Tokio Dekadenz Dry

Sagt die Frau so: „Möchtest du etwas Bestimmtes sehen, wenn du in Tokio bist?“

Sagt Mann: „Ich habe den Sky Tree noch nie gesehen, das schon jetzt höchste Gebäude der Stadt, obwohl es noch gar nicht fertig ist.“

„Kannst du von meinem Fenster aus sehen. Sonst noch Wünsche?“

„Etwas Weihnachtsbeleuchtung wäre nett. Tokyo Tower soll schön sein.“

„Kannst du auch von meinem Fenster aus sehen.“

Das haben wir jetzt davon:

Ich leg mich wieder hin.

Territorialer Konflikt um Kaninchen mit Schleife am Ohr

Seit Japan nicht mehr zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist, kommen sich andere Länder plötzlich mächtig groß vor. Im September nahm die japanische Küstenwache die Mannschaft eines chinesischen Fischerbootes fest, weil es in Gewässern fischte, die Japan für japanisch, China für chinesisch und Taiwan für taiwanisch hält. Daraufhin setzte China Waren- und Schüleraustauschprogramme aus, klingelte mehrfach den japanischen Botschafter zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett, sagte Verabredungen unter Politikern ab, nahm seinerseits ein paar Japaner fest, forderte Entschuldigungen und drohte damit, unter Umständen mit etwas richtig Schlimmen zu drohen. Inzwischen wurden alle Fischer wieder auf freien Fuß gesetzt, aber beide Seiten sind immer noch bockig. Da nutzte der russische Präsident Dmitri Medwedew die Gunst der Stunde und besuchte staatsmännisch eine Insel, die Japan für japanisch und Russland für russisch hält. Japan holte seinen Botschafter heim, auf beiden Seiten wurde viel gezickt, Medwedew sagte, es habe ihm so gut gefallen, dass er vielleicht bald noch ein paar andere Inseln bereisen wolle, deren Zugehörigkeiten unzulänglich geklärt sind.

Aber jetzt schlägt’s 13. Die Holländer halten ein Kaninchen für holländisch, das Japan für japanisch hält. Ein Gericht in Amsterdam hat sich in die Sache eingeschaltet und den Landsleuten recht gegeben. Produkte mit Cathy, einer Freundin von Hello Kitty, dürfen nicht mehr in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg verkauft werden, weil die Figur zu große Ähnlichkeit mit dem holländischen Cartoon-Hasen Miffy (im Original: Nijntje) hat.

Internetrecherchen haben ergeben, dass Cathy eine sanfte Natur hat und immer zuerst an andere anstatt sich selbst denkt. Es liegt aber tatsächlich die Vermutung nahe, dass der Cathy-Erfinder auch zuerst an andere gedacht hat, vermutlich an Miffy. Die Ähnlichkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Möglicherweise könnte man sogar von einer gezielten japanischen Provokation sprechen. Schließlich galt schon Kitty-chan vielen unabhängigen Beobachtern als ein Miffy-Plagiat, das wurde aber nie juristisch bestätigt.

Es bleibt abzuwarten, ob Holland jetzt alle Miffy-Produkte aus Japan abzieht. Es wäre ein schwerer Schlag für die Niedlichkeitskultur, denn Miffy ist drüben durchaus beliebt. Hier ist ein kühler Kopf und diplomatisches Fingerspitzengefühl gefragt.

Apropos Kaninchen

Kürzlich hatte ich selbst Besuch aus Japan (er verlief weitgehend friedlich). Der Besuch wusste um meine Begeisterung für japanische Büroartikel mit deutschen Schriftzeichen und brachte mir u.a. einen Taschenkalender mit diesem wunderbaren Aufdruck mit:

Im Licht der jüngsten Ereignisse hat das Präsent freilich ein wenig von seiner Unschuld eingebüßt.

Japanischer Stehsatz (3): Drag My Mini Munny To Hell

Vor kurzem sah ich die Gruselklamotte Drag Me To Hell im Fernsehprogramm oder von DVD, ich weiß nicht mehr, sie war gut oder schlecht, ich weiß nicht mehr. Ich weiß nur noch eins, Sie haben es bestimmt schon erraten: Die Heldin, wenn man die unsympathische Schnepfe so nennen möchte, hat einen Mini-Munny-Aufkleber auf dem Armaturenbrett ihres Privatwagens. Damit gehört sie wohl zur kleiner als geplanten internationalen Gemeinde der Mini-Munny-Besitzer. Raten Sie mal, wer noch.

Der Mini Munny ist kein japanisches Produkt, aber er passt dort bestens hin. Ich habe meinen während eines spontanen Kurztrips nach Tokio im letzten Jahr gekauft. Nur kurz zur Omotesando, ein bisschen teuren Quatsch kaufen, schnell wieder wegfliegen und rechtzeitig zu Hause sein, bevor Monk anfängt. Ich wollte eigentlich zeitnah hier von meinem Mini Munny erzählen, aber ich kannte damals noch Schamgrenzen. Gekauft habe ich ihn übrigens im MoMa Store, einem wunderbaren Pop-Art-Schnösel-Refugium in Harajuku, wenn man mal genug davon hat, heimlich Lolitas zu knipsen oder im Oriental Bazaar verzweifelt und aussichtslos nach Mitbringseln zu suchen, die nicht so aussehen, als hätte man sie im Oriental Bazaar gekauft.

Ein Mini Munny ist eine potenziell niedliche Figur mit großem Kopf und kleinen Körper, aber ansonsten ohne alles, denn man muss sie selbst anmalen, mit Gesicht und Ausdruck und Kleidung und was ein Mini Munny noch so braucht.

In der optisch und haptisch schönen gelben Pappschachtel befindet sich der Munny selbst in der gewählten Farbe (ich: Pink natürlich, als alter Gruftie), der benötigte Anmal-Stift, ein seltsamer Aufkleber, ein noch seltsameres ‘Hello-My-Name-Is‘-Kontaktanbahnungsnamensschild nach amerikanischen Vorbild (für Gemeindetreffen der Mini-Munny-Besitzer?) und ein Überraschungs-Accessoire (bei mir Mütze).

Vielleicht hätte ich mit dem Anmalen warten sollen, bis ich zu Hause bin und Kaffee getrunken habe und ordentlich am Schreibtisch sitze, anstatt gleich im Suff Reisefieber auf dem Hotelbett liegend den Stift zu schwingen. Vielleicht wäre mir dann was Originelles eingefallen, und ich hätte nicht wieder das gemacht, was ich immer mache. Vielleicht hätte ich dann auch nicht die Rückseite so obszön gestaltet, dass ich sie im Internet unmöglich zeigen kann.

Aber ich muss den kleinen Racker wohl lieben, wie er ist. Er steht heut auf meinem Schreibtisch, mit dem Rücken zur Wand. Zwischen dem WordPress-Buch, das ich nie lese, und der Wagner-The Great-Operas-From-The-Bayreuth-Festival-CD-Box, die ich nie höre.

Die nächste Anschaffung, die ich tätige, überlege ich mir ganz, ganz genau.

Endlich mal die Gute sein!

Nicht lachen, aber ich krauche immer noch im ersten Teil des Weltraumvideorollenspiels Mass Effect herum. Sie erinnern sich bestimmt, als wäre es erst gestern gewesen: Anfang des Jahres hatte ich mich zuerst etwas herablassend zu diesem Quatsch geäußert um kurze Zeit später mit eingekniffenen Schwanz zurückzurudern, weil es gar so großer Quatsch dann doch nicht war. Dass ich nach wie vor nicht den gesamten Weltraum besiegt, besiedelt oder befreit habe, oder worum auch immer es in diesem Spiel gehen mag, liegt nicht daran, dass ich ein so schlechter oder gründlicher Spieler wäre, sondern eher ein untreuer und seltener. Manche Monate wird kein Controller angerührt, in anderen haben andere Spiele größere Strahlkraft als der Mass-Effect-Quatsch. Aber zurück komme ich immer, irgendwann.

Jetzt habe ich etwas Interessantes gelesen: Wie jedes anständige Unternehmen sammelt der Mass-Effect-Erfinder Bioware Kundendaten. Dabei kam heraus, dass nur 20% der Spieler die Hauptfigur Shephard als Weib erschaffen haben. Das wundert mich ein wenig. Es handelt sich schließlich um Science Fiction und ein Videospiel, also ist davon auszugehen, dass rund 100% der Spieler auch so schon männlich sind. Also quasi wie ich. Aber meine Shephard ist selbstverständlich weiblich. In Rollenspielen spiele ich immer jemanden, der so wenig wie möglich mit mir selbst zu tun hat. Ich bin sogar der Meinung, dazu sind sie da. Und eine Frau zu sein hat recht wenig mit mir selbst zu tun, ob Sie es glauben oder nicht.

Warum spielen die meisten anderen Männer lieber mit Männern? Wollen die nicht mal was Neues ausprobieren? Haben die Angst vor starken Frauen wie mir? Und haben die sich im Vorfeld nicht überlegt, dass man in diesen Spielen 80% der Zeit damit verbringt, seiner Figur auf den Hintern zu gucken, während sie hechelnd durch die Gegend läuft?

Das bin jedenfalls ich, als InfiltratorIn der 28. Stufe:

Da habe ich mich in einem schmeichelhaften Winkel getroffen, denn leider hat meine Shephard ein fliehendes Kinn, da die Kinnpartie bei der Charaktererschaffung am schwierigsten hinzubekommen ist, wenn man nicht mit seiner realen Nase am Fernseher klebt. Aber ich mache das fliehende Kinn mit einem hohen Wert in ‚Schmeicheln‘ wett, den meisten Außerirdischen fällt es gar nicht auf.

Wenn ich mich so ansehe, muss ich mir von mir selbst ein paar unangenehme Fragen gefallen lassen. Zum Beispiel: Wenn es mir wirklich so auf die Andersartigkeit meiner virtuellen gegenüber meiner realen Figur ankommt, warum bin ich dann nicht ethnisch experimentierfreudiger? Warum so blass um das Näschen? Ich kann das beantworten. Aber nicht befriedigend, dafür ist das alles zu lange her. Ich erinnere mich nicht genau, aber ich glaube, ich habe damals versucht das Aussehen einer real existierenden Person zu kopieren. Ich weiß noch, dass mir das nicht recht gelungen ist, und ich irgendwann einfach fertig sein und mit dem Spielen anfangen wollte. Ich weiß nicht mehr, wer diese Person war, oder auch nur ob sie eine Person des öffentlichen Lebens oder meines Privatlebens war.

Zweite nagende Frage: Wo ich schon im echten Leben ein begeisterter Gutmensch bin, warum muss ich dann auch in Videospielen immer die barmherzige Schwester geben? Wie Sie sehen, ist mein blauer guter Balken viel größer als mein böser roter. Sollte ich im Spiel nicht mal richtig die Sau rauslassen? Vielleicht. Aber hier kommt eine Protesthaltung zum Tragen: Die Fetischisierung des Bösen in Videospielen langweilt mich zu Tode. Noch immer wird so getan, als sei es ein herrlich frecher, emanzipatorischer Akt, in einem Spiel die Rolle des Bösen zu übernehmen. Dabei ist es längst mürbe Gewohnheit. 1997 hatte es etwas Erfrischendes, dass man in der niedlichen Folterkellersimulation Dungeon Keeper nicht den holden Ritter spielte, der in das düstere Verlies einbricht um Untiere abzumurksen und Gold zu raffen, sondern den Typen, dem die Bude gehört. Seitdem wird für so ziemlich jedes Spiel mit dem Versprechen geworben: „Endlich mal der Böse sein!“ Auch nach 13 Jahren wurde das ‚endlich‘ nicht gestrichen. Ganz so, als spiele man nicht seit Jahren fast ausschließlich Soldaten oder andere Profikiller. Moralische Probleme habe ich damit keine, ist ja nur Spiel. Solange man den Dienst an der Waffe auf dem Bildschirm belässt, soll man ruhig. Nur ist das Böse leider so einfalls- und facettenlos. Böse kann jeder. Gegen die „Endich mal der Böse sein!“-Begeisterung möchte ich anquengeln: „Wann kann ich denn endlich mal wieder die Gute sein?!“

In Spielen wie Mass Effect kann ich es, bis zu einem gewissen Grad. Konflikte löse ich hier am liebsten politisch, also durch gutes Zureden und Spendengelder. Außer, wenn ich so nicht weiterkomme. Dann puste ich ein paar Leuten die Birnen weg. Klappt meistens auch.

Böse ist schon lange das neue Gut. Da sich videospielende Halbstarke seit Jahr und Tag einig sind, dass Gut langweilig ist, müsste doch so langsam der Groschen fallen, dass inzwischen Böse langweilig ist. Im Umkehrschluss ist Gut das neue Böse. Mit anderen Worten: Gut sein ist abenteuerlich und verwegen.

Pädagogischer Auftrag erfüllt, Commander.

Die Nachrichten: I’m still here

Hier war in letzter Zeit ein wenig himmlische Ruhe eingekehrt, weil ich meine musikalische Karriere vorantreiben musste (Abb. unten).

Inzwischen habe ich mich aber rundherum rasieren lassen und konzentriere mich wieder ganz auf meine Kernkompetenz: Blöd gucken.

Zuletzt:

The Disappearance of Alice Creed
Gallants
Symbol

Windstruck

Wird fortgesetzt.

Update 3. 11.: Auch das noch!

Sword with no Name
Wir sind die Nacht

Zugabe 10. 12.

The Last Days of Emma Blank
Solomon Kane
The Vampire Diaries
Fast vergessen 2. 1.

14 Blades
Merantau – Meister des Silat
Mulan – Legende einer Kriegerin
The Treasure Hunter
Dracula – Mythen und Wahrheiten (Vorsicht: Buch!)

Die schöne Geschichte von Aaron und dem kaputten iPod

Mein iPod ist von Apple, er funktioniert also nur manchmal. Habe ich den impertinenten Wunsch nach einer bestimmte Musik, stellt er sich auf entsprechenden Tastendruck erstmal tot, knattert dann eine Weile empört rum und fängt schließlich ungeachtet meines spezifischen Wunsches an, seine komplette Musikdatenbank durchzuspielen, in alphabetischer Reihenfolge nach Namen des Interpreten. Selbstverständlich breche ich das meistens nach den ersten Takten ab. Ich kann gar nicht zählen, wie häufig ich inzwischen die ersten Takte des Liedes ‚Le Tunnel d’Or‘ von Aaron (Fettung durch Admin) gehört habe. Lange hat mich das fuchsteufelswild gemacht. Nicht wegen der Fehlfunktion, sondern weil ich mir nicht erklären konnte, wie dieses Lied auf meinen iPod kommt. Ich kenne gar keinen Aaron. Ich hegte den Verdacht, es handele sich um eine dieser hartnäckigen Beispielmusiken, die Softwaremonopolisten in ihren Betriebssystemen verstecken, und die sich beim Synchronisieren meiner Maschinen vermehrt hatte, bevor ich sie finden und löschen konnte.

Irgendwann stellte ich aber fest: Diese zerknirscht-gehauchte Pianoballade ist gar nicht so schlecht, eigentlich sogar ziemlich gut. Ich stellte außerdem fest, dass das Lied doch von mir kam. Es war von einer der Chanson-Sammel-CDs, die ich palettenweise aufgekauft hatte, als ich vor ein paar Jahren entdeckt hatte, dass Frankreich, Franzosen und Französisch gar nicht so blöd sind, wie man mir in der Schule weismachen wollte. Natürlich habe ich mir die ganzen CDs nie richtig angehört, übertreiben wollte ich es auch nicht.

Überhaupt bin ich mit Kompilationen nie recht warm geworden. Ich brauche immer eine Weile, bis ich mich auf jemanden einlassen kann. Kompilationen sind wie Speed Dating, da bleibt nichts hängen. Also habe ich mir jetzt das ganze Aaron-Album kommen lassen. Direkt aus Frankreich, da Aaron hier im Nachbarlande offenbar kein Thema ist. Um Versandkosten den Stachel zu nehmen kam noch das neue Soloalbum der reizenden und begabten (wie wir im Peter-Frankenfeld-Fernsehen sagen) Dionysos-Veteranin Babet mit ins Päckchen, was hier nur erwähnt sei, weil die reizende und begabte Babet die eine oder andere Erwähnung mehr als verdient hat.

Drei Dinge über Aaron erfahre ich durch das Album, noch bevor ich es gehört habe. Erstens: Ich hatte gedacht, Aaron sei ein Typ. Aaron sind aber zwei Typen. Das Ganze ist ein Bandname und steht für: Artificial Animals Riding On Neverland. Die offizielle Schreibweise ist übrigens AaRON, aber so einen Schnickschnack mache ich nicht mit. Zweitens: Laut Aufkleber (ein anderer als abgebildet) erscheint das neue Album am vierten Oktober 2010. Gibt es denn sowas? Fans der ersten Stunde warten seit zwei Jahren, ich muss nur das Wochenende irgendwie rumkriegen. Drittens: Als französisch getexteter Chanson ist ‚Le Tunnel D’Or‘ auf dem Album die sprachliche Ausnahme, der Rest ist in der Modesprache Englisch abgefasst. Das ist dann auch das einzige kleinere Problem an der Sache. Wie alle Künstler und normalen Menschen, die sich in einer Sprache äußern, die nicht ihre Muttersprache ist, verfallen Aaron dabei häufig in Klischees oder zwanghafte Originalität. Keiner ist davor gefeit, auch ich nicht, und Sie erst recht nicht. Egal wie viele Einser man schon als Kind hatte, egal wie viele schlaue Bücher man im Original liest und wie viele jargonschwangere Filme man ohne Untertitel schaut, egal wie lange man woanders gelebt hat und mit wie vielen Ausländern man jeden Abend trinken geht, eine Fremdsprache bleibt eine Fremdsprache. Die Unnatürlichkeit im Umgang mit ihr liegt nicht zwangsläufig darin begründet, dass man sie nicht richtig kann, sondern darin, dass man so vernarrt in sie ist, dass man ständig über das Ziel hinausschießt, mal meilenweit, mal nur ein trügerisches Quäntchen. Deshalb bin ich dafür, dass sich Liedermacher, Dichter, Journalisten u. ä. stets nur in ihrer Muttersprache ausdrücken. Nicht als national identitätsstiftende Maßnahme oder so ein Quatsch, sonder um zu zeigen, was sie drauf haben. Alles andere ist Verstellung. Nun könnten Sie sagen: „Aber was ist, wenn ein Künstler beispielsweise aus Island kommt und in seiner Muttersprache nur von ungefähr 347 Menschen weltweit verstanden würde? Wäre es dann nicht besser, er bediene sich trotz eines gewissen Genauigkeitsverlustes der englischen oder einer anderen Allerweltssprache, um seine vielleicht wichtige Botschaft so vielen Menschen wie möglich verständlich zu machen?“ Daraufhin würde ich die Arme vor der Brust verschränken, die Zunge zwischen die Lippen schieben und ein unanständiges Geräusch machen, woraufhin Sie sagen würden: „Sehr, sehr erwachsen, Herr Neuenkirchen.“

Ach, hören wir auf zu streiten. Es gibt keinen Grund, hören wir diese wunderbare Musik doch einfach wegen der Musik. Wäre mir daran gelegen, musikjournalistisch korrekt darauf einzugehen, müsste ich wohl von Loops und Grooves und Bleeps und Klaviertupfern und dunklen Klang- und Seelenlandschaften faseln, aber das möchte ich Ihnen und in erster Linie mir ersparen. Ist jedenfalls genau das Richtige, wenn einem der Herbst noch nicht Herbststimmung genug ist. Ich habe vorsichtshalber schon mal das zweite Album bestellt.

Eigentlich geht es mir gar nicht darum, Ihnen ein obskures französisches Pop-Duo schmackhaft zu machen. Ich möchte nur der Welt mitteilen, wie glücklich ich bin, dass mein iPod nicht richtig geht. Und ich möchte an Sie appellieren: Wenn Ihr kaputter iPod Ihnen etwas zu sagen versucht, dann hören Sie auf ihn.

Nachruf mit Ständchen: HMV in Shibuya

Wie mir erst jetzt bekannt wurde, hat am vergangenen Sonntag die HMV-Filiale im Tokioter Stadtteil Shibuya dicht gemacht. Da darf man schon ein wenig sentimental werden. Ich habe auf den 1400 Quadratmetern viele schöne Stunden meines Lebens vertrödelt, und meine Besuche nahmen mit fortschreitendem Alter eher zu als ab. Bevorzugte ich als wilder, flippiger Endzwanziger noch Tower Records um die Ecke, so zog es mich zuletzt immer mehr zu HMV, wo einen die Deko nicht so anschrie, und man das Gefühl hatte, die Jazz- und Klassik-Abteilungen wären nicht nur der Vollständigkeit halber da. HMV Shibuya bedeutete mir und ungefähr gleichaltrigen japanischen Freunden aus unterschiedlichen Gründen gleich viel. Für meine Freunde war es Anfang der Neunziger Jahre eine der wenigen Möglichkeiten, an heiße Scheiben aus dem Westen zu kommen. Für mich war es Ende der Neunziger nicht der einzige, aber einer der wichtigsten Orte, meine Bekanntschaft mit der japanischen Populärmusik zu vertiefen.

Zuletzt muss ich im Juni dort gewesen sein. Just in diesem Monat wurde das nahende Ende der Filiale verkündet, aber es ist damals an mir vorbeigegangen. Sonst hätte ich bestimmt noch ein anständiges Erinnerungsfoto geknipst. So kann ich nur auf eine typische Shibuya-Crossing-Totale zurückgreifen, wie sie sich im Fotoalbum jedes Tokio-Reisenden befindet:

Besser als mit Fotos erinnert man sich an einen Plattenladen ohnehin mit Musik. Lassen Sie mich nicht lügen, aber ich glaube, die erste CD, die ich mir bei HMV Shibuya gekauft hatte, war das Debütalbum des Kyotoer Pop-Rock-Trios (heute Duo) The Brilliant Green, darauf u.a. „There Will Be Love There“:

Ich besaß zu diesem Zeitpunkt (1999) bereits das gerade erschienene zweite und noch bessere Album Terra 2001, ich meine aber, es anderswo erstanden zu haben. Es freut mich sehr zu berichten, dass am 15. September dieses Jahres nach acht langen Jahren der ersatzbefriedigenden Soloprojekte das fünfte echte Album von The Brilliant Green erscheint. Ich rutsche schon nervös auf dem Stuhl herum. Schade nur, dass ich es nicht bei HMV Shibuya werde kaufen können.

Die letzte CD, die ich mir dort gekauft habe, war kürzlich die ‚Super Best‘-Kollektion der japanischen Funpunk-Institution The Blue Hearts. Sie war günstig, weil gerade eine neue Hitsammlung der rüstigen Stimmungskanonen erschienen war, und nun die 2786 früheren Kompilationen, auf denen exakt dasselbe drauf ist, verramscht wurden. Natürlich mache ich mir jetzt ein wenig Vorwürfe. Hätte ich HMV retten können, wenn ich mir die teure neue CD gekauft hätte? Vermutlich nicht, seien wir nicht albern.

Damit rechnen die Leute ja nur, dass jetzt The Blue Hearts mit ihrem beliebtesten Hit „Linda Linda“ kommen. Hatte ich auch vorgehabt, soviel Servicegedanke muss sein. Aber ich würde The Blue Hearts und den Song überhaupt nicht ohne den Film Linda Linda Linda kennen, in dem eine Gruppe sympathisch drömeliger Schülerinnen versucht, rechtzeitig zum Schulfest eine Rockband zu werden. Ich zeige lieber diese Version. Hat zwar im Gesamtzusammenhang nur noch Apropos-Charakter, aber so apropos-charakterstark muss man schon sein. Apropos: Dies war auch das erste Lied, das ich bei einem Karaoke-Vergnügen auf Japanisch durchzusingen versucht habe. Ich habe aber nur den Kehrreim einigermaßen fehlerfrei hinbekommen.

Satoshi Kons Franzen-Obama-Merkel-Erbsensuppe-Massaker

Manchmal, vor allem freitagnachts, überkommt es mich, und ich mache total abgefahrenen crazy stuff. Jetzt zum Beispiel ziehe ich mir voll den neuen Franzen rein, Alter. Ich tue dies in einer Weise, von der ich hoffe, dass Jonathan Franzen sie gutheißt, oder sie zumindest nicht als Affront und Herabwürdigung seiner Arbeit auffasst. Ich öffne vorher eine Flasche nicht ganz billigen Rotweins, lege eine von meinen beiden Klassik-CDs ein, und wenn ich beim Lesen auf eine amüsante Spitze stoße, halte ich die Finger vor den Mund und mache ein kleines Roger-Willemsen-Hühühü. Yeah, checkt das aus, Kids! Bücher rocken! (Ich hatte übrigens neulich 8 von 10 Punkten im Spiegel-Online-Jugendsprache-Test, hühühü).

Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht: 2001 wurde Jonathan Franzen holterdipolter berühmt, weil er sein Buch Die Korrekturen nicht von Oprah Winfrey loben lassen wollte, und weil es tatsächlich so großartig war, wie alle und Oprah sagten. Seine Haltung brachte dem Autoren seltsamerweise nicht den Ruf eines aufrechten Künstlers ein, sondern den eines elitären Schnösels, und so kamen bald die Kläffer, die die unwahre Behauptung verbreiteten, Die Korrekturen sei in echt gar nicht gut. Wer sich gerne mit vermeintlichen Minderheitenmeinungen brüstet, variierte das Gerücht dahingehend, dass Die Korrekturen bloß überbewerteter Hype sei, Franzens gefloppter Erstling Die 27ste Stadt hingegen ein verkanntes Meisterwerk. Das wäre schön, würde es stimmen, ich habe selbst gerne Minderheitenmeinungen. Tatsache ist aber leider doch, dass Die 27ste Stadt eine einzige Plackerei und Die Korrekturen eine einziges Vergnügen ist.

Bei seinem Neuen, Freiheit, hatte Franzen wieder ungefragt prominente Hilfe bei der Publicity: Barack Obama wurde noch vor offiziellem Erscheinen des Schmökers von geschickt platzierten Paparazzi bei der Lektüre erwischt. Bei Präsident Obama muss ich immer an Kanzlerin Merkel denken, und in diesem Zusammenhang insbesondere an das, was der unsterbliche Christoph Schlingensief mehrfach und richtig über sie gesagt hat, nämlich dass sie völlig kulturlos sei. Sie watschelt zwar mitunter fröhlich in Bayreuth und Salzburg herum, verfügt aber merklich in keinster Weise über das Rüstzeug oder auch nur das Interesse, das zu verarbeiten, was sie dort sieht und hört. Und das stört mich ungemein, denn sie ist ja auch meine Kanzlerin. Ich habe sie nicht gewählt, das war der Bundestag, aber ich erkenne das Wahlergebnis an. Über ihre Politik kann man sich nicht großartig aufregen, die ist halt, wie Politik so ist: Mal so, mal so. Frisur, Fashion und Physiognomie auch schnurzpiepe, ich zitiere frei Max Goldt: Ich wünsche mir keine hübsche Kanzlerin, ich wünsche mir eine gute Kanzlerin. (Vielleicht war es auch nicht Max Goldt, und vielleicht ging es auch ganz anders. Hauptsache, die Aussage ist vernünftig.) Und ich wünsche mir eine Kanzlerin, die hin und wieder mit der Nase in einem Buch erwischt wird, vorzugsweise in einem literarischen, oder auf vergleichbare Weise ein Grundinteresse an Kunst und Kultur glaubhaft signalisiert. Faktisch ist sie schließlich mein Staatsoberhaupt, da hat man nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Man komme mir nicht mit dem Papperlapapp von Bundespräsident und Bundestagspräsident. Ich war gerade in Japan stationiert, als sich in Deutschland der letzte Bundespräsident abgeschafft hat. Da habe ich erst gemerkt, wie schwierig es selbst den interessiertesten Zuhörern zu verklickern ist, was ein Bundespräsident soll. Nichts, eigentlich. Auf seiner Abschiedsparty kann man eine interessante Interpretation eines Oldies durch eine Militärkapelle hören, aber ob das den ganzen Verwaltungsaufwand wert ist, weiß ich auch nicht. Kanzlerin und Außenminister hingegen geben nicht nur Musikwünsche ab. Sie vertreten mich im In- und Ausland, und damit fühle ich mich im Moment nicht ausreichend vertreten.

Ach, jetzt habe ich „Christoph Schlingensief“ gesagt, dabei wollte ich doch bis auf Weiteres darauf verzichten, gerade weil die Versuchung dieser Tage so groß ist. Versuchungen widerstehe ich normalerweise mit Genuss, das ist mein Phantomkatholizismus. Jeder, der Schlingensief einmal begegnet ist, erzählt nun gerne davon unter dem Vorwand des Gedenkens. Dabei geht es meist nicht um die Würdigung dieses feinen Mannes, sondern um die Pinselung des eigenen Bauches. Ich, ich, ich bin Schlingensief übrigens auch einmal begegnet. Sie wollen wissen, wie das war? Hm, ach so … Ich erzähle es Ihnen trotzdem. Gut war es, er hat Erbsensuppe gegessen. Ich nicht, ich hatte schon zu Hause gegessen.

Jetzt ist uns in dieser Woche auch noch Satoshi Kon entglitten, der beste Trickfilmregisseur der Welt, einer der kreativsten Filmemacher überhaupt, ganz unabhängig von der Wahl der Mittel. Wir saßen nie zusammen über einer Erbsensuppe. Umso bedauerlicher, dass wir es nun auch nicht mehr tun werden. Zumindest nicht in dieser Welt. Aber bis wir alle gemeinsam von der großen Erbsensuppe des Himmels kosten, erfreuen wir uns hier und jetzt an Satoshi Kons irdischem Werk, ab sofort vielleicht mit ein klein wenig Wehmut. Es ist quantitativ überschaubar, Kon starb niederschmetternd jung, aber qualitativ schier unfassbar. Und so sagen wir im Gedenken alle im Chor:

„Das ist mein Gehirn!“

„Und das ist mein Gehirn auf Anime!“

Mein Kampf (der Titanen)

Unlängst ließ ich mir aus der Videothek zwei Filme kommen, die ich ihrerzeit für einen Kinobesuch als zu unbedeutend eingestuft hatte, Avatar und Kampf der Titanen. Als erstes widmete ich mich Avatar, denn insgeheim konnte ich es kaum erwarten. Nach einer endlosen knappen Stunde aber dachte ich: Also, vergackeiern kann ich mich auch selbst. So zappte ich vorzeitig rüber zum Sandalenschinken und kehrte nie wieder zurück.

Nun ist Kampf der Titanen ein heikles, sehr persönliches Thema. Das Original von 1981 war mein Leib- und Magenfilm, als ich schätzungsweise 12 war, also auf dem Höhepunkt meines cineastischen Urteilsvermögens. Nostalgie halte ich allerdings für ein Geschwür, das mit dem Skalpell der Vernunft und zwei Tupfern namens Hier und Jetzt entfernt gehört. Meinetwegen kann Google bei mir mit Röntgenkameras alles nacktscannen, man wird nichts von Nutella, drei Fragezeichen oder Boba Fett finden. Aber Phantomschmerzen bleiben nach der Operation, und so kann ich nicht verhehlen, dass ich mir den neuen Kampf der Titanen ganz sicher nicht angeschaut hätte, wenn da nicht mal was zwischen mir und dem ersten Film gelaufen wäre.

Eines ist hier schon im emotionalen Vorfeld anders als bei anderen Neuverfilmungen. Ich gestehe es nur ungern ein, aber normalerweise reagiere ich bei Ankündigungen anstehender Remakes wie all die anderen beleidigten Leberwürste, die das Internet vollschreiben: Ich bekomme einen hochroten Kopf und plärre wie ein kleines Mädchen. Bei der Ankündigung der Zweitverwertung von Kampf der Titanen aber blieb ich ganz ruhig und freute mich still in mich hinein, denn ich fand: Wurde auch Zeit. Kampf der Titanen flehte geradezu um Aktualisierung. Ja, wegen der Spezialeffekte, so oberflächlich muss man schon sein. Sonst hat der Film ja nicht viel. Man darf da nicht sentimental schluchzen: „Aber … aber … die sind doch von Ray Harryhausen!“ Ja, eben, sie waren schon Anfang der Achtziger indiskutabel hinter der Zeit, hat man bloß mit 12 nicht gesehen, weil man zu viel Angst hatte, dass Medusa einen vielleicht auch in Stein verwandeln könnte, wenn man im falschen Moment hinguckt. Die Milchmädchengleichung Analog=Gut/Digital=Böse geht mir schon lange gegen den Strich. Glauben die anderen beleidigten Leberwürste wirklich, dass Digitaleffekte von kalten, gefühllosen Robotern ausgedacht und ausgeführt werden? Nein, liebe Geschwister im Geiste, die werden von Menschen ersonnen und umgesetzt. Meistens Menschen mit Bärten und Metal-Shirts. Diese Menschen haben genauso viel oder wenig Leidenschaft für ihre Kreationen wie die Puppenbieger in Uropas Kino. Sie machen es mal gut, mal schlecht. Für manche ist es Berufung, für andere nur ein Job. Wenn man sie sticht, bluten sie. Wenn man sie am Flughafen abtastet, machen sie hihihi. Es sind Menschen. Ob diese Menschen mit Modelliermasse oder Mausklick arbeiten, ist für die Herzenswärme des Resultats unerheblich. Die Modelliermasse an sich ist nicht menschlicher als der Pixelklumpen. Entscheidend ist, was hinten rauskommt.

Der Film, der in diesem Jahrtausend dabei herausgekommen ist, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Film, der 1981 hinten rausgekommen ist. Ein paar Details wurden modifiziert, weggelassen, hinzugefügt. Aber wer die Details zum Elefanten aufplustert, der sieht den Film falsch.

Kurz zwischendurch für alle, die seit 1980 oder früher ohne Kommunalkino und Internet in einer Marskolonie lebten und letzte Woche erst zurückgekehrt sind: In Kampf der Titanen geht es um den Halbblutgott Perseus, der im antiken Griechenland gegen allerlei Monster kämpft.

Im Originalfilm tut er es für die Gunst und das Wohlergehen der holden Andromeda, im neuen aus Rache. Das war zunächst mein großer banger Moment. Was den alten Film heute noch so charmant macht, ist nicht der Harryhausen-Kitsch, sondern der Romantikkitsch. Wenn ein gelockter Perseus für sein Mädchen das Schwert schwingt, ist das oberflächlich verlockender als ein Sauertopf mit G.I.-Cut, der bloß Blut sehen will. Weil Perseus 2010 aber nicht irgendwen, sondern seine innig geliebte und völlig unnötig dahingeraffte Adoptivfamilie rächen geht, ist der emotionale Aspekt auch in der Stoppelschnitt-Version voll vorhanden. Ob Harry Hamlin oder Sam Worthington die geilere Frisur hat, sollen die kleinen Mädchen entscheiden, oder wer immer sich sonst berufen fühlt. Was das schauspielerische, sagen wir mal: Talent angeht, ist man schon genug hin- und hergerissen.

Oh, fällt mir jetzt erst auf, Sam Worthington war ja auch in Dings, hab ich gerade noch gesehen, komm ich nicht mehr drauf. Aber mal ehrlich und ernst: Seien wir nicht so hart mit ihm, wie es gerade Mode zu sein scheint. Dass er in jedem amerikanischen Mackerfilm der jüngeren Geschichte auftaucht, wird nicht von ungefähr kommen. Irgendwas ist dran an diesem grimmigen Knuddelbären. Dass Avatar Blödsinn und Terminator: Salvation nicht ganz so gut ist wie 3 Engel für Charlie, ist nicht seine Schuld. Ich jedenfalls werde mir The Expendables erst anschauen, wenn ein paar Szenen mit Sam Worthington hineingeschnitten wurden.

Im Großen und Ganzen ist der aktuelle Kampf der Titanen weniger blutig und nackig als das Original, wie Mainstreamfilme überhaupt über die Jahrzehnte eher zahmer als wilder geworden sind, auch wenn die hysterische Schweinepresse das Gegenteil herbeifantasiert. Lediglich bei der Darstellung des fiesen Calibos hat man diesmal noch eins draufgesetzt. Im Original wurde er gespielt vom Schauspieler Neil McCarthy, kaum zu erkennen unter einer furchterregenden, fratzenhafte Maske. Nicht erschrecken: Der neue Calibos sieht aus wie Mickey Rourke. Er wird allerdings gespielt vom Schauspieler Jason Flemyng, kaum zu erkennen unter einer furchterregenden, fratzenhafte Maske.

In meiner Kindheit hatte mich die Geschichte Perseus’ derart gefesselt, dass ich sogar dicke Bücher über griechische Mythologie wälzte. So musste ich erfahren, dass der Film sich hier und da ein paar künstlerische Freiheiten herausnahm. Wenn sich die griechische Mythologie nicht inzwischen als Aberglaube herausgestellt hätte, müsste man wohl von Blasphemie sprechen. Ich war damals ein wenig enttäuscht, dass nirgendwo in den alten Sagen von einer urkomischen, tollpatschigen kleinen Robotereule die Rede war. Heute schätze ich gerade das an den alten Sagen.

Manch Kenner der griechischen Mythologie nimmt beim 2010er Kampf der Titanen Anstoß an der Zeile: „Don’t look that bitch in the eye!“ Sowas hat Perseus niemals gesagt, nicht mal im Angesicht der Medusa, da sind sich die Gelehrten nach langem Schriftstudium einig. Sie haben bestimmt recht. Mir war der falsche Jargon kaum aufgefallen, ich erfuhr erst später von der Welle der Empörung, mein Fehler. Ich störte mich bereits zuvor nicht daran, dass alle Figuren modernes Englisch sprachen. Skandal natürlich, weiß ich jetzt. Man darf Kampf der Titanen eigentlich nur in Altgriechisch mit Untertiteln und ohne Schimpfwörter (wurden erst später erfunden, ca. 1997) verfilmen. Quasi The Passion of the Perseus. Dafür müssten wir aber wohl zwielichtige Regisseure aus der Klapse entlassen, die wir nie wieder in Freiheit sehen wollen.

Apropos Medusa: Sie ist und bleibt der Endgegner der Herzen, der Darth Vader von Kampf der Titanen. Sie dominiert. Alles, was nach ihr geschieht, ist völlig banane. Dass es auch noch ein Krakenmonster/einen Imperator gibt, interessiert allenfalls die penibelsten Erbsenzähler.

Der Reiz der Medusa ist geblieben, ganz egal, ob man die Knetgummiversion aus dem einen, oder das digital verbesserte Supermodel aus dem anderen Film bevorzugt. Wovon man sich darüber hinaus im neuen Film nicht trennen mochte, ist die Götter-WG in den Wolken, in der hochkarätige Schauspieler Verkehrt-rum-Tag spielen. Sie sagten sich: „Au ja! Heute machen wir all das, wovon man uns in der Schauspielschule gesagt hatte, dass man es auf keinen Fall tun darf!“ Hinterher schauten sich die Nachbearbeiter die Szenen an, und einer sagte: „Das ist ja fürchterlich! Aber wir könnten es noch fürchterlicher machen, indem wir willkürlich ein paar Photoshop-Filter drüberknallen!“ Und alle anderen Nachbearbeiter riefen: „Ja! So machen wir es!“ Das Ergebnis ist herrlich.

Jedoch nicht göttlich. Göttlich ist nur Sir Laurence Olivier als Zeus auf seinem funky Laser-Disco-Thron. Deshalb bevorzuge ich nachwievor den alten Film. Aber das ist mit Augen des Nostalgikers gesehen. Alle richtigen zwölfjährigen Jungs sollten mit dem neuen Film bestens bedient sein. Und wer an dem was zu meckern hat, ist wahrscheinlich kein richtiger zwölfjähriger Junge. Für den ist der Film dann aber auch nicht gedacht. Genau wie damals. Gut möglich, dass in ein paar Jahrzehnten die heutigen Zwölfjährigen wutschnaubend über ein neues Remake herziehen, das in ihren Augen keinesfalls so viel Herz, Charme und Fantasie hat wie der gute alte Film von 2010, der damals ihr Lieblingsfilm war, wie sie nicht müde werden jedem jederzeit mitzuteilen. Und das geht in Ordnung. Sie hätten sich schlimmere Lieblingsfilme aussuchen können. Avatar, zum Beispiel.

Bitte machen Sie sich Ihr eigenes Bild:


I have no mouth, but I must eat Kellog’s Hello Kitty Loops with milk for breakfast

Ich entschuldige mich in aller Form für die sperrige Überschrift, selbstredend eine Anspielung auf Harlan Ellisons Kurzgeschichte ‚I Have No Mouth, But I Must Scream‘. Ich schreibe gerade etwas unter Zeitdruck an Sie, lieber Freund, da habe ich einfach das genommen, was einem als erstes in den Sinn kommt. Ich kenne die Geschichte selbst nicht. Ich weiß nur, dass es mal ein Computerspiel dazu gab, das ich aber auch nicht kenne.

Ich war gestern in einem Supermarkt Lebensmittel einkaufen und hatte u. a. das Wort ‚Brot‘ in meine Kladde geschrieben. Ich strich es sofort durch, als ich vor Ort dieses Produkt sah, das ich ohne Umwege mit heim nahm:

Wie selbstlos, dachte ich. Da macht sich eine Cartoonfigur von beachtlichem Renommee für ein Produkt stark, das sie sich aufgrund ihrer charakteristischen Mundlosigkeit selbst nirgendwo sinnvoll hinstecken kann. Wie das schmeckt? Ist doch egal, wie das schmeckt! So sieht es jedenfalls aus:

Ich habe vor lauter Aufregung kaum Platz für Milch gelassen. Aber ich mag Milch eh nicht so gerne. Die Loops sehen ein bisschen aus wie Trockenfutter für Haustiere, schmecken aber anders, könnte ich mir vorstellen. Viel wichtiger ist eh das Bonusmaterial, das auf die Packung zum Ausschneiden aufgedruckt ist: Ein Lesezeichen, ein Türschild und ein Knobelspiel, eine Art Mischung aus Sudoku und Memory. Das ist mir zu kompliziert, ich lasse es unausgeschnitten. Das Lesezeichen aber muss jeder Bücherwurm und jede Leseratte, überhaupt jedes literaturbegeisterte Kleintier, haben. Im Nu wertet es jede Lektüre auf:

Kitty im loopy Leopardenmusterlook. Hello Kinky!

Auf der Packung steht extra noch drauf:

Lass dir beim Ausschneiden von deinen Eltern helfen!

Jetzt kommen meine Eltern voraussichtlich aber erst im Oktober wieder zu Besuch, so lange konnte ich nicht warten. Das hat man dann davon.

Aber die Arbeit und der Schmerz haben sich gelohnt. Schließlich sollen meine Eltern nicht vor so einer abweisenden Tür stehen:

Sondern vor so einer einladenden:

Dann wissen sie, dass sie auf ihren erwachsenen Sohn stolz sein können. Ganz alleine hat er es ausgeschnitten und montiert. Ein richtiger kleiner Heimwerker ist aus ihm geworden.

Kein Anlass könnte besser passen, um jetzt im Hauptprogramm den Trailer für Alan Rudolphs brillante Verfilmung von Kurt Vonneguts auch nicht schlechten Roman Breakfast of Champions zu zeigen.