(Tausche) Kitty gegen Karl

Während meines jüngsten begleiteten Paris-Aufenthalts wurde mir unter Androhung von Liebesentzug verboten, weitere Hello-Kitty-Produkte zu kaufen. Es war aber in der Stadt der Lichter nicht weiter schwierig, das Feuer einer neuen Sammelleidenschaft zu entfachen. Gerade war die limitierte Kollektion von Cola-Light-Flaschen erschienen, die Karl Lagerfeld gestaltet hatte, und die es nur in ein paar Läden in Paris zu kaufen gibt.

Der Unterschied zwischen Hello Kitty und Karl Lagerfeld ist, dass Hello Kitty keinen Mund hat. Ansonsten sind die beiden kaum voneinander zu unterscheiden: Sie sind Stilikonen, und man muss sie einfach liebhaben.

Zwei der drei Flaschen waren leicht zu bekommen, die mit den Punkten und die mit den Streifen:

Aber die mit den Sternen war nirgends aufzutreiben! Quel dommage!

Bitte schauen Sie kurz hier: Haben Sie diese Flasche schon einmal gesehen? (Rechts im Bild, Attrappe)

Wenn sich diese Flasche bei Ihnen zu Hause befindet, oder falls Sie sie beschaffen können – ich hätte großes Interesse! Es soll Ihr Schaden auch nicht sein. Ich biete im Tausch diesen praktischen und formschönen Hello-Kitty-Handventilator, den ich aus einem französischen Kaufhaus schmuggeln konnte, als meine Begleitung durch die riesige Auswahl an Käsepieksern abgelenkt war:

Laut meinen Recherchen ist dieses Gerät in Deutschland nicht offiziell im Handel! Und der Kaufpreis lag deutlich über dem der Lagerfeld-Flasche. Sie machen ein Hammergeschäft. Bitte schreiben Sie an [veraltete E-Mail-Adresse entfernt]. Nur ernst gemeinte Zuschriften mit Bild.

Update 23. Juni (Fronleichnam)

Mit großem Erschrecken stelle ich fest, dass es die Flaschen inzwischen auch in Deutschland zu kaufen gibt. Et tu, Karl. Der Deal ist geplatzt, das ganze Ding ist abgeblasen, ich behalte den Ventilator selbst, er soll mir ein Fächer sein. Kann ich in dieser drückenden Sommerhitze dringend brauchen.

Kindlen Sie sich einen!

Soeben stelle ich fest, dass mein Buch Gebrauchsanweisung für Japan klammheimlich auch für den Kindle erschienen ist, das beste und nützlichste Gerät der Welt, neben dem Hello-Kitty-Luftbefeuchter.

Und ich möchte jetzt nicht wieder dieses kunstfeindliche und kleinkrämerische Gejammer hören, dass es unfair sei, dass digitale Bücher genauso teuer sind wie gedruckte (okay, in meinem Falle sogar etwas teurer), obwohl man viel weniger in der Hand hat. Ja, wo leben wir denn eigentlich?! Wird Literatur und Lesevergnügen jetzt nach Pfund bemessen?!

Falls ich Sie mit wüsten Beschimpfungen nicht überzeugen kann, kaufen Sie bitte die gedruckte Ausgabe, das stört mich nicht.

Sollten Sie den Kindle zu grau finden, können Sie ihn übrigens mit wenigen Handgriffen individuell verschönern, so wie dieser wunderliche alte Kauz sympathische junge Herr:

Ach, so Sie es nicht bemerkt haben (oder es bemerkt haben und sich nun doch sehr wundern): Ich habe jüngst ohne großes Trara die Partnershops auf dieser und verwandten Seiten geschlossen, weil die Almosensammelei gegen meine Menschenwürde ging. Es ist ja nicht wie bei armen Leuten. Geben Sie aber bitte weiterhin viel Geld aus, irgendwer wird es schon zu schätzen wissen.

Sumo spült sich runter, Washlet seit 30 Jahren obenauf

Die Nachrichtenlage in Japan bleibt angespannt: Seit dieser Woche steht fest, dass an Sumo gar nichts mehr gut ist. Dass im fetten Stil betrogen wird, erzählen Täter zwar schon seit rund 40 Jahren, und das „Hey Kids, Mathe ist cool!“-Buch Freakonomics hatte bereits 2005 vorgerechnet, dass Sumo rein rechnerisch ohne Beschiss nicht möglich ist. In Japan gilt etwas aber erst als rechtskräftig, wenn man es auf dem Handy lesen kann. Nachdem nun auf Mobiltelefonen E-Mails gefunden wurden, die belegen, dass Siege und Niederlagen und entsprechende Geldbeträge regelmäßig in aller Seelenruhe vor den Kämpfen verbindlich besprochen wurden, ist die Wut, Trauer und Betroffenheit groß. Ob das Fernsehen Sumo weiterhin zeigen kann, oder ob sowas überhaupt noch stattfinden sollte, wird hitzig diskutiert. Leider kann man nicht mal die nicht integrationswilligen Gastathleten aus dem Ostblock (von Japan aus: Westblock) verantwortlich dafür machen, dass Sumo sich abschafft, obwohl die doch sonst für jeden Skandal rangenommen werden. Die drei bislang eindeutig überführten Mauschler und Drahtzieher sind gebürtige Japaner, zum Beispiel Chiyohakuhō Daiki, der deshalb namentlich genannt wird, weil man von ihm am leichtesten an Bilder kommt.

Ob es über kurz oder lang wirklich so ein dickes Ding ist, wird sich zeigen. Da Sportwetten in Japan ohnehin gegen das Gesetz sind, gibt es gegen Absprachen erst gar keines. Die Empörung ist also rein moralisch, juristisch ist das ganze eine Nullnummer. Gemüter kühlen sich meist schneller, als man gucken kann. Schon jetzt weisen Kommentatoren darauf hin, dass nicht alle Absprachen schnöde monetäre Beweggründe haben, sondern auch als soziales Netz verwendet werden, um alternde und schwächelnde Ringer etwas länger in der privilegierten Sumo-Welt zu halten.

Wie auch immer es ausgeht: Andere japanische Traditionen leben ganz sicher weiter. Das Washlet, diese wunderbare Mischung aus Toilette und Intimspülmaschine, feiert dieser Tage 30. Geburtstag und bleibt eine einzige Erfolgsgeschichte. 70% aller japanischen Haushalte mögen nicht drauf verzichten, allein Erfinderfirma Toho hat weltweit (also asienweit) 30 Millionen Exemplare losgeschlagen. Das Verkaufsargument zur Produkteinführung gilt immer noch: Hände wischt man ja auch nicht nur mit Papier ab, wenn sie schmutzig sind.

Bonus-Nachricht, weil ich Sie nicht ohne Hello-Kitty-Geschichte ins Bett schicken möchte: In Saitama wurde ein 36-jähriger Einbrecher gefasst, weil er Hello-Kitty-Sandalen trug, die per Schuhabdruck einem Tatort zugeordnet werden konnten. Da hatte der Mann aber Glück. Ich habe gesucht und gesucht, aber nie Hello-Kitty-Sandalen in meiner Größe gefunden (tsching-bum).

Hello Kaninchen

Sie erinnern sich noch an meinen Kaninchen-Kalender, den ich Ihnen neulich gezeigt habe (letzte Abbildung, nach dem Politik-Teil)? Manchmal habe ich eine lange Leitung. Selbstverständlich ist es hochgradig sinnvoll, auf einen Kalender für das Jahr 2011 „Kaninchen“ zu schreiben, meinetwegen auch in crazy kleinschreibung. Es ist schließlich das Jahr des Hasen. Soweit hatte ich gar nicht gedacht.

Wo wir bei niedlichen Tieren sind, muss ich noch schnell die schönsten Erinnerungsfotos meiner kürzlichen Meditationsreise zu den altehrwürdigen Berg-, Wald- und Seenlandschaften in und um Hakone zeigen:

Seilbahn-Begrüßungs-Kitty:

Kunstschnitzerei-Kitty:

Und natürlich Schwarze-Eier-Kitty:

Die schwarzen Eier von Hakone werden eine Stunde in Schwefelquellen gekocht, bis sie schwarz sind und stinken. Schmecken aber ganz normal. Katzen haben am allgegenwärtigen Schwefelgestank nichts auszusetzen. Hauptsache warm, finden sie:

Territorialer Konflikt um Kaninchen mit Schleife am Ohr

Seit Japan nicht mehr zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist, kommen sich andere Länder plötzlich mächtig groß vor. Im September nahm die japanische Küstenwache die Mannschaft eines chinesischen Fischerbootes fest, weil es in Gewässern fischte, die Japan für japanisch, China für chinesisch und Taiwan für taiwanisch hält. Daraufhin setzte China Waren- und Schüleraustauschprogramme aus, klingelte mehrfach den japanischen Botschafter zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett, sagte Verabredungen unter Politikern ab, nahm seinerseits ein paar Japaner fest, forderte Entschuldigungen und drohte damit, unter Umständen mit etwas richtig Schlimmen zu drohen. Inzwischen wurden alle Fischer wieder auf freien Fuß gesetzt, aber beide Seiten sind immer noch bockig. Da nutzte der russische Präsident Dmitri Medwedew die Gunst der Stunde und besuchte staatsmännisch eine Insel, die Japan für japanisch und Russland für russisch hält. Japan holte seinen Botschafter heim, auf beiden Seiten wurde viel gezickt, Medwedew sagte, es habe ihm so gut gefallen, dass er vielleicht bald noch ein paar andere Inseln bereisen wolle, deren Zugehörigkeiten unzulänglich geklärt sind.

Aber jetzt schlägt’s 13. Die Holländer halten ein Kaninchen für holländisch, das Japan für japanisch hält. Ein Gericht in Amsterdam hat sich in die Sache eingeschaltet und den Landsleuten recht gegeben. Produkte mit Cathy, einer Freundin von Hello Kitty, dürfen nicht mehr in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg verkauft werden, weil die Figur zu große Ähnlichkeit mit dem holländischen Cartoon-Hasen Miffy (im Original: Nijntje) hat.

Internetrecherchen haben ergeben, dass Cathy eine sanfte Natur hat und immer zuerst an andere anstatt sich selbst denkt. Es liegt aber tatsächlich die Vermutung nahe, dass der Cathy-Erfinder auch zuerst an andere gedacht hat, vermutlich an Miffy. Die Ähnlichkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Möglicherweise könnte man sogar von einer gezielten japanischen Provokation sprechen. Schließlich galt schon Kitty-chan vielen unabhängigen Beobachtern als ein Miffy-Plagiat, das wurde aber nie juristisch bestätigt.

Es bleibt abzuwarten, ob Holland jetzt alle Miffy-Produkte aus Japan abzieht. Es wäre ein schwerer Schlag für die Niedlichkeitskultur, denn Miffy ist drüben durchaus beliebt. Hier ist ein kühler Kopf und diplomatisches Fingerspitzengefühl gefragt.

Apropos Kaninchen

Kürzlich hatte ich selbst Besuch aus Japan (er verlief weitgehend friedlich). Der Besuch wusste um meine Begeisterung für japanische Büroartikel mit deutschen Schriftzeichen und brachte mir u.a. einen Taschenkalender mit diesem wunderbaren Aufdruck mit:

Im Licht der jüngsten Ereignisse hat das Präsent freilich ein wenig von seiner Unschuld eingebüßt.

I have no mouth, but I must eat Kellog’s Hello Kitty Loops with milk for breakfast

Ich entschuldige mich in aller Form für die sperrige Überschrift, selbstredend eine Anspielung auf Harlan Ellisons Kurzgeschichte ‚I Have No Mouth, But I Must Scream‘. Ich schreibe gerade etwas unter Zeitdruck an Sie, lieber Freund, da habe ich einfach das genommen, was einem als erstes in den Sinn kommt. Ich kenne die Geschichte selbst nicht. Ich weiß nur, dass es mal ein Computerspiel dazu gab, das ich aber auch nicht kenne.

Ich war gestern in einem Supermarkt Lebensmittel einkaufen und hatte u. a. das Wort ‚Brot‘ in meine Kladde geschrieben. Ich strich es sofort durch, als ich vor Ort dieses Produkt sah, das ich ohne Umwege mit heim nahm:

Wie selbstlos, dachte ich. Da macht sich eine Cartoonfigur von beachtlichem Renommee für ein Produkt stark, das sie sich aufgrund ihrer charakteristischen Mundlosigkeit selbst nirgendwo sinnvoll hinstecken kann. Wie das schmeckt? Ist doch egal, wie das schmeckt! So sieht es jedenfalls aus:

Ich habe vor lauter Aufregung kaum Platz für Milch gelassen. Aber ich mag Milch eh nicht so gerne. Die Loops sehen ein bisschen aus wie Trockenfutter für Haustiere, schmecken aber anders, könnte ich mir vorstellen. Viel wichtiger ist eh das Bonusmaterial, das auf die Packung zum Ausschneiden aufgedruckt ist: Ein Lesezeichen, ein Türschild und ein Knobelspiel, eine Art Mischung aus Sudoku und Memory. Das ist mir zu kompliziert, ich lasse es unausgeschnitten. Das Lesezeichen aber muss jeder Bücherwurm und jede Leseratte, überhaupt jedes literaturbegeisterte Kleintier, haben. Im Nu wertet es jede Lektüre auf:

Kitty im loopy Leopardenmusterlook. Hello Kinky!

Auf der Packung steht extra noch drauf:

Lass dir beim Ausschneiden von deinen Eltern helfen!

Jetzt kommen meine Eltern voraussichtlich aber erst im Oktober wieder zu Besuch, so lange konnte ich nicht warten. Das hat man dann davon.

Aber die Arbeit und der Schmerz haben sich gelohnt. Schließlich sollen meine Eltern nicht vor so einer abweisenden Tür stehen:

Sondern vor so einer einladenden:

Dann wissen sie, dass sie auf ihren erwachsenen Sohn stolz sein können. Ganz alleine hat er es ausgeschnitten und montiert. Ein richtiger kleiner Heimwerker ist aus ihm geworden.

Kein Anlass könnte besser passen, um jetzt im Hauptprogramm den Trailer für Alan Rudolphs brillante Verfilmung von Kurt Vonneguts auch nicht schlechten Roman Breakfast of Champions zu zeigen.

Hello Kitty darf nicht sterben

Ich wunderte mich einmal sehr, als eine befreundete Autorin für ein Magazin sehr sachlich eine DVD besprach, deren äußerst infantiler Inhalt im Wesentlichen darin bestand, dass die Filmemacher auf möglichst brutale Weise Teddybären vernichteten. Ich kannte die Autorin als eine Liebhaberin und Bewahrerin von Teddybären, daher meine Verwunderung. Sie aber erläuterte mir, dass sie sich mit einer buddhistisch korrekten Geisteshaltung auch in diesem Zusammenhang an den kleinen Rackern erfreuen könne.

Wenn die das kann, dann kann ich auch ein Buch mit dem entsetzlichen Titel Hello Kitty Must Die lesen. Es handelt sich um den Debütroman der Amerikanerin Angela S. Choi, der bald auch auf Deutsch erscheint. Choi erzählt von der jungen Anwältin Fiona, die schwer unter ihrer chinesisch verwurzelten Familie zu leiden hat, und darunter, dass sie, Fiona, kein Jungfernhäutchen hat. Das entdeckt sie, als sie sich am Anfang des Romans mithilfe eines Artikels aus dem Ehehygienefachgeschäft selbst entjungfern möchte. Bestürzt rennt sie zum Chirurgen, um sich ein Häutchen einsetzen zu lassen. Der Arzt entpuppt sich als ein ehemaliger Schulkamerad, der seinerzeit von der Schule flog, weil er gerne Leute anzündete. Es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

So weit, so pfiffig. Es könnte der Beginn eines wunderbaren Romans sein, wenn nicht alles von Anfang an so ermattend unpfiffig geschrieben wäre. Angela S. Choi wird häufig mit Chuck Palahniuk verglichen, hauptsächlich wohl, weil es so auf dem Buchumschlag steht, und der Mensch plappert gerne nach, was schon mal ein anderer Mensch geplappert hat. Mittlerweile ist ein Palahniuk-Vergleich freilich einer, bei dem man sich nicht sicher sein kann, ob er schmeichelhaft oder gehässig gemeint ist. Aber selbst wenn der Name des putzigen Nullerjahrekultautoren inzwischen einiges an Strahlkraft eingebüßt hat, so muss man Palahniuk doch eines lassen: Er hat eine ganz eigene Stimme. Sie mag einem irgendwann auf den Geist gehen, aber sie ist unverwechselbar, in guten wie in schlechten Zeiten. Choi hingegen schreibt im Duktus generischer Chick Lit (nicht Chuck Lit, höhö, Verzeihung). Ihre Ich-Erzählerin soll eine geistreich-sarkastische Beobachterin sein, ist aber bloß ein geistloser Jammerlappen, der sich aus einem Plattitüdenreservoir von unvorstellbaren Ausmaßen vollsaugt. Später gibt es in der Handlung wohl noch Serienmord und Nachtleben, wie in jedem Debütroman, aber so weit bin ich nicht gekommen. Auf Seite 50 dachte ich mir: Das Kapitel noch, dann wieder ein gutes Buch. Gottlob ging das Kapitel nur bis Seite 52.

Viele Menschen brüsten sich damit, jedes Buch, das sie zu lesen beginnen, auch zu Ende zu bringen. Meistens sind das Menschen, die sich um ihr Geld selbst dann noch Gedanken machen, wenn es schon ausgegeben ist. Dann lautet die irrationale Argumentation: Ich hab das bezahlt, also lese ich es auch. Mir kommt diese doppelte Bestrafung nicht in die Tüte. Das Geld mag verloren sein, aber die Zeit kann ich noch retten.

Mit dem thematischen Kreisen ums Töten und Ausgehen in Kalifornien scheint man eher bei Bret Easton Ellis als bei Chuck Palahniuk. Man muss aber nur einen Blick in den neuen Ellis werfen, um zu verstehen, warum man doch ganz woanders ist. Inzwischen gilt zwar als gesichert, dass es sich bei Imperial Bedrooms nicht um den größten Wurf des Autoren handelt, aber er ist dennoch ein exzellentes Beispiel für das, was dabei herauskommt, wenn ein ernsthafter Schriftsteller hoch konzentriert das tut, was er besonders gut kann. Das ist ein Rhythmus, bei dem man mitmuss, da stimmt jedes Bild, da steckt hinter jedem kleinen Fehler eine große Absicht. Das hätte kein Imitator so schreiben können, auch wenn sich seit 20 Jahren jeder zweite Nachwuchsautor für den neuen Bret Easton Ellis hält.

Angela S. Choi dankt in ihrem Buch u. a. ihrem ‚Creative Writing Coach‘. Ich habe dieser Creative-Writing-Chose nie getraut. Wahrscheinlich wird man dabei gecoacht, so viel wie möglich so wenig kreativ wie möglich zu schreiben, damit man so klingt wie jeder andere, der schonmal ein Buch verkauft hat. Das ist näher bei Kerstin Gier als bei Chuck Palahniuk oder Bret Easton Ellis. Meinetwegen ist das Kerstin Gier mit einer Kettensäge, aber Kettensäge ist in diesem Fall leider auch keine Lösung.

Ach, der Kerstin-Gier-Vergleich tut mir schon wieder leid. Die Gier und ihre Vermarkter führen zumindest niemanden an der Nase herum. Wer einen Gier in die Hand nimmt, tut dies nicht, weil er erwartet, das Buch könnte jede Sekunde für den Preis der Leipziger Buchmesse shortlisted werden. Der amerikanische und der deutsche Verlag von Choi tun aber so, als handele es sich um kapitale LITERATUR.

Es müsste einen geben, der mit dem Zeigefinger hoch in der Luft herumschlägt und mit einem feucht lispelnden Quaken ruft: „Das ist keine Literatur!“ Gibt es aber nicht. Muss man selbst machen.

Jetzt bitte nicht das ewige Chick-Lit-Argument, dass das alles eben nicht für Männer gedacht und gemacht wäre. Man nenne mich hoffnungslos progressiv, aber ich weigere mich zu glauben, dass Frauen schon genetisch das literarische Urteilsvermögen fehlt. Es wird Frauen geben, die sich von der Fließband-Frauenliteratur um Schuhe, Sex, Shopping und Serienmord mehr beleidigt als angesprochen fühlen. Ich bin mir ganz sicher, irgendwo gibt es sie. Mein ewiges Mantra.

Zum kritischen Hello-Kitty-Diskurs hat der Roman übrigens wenig Neues beizutragen. Es wird der alte Hut aus dem Schrank geholt, dass Kitty-chan konteremanzipatorisch sei, weil sie keinen Mund habe und somit keine Parolen rufen könne. Choi fügt dem hinzu, dass man ohne Mund auch anderen Aktivitäten nicht nachgehen kann, aber dies ist ein familienfreundlicher Blog. Ich halte dagegen: In einer Gesellschaft, in der niemals niemand nicht aufhört zu schnattern, ist Kitty ein liebenswert unangepasster Freigeist, eine echte Rebellin. Sie kann sich auch ohne Verbaldurchfall verständlich machen, sie ist eine Meisterin der nonverbalen Kommunikation. Ein Blick von ihr oder auf sie sagt alles. Wie jede echte Rebellin bringt Hello Kitty das Establishment verlässlich zur Verzweiflung. Die gleichgeschalteten Schäfchen der Generation Slipknot kann man kaum besser verstören als mit Kittys radikaler und kompromissloser Niedlichkeit. Die Kleine hat es faustdick hinter den Öhrchen. Lang lebe Hello Kitty.

P.S.: Ja, ich habe schon verstanden, dass die Hello Kitty im Roman nicht nur die japanische Stilikone meint, sondern auch den amerikanischen Slang-Ausdruck für fügsame Mausemädchen asiatischer Herkunft. Hat mir und dem Roman aber nicht geholfen.