Meine süßesten Totenschädel

Huch, was sind wir in letzter Zeit monothematisch gewesen. Aber es waren ja auch tolle Tage. Die sind jetzt vorbei, wir glänzen ab sofort wieder mit eigener Leistung und widmen uns angenehmeren Themen, z. B. Totenköpfe. Als neulich im DACH-Oberschichtenfernsehen Japanwoche war (wir berichteten), sagte dort der Künstler Takashi Murakami sinngemäß so etwas wie, dass der Totenkopf in der westlichen Kultur düster besetzt sei, in Japan hingegen häufig als süßer Fratz daherkäme. Der westliche Teil des Statements stimmt nur bedingt, spätestens seit Johnny Depp ist auch bei uns der stilisierte Totenkopf zum Ironie-Glamour-Symbol für vieles vom Damenhut bis zum Beruhigungssauger geworden. Aber gegen Japan ist Deutschland tatsächlich noch Totenkopfentwicklungsland. Drüben muss man sich derzeit schwer anstrengen, irgendeinen Gebrauchs- oder Genussgegenstand zu finden, auf dem kein Schädel abgebildet ist. Ich möchte drei Beispiele vorstellen, ohne die mein Haushalt einfach nicht mehr derselbe wäre. Diese drei hegen keinerlei Anspruch darauf, die originellste Verwendung von Totenköpfen aller Zeiten zu repräsentieren. Es handelt sich lediglich um drei Exemplare, die mir ganz persönlich ans Herz gewachsen sind.

Totenkopf-Filzuntersetzer

Damit macht Trinken gleich noch mal soviel Spaß, und man hat die Konsequenzen stets vor Augen. Insbesondere für Hochprozentiges geeignet. Die Untersetzer stammen aus der Halloween-Promotion eines 100-Yen-Shops. Als dummdreister, unreflektierter Anti-Amerikanist bin ich zwar gegen die Halloweenisierung der außeramerikanischen Welt, aber hier konnte ich nicht widerstehen. Vor so niedlichen Totenköpfen muss jede Kulturkritik in die Knie gehen. Außerdem hat man, untypisch für Japan, ja nicht extra draufgeschrieben: „LET’S HAPPY HALLOWEEN, ISN’T IT!“ Obwohl das eigentlich auch ziemlich cool wäre. Totenkopfuntersetzer kann man zu jeder Jahreszeit verwenden, sie werden Bewirtungsgästen immer ein Lächeln um die Züge zaubern.

Totenkopf-Ohrhörer (Attrappe)

In einer koreanischen Geek-Mall gekauft, es handelt sich aber um ein japanisches Produkt Made in China. Man kann das große Meer, über das die Ohrhörer gekommen sind, in ihnen noch prächtig rauschen hören. Zum Musikhören sind sie dadurch völlig ungeeignet, aber Show-Hören sah nie cooler aus.

Totenkopf-Notizblock

Für besonders süße Abschiedsbriefe. Nimmt die goldige Schleife dem Schädel den Schrecken, oder ist es der modische Glitzerlook? Ebenfalls aus dem 100-Yen-Shop, war also günstiger als Vergleichbares von Damien Hirst, wo man häufig auch für den Namen mitbezahlt.

Der Mann, der es nicht lassen konnte

Meine Gedanken kreisten um die Frage, ob ich die reizende kleine Stewardeß der Geruda Indonesien Airways anrufen sollte, mit deren Maschine ich am Nachmittag aus Singapur gekommen war. Die Kleine hatte mir sehr bereitwillig ihre Telefonnummer gegeben. Das und das Blitzen in ihren schwarzen Augen berechtigte zu den schönsten Hoffnungen.

***

Das klingt zwar wie eine typische Momentaufnahme aus meinem Alltag, aber unter uns: Ich habe es ABGESCHRIEBEN aus dem Spionagekrimi Der Tod wartet in Bangkok (1959) von Jean Bruce. Wenn das rauskommt, bin ich erledigt.

Kläff kläff: Ich hätte auch einen Abschreib-Skandal zu melden (kein Witz)

Ist allerdings schon etwas her, vielleicht verjährt. Es geht um den Spielfilm Scherbentanz von 2002, Buch und Regie ein gewisser Chris Kraus (Bella Block u. ä.). Es war mir bereits damals aufgefallen, aber ich wusste nicht, an wen ich mich wenden musste. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere: Der Film lief nicht ganz so groß wie Der Schuh des Manitu, war in besseren Kreisen aber durchaus beliebt, wurde von der Presse sehr gelobt, und Hauptdarsteller Jürgen Vogel nahm ihn gerne mit in Talkshows. Die Süddeutsche Zeitung, z. Zt. ganz vorn dabei in Sachen Hegemann-Steinigung, fand: „Der erstaunlichste deutsche Film des Jahres.“

Ich hatte den Vorfall schon vergessen, aber die Parallelität zweier unzusammenhängender Ereignisse wühlte neulich alles wieder auf, nämlich das selbstgerechte Geblöke um Helene Hegemanns Buch Axolotl Roadkill und das Erscheinen von Don DeLillos famosen neuen Roman. Da machte mein Gehirn: DeLillo … abschreiben … da war doch mal was.

Nämlich das:

Beweisstück A: Szene aus Scherbentanz (2002).

Tageslicht. Zwei Typen im Auto. Es regnet. Typ 1 liest Zeitung.

Typ 1: „Es soll heute Abend regnen.“
Typ 2: „Es regnet jetzt schon.“
„Hier steht heute Abend.“
Typ 2 macht Kopfbewegung zum Autofenster. „Ist das Regen, oder nicht?“
„Ich sag nur, was hier steht.“
„Da trau ich lieber meinen Augen als irgend ’ner Zeitung.“
„Deine Augen? Deine Augen sind ’n Witz. Die optischen Gesetze kannste in die Tonne treten. Nur weil man ’ne Sache sieht, heißt das nicht, dass sie wirklich da ist.“
„Ja, regnet’s, oder regnet’s nicht?“
„Das möchte ich jetzt nicht entscheiden müssen.“
„Ja, aber du siehst doch, dass es regnet.“
„Du bist dir so sicher, dass das Regen ist. Woher willst du wissen, dass das kein radioaktiver Niederschlag ist, oder irgendwas aus eurer Fabrik?“
„Das ist stinknormaler Regen, Jesko.“
„Kannst du das beweisen, dass das Regen ist? Woher will man wissen, dass das, was du Regen nennst, auch wirklich Regen ist? Und was ist das überhaupt, Regen?“
„Das ist der Scheiß, von dem du nass wirst!“
„Ich bin nicht nass. Bist du nass?“
„Na schön. Sehr gut.“
„Mal im Ernst, bist du nass?“
„Erstklassig. Wirklich.“

Ein toller Dialog, ohne Frage. Aber nicht ganz so gut wie:

Beweisstück B: Auszug aus dem Roman White Noise (1985) von Don DeLillo (dt. Weißes Rauschen, als Originalversionenschnösel liegt mir nur die amerikanische Ausgabe vor, aber Sie packen das schon).

[Vater und Sohn im Auto, morgens, es regnet, der Sohn spricht zuerst.]

“It’s going to rain tonight.”
“It’s raining now,” I said.
“The radio said tonight. ” […]
“Look at the windshield,” I said. “Is that rain or isn’t it.”
“I’m only telling you what they said.”
“Just because it’s on the radio doesn’t mean we have to suspend belief in our senses.”
“Our senses? Our senses are wrong a lot more often then they’re right. This has been proved in the laboratory. Don’t you know about all those theorems that say nothing is what it seems? […] The so-called laws of motion are a big hoax. […]”
“Is it raining,” I said, “or isn’t it?”
“I wouldn’t want to have to say.” […]
“But you see it’s raining.” […]
“You’re so sure that’s rain. How do you know it’s not sulfuric acid from factories across the river? […] How do I know that what you call rain is really rain. What is rain anyway?”
“It’s the stuff that falls from the sky and gets you what is called wet.”
“I’m not wet. Are you wet?”
“All right,” I said. “Very good. ”
“No, seriously, are you wet?”
“First-rate,” I told him.

Bei DeLillo ist der Dialog weitaus länger, wahnsinniger, wahrhaftiger und genialer als bei Kraus; ich habe zur Veranschaulichung gekürzt, aber ansonsten nichts verändert. Dass ich die Stelle wiedererkannt habe, liegt daran, dass ich sie selbst einmal für ein Drehbuch geklaut hatte. Gottlob wurde der Film dazu nie fertig, sonst würde mir irgendwann irgendein neunmalkluger Blogger vorwerfen, ich habe bei Chris Kraus abgeschrieben, und ich müsste sagen: „Das nehmen Sie sofort zurück! Ich habe bei Don DeLillo abgeschrieben! Wie jeder andere auch!“ Weil ich wegen meines eigenen Fehlverhaltens lediglich diese Stelle aus DeLillos Roman auswendig kenne, kann ich ohne viel zu anstrengende Recherche nicht beurteilen, ob noch mehr in Scherbentanz gestohlen ist, aber ich würde einfach mal davon ausgehen. Sie wissen ja: Wer einmal lügt.

Ein Unterschied zur Causa Hegemann: Was hier gestohlen wurde, ist kein Füllwerk, an das sich hinterher eh niemand mehr außer den Urhebern und ihren Facebook-Kumpels erinnert, sondern gehört zu den wichtigsten Momenten des Films. Es handelt sich um die Einführungsszene der Hauptfigur und ihres Bruders. Beide Figuren werden durch den Dialog sofort aufs Feinste charakterisiert, sowohl als Individuen wie in ihrer Beziehung zueinander. Eine reife Leistung. Aber es ist natürlich nicht die Leistung von Chris Kraus, der dafür den Young German Cinema Award in der Kategorie Drehbuch erhielt, sondern die von Don DeLillo. J’accuse.

Man kann sich hier freilich rausreden, wie man sich in solchen Fällen immer rausredet: Blablabla … Künstler inspirieren sich doch seit jeher gegenseitig … blablabla. Aber erstens ist nicht bekannt, dass Don DeLillo jemals von Chris Kraus inspiriert wurde. Zweitens hier ein Crashkurs zum Unterschied zwischen Inspiration und Diebstahl, anhand zweier schonungsloser Beispiele aus meinem eigenen Leben und Schaffen:

Beispiel 1: Inspiration

Jeden Tag muss ich mehrmals vorbeigehen an einer das Auge und den Verstand beleidigenden Plakatreklame für eine morgendliche Ulksendung im Lokalradio. Am vergangenen Montag hatte es sich endlich gelohnt: Das Plakat inspirierte mich zu einer Kurzgeschichte, in der einem Radioulkmoderator eine Schlüsselrolle zukommt.

Beispiel 2: Diebstahl

Wir befinden uns in sepiafarbener Vergangenheit, ich bin noch ein kleiner Hosenmatz in Bremen-Nord und schreibe mit leuchtenden Augen und Zungenspitze auf der Oberlippe an meinem ersten Drehbuch, es geht um zwei kalauernde und philosophierende Profikiller (es war so die Zeit, ich war so in dem Alter). Da bringt mir mein Onkel-aus-Amerika den Roman White Noise von Don DeLillo mit. Ich stürze mich sofort auf die Lektüre, denn was mein Onkel-aus-Amerika mitbringt, ist gut, und von Don DeLillo hatte ich schon Mao II geilomat gefunden. Da komme ich zum Dialog mit dem Regen und denke: Den will ich haben! Als meinen ausgeben! Den nehme ich mir einfach – ohne zu fragen und ohne was zu sagen!

Das tat ich auch, und das nennt man stehlen.

Ich wähnte mich auf der sicheren Seite: Der Roman war obwohl schon etwas älter auf Deutsch nicht erschienen, und überhaupt war DeLillo im deutschsprachigen Raum allenfalls Menschen wie mir bekannt (Menschen mit belesenem Onkel-aus-Amerika). Beides hat sich inzwischen geändert, und einiges mehr. Heute gelten ja auch Filme über kalauernde und philosophierende Profikiller nicht mehr als krass edgy.

Aus meinem Drehbuch wurde keine Koproduktion der avcommunication AG mit SWR, ARTE und BR mit freundlicher Unterstützung der MFG Filmförderung Baden-Württemberg, sondern nur ein Super-VHS-Videofragment von limitierter Distribution. Ich bin mir auch nicht mehr sicher, ob die umstrittene Szene letztendlich zu den gedrehten gehörte. In einem fahrenden Auto zu drehen ist ganz schön schwierig, wenn man von nichts eine Ahnung hat. Und gefährlich. Besonders bei Regen. Aber das nur am Rande.

Dass es ausgerechnet ein Drehbuch über Profikiller sein musste, ist mir retrospektiv natürlich mindestens genauso peinlich wie der Diebstahl. Man mag dabei das Thema dämlich und langweilig finden, aber niemand wird mir ernsthaft vorwerfen, dass ich über Profikiller geschrieben habe, obwohl ich selbst damals gar keiner war. Dass z. Zt. Helene Hegemann neben der Urheberrechtsverletzung außerdem mit einiger Häme vorgeworfen wird, dass sie in Wirklichkeit offenbar gar kein durchgenudeltes Drogenwrack ist, ist äußerst bizarr. Wie die jungen Leute so schön sagen: Hallo? Bald stellt sich womöglich auch noch heraus, dass Helene Hegemann in echt gar nicht Mifti heißt, sondern Helene Hegemann. Oder dass weder Die drei Musketiere noch Der Graf von Monte Christo aus dem Leben von Alexandre Dumas erzählen, sondern zu Teilen frei erfunden sind. Und dennoch hatte man die Chuzpe ‚Roman‘ draufzuschreiben. Genau wie bei Axolotl Roadkill. Was erlaube.

Postskriptum: Sollte der ganze Weißes-Rauschen-Scherbentanz-Fall bereits bekannt sein wie ein bunter Hund, ignorieren Sie bitte alles, womit Sie hier gerade Ihre Zeit vertan haben. Auf Google habe ich dazu aber nichts gefunden, und tiefergehende Recherche kann man von mir wirklich nicht erwarten.

Postpostskriptum: Ich drücke ganz, ganz fest die Daumen für den Preis der Leipziger Buchmesse. Ich sage aber nicht wem.

Hotltotl Overdrive

Aus gegebenem Anlass zitiere ich mich selbst aus meinem Eintrag von vorgestern (gleich hier hinter):

Ich werde gerne auf den Arm genommen und hinters Licht geführt, um dort aufs Kreuz gelegt zu werden. Da spürt man, dass man lebt.

Es war wieder ein ganz herrliches Gefühl, das sollten Sie auch mal versuchen.

Liebes Frl. Hegemann, bitte machen Sie sich rein gar nichts aus dieser Sache. Lassen Sie die Blogger kläffen, die tun nichts, die freuen sich nur, dass ihnen auch mal jemand zuhört, denn das geht vorbei. In Ihrem Alter habe ich auch vieles abgeschrieben, insbesondere Mathe und Bio. Und bei mir – so wurde mir versichert – ist dabei auch jedes Mal etwas ganz Eigenes, nie zuvor Dagewesenes entstanden.

Ich biete an: Das nächste Buch einfach von mir abschreiben, ich bin da nicht so. Sind doch nur Worte. Besitz besitzt dich.

Hozlplozl Reloaded

Ich wollte immer 17-jähriges literarisches Wunderkind werden, wenn ich mal groß bin. Ich bin immer noch vorsichtig zuversichtlich, obwohl mich blanke Neider inzwischen häufig anzischen, dass es keine 40-jährigen 17-jährigen Wunderkinder gäbe. Aber die werden sich noch wundern. Falls alle Stricke reißen, werde ich an meiner statt mein eigenes ungezeugtes Kind nach Strich und Faden auf viel zu frühen Erfolg trimmen. Das missratene Balg wird sich warm anziehen müssen, am besten schon im Mutterleib. Spätestens mit 8 muss der autobiografische Roman über den Drogenentzug im Schatten der übergroßen Vaterfigur druckfähig vorliegen, sonst verlasse ich die Familie (erzieherische Maßnahme). Mein Kind wird selbstverständlich einen einprägsamen Namen bekommen, zur Förderung von kreativem Hass via Schulhof- und Pressehänselei. Ich dachte an Axolotl, falls es ein Mädchen wird, ansonsten Sabine.

Sabine reimt sich fast auf Helene, und eine bessere Überleitung fällt mir leider nicht ein zu Helene Hegemann und ihren Debütroman, mit dem sie das aktuellste 17-jährige literarische Wunderkind ist. Ich habe mir das Buch sofort gekauft, weil ich das Prinzip des 17-jährigen Wunderkindes für bedingungslos unterstützenswert halte. „Mit 17 schon Bestseller-Autorin!“, ist eine viel beglückendere Meldung als: „Mit 17 schon Betriebswirt!“

Es ist mir kein Bedürfnis eine Buchbesprechung zu schreiben, das ist mir ohne Geld zu anstrengend und zu langweilig. Das Buch ist halt gut, können Sie mir einfach glauben. Vielleicht nicht so gut wie der Trailer, aber welches Buch ist das schon.

Eine richtige Buchbesprechung schreiben Sie sich bitte selbst. Denken Sie dabei daran, dass die Feuilleton-Quote seit dem 1. Januar verbindlich ist, und verwenden Sie mindestens einmal jeden dieser Begriffe:

  • Metaroman
  • Thesenroman
  • Codes
  • Chiffren
  • Kolumnisten-Prosa
  • prekär
  • Prekär ist in Azathoth Roadrage zwar nichts und niemand, aber das Wort muss dennoch in jedem kulturjournalistischen Artikel mindestens einmal unübersehbar untergebracht werden. ‚Prekär‘ ist das neue ‚nachhaltig‘.

    Ich selbst habe erst die ersten 53 Seiten gelesen, aber das sollte reichen, um ein Buch hochzuloben. Die meisten Menschen lesen ihr ganzes Leben keine 53 Seiten. Das mit dem Huhn und das mit den Küken fand ich gut, da wird der Rest nicht schlecht sein. Das Buch scheint angenehm plotlos (ein guter Roman braucht keine Geschichte), die Schreibe unverseucht von jeder Schreibkursdoktrin. Wenn ich mich irre, umso besser. Ich werde gerne auf den Arm genommen und hinters Licht geführt, um dort aufs Kreuz gelegt zu werden. Da spürt man, dass man lebt.

    Mehr am Herzen als das Loben dieses speziellen Buches liegt mir das Loben aller Bücher aller 17-jährigen Wunderkinder, frühere, gegenwärtige und zukünftige, überall in der Welt. Es wird so viel Gemeines über sie gesagt und geschrieben, aber das ist unangebracht. Sicher, es ist ein Kreuz mit den jungen Schreibenden: Wie alle Menschen vor ihnen sind sie der Meinung Sex, Drogen und Weltekel erfunden zu haben. Vor ihnen hat noch nie jemand sowas gemacht, und wenn doch, dann bestimmt nicht richtig, weil es ja noch gar nicht erfunden war. Es ist süßes Privileg der unbeschwerten Jugendzeit, sich für düsterer, abgründiger und durchgenudelter zu halten, als jemals jemand es gewesen ist und man selbst es jemals sein wird. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass bereits im 20. Jahrhundert und früher Drogen genommen wurden, Geschlechtsverkehr ohne primäre Fortpflanzungsabsicht praktiziert und an anderen Menschen verzweifelt wurde, kann jeder jugendliche Autor immer noch zuversichtlich sein, dass seine Gedanken zu diesen Sujets die profundesten sind, die jemals gedacht wurden und deshalb natürlich zu Papier gebracht werden müssen. Gott sei Dank werden sie das auch, denn Sex, Drogen und Weltekel sind vielleicht nicht die einzigen großen Themen der Literatur, aber sie gehören mit Sicherheit dazu. Ich für meinen Teil lese dazu lieber die Gedanken eines 17-jährigen Mädchens als die eines alten Lustgreises (aber freilich ist das nur die Meinung eines alten Lustgreises).

    Für meine und frühere Generationen wurden solche Entdeckerbücher traditionell von jungen Männern geschrieben, heute ist das Frauenarbeit. Kein deutsches, sondern ein internationales Phänomen. Japan hat Hitomi Kanehara und Konsorten, Frankreich zumindest die Lolita Pille, China darf ich nicht sagen, und in England gab es kürzlich auch so ein Früchtchen, hab ich vergessen. Das gehört alles gelesen, und zwar so früh wie möglich. Die verzweifelt-optimistischen Argumente pro Backfischvampirschmonzetten u. ä. lauten stets, dass die Kinder später bestimmt richtige Bücher lesen, wenn sie erstmal so anfangen, und dass selbst wenn nicht diese Lektüre immer noch besser sei als gar keine. Zu letzterem muss man schlicht sagen: Nö. Affe auf Klo ist ja auch nicht besser als gar kein Bild an der Wand. Und darauf, dass die Mitglieder von Team Edward und Team Jacob ein richtiges Buch in die Hand nehmen, kann man warten, bis(s) man scheckig wird. Wenn sie den einen Lore-Roman durchhaben, lesen sie allenfalls den nächsten. Bei Hexaglotl Overkill hingegen wird ein Schuh draus. Wer in jungen Jahren dies liest, der liest vielleicht später das, wo es hergekommen ist, und entdeckt dabei Werke von (noch) höherem Anspruch und größerer Nachhaltigkeit. Vielleicht stellt sich auch heraus, dass gerade Axlrosl Windmill der große Nachhaltigkeitsklassiker im zukünftigen Lesekanon ist. Aber das kann ich heute noch nicht beurteilen, und Sie können das auch nicht.

    Das Alles-schon-mal-dagewesen-Argument kann man den wüsten neuen Mädchen nicht an den Kopf werfen. Gerade schon Dagewesenes muss immer wieder neu gemacht werden, um interessant und relevant zu bleiben. Unlängst wurde mir von einem Lehrer berichtet, dessen Schüler darüber klagten, dass sie im Unterricht immer nur so alte Schinken zu lesen bekämen. Auslöser des Lamentos war der Nachkriegsroman Herr Lehmann. Solchen Lesern kann man nicht kommen mit Salinger oder den blöden Beatniks, oder was Lehrer und andere alte Menschen sonst so für total jugendgerecht halten. Die Jugend braucht neuen Stoff, auch wenn‘s der alte ist. Die brauchen etwas, was gerade eben erst geschrieben wurde. Deshalb bin ich sehr dafür, dass es auch nächstes Jahr wieder ein 17-jähriges Wunderkind gibt, das sich hinstellt und stolz verkündet: „Sehet her, aus mir kommen Körperflüssigkeiten raus! Und zwar gegen die Gesellschaft! Ob es euch passt oder nicht!“

    Ich würde das Buch jetzt schon vorbestellen.

    Jetzt mal im Ernst: Richard McGraw

    Eigentlich hatte ich mir zur Regel gemacht, diesen Blog ausschließlich für Quatsch zu verwenden. Nicht für so etwas Ernsthaftes wie beispielsweise Produktempfehlungen. Weil ich aber seit neuestem ein Business Punk bin (ich breche Regeln), breche ich diese Regel heute und möchte drei Produkte ans Herz legen, und zwar das erste, zweite und dritte Album von Richard McGraw.

    Einst war ich wie Sie: Jung, zornig, verwirrt, hatte noch nie etwas von Richard McGraw gehört. Bis mir ein Gentleman mit Stil und Geschmack McGraws zweites Album, Song & Void Vol. 1, überreichte. Ich war auf Anhieb angetan von den gottesfürchtigen und fleischeslustigen Folksongs und besorgte mir proaktiv auch das erste Album, Her Sacred Status, My Militant Needs, und da war es endgültig um mich geschehen. Musikalisch noch ein bisschen ökonomischer und lyrisch noch untröstlicher, gefiel mir das Debüt sogar noch ein wenig besser als der kaum zu übertreffende Nachfolger. Eine Einsame-Insel-Platte, falls mal jemand fragt.

    Richard McGraw schreibt Lieder, die einen an der Gurgel auf die Knie zwingen, und dort ist es bekanntlich am Schönsten. Wem jemals irgendwas weh getan hat, der darf sich bei McGraw bedanken, dass er die Wunde wieder aufreißt, weil er seine eigenen niemals schließt, sondern sie gut in Schuss hält, indem er sie regelmäßig und sorgfältig besingt. Gerade habe ich das dritte Album, Burying the Dead, reinbekommen. Auch da sind mit ‚Hurting Heart‘, ‚Balmville Motel‘, ‚Your Lover‘ und ‚Her Town‘ mindestens vier Songs drauf, die kaum auszuhalten sind. Die anderen kann ich momentan noch hören ohne in die Knie zu gehen, aber es dauert bestimmt nicht mehr lange, ich freue mich jetzt schon drauf. Richard McGraw tut auch anderen Liedermachern gut: Billy Joels My Life reduziert er auf die nackige Essenz und zeigt uns, wie schön dieser Song als Skelett ist. Wir wollen dennoch hoffen, dass das mit den Covern nicht überhand nimmt. Mit The Faith ist noch ein Leonard-Cohen-Cover auf dem aktuellen Werk, was schon passt, aber auf einem McGraw-Album nur halbe Höhe sein kann. Oh je, habe ich gerade hintenrum behauptet, dass Billy Joel viel besser ist als Leonard Cohen? Aus der Nummer komme ich ja nie wieder raus. Wie ging noch mal Löschen? Vielleicht sollten wir mal wieder unser Credo ausrufen, hatten wir auch lange nicht mehr: Ist doch nur Internet!

    Und nein, es geht mir nicht um die paar Kröten Provision. Meinetwegen kaufen Sie die heißen Scheiben bei CD Baby und genießen Sie das Rundum-Indie-Gefühl. Ohne CD Baby an unserer Seite wäre der Kampf gegen das Böse um einiges aussichtloser, das sollte man honorieren. Kaufen Sie letztendlich, wo Sie wollen, aber kaufen Sie. Denn sowas wollen wir in Zukunft nicht mehr sehen müssen:

    Lady Gaga und die vorauseilende Binnenmajuskel

    Man weiß gar nicht, womit die bedingungslose AmourFou der Deutschen mit der Binnenmajuskel angefangen hat. War es das Frauen-I („StripperInnen“), das die taz eine verrückte Zeit lang praktizierte? Oder war es der iPod und sein dickes P? Fest steht: Die Binnenmajuskel hat im Gegensatz zu anderen Marotten der Jahrtausendwendezeit jede Rechtschreibkrise überlebt, während rechts und links von ihr die Moden so schnell fielen, wie sie gekommen waren. Kaum ein modern gemeintes Schlagwort wird heute noch mit einem vorgesetzten „e-“ versehen. Auch das kleine Anfangs-i, einen Sommer lang Pflicht bei jeder Produkteinführung, wird heute nur noch von Dings praktiziert. Niemand ersetzt mehr das „a“ im Firmennamen durchs Klammeräffchen oder hängt ein Domänenkürzel hinten an. All das ist vorbei, seit das Internet kaputt ist. Nur die Binnenmajuskel ist nicht totzukriegen. Ganz besonders beliebt ist sie in Deutschland, wo sogar vorsichtshalber Begriffe mit Binnenmajuskel geschrieben werden, deren Wortschöpfer das gar nicht vorgesehen hatte. Jüngstes und häufigstes Opfer: Lady Gaga. Ehe Sie komisch von mir denken: An Lady Gaga interessiert mich einzig und allein, wie man sie schreibt. Man schreibt sie ganz normal, so gaga ist die Dame nämlich gar nicht: vorne jeweils groß, dann durchgehend klein weiter. Wie deine Mudder. Nicht: GaGa. Bitte merken Sie sich das, liebe KollegInnen von der bunten Presse. Die Befolgung der korrekten Schreibweise eines Namens, der aus vier Buchstaben (und nur zwei unterschiedlichen) besteht, sollte auch von Ihnen nicht zu viel verlangt sein. In diesem speziellen Falle sollte es sogar zu Ihren Kernkompetenzen gehören.

    Fischwoche vs. Japanwoche

    Zum Anfang der Woche eine Zusammenfassung der letzten Woche, das waren nämlich zwei Wochen auf einmal: Auf 3sat war Japanwoche, in der Kantine meiner Firma war Fischwoche. Jemand da oben meinte es gut mit mir. Hier das vergleichende Protokoll.

    Montag

    Fischwoche: Frische Forelle. Ich erwarte selbstverständlich ein großes Becken auf dem Firmenparkplatz und den Chefkoch mit einer Angel zu sehen. Sehe ich aber nicht. Nur Fisch, der aussieht wie freitags, also stark paniert. Da ist noch Luft nach oben.

    Japanwoche: Die Dokumentation über das Weltkulturerbe verpasse ich, ich bin noch zu beschäftigt mit Mass Effect, meinem Lieblingsspiel. Voll da bin ich erst zur Reportage über den Schienenverkehr. Es stellt sich heraus, dass japanische Bahnunternehmen bei der Planung von Abläufen, Bahnhöfen und Fahrzeugen offenbar ein Hauptaugenmerk auf die Zufriedenheit des Fahrgastes legen. Davon ist man in Deutschland noch weit entfernt, das hiesige Bahnunternehmen schert sich nicht mal um das Überleben seiner Fahrgäste.

    Danach österreichische Nachrichten (man ist national besoffen vom Golden-Globes-Doppelsieg, den auch Deutschland gerne für sich beansprucht), schließlich eine Dokumentation über Ryuichi Sakamoto. Die wollte ich mir eigentlich sparen, aber es ist noch Wein in der Flasche. Ohne dass es Beef gäbe, bin ich kein ausdrücklicher Sakamoto-Anhänger. Seine Filmmusiken haben mich nie groß interessiert, weil mich die dazugehörigen Filme nicht groß interessieren. Seine frühen Popplatten finde ich offen gestanden sogar ziemlich furchtbar, aber das ist nicht schlimm sondern normal. Viele Japaner meines Alters geraten in Verzückung, wenn etwas von Yellow Magic Orchestra gespielt wird, während ich, der ich diese Musik nur retrospektiv kennen gelernt habe, sie bloß unvorteilhaft aus der Zeit gefallen finde. So ist das mit den Soundtracks der Kindheit und Jugend: Man muss wohl dabei gewesen sein. Die Kinder bei uns im Haus schauen auch nur ratlos und besorgt, wenn ich mit meinen Plastikpistolen hinter der Ecke hervorspringe und „Stand and deliver!“ kreische.

    Im Filmportrait erweist sich Sakamoto als ein angenehmer Mensch und Gesprächspartner, der sich stets bemüht, auch auf doofe Fragen originell zu antworten. Das ist zwar mitunter etwas krampfig, aber höflich. Gleich anfangs mag Fragesteller Gero von Boehm nicht auf die abgedroschene Frage nach dem Klang der Stadt New York verzichten (findet er so toll, dass er später in anderem Zusammenhang noch mal danach fragt). Wahl-New-Yorker Sakamoto strengt sich sehr an, um schließlich mit einer Antwort über Klimaanlagen zu kommen. Drollig: Japaner finden die USA häufig überklimatisiert, während viele Amerikaner dasselbe über Japan denken. Beide Seiten haben recht.

    Ich werde beizeiten noch mal in Sakamoto reinhören. Voreilig gefasste Meinungen zu revidieren ist mein neuestes Hobby.

    Fazit: Fernsehen war besser als Essen, eine Seltenheit. Fischwoche vs. Japanwoche Zwischenstand: 0:1.

    Dienstag

    Fischwoche: Frisches Lachsfilet. Wieder wird die Frische angepriesen, wieder sehe ich nirgendwo einen Angler. Überhaupt sieht das Lachsfilet aus wie die Forelle von gestern, schmeckt auch sehr ähnlich. Erste Kollegen werden unruhig und behaupten, es handele sich in Wirklichkeit in beiden Fällen um Scholle. Man könnte bei den Verantwortlichen nachfragen, aber das könnte ja jeder.

    Japanwoche: Vom heutigen Programm bekomme ich nicht viel mit, weil ich am Dienstagabend immer in meinen Debattierklub muss. Als ich nach Hause komme, läuft nur noch Der Wald der Trauer, ein stiller Film über traurige Leute im Wald, der mir spontan gut gefällt, auf den ich mich nach einem einigermaßen schlauchenden Tag aber nicht mehr recht einlassen mag. Stattdessen schaue ich C.H.U.D. (Cannibalistic Humanoid Underground Dwellers) Panik in Manhattan!, damit ich besser schlafen kann.

    Fazit: Für heute liegen zu wenige Informationen für eine Beurteilung vor. Ergebnis bleibt unverändert.

    Mittwoch

    Fischwoche: Es herrscht Einigkeit unter den Mitessern, dass bislang die Japanwoche besser war als die Fischwoche, das könnte sich aber heute ändern, die Fischwoche trumpft auf mit zarter Fischroulade und einem überraschendem Coup: lila Kartoffeln (die müssen so).

    Japanwoche: Eine Reportage über russische Fischer auf den Kurilen, eine Inselgruppe, um die sich Japan und Russland gerne streiten. Der Streit ist eigentlich interessanter als die Fischerei, aber das ist nur meine Meinung, und auf die würde ich mich nicht mal selbst verlassen. Ich kann dies und alles Nachfolgende nur mit höchstens einem Auge sehen, weil Wasch- und Schreibarbeiten parallel erledigt werden müssen, und dass der Mensch nicht multitaskingfähig ist, ist wissenschaftlich erwiesen. Lassen Sie sich von Vorgesetzten, Personalern oder Motivationsheinis nichts einreden. Ich sehe noch ein paar Bilder von der Tokioter Spaßinsel Odaiba, auf der ich mal über eine Woche allein gefangen war (für einen Tagesausflug zu zweit ist sie ganz lustig), dann läuft der Horrorfilm Ring – Das Original. Das ist löblich, aber den kann ich schon zweisprachig mitsprechen, deshalb schaue ich Sword of the Stranger. Ist super, läuft aber außer Konkurrenz.

    Fazit: Diese Runde geht an die lila Kartoffeln, auch wenn es ein wenig daran liegt, dass der Schiri abends nicht richtig geguckt hat. 1:1.

    Jetzt kommt ein Bild aus Ring, weil so langsam mal ein Bild kommen muss:

    Donnerstag

    Fischwoche: Die Belegschaft ist außer Rand und Band, es gibt Spaghetti mit Garnelen. Meine Freude hält sich in Grenzen, denn das ist genau das, was ich immer zuhause mache, wenn mir nichts Besseres einfällt.

    Japanwoche: Ärgerlich: Die Dokumentation Von Geishas und Gameboys ist 16 Jahre alt. Dafür kann sie nichts, aber durch die ungenügende Erwähnung dieses Umstands wird dem unbeleckten Zuschauer der Eindruck vermittelt, all die gezeigten kulturellen Trends und gesellschaftlichen Umwälzungen seien brandneu. Noch ärgerlicher ist der bevormundende Ton, den man häufig in solchen Reportagen hören muss. Westliche Beobachter wissen ja immer viel besser als echte Japaner, was echte japanische Kultur ist. Alles, was modern ist, wird hier ohne Fachkenntnis und ohne jede Bereitschaft zum genaueren Hinsehen als eklig amerikanisiert abgetan, nur Geisha, Samurai & Co. gelten als authentisch japanisch. Dass die traditionelle japanische Kultur stark von China, Portugal und sonstwo beeinflusst ist, wird nicht erwähnt. Ist wohl nicht so schlimm wie amerikanische Beeinflussung. Die Tonlage ist die, in der es im Nachkriegsfernsehen häufig besorgt hieß: „Diese jungen Leute und ihre ‚Beat‘-Musik …“

    Bei scobel hat Scobel drei Gäste. Einer erzählt hanebüchenen Unsinn, einer drückt sich etwas umständlich aus, einer wird immer abgewürgt, wenn er ansetzt was Vernünftiges zu sagen, und überhaupt hört Scobel am liebsten Scobel scobeln. Okay, diese Urteile sind extrem unfair (außer das zu Scobel, das trifft den Nagel auf den Kopf), da sie sich nur auf die knapp zwei Minuten beziehen, die meine ungeteilte Aufmerksamkeit haben. Ansonsten bin ich stark abgelenkt durch äußere Einflüsse wie Telefon und Internet.

    Als Film gibt es Das verborgene Schwert. Ein hervorragender Film, den ich aber kürzlich erst aus freien Stücken gesehen habe, da muss ich ihn mir nicht heute schon wieder vom Fernsehen aufzwingen lassen. Stattdessen gönne ich mir Ichi – Die blinde Schwertkämpferin. Ganz okay, aber ein bisschen wenig Ichi für einen Film namens Ichi – Die blinde Schwertkämpferin. Manchmal kommt mir die dauerhaft Flunsch ziehende Protagonistin auch vor wie Ichi – Die stumme Schwertkämpferin. Dabei schaue ich doch solche Filme teils auch aus spracherzieherischen Gründen. Falls es eine Fortsetzung gibt, heißt die dann eigentlich Ichi Ni? Entschuldigung, kleiner Linguistenscherz.

    Fazit: Spaghetti mit Garnelen, Klassiker. Die Fischwoche geht 2:1 in Führung.

    Freitag

    Fischwoche: Irgendein Fisch in sehr viel Tomatensauce, die sehr gut ist.

    Japanwoche: Am Freitagabend kommen selbstverständlich die leichten Themen. Zuerst: Kamikaze. Kann ich nicht gucken, wg. Terminkonflikt. Gegen Jauch kann keine Kamikaze was ausrichten. Danach Börse. Für eine Börsensendung relativ unterhaltsam, auch wenn man sich nicht die Bohne für den Quatsch interessiert. Etwas unseriös: Ein Filmbericht erweckt den Eindruck, als habe der neueste Premierminister Yukio Hatoyama seine berüchtigte Schlagerplatte aktuell zur Aufrüttelung seines Volkes aufgenommen, dabei handelt es sich um eine 20 Jahre alte Fortysomething-Sünde.

    Fazit: Die Tomatensauce war schon sehr gut. 3:1 für Fischwoche. Das ist eine ziemliche Überraschung.

    Sagte vorhin jemand Kamikaze? Dann kommt jetzt der Trailer für den Spielfilm Kamikaze Girls:

    Samstag

    Fischwoche: Mit der Arbeitswoche ist freilich auch die Fischwoche offiziell um, aber ich bin findig und mache mir zum Frühstück ein Garnelenbrot mit Meerrettich unten und Jalapenos oben. Herrlich.

    Japanwoche: Magere Ausbeute: eine Dokumentation über eine Feuerwerkerin. Interessiert mich nur oberflächlich, schaue ich nur punktuell.

    Fazit: Das Brot war besser, erstaunliche 4:1 für die Fischwoche.

    Sonntag

    Fischwoche: Dachte nie, dass ich das mal sagen würde: Ich kann nicht mehr. Heute gibt es Spaghetti ohne Garnelen, was Besseres fällt mir nicht ein.

    Japanwoche: Auf die letzten Meter will es die Japanwoche noch mal so richtig wissen. Es geht schon morgens los, aber da habe ich noch keine Zeit, denn weil die Minusgrade jetzt nur noch einstellig sind, hat die Dauerlaufsaison wieder begonnen. Am Nachmittag bin ich folglich zu kaputt zum Fernsehen. Am frühen Abend bereite ich die Spaghetti zu und kann mich leider nicht auf die Dokumentation über Ringerinnen konzentrieren. Ich werde hellhörig, als „Kaoru, die Spanplatten-Schlampe“ erwähnt wird. Ich hätte gern mehr davon gesehen.

    Dann endlich: Takashi Murakami, der kommerziellste Künstler der Welt. Ich liebe Murakami. Er kritisiert das Niedliche durch das Niedliche, das Oberflächliche durch Oberfläche und macht damit einen riesen Reibach von Insassen der „superflachen“ (Murakami) Gesellschaft, die er kritisiert. So verlogen mindestens sollte gute Kunst schon sein. Selbstverständlich besitze auch ich ein paar Murakamis, soll ich mal zeigen?

    Hier, meine Murakami-Mappen:

    Und meine Buttons:

    Es ist Kunst für das tägliche Leben. In einer Mappe transportiere ich die aktuellen Arbeitsbögen meines Japanischkurses, in einer sammle ich auf Reisen lose Blätter, eine hat ihren Zweck noch nicht gefunden, bis dahin bleibt sie originalverpackt und mint. Murakami hat jeden Yen redlich verdient, den ich dafür bezahlt habe.

    Danach eine Doku über Essen in Japan, wurde ja Zeit. Gut und umfangreich, nur der Peter-Lustig-Bob-Ross-Erzählton nervt ein wenig. Anstatt genau zu analysieren, zeige ich ein Foto, auf dem ich Okonomiyaki mache:

    Und dann badende Affen und Schluss, jetzt gucke ich noch irgendeinen bekloppten Tomie-Film, dann muss ich ins Bett, und nächste Woche will ich von Fisch und Japan nichts hören.

    Fazit: Niemand schlägt Kaoru, die Spanplatten-Schlampe. Heute drei Punkte für Japan. Insgesamt: ein harmonischer 4:4-Gleichstand.

    Mea Culpa Effect (Collector’s Edition)

    Tut mir leid, was ich vorhin über das Telespiel Mass Effect geschrieben habe, ich hatte wohl was Falsches gegessen, vielleicht war mir sogar eine Laus über die Leber gelaufen. Das Spiel ist doch ganz gut. Bitte schreiben Sie keine bösen Leserbriefe mehr.

    Es ist nicht so gut, wie alle sagen, aber es ist trotzdem ganz gut. Einige Aspekte sind katastrophal schlecht (Inventarsystem, Fertigkeitensystem, Kampfsystem), aber es ist trotzdem ganz gut. Es hat nicht so viele Bikini-Samurai wie Bikini Samurai Squad, aber es ist trotzdem ganz gut. Eigentlich ist so gut wie gar nichts gut an Mass Effect, aber es ist trotzdem ganz gut. Es ist diese Sache mit der Summe und den Einzelteilen.

    Die Pauschalkritik an der Rassenlehre in der Science Fiction bleibt bestehen, auch die Detailkritik am Textinformationsoverload des Spiels, aber wenn man mal mit beiden Augen darüber hinwegsehen kann, ist das Ganze im Rahmen seiner Möglichkeiten eine feine, komplexe Weltraumabenteuerschnurre, in der man sich bestens verlieren kann. Wenn das so weitergeht, spiele ich womöglich auch noch Teil 2.

    Woher der plötzliche Sinneswandel? Trunken von meinem Furor wollte ich gestern nach dem Bloggen sofort das Spiel von meiner Xbox löschen, damit ich es nie wieder sehen müsse. Ich habe aber nicht herausgefunden, wie oder ob überhaupt das geht. Und da dachte ich mir: So. Wenn ich das Mistding nicht löschen kann, dann spiele ich es einfach weiter, wo ich schon mal davor sitze, das hat es jetzt davon, haha!

    Aber das Spiel hat zuletzt gelacht. Ist halt ein Spiel, das erst nach sieben Stunden so richtig gut wird.

    Jetzt einen Trailer von Mass Effect oder Mass Effect 2 zu zeigen, wäre total langweilig. Deshalb lieber einer von Bikini Samurai Squad:

    Aber langhaarige Profikiller sind trotzdem affig.

    Next-Gen Romcom: Xbox und ich

    Plötzlich der Gedanke: Mensch, ich würde auch gerne mal eines von diesen modernen Telespielen spielen, von denen alle immer sprechen. Leider läuft auf meinem Computer nur Monkey Island 2 einigermaßen ruckelfrei. Ich sehe das aber gar nicht ein, dass ich mir nach kaum 20 Jahren schon wieder einen neuen Computer kaufen soll, also habe ich mich für eine Xbox 360 entschieden. Sony ist mir als Konzern emotional unsympathisch.

    Beim Auspacken war ich erstmal enttäuscht. Die neue Xbox ist ein bisschen das Gegenteil der alten. Die alte sah auf Fotos aus wie etwas, was nur ein Automechaniker lieben kann, aber in natura … okay, auch nicht viel besser, aber halb so wild wie befürchtet. Die neue hingegen wirkt in der Werbung sehr elegant, sieht aber zuhause aus wie Heizkörper. Macht ja nichts, man guckt ihr schließlich auf die Spiele, nicht aufs Gehäuse. Fünf Spiele habe ich mir auch gleich zugelegt, zwei aus Überzeugung, drei weil sie günstig waren und ich doof bin. Das eine Günstige heißt Fable II, es scheint irgendein Fantasy-Quatsch mit einem Hund zu sein. Ich habe das Handbuch angelesen und war nicht überzeugt. Wahrscheinlich werde ich es nie spielen. Ein Spiel von Software-Legende Peter Dingsbums, Sie wissen schon, der, der im vorindustriellen Zeitalter mal einen Hit hatte und seitdem teure Flops produziert. Eigentlich also ganz sympathisch. Aber trotzdem. Scheinbar anscheinend eines dieser Spiele, die sind, wie das echte Leben ist: Wenn man viel isst, wird man fett. Wenn man was Anständiges lernt, bekommt man einen langweiligen Beruf. Erinnert mich an den historischen 2-Minuten-Hype Shenmue, der vorbei war, als man merkte, dass Milchkaufen im Videospiel genauso aufregend ist wie Milchkaufen im wirklichen Leben. Das ist das Kreuz mit diesen übereifrigen Streber-Spieledesignern. Sie begreifen nicht, dass ein Spiel ein Spiel ist, wenn es etwas Spielerisches hat. Man beschäftigt sich mit etwas, was fern des eigenen Alltags ist. Ich brauche kein zweites Leben, vielen Dank, das erste geht noch. Nicht umsonst wird viel lieber Cowboy & Indianer gespielt als Content Manager & Pediküre. Was kommt als nächstes, Steuererklärung of Duty 5: The Reckoning of Oblivion of Redemption?

    Das zweite Spiel, bei dem ich skeptisch war, heißt (und jetzt kommt die Originalität ganz dicke): The Darkness. Es basiert auf einem Comic, der mich seinerzeit extrem gelangweilt hatte, und den ich deshalb nicht mehr zusammenbekomme. Gedanke: Ist als Spiel vielleicht besser. Erkenntnis: Nö, eher im Gegenteil. Wenn ich auf Memmen-Schwierigkeitsgrad schon während des Vorspanns deutlich öfter als fünfmal sterbe, dann spricht das nicht für ein Spielerlebnis, auf das ich mich so richtig freue. Dabei spiele ich Shooter generell so vorsichtig, wie es geht. Permanent geduckt, also wie im richtigen Leben. Früh im Spiel möchte man Erfolgserlebnisse statt Ladezeiten. Sterben kann man später immer noch.

    Stellt sich heraus, dass The Darkness von einem langhaarigen Profikiller handelt. Das ist zusätzlich schlecht. Wenn es eine Berufsgattung gibt, die mir total über ist, dann ist das die des Profikillers. Im Erzähluniversum der Unterhaltungsindustrie ungefähr sowas wie der Einzelhandelskaufmann im realen Leben. Man begegnet ihnen an jeder Ecke, und irgendwann ist man es über. Und mit langhaarigen Männern ist das so eine Sache. Ich möchte nicht sagen, was für eine Sache, denn das würde redlichen und klugen langhaarigen Männern, die es durchaus gibt und die mir bekannt sind, vor den Kopf stoßen. Ich lasse also lieber die bewundernswerte Modejournalistin Hadley Freeman sprechen, zitiert aus ihrem Buch Meaning of Sunglasses:

    ”Name me a single time when long hair has improved a man’s look and I will personally come around to your house and tap-dance naked on your coffee table.”

    Ich schließe mich gerne an, falls jemand das eine gute Idee findet (aber nur, wenn Frau Freeman auch wirklich mitmacht). Jedenfalls illustriert dieses Zitat, warum ich den Protagonisten von Darkness abgesehen von seinem unoriginellen Beruf auch optisch nicht recht ernst nehmen kann. Ein weiteres No-Go sind die drittklassigen Scorsese-Dialoge (also quasi Tarantino-Dialoge).

    Eines der Spiele, die ich mir aus Überzeugung gekauft habe, ist Dead Space. Man spielt einen Weltraummechaniker, der auf einer Weltraumstation gegen Weltraummonster kämpft. Der Weltraummechaniker heißt Isaac Clarke, was bestimmt der nerdigste Weltraumname aller Zeiten ist (was man aber freilich nur als Riesennerd bemerkt). Man hat Spiele, in denen man durch dunkle Gänge schlurft und in regelmäßigen Abständen von fauchenden Monstern angesprungen wird, schon etwas zu oft gespielt um davon noch feuchte Fingerchen zu bekommen, aber der Spaß ist hier auch ohne die Furcht noch da.

    Bis diese blöden Meteoriten kommen.

    Ich pack das ni-hi-hi-hicht! Kann das mal jemand für mich machen? Die alle abschießen? Danach kann ich bestimmt wieder alleine. Ich hab längst jeden Stolz verloren, ich würde auch einen Cheatcode nehmen, um die Stelle zu überspringen. Scheint es aber nicht zu geben. Falls doch, bitte schicken Sie. Aber wirklich nur Cheatcode. Keine warmen Worte, Durchhalteparolen oder taktische Verhaltensregeln. Hab ich alles recherchiert, hab ich alles versucht, hat alles nicht gefruchtet. Mal halte ich länger, mal kürzer durch, aber es endet immer damit, dass ich explodiere.

    Es ist sehr frustrierend und überhaupt nicht zu tolerieren, wenn ein eigentlich anständiges Spiel durch eine konzeptionell völlig aus dem Rahmen fallende Passage mittendrin aus heiterem Himmel unspielbar wird. Was Spielprinzipien angeht, bin ich puristisch. Ich mag es nicht, wenn ein Egoshooter plötzlich von mir verlangt Auto oder Boot zu fahren, dafür bin ich nicht gekommen. Und ich mag es erst recht nicht, wenn ich mich in einem Nullerjahre-Action-Adventure durch Achtzigerjahre-Spielhallen-Gedrücke daddeln muss. Schade, Dead Space, ich hatte wirklich das Gefühl, dass das mit uns was Ernstes hätte werden können. Aber so nicht.

    Im Weltraum hört dich niemand gähnen: Eine noch größere Enttäuschung ist das zweite Überzeugungsspiel, Mass Effect, aber das wenigstens von Anfang an. Immerhin macht das Spiel einem nichts vor. Mein Denkansatz im Vorfeld war: Juhu, ein Science-Fiction(!)-Rollenspiel mit einem eigens dafür (!) kreierten Handlungshintergrund. Kein Elfendrachenzwerge-Mumpitz, keine Übernahme aus Film und Fernsehen, alles neu. Pustekuchen, gar nichts neu. Es ist der übliche Sternenallianzenunsinn, der einem seit den Sechzigern aus den Ohren rauskommt, und der aus unerfindlichen Gründen als humanistisch vorbildlich gilt, obwohl er bloß dumpfste Kolonialherrenmenschenmentalität ausdünstet: Außerirdische sind zwar ganz okay, aber so richtige Menschen sind eben doch nur die Menschen. In der Science Fiction funktioniert die Rassenlehre noch ganz fantastisch: Die von diesem Planeten sind alle gefühlskalte Logiker, die von jenem allesamt gierige Geizhälse. Nur die guten alten Menschen von der guten alten Erde können alle immer alles sein.

    Selbst wenn man gewohnheitsmäßig jede Form von Vernunft als „politische Korrektheit“ verunglimpft und sich am Muff von tausend Jahren nicht stört, wird man in Mass Effect wenig Freude haben. Man kann keine zwei Meter laufen, ohne dass einem seitenweise neue, endlos öde Textinformationen zu Politik und Gesellschaft, Flora und Fauna ins virtuelle Logbuch gespeist werden. Die meiste Zeit des Spiels verbringt man mit Lesen. Endlich ein Textadventure, dass die Möglichkeiten der Next-Gen-Konsolen voll ausnutzt.

    Ewige sechs Stunden habe ich mich mit Mass Effect rumgeärgert, ehe ich einsah und aufgab. Ich möchte jetzt nicht das bedenkliche Hardcore-Argument hören, dass das Spiel erst „nach 20 Stunden so richtig gut“ wird. Ich glaube, mein Schwein pfeift! So lange kann ich nicht warten, ich bin doch kein Zen-Buddhist. Sechs Stunden sollten reichen um beurteilen zu können, ob etwas Spaß macht oder nicht. Und Spaß finde ich bei Spielen enorm wichtig.

    Apropos Spaß: Es gab dann doch noch ein Happy End: Eternal Sonata.

    Eternal Sonata ist ein japanisches Fantasy-Rollenspiel, das im Fiebertraum des sterbenden Frédéric Chopin spielt, und das ist genau so gut, wie es sich anhört. Man kann Monster verkloppen und lernen. Nach jedem abgeschlossenen Kapitel kommt ein ziemlich langes Lehrvideo über das Leben von Chopin. Alle Helden und Schurken haben musikalische Namen wie Beat, Jazz, Allegretto. Man kann Partituren sammeln und mit Nichtspielerfiguren jammen. Die Hauptheldin Polka ist aufgerüscht angetan, kämpft mit ihrem tragbaren Sonnenschirm und entschuldigt sich höflich, wenn sie jemandem eine runtergehauen hat. Frédéric kämpft freilich mit dem Taktstock.

    Ich möchte nicht behaupten, dass es eine komplett unkomplizierte Beziehung wäre. Manche Abschnitte von Eternal Sonata sind schlicht zickig, bilden sich Gott weiß was ein auf ihre Unübersichtlichkeit. Aber es sind die schönen Momente, die im Gedächtnis bleiben. I like Chopin.

    Die Kundendurchleuchtungsmaschinerie eines beliebten Internetversandhändlers hat übrigens festgestellt, dass verdächtig viele Kunden, die mein Buch gekauft haben, auch Eternal Sonata gekauft haben. Das freut mich aufrichtig. Ich wünschen Ihnen viel Vergnügen mit Ihren Einkäufen.