Sprache schreibt, hatten wir es schon lange locker ins Auge gefasst, ein paar ihrer Gedichte hierzulande in Umlauf zu bringen. Mit ein wenig Hilfe meinerseits und viel Engagement der Herausgeberin Andrea Herrmann ist nun das Gedicht „Mädchen in dem grünen Wald“ in der aktuellen Ausgabe der Lyrik-Zeitschrift Veilchen erschienen, ein weiterer Text folgt in der nächsten Ausgabe. Lesen Sie mal wieder ein Gedicht. Hat mir auch nicht geschadet.