Wau! Flash! Ahaaa!

(Monat der bildlosen Sprach- und Medienkritik, Episode V – das letzte Kapitel)

Anderntags kam ich an die Werbung für ein neues Videospiel. Wie in der Unterhaltungsbranche üblich, wurde mit wohlwollenden Pressezitaten geworben. Eines lautete: „Wow, bin ich geflashed!”

Wie die junge Generation sagt: Wirklich? Wie wir Älteren sagen: Seufz!

Zielgruppengerechte Ansprache ist schön und gut. Aber wenn sich nun das sprachliche Niveau der professionellen, bezahlten Gaming-Presse zu 0% vom Gespräch am Urinal auf der Reeperbahn nachts um halb eins unterscheidet, muss man sie auch nicht lesen. Dann reicht es, zu den trostlosen Zahlenkolumnen der Testergebnisse vorzuspulen oder gleich im Internet nachzuschauen, wo unbezahlte Amateure mit vergleichbarem Vokabular gratis ihre Meinung zur Verfügung stellen.

Es besteht kein Zweifel, dass Videospiele (Computerspiele sind nach Damenmanier stets ‚mitgemeint‘) heute die anspruchsvollste Art des Geschichtenerzählens sind. Technisch ist ihre Entwicklung weitgehend abgeschlossen; außerhalb von Jahrmarkt-Bereichen wie Bewegungssteuerung und 3D sind keine Quantensprünge mehr zu erwarten und haben seit Jahren keine mehr stattgefunden. Wenn man nicht gerade ein Benchmark-Nazi ist, musste man sich seit gefühlten Ewigkeiten keine neue Hardware kaufen. Das ist gut so, nun kann man sich dem Inhaltlichen zuwenden. Es braucht mehr Spiele-Autoren, die die grenzenlosen Freiheiten des Mediums nutzen und vor allem sinnvoll bändigen können. Da bin ich vorsichtig optimistisch, ein paar gibt es ja schon. Ich teile auch nicht die gern herbeifantasierte Sorge, dass Handy- und Browser-Games den richtigen Spielen den Rang ablaufen werden. Das ist so, als würde man behaupten, dass die Bücher von Trendprominenten eine Gefahr für den Literaturmarkt darstellen. Niemand sagt sich im Buchladen: „Ach, ich kauf mir doch lieber den neuen Glööckler als den neuen DeLillo.“ Genauso sagt niemand: „Ach, ich spiele doch lieber eine Runde Angry Birds als eine Runde Deus Ex.“

Was mir sehr wohl Sorgen bereitet, ist die Frage der Vermittlung über das Hardcore-Gamer-Ghetto hinaus. Das bürgerliche Feuilleton macht lobenswerte Mäuseschrittchen hin zu einer Berichterstattung über Videospiele. Meist allerdings folgt sie nach wie vor dem Event-Prinzip (das teuerste Spiel aller Zeiten! das erfolgreichste Spiel aller Zeiten! das gefährlichste Spiel aller Zeiten!). Von der Selbstverständlichkeit, Regelmäßigkeit und Kompetenz, mit der neue Bücher, Filme, Theater- und Musikstücke besprochen werden, ist man dabei in den Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen noch weit entfernt. Und wie soll man das von der arrivierten Journaille auch anders erwarten, wenn sich die Fachpresse, die mit gutem Exempel vorangehen müsste, als hilflos stammelnder Flash-Mob geriert?! (Ich weiß, es gibt ein oder zwei halbwegs lesenswerte Gaming-Magazine in Liebhaber-Auflagenstärke, aber Positivbeispiele haben in einer geifernden Polemik nichts verloren.)

Dass etwas in dieser Branche journalistisch nicht so rund läuft, wie es müsste, war mir schon klar, als ich selbst kurzzeitig dazu gehörte. Das ist lange her. Es war keine bessere Zeit, doch es war eine Zeit, in der Zeitschriftenredakteure noch nicht wussten, dass das Internet bald alle Druckerzeugnisse außer Landlust und Landser killen würde. Ehe sich gleich die Falschen in den Rücken gedolcht fühlen: Ich möchte hier nicht von dem KONSOLEN-Spiele-Magazin erzählen, dem ich eine Zeit lang wegen Anstellung im selben Verlagshaus gelegentlich zuarbeitete. Das war sehr schön, solange der Traum währte. Hier soll es um das COMPUTER-Spiele-Magazin gehen, bei dem ich zwei Jobs früher für kurze Zeit exklusiv redaktionell verpflichtet war. Die Gründe für die Kürze dieses beruflichen Gastspiels waren in erster Linie meine grenzenlose Inkompetenz und meine Abneigung gegen den nordkoreanischen Kasernenton im Chefbüro. Der Liebe Führer hin oder her, es waren nicht alle schlecht dort. Ich teilte mein Büro mit einem sympathisch depressiven Veteranen der Szene, der mir gleich zu Beginn sagte, ich könne meine journalistische Karriere jetzt vergessen, denn die nachweisbare Mitarbeit bei einem PC-Spiele-Magazin sei so etwas wie ein scharlachroter Buchstabe auf der Bluse, ein Stigma, ein Schandfleck im Lebenslauf. Passenderweise war unser Büro in einem Keller untergebracht, der nur von einem schmalen Streifen Tageslicht erhellt wurde, für wenige Stunden am Tag. Ich fühlte mich sofort wie eines der toten Kinder in Stephen Kings Es, aus dem Gullideckel säuselnd: „Hier unten schweben wir alle!“

Schlimmer jedoch war die Arbeit als solche. Genau genommen war man an Spiele-Besprechungen gar nicht interessiert, sondern an buchhalterischen Warentests. Alles im Text, was nicht jeder Vierjährige verstand, wurde hinausgestrichen (Dear Leader: „Porno-Musik?! Darunter kann sich keiner was vorstellen!“). Noch ein bisschen schlimmer und unkreativer ging es nur in meinem nächsten Job als PR-Redakteur, als mal ein Kunde meine Chefin fragte, ob ich eigentlich geisteskrank wäre, weil ich die abwegige Idee hatte, eine Weihnachtspressemeldung im weihnachtlichen Stil zu formulieren.

Mein erster Auftrag als Spieletester war der Test einer Baseball-Simulation. Ich verstand nicht viel von der Sportart (oder irgendeiner Sportart), war aber schon mal in Amerika gewesen. Als ich mit meinem Test fertig war, ihn so trostlos wie möglich formuliert und mit der üblichen kunstfeindlichen Prozent- und Punktewertung versehen hatte, begann die Redaktionskonferenz, ob die Punkte und Prozente richtig verteilt waren. Die Bewertung des Spiels oblag also nicht mir, sondern war eine Mehrheitsentscheidung von Menschen, die mehrheitlich das Spiel nicht gespielt hatten und noch weniger von Baseball verstanden als ich. So wurde freilich auch mit jedem anderen Test jedes anderen Testers verfahren. So kam man letztendlich bei Testartikeln an, deren Testergebnisse genauso willkürlich waren wie die vorangegangenen Texte freudlos. Übte man leise Kritik an der Schnarchlangweiligkeit dieser Artikel, bekam man das zu hören, was man noch heute überall dort in der Presselandschaft zu hören bekommt, wo man zu faul zum Arbeiten und zu blöd zum Denken ist: „Die Leser erwarten das so.“ Wahrlich, ich aber sage euch: Die Leser können das gar nicht beurteilen. Weil sie die Alternativen nicht kennen, denn sie wurden ihnen nie angeboten.

Und ‚geflasht‘ schreibt man mit t.

Eine Geschichte von Mann und Frau im Supermarkt

(Monat der bildlosen Sprach- und Medienkritik, Episode IV)

Geh ich letzte Woche Supermarkt, steht da Kind. Mitten im Gang, mir den Rücken zugewandt den Weg versperrend, möglicherweise mesmerisiert vom Obstangebot bei uns im Westen oder den Preisunterschieden bei Radieschen. Es war nicht weiter tragisch, Kindern räume ich uneingeschränktes Steh- und Starrrecht ein. Sie müssen in ihrem eigenen Tempo und von ihrem eigenen Standpunkt aus die Welt wahrnehmen und begreifen lernen dürfen. Sie können noch nicht wissen, dass die Welt hinter ihrem Rücken weiterexistiert und dort einer sein könnte, der vorbei möchte. Tragisch ist dieses Unwissen nur, wenn Erwachsene es an den Tag legen, was leider einerseits auch häufig der Fall ist, zum Glück andererseits hier nicht das Thema ist. Die Situation wurde außerdem schnell von der Mutter (nehme ich an) deeskaliert, die dem Kinde mütterlich bestimmt sagte: „Lass doch mal den Mann da durch!“

Das Kind wich, ich ging da durch, die Welt drehte sich weiter. Doch irgendetwas störte mich. Irgendetwas an dem, was die Mutter gesagt hatte. Ich kam allerdings ums Verrecken nicht drauf, was es war. Das fehlende ‚bitte‘ war es nicht, es war schließlich keine Bitte. Es ging um eine Selbstverständlichkeit ohne Verhandlungsspielraum, nicht um den Vorschlag des Tuns eines Gefallens. Am Ton war auch nichts auszusetzen. Keine Spur von der Hysterie, mit der Mütter sonst häufig mit ihren Kindern im Supermarkt umspringen, wenn die es wagen, sich kindgerecht zu verhalten. (Ja, ja – hier quatscht einer, der selber keine hat. Und wissen Sie was? Der hat trotzdem recht.) Der Ton war vernünftig, angenehm autoritär, kein bisschen diktatorisch. Geht doch.

Bald hatte ich meinen diffusen Unmut vergessen, war von anderen Fragen bewegt. Wein oder Wasser? Jever oder Fun? Kann man Nudeln mit Ebly essen, oder wäre das Hartweizenoverkill?

Irgendwelche Antworten wurden gefunden. Als ich an der Kasse war, trat in entgegengesetzter Abfertigungsrichtung eine Ex-Einkäuferin an den Kassierer heran, sie hatte wohl eine Reklamation. Um den Abfertigungsfluss nicht länger als nötig aufzuhalten, rief der Kassierer einen vorübergehend untätigen Kollegen herbei: „Kannst du bitte mal der Frau helfen?“

Wieder gefiel mir etwas nicht. Dabei auch hier: Ton und Umgang auf allen Seiten tadellos. Weder war die Reklamistin eine wilde Furie, noch war der Kassierer einer von denen, deren Körpersprache und Tonfall unmissverständlich kommunizieren: „Pah, eigentlich bin ich gar kein Supermarktkassierer! Eigentlich habe ich In-der-Nase-Bohren und Löcher-in-die-Luft-Starren auf Lehramt studiert!“ Alle schienen glücklich darüber, miteinander interagieren zu dürfen. Es war der reinste Hippie-Supermarkt.

Dann wachte ich auf. Sinnbildlich gesprochen. Tatsächlich war ich noch immer im Hippie-Supermarkt und alles war wie vorher. Aber ich wusste jetzt, was mich störte. Mann? Frau? Müsste das nicht „Herr“ und „Dame“ heißen? Mann und Frau sind Begriffe aus der Biologie, gut geeignet zur Geschlechtsbestimmung der Spezies. Spricht man jedoch von Einzelpersonen, noch dazu von anwesenden, ist die Respektform wohl kaum zu viel verlangt.

„Aber, aber!“, mischt sich der Kassierer ein, denn jetzt befinden wir uns tatsächlich in einem Traum (im Hintergrund tanzt ein Zwerg rückwärts, wie in jedem Traum). „Bei meinem Einbürgerungstest habe ich gelernt, dass der mittelhochdeutsche Begriff ‚Frau‘, vom mittelalterlichen ‚frouwe‘, durchaus eine ehrenvolle Anrede ist, es hieß nämlich ursprünglich so viel wie ‚Gebieterin‘, kann also neben dem Herrn bestehen. Unterschieden wird nicht so sehr zwischen Dame und Frau, sondern zwischen Frau und Weib. Beim ‚Mann‘ haben Sie allerdings recht, Digger.“

Mit pfiffiger Retoure, die einem immer erst Tage später einfällt, hätte der Dialog mit der vermuteten Kindesmutter sich folgendermaßen anhören können:

Mudder: „Lass doch mal den Mann da durch!“

Icke: „Für Sie immer noch: der Herr da!“

Gut, dass einem so was nie spontan einfällt, denn selbstverständlich wäre das meinerseits hochgradig unhöflich gewesen. Lieber die Klappe halten und eine Woche später was in den Blog murmeln.

Polittalk mit Kate Winslet (Werwolfjägerin)

(Monat der bildlosen Sprach- und Medienkritik, Episode II)

Sehen Sie, was Sie angerichtet haben?! Jetzt musste ich mich im letzten Eintrag so aufregen, dass ich gar nicht zu Kate Beckinsale gekommen bin. Eigentlich sollte es nämlich um die beliebte britische Schauspielerin gehen, denn eigentlich sollte jener Eintrag ein Sequel beziehungsweise Spin-off der präzise gearbeiteten Kritik zum Film Total Recall von hier irgendwo weiter unten werden, aber irgendwann war mir die geplante Überleitung nicht mehr eingefallen. Ich erwähnte ja bereits, dass meine Lebensgefährtin und ich das Dekor des besagten Films unterschiedlich wahrgenommen hatten. Ein Wahrnehmungsfehler war uns derweil gemein: Wir haben beide Kate Beckinsale zuerst nicht erkannt. Nun muss man zugeben, dass wir beide nicht sehr mit ihrem Werk vertraut sind. Meine Freundin kannte die Beckinsale bisher nur aus der Kriegsschnulze Pearl Harbor, ich nur aus den Blut-und-Ballerfilmen der Underworld-Serie. Das ist der klassische Unterschied zwischen Frauen und Männern. Folgerichtig habe ich Kate Beckinsale in Total Recall dann doch früher als meine Freundin erkannt, nämlich als sie (Beckinsale) anfing rumzuschreien und Leute zu töten (nein, Spoiler-Warnungen gibt es hier nicht, wir sind ja nicht im Kindergarten).

In Total Recall spielt noch eine Frau mit, die ich bis zum Schluss nicht erkannt habe und hinterher recherchieren musste. Da musste ich schmunzeln, denn es war Jessica Biel. Nun habe ich schon seit Jahren einen flotten Spruch, mit dem ich mein cooles, herablassendes Desinteresse an der amerikanischen Gegenwartskultur demonstriere, eine veritable Catchphrase: „Ich kann mir nie merken, was der Unterschied zwischen Jessica Biel und Jessica Alba ist.“ Catchphrase meiner Freundin: „Die sind doch total unterschiedlich!“ Ich kann mir aber wirklich nicht merken, wer wer ist in dieser Altersgruppe. Zeigte man mir drei Fotos von weißen Frauen, könnte ich nicht sagen, welche davon Megan Fox ist. Den Namen kenne ich, sie war vor ein paar Jahren sehr bekannt, es scheint mittlerweile etwas nachgelassen zu haben. Sie tauchte in meinem Internet immer in den Klatschnachrichtenschlagzeilen auf, aber weil man Klatschnachrichten nicht lesen sollte, habe ich nie draufgeklickt, deshalb blieb mir die Bildinformation vorenthalten. Huch, war es etwa voreilig davon auszugehen, dass Megan Fox eine weiße Frau ist? Ich glaube, ich hatte sie anfangs mit der Schauspielerin Megan Ward aus dem Film Freaked verwechselt. Beinahe hätte ich geschrieben: „ (…) mit der in Vergessenheit geratenen Schauspielerin Megan Ward“, allerdings sehe ich gerade in meinem Internet, dass sie inzwischen wohl in einer dieser CSI-Serien mitspielt. Die kann ich auch nicht auseinanderhalten.

Einen Moment … gerade bekomme ich die Nachricht rein, dass sie in zwei verschiedenen CSI-Serien drei verschiedene Rollen gespielt hat. Also entweder sehr wandlungsfähig oder so was wie ‚zweite Leiche von unten‘. Schade eigentlich. Ich fand sie in Freaked recht apart.

Im vorvorletzten Absatz über Kate Beckinsale hatte ich übrigens ursprünglich versehentlich geschrieben: Kate Winslet. Wer war das noch mal?

Ehe mir irgendwelche Sexismen angedichtet werden: Bei männlichen Hollywood-Schauspielern unter 40 ist es noch schlimmer. Da fallen mir momentan nicht mal genügend Namen ein, um sie miteinander zu verwechseln.

Bei Hollywood-Schauspielerinnen und -Schauspielern denke ich immer an deutsche Polit-Talkshows. Kürzlich las ich ein Buch mit essayistischen Alltagsbetrachtungen, in denen ungewöhnlich häufig die Rede war von politischen Talkshows und ihrem Personal. Mir fiel auf, dass ich in diesen Passagen seltener zustimmend mit dem Kopf nickte (womit eigentlich sonst?) als in anderen. Nicht, weil ich anderer Meinung war, sondern weil ich keiner Meinung war. Es ist nur sehr geringfügig übertrieben, wenn ich behaupte: Ich habe noch nie eine politische Talkshow im deutschen Fernsehen gesehen. Es ist kein bisschen übertrieben, wenn ich behaupte: Ich habe mich noch nie gezielt zum Anschauen einer politischen Talkshow im deutschen Fernsehen entschieden. Hier und da habe ich womöglich mal was aufgeschnappt beim ziellosen Kanalwechsel. Da ich den ziellosen Kanalwechsel aber durch kalten Entzug vor Jahren besiegt habe, ist das auch schon eine Weile her. So haben wir hier den bekannten Megan-Fox-Effekt: Anne Will, Günther Jauch, Maybrit Illner – ich könnte sie bei einer Gegenüberstellung nicht auf Anhieb unterschieden.

Doch, ich bin politisch interessiert, sogar sehr. Ich werde jeden Morgen mit „die Nachrichten“ geweckt, überfliege täglich drei Tageszeitungen (Internet nicht mitgerechnet) und schaue zum Abendessen die Fernsehnachrichten, vorausgesetzt auf Silverline läuft nicht gleichzeitig die Asian Fight & Fright Night. Es ist mir wichtig, was Politiker sagen. Ich gehe allerdings davon aus, dass die allerwichtigsten Aussagen nicht exklusiv in den Talkshows verweilen, sondern in Nachrichtensendungen und Zeitungen wiederholt werden. Außerdem habe ich den Eindruck, wenn ich die Zuschauer über bereits ausgestrahlte Talkshows reden höre, dass diese Sendungen sehr aufregend sind. Und aufregen will ich mich so kurz vor dem Schlafengehen nicht mehr. Da flüchte ich mich lieber in meine flauschige Traumwelt voller Serienmörder und wandelnder Kadaver.

Ist natürlich Quatsch, dass ich Anne Will nicht von Günter Jauch unterscheiden könnte. Die eine macht schließlich Wer wird Millionär?. Das ist eine Sendung, die ich gerne schaue, obwohl sie nicht auf AXN läuft. Seit Jahr und Tag trage ich mich schon mit dem Gedanken, selbst mal zu kandidieren. Nicht, weil ich so viel wüsste, sondern weil ich gerne so viel Geld hätte. Ich müsste mich drauf verlassen, dass die richtigen Fragen kommen und mein Vater wirklich so viel über mitteleuropäische Flüsse und Gebirge weiß, wie ich glaube. Gut wäre ich in Fragen, bei denen die Antwort „Britney Spears“ oder „Der Mann mit der Todeskralle“ lautet. Geliefert wäre ich bei Fragen, bei denen „1947“ oder „Sebastian Vettel“ herauskommt. Bei dem bloßen Gedanken an die Kandidatur wird es wohl bleiben. Zum einen wegen der Angst vor der Blamage, zum anderen weil man immer hört, man müsse eine Unzahl von Textnachrichten schicken, bevor man überhaupt mal von einem Sprecher des Quizshowcastingbeauftragten zurückgerufen würde. Mit diesen modernen Kommunikationsformen stehe ich leider motorisch auf Kriegsfuß. Wegen meines Mangels an SMS-schreiberischer Souveränität wurde ich schon auf offener Straße von 30-jährigen kleinen Kindern ausgelacht. Mehrmals.

Apropos Polit-Talkshows: Bei Polit-Talkshows denke ich immer an Twitter. Das ist ebenfalls etwas, was ich nicht verfolge. Gleichwohl bekomme ich das Spektakulärste aus jener Ecke auch über die richtigen Medien mit, denn anstatt richtige Nachrichten zu verbreiten, verbreiten die in zunehmendem Maße bloß das, was gerade einer über einen anderen getwittert hat. Da erstaunten mich zuletzt die starken Anfeindungen, denen der Schriftsteller Bret Easton Ellis ausgesetzt war, weil er die Wahrheit über den Schriftsteller David Foster Wallace gezwitschert hatte. Der Tenor war, man müsse die Wahrheit über ihn beziehungsweise sein Werk verschweigen, aus Pietätsgründen, weil tot. Als Pietätsfreund kann ich das zwar im Ansatz nachvollziehen. Frage mich aber auch: Wann ist man denn tot genug, um wieder kritikfähig zu sein? Es muss irgendwo ein Cut-off-Date geben. Sonst dürfte kein irgendwann verstorbener Schriftsteller jemals angefeindet werden. Allerdings gibt es kaum eine tote Edelfeder zwischen Shakespeare und Hemingway, die nicht regelmäßig von aufgeregten Jungprofilierern „überschätzt“ und schlimmeres gescholten wird, ohne dass sich jemand ernsthaft drüber aufregen würde. Schade ist freilich, dass Ellis seine Kritik nicht zu Wallace‘ Lebzeiten geäußert hatte. Ob das an Feigheit liegt, wie Wallace-Verehrer kolportieren, oder bloß schlechtes Timing ist, wage ich nicht zu beurteilen. Aus der Geschichte wissen wir, dass Anfeindungen zwischen Autoren oft interessanter sind als ihre Werke. Beispielsweise waren weder Norman Mailer noch Gore Vidal besonders lesenswerte Schriftsteller, behaupte ich in einem Anfall von Rückfall in aufgeregtes Jungprofilierertum. Aber durch ihre Stutenbissigkeit hinterließen sie der Nachwelt ein paar amüsante Youtube-Clips von bleibendem Wert.

Jetzt habe ich mich schon wieder so aufgeregt, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich diesen Text beenden wollte. Sehen Sie, was Sie angerichtet haben?

Ein wilder Ritt auf dem Pomadenhengst, ein Text ohne Bilder, eine Welt am Abgrund

Unlängst ging ich mit undeutschem Besuch Kaffeetrinken, und zwar mehrmals täglich, der Besuch mochte Kaffee gern. Nachdem wir mehrere Kaffeehäuser besucht und jedes Mal ausführlich die Aushangangebote studiert hatten, fragte mich der Besuch aus ehrlicher Wissbegier und ganz ohne öden Sarkasmus: „Gibt es im Deutschen keine Worte für ‚to go‘?“ Da wurde genau der Richtige gefragt. Ich stieg auf ein Podium und referierte für den Rest des Tages darüber, was alles in der Welt schief liefe und woran das liegt (ich hatte sehr viel Kaffee getrunken).

Ich hatte demselben Besuch gegenüber schon mal einen Tag lang über das andere leidige Thema gesprochen, Sie wissen schon, den Sinn. Davon, dass er in der deutschen Sprache gefälligst nicht „gemacht“ wird, sondern allenfalls gestiftet, oder sich ergibt, oder notfalls gehabt wird. Jedoch ganz sicher nicht „gemacht“, schreib dir das hinter die Ohren. Das wäre eine Unsitte, die sich durch schlampige Übersetzungen ohnehin nicht sehens- oder hörenswerter amerikanischer Fernsehsendungen eingeschlichen hätte und nicht mehr rauszukriegen sei aus der deutschen Sprache und deshalb sei der Euro auf Talfahrt und alles würde immer teurer und und überhaupt. Das Thema war aber für den undeutschen Besuch vielleicht etwas zu advanced, you know.

Oder vielleicht bloß zu uninteressant. Beim Sinn-„Machen“ genau wie beim To-Go ist die Bredouille, dass halbwegs aufmerksame Menschen seit Ewigkeiten auf den Missstand hinweisen, die Bekloppten aber trotzdem unbekümmert weitermachen, und täglich werden es mehr. Uns Mahner langweilt unser eigenes Mahnen mittlerweile, es ist wie mit einem Witz, der schon so’n Bart hat, wie man früher sagte, als einem noch keiner wuchs. Werden Witze allerdings tatsächlich mit ihrem Bart meistens unlustiger und somit für ihre Art irrelevanter, wird der Hinweis auf Missstände nicht unnötiger, solange die Missstände weiterbestehen, auch wenn das Gemahne den Unschuldigen schon aus den Ohren rauskommt. Man muss sich fragen, wie man mit den Schuldigen umgeht. Launige Schönsprechkolumnen scheinen nichts zu bewirken. Die Leute lesen, lachen, und ändern ihr Leben trotzdem nicht. Man kann in einem Rechtsstaat leider auch nicht jedem die Kehle durchschneiden, der sagt: „Das macht nicht wirklich Sinn.“ Das blasierte und inflationäre „nicht wirklich“ (gleiche Entstehungsgeschichte wie „macht Sinn“) ist übrigens das Thema meines nächsten Wochenendseminars (bitte rechtzeitig anmelden und Coffee to go selbst mitbringen).

Ich habe in der Macht-Sinn-Debatte eine radikale Zero-Tolerance-Haltung eingenommen, weil es mir um den Erhalt sprachlicher Vielfalt geht, nicht um den Erhalt sprachlicher Korrektheit. Korrektheit ist was für Zahlenliebhaber, nicht für Worteliebhaber. Meine fellow Mahner müssen sich jetzt kurz die Augen zuhalten: Insgeheim glaube ich nicht, dass „macht Sinn“ sprachlich falsch ist. Wäre nicht die erste fremdsprachige Wendung, die ins Deutsche eindringt, da muss man tapfer sein. Es ist eher moralisch als sprachlich falsch, und das ist viel schlimmer. Diese Formulierung verdrängt zusehends alle anderen Formulierungen, mit denen man ausdrücken kann, dass einer Sache Sinn innewohnt. Ich bin für den Tod dieser einen Formulierung, damit die anderen Formulierungen leben können. Das ist nicht schön, aber Krieg ist nun mal nicht schön. Opfer müssen gebracht werden. Es geht nicht um richtige Sprache gegen falsche Sprache, sondern um gute Sprache gegen böse Sprache.

Vereinzelt wurde Sinn bereits vor über hundert Jahren in der deutschsprachigen Literatur gemacht [citation needed], es wird als Formulierung also nicht per se falsch sein, zumindest heute nicht mehr. Denn selbst wenn etwas falsch ist, wird es mit der Zeit richtig, so es nur beharrlich weiter falsch gemacht wird. Es ist nun schon seit einigen Jahren kein offizieller Fehler mehr, das „desto“ gegen ein zweites „je“ auszutauschen, oder den altertümlichen Unterschied zwischen „wie“ und „als“ nicht mehr zu kennen. Sprache knickt gerne vor der Gewohnheit ein. Man muss das in gewissen Maßen akzeptieren, wenn man nicht einer dieser Menschen werden will, die mit so’n Bart in einer Höhle leben und wirre Traktate in trotziger alter Rechtschreibung in den Fels ritzen. Man sollte sich nur reiflich überlegen, welche Gewohnheit man zur eigenen macht. Ich kenne einen, der kriegt den guten alten Kehle-durchschneiden-Blick, wenn einer sagt: „der“ Blog. Ich sage das auch (der). Laut Regel ist der oder das egal. Derjenige mit dem Blick meint allerdings, Blog käme von Weblog, also von Log, also gefälligst: „das“ Blog. Das ist alles richtig. Vollkommen logisch und logisch vollkommen. Nun ist Sprache aber eben nicht nur schnöde Mathematik, sondern auch Poesie, und Poesie ist total irre. Da kommt es auf Fluss und Klang an, auf flow und sounds, nicht bloß auf „wenn a, dann b“. „Der Blog“ fließt für mich einfach grooviger wie „das Blog“.

Alternativ plädiere ich in der Macht-Sinn-Debatte dafür, den Sinn einfach öfter mal komplett unerwähnt zu lassen. Man scheint den Respekt vor diesem einstmals großen Wort zu verlieren, indem man unentwegt jede Trivialität damit veredelt. „Möchtest du Milch auf dein Müsli?“ – „Ja, das macht Sinn.“ Wie wäre es einfach mit: Ja, bitte.

Wenn Sie immer noch lesen, stimmen Sie mir womöglich zu, dass Worte und Formulierungen schützenswert sind. Dann muss ich Ihnen auch nichts von der Gefährdung des Wortes „gleichzeitig“ erzählen. Es wurden schließlich schon genügend launige Schönsprechkolumnen darüber geschrieben, dass alles nur noch „zeitgleich“ und nichts mehr „gleichzeitig“ geschieht. Warum erzähle ich es trotzdem? Um einen riesen Irrtum aus der Welt zu schaffen (zumindest aus dem Teil der Welt, den ich erreiche; bitte beteiligen Sie sich als Multiplikatoren). Und es nicht der Irrtum, an den sie jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit denken. Jener Irrtum ist nämlich der Irrtum.

Ich hab da neulich vielleicht einen Schreck bekommen! Ich sah einen älteren, bereits veröffentlichten Text von mir zwecks baldiger überarbeiteter Wiederveröffentlichung durch, und stolperte über einen Satz, in dem ich achtlos das Wort „zeitgleich“ verwendet hatte, obwohl ich ganz sicher „gleichzeitig“ meinte. Schlimm genug, dass mir das passieren konnte. Aber wie konnte es sein, dass dieser Fauxpas auch an all den Berufslesern unbeanstandet vorbeigekommen war, die zwischen Tippen und Drucken Wache halten? Dabei weiß doch jeder schönsprechkolumnenlesender Klugscheißer, dass „zeitgleich“ übereinstimmende Zeiträume bezeichnet, jedoch nicht notwendigerweise übereinstimmende Zeitpunkte: Ich lief gestern 10 Minuten, du liefst heute 10 Minuten = wir liefen zeitgleich (nämlich 10 Minuten). Während gleichzeitig eben gleichzeitig heißt. Mit anderen Worten: „gleichzeitig“ und „zeitgleich“ heißen nicht dasselbe. So die landläufige Oberlehrer-Meinung, die ich die längste Zeit meines Lebens teilte.

Behuft durch den schrecklichen Fund in meinem eigenen Werk habe ich recherchiert und musste feststellen: Es stimmt leider nicht. Nicht ganz. „Zeitgleich“ hat zwar tatsächlich die genannte Bedeutung mit dem Zeitraum, ist allerdings so flexibel, dass es ebenfalls synonym mit „gleichzeitig“ verwendet werden kann. Und zwar wohl schon immer. Ich bin weit zurück gegangen in meiner Recherche, habe aber keinen Hinweis gefunden, dass die Bedeutungsgleichheit eine neumodische Flause wäre.

Eine neumodische Flause ist allenfalls der Oberlehrer-Hinweis auf den vermeintlichen Bedeutungsunterschied. Und natürlich die sprachliche Auslöschung von „gleichzeitig“ durch „zeitgleich“. Der erste Ausdruck scheint kaum mehr bekannt. Deshalb ist die ständige Verwendung von „zeitgleich“ anstelle von „gleichzeitig“ weiterhin schwer zu tadeln, wenn auch nicht zu ahnden. Sie ist ja nicht verkehrt. Sie ist nur böse.

Denke ich an aussterbende Wörter, denke ich an den Typen, mit dem ich mir an manchem Morgen die Bushaltestelle teile. Es ist nicht lange her, da trug er mittellange Haare, die mit viel Gel über den Kopf zurückgekämmt waren. Da er außerdem einen konservativen Anzug trug, sah er aus, wie deutsche Fernsehkrimi-Stylisten sich seit rund 30 Jahren einen kokainsüchtigen Bankkaufmann vorstellen. Müsste ich für ihn Dialoge schreiben, klänge das so (Telefonat): „Was? Morgen große Koks-Party im P1? Klar, Digger, das macht Sinn, da bin ich bei dir. Ist zwar zeitgleich auch Crack-Anstich im Schumann’s, aber das klingt nicht wirklich spannend.“ Ich habe ihn wohlgemerkt nie reden hören, und ich gehe angesichts seines Arbeitsweges davon aus, dass er kein Bankkaufmann ist, und er hat sich in meiner Gegenwart nie drogensüchtig verhalten (nervöses Kratzen, irres Lachen). Ich habe mir nur so meine Gedanken gemacht. Einer davon ging: Oh Mann, wenn ich doch nur ein einziges knackiges Wort hätte, mit dem ich diesen Typen humorvoll-geringschätzig beschreiben könnte! Doch fällt mir keines ein! Es wird keines existieren!

Eines Tages las ich dann im Duden-Newsletter (was lesen Sie denn zum Spaß?!) eine kleine Auflistung ausgestorbener Worte, ein werbender Auszug aus dem Büchlein Unnützes Sprachwissen (ich sage: nichts in diesem Büchlein ist unnütz, und Wissen ist es überhaupt nie!). Dass krisengeschüttelte Zeiten für das Wort „beleibzüchtigen“ (Versehen mit lebenslangem Unterhalt) keine Verwendung mehr haben, ist nachvollziehbar. Der „Pomadenhengst“ allerdings wurde im Jahr 2000 ganz offensichtlich voreilig von der Duden-Redaktion für obsolet erklärt und aus der Sprache gestrichen.

Aber jetzt kommt der Kracher, und ich schwöre, es ist die Wahrheit: Als ich den Pomadenhengst von der Bushaltestelle das nächste Mal sah, hatte er eine ganz neue Trockenfrisur, einen naturstacheligen Mecki-Schnitt.

Vielleicht hatte er sich gedacht, nachdem ihm jemand den Duden-Newsletter aufs fettige Kopfkissen gelegt hatte: Ach, wenn der Pomadenhengst als Wort gegangen ist, dann ist es auch für mich an der Zeit zu gehen. Kurz darauf dachte er weiter: Nein, Quatsch, ich werde mir doch nicht wegen so was den goldenen Schuss setzen! Ich lasse mir bloß eine andere Frisur „zaubern“, einen kecken Mecki-Schnitt. Den behalte ich solange, wie noch einer den frechen Igel Mecki, das Maskottchen der Illustrierten ‚Hörzu‘, kennt. Wenn diese Ära ebenfalls vorbei ist, nehme ich vielleicht so eine Modeglatze wie der Spacko von meiner Bushaltestelle, der damit versucht, seine Naturhalbglatze zu kaschieren, wie alle anderen Modeglatzköpfe auch. Werde ich ohnehin wahrscheinlich bald nötig haben, bei der ganzen Chemie, die ich mir bis vor kurzem in die Haare gepfiffen habe.

Und das war die schöne Geschichte vom Pomadenhengst, der ein Igel wurde.

Sie sagt: Total, ich sag: Recall (viel sinnvollerer Alternativtitel: Ihr sagt Kubrick, ich sag Wiseman)

Ich habe mich letzte Woche mit meiner Freundin gestritten. Doch fürchten Sie sich nicht! Weder davor, dass ich fortan Familiendramen vor aller Welt ausbreite, noch dass es sich überhaupt um ein Drama handelte. Wir haben uns schon wieder einigermaßen vertragen. Ich erwähne den Streit nur, weil ich das Thema so interessant fand. Wir sahen dieser Tage beiden den Film Total Recall, wenn auch kontinental getrennt. Wir fanden ihn beide unterm Strich annehmbar, zumindest eine Quadrillion mal besser als den gleichnamigen Film von Paul Dingsbums. Vielleicht etwas untertrieben, aber eine höhere Zahl kenne ich nicht. Mich störte am Film allenfalls, dass alles Interessante der Geschichte in der ersten Hälfte passiert, während die zweite nur davon handelt, dass große Sachen spektakulär kaputtgehen. Meine Freundin störte sich an etwas ganz anderem: „Es stört mich, dass wir immer noch so gesehen werden!“

Es stellte sich heraus, dass wir „wir Asiaten“ sind, und dass so sich auf den Look des Films bezieht, der die übliche Anti-Utopie-Schmuddeligkeit mit dem üblichen coolen asiatischen Großstadtflimmern verbindet. ‚Schmuddeligkeit‘ ist hier das Schlüsselwort. Wenn meine Freundin plötzlich Asiatin ist, dann ist Vorsicht geboten, ich bin schließlich auch nur in größenwahnsinnigen Ausnahmemomenten Europäer. Ich versicherte ihr, dass der Look des Films eher Asien-Verherrlichung als Asien-Verunglimpfung und sehr urban-romantisch sei, als dickhalsiger Spaßhasser könnte man sogar ‚kitschig‘ sagen.

Das nahm sie mir nicht ab. „Würdest du da etwa leben wollen?!“

„Aber sofort!“, war die wahrheitsgemäße Antwort, die sie nicht hören wollte.

„Das ist eine schmutzige Stadt mit traurigen Menschen, und die Botschaft lautet: Asien = schmutzig und traurig, jedenfalls nicht so sauber und glücklich wie die richtige Welt.“

„Das überinterpretierst du! Für mich als offizieller Sprecher aller Europäer sieht das einfach nur cool aus. Ohne die asiatischen Elemente wäre die Stadt viel trostloser. Und dass die Menschen dort traurig sind, liegt nur an der Unterdrückung durch die kapitalistischen Kaukasierschweine, nicht an ein paar flackernden Schriftzeichen.“

„Du kannst doch unmöglich finden, dass das gut aussieht!“

„Doch – wir alle finden, dass das gut aussieht! Hast du Blade Runner gesehen?“

„Auch so ein Mist!“ Da immerhin sind wir uns einig, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen.

Ich sehe die Sache weiterhin so, wie ich sie sehe, finde die Sichtweise meiner Freundin allerdings nach längerem Hin und Her ansatzweise nachvollziehbar. Sollten Sie auf Eskalation und Ausgang des Streits warten, muss ich Sie enttäuschen. Wir haben beschlossen zu vertagen, bis wir den Film gemeinsam noch einmal schauen können. Ich werde ihn wohl kaufen. Nicht weil ich finde, dass Filmekaufen generell so eine super Idee ist (es ist ganz schön albern, seien wir ehrlich), sondern weil es ein Film von Len Wiseman ist.

Bei Len Wiseman fällt mir ein, dass ich am Wochenende mal wieder einen Film von Stanley Kubrick gesehen habe. Eigentlich fällt es mir in erster Linie ein, weil Total Recall da draußen (also hier im Internet) die absurdesten Vorwürfe gemacht werden. Zum Beispiel, dass es in dem Film eine Schwebeautoverfolgungsjagd gibt, was nicht sein dürfe, weil es schon in einem anderen Film eine Schwebeautoverfolgungsjagd gibt, und per Gesetz darf es nur in einem Film eine Schwebeautoverfolgungsjagd geben. Am Samstag lief nun im Elitefernsehen eine Doppelvorstellung von Shining und Freitag, der 13.. Ob programmplanerisches Konzept oder bloß glücklicher Zufall, weiß ich nicht. Wer jedenfalls die beiden Schinken hintereinander sieht, wird feststellen, dass sie sich in einigen Schlüsselszenen wie ein Ei dem anderen gleichen. Insbesondere die beliebte „Here’s Johnny!“-Szene aus Shining findet sich fast haargenau so in Freitag, der 13. – und der kam zwei Wochen früher raus! Kübrique, j’accuse!

Ich mache nur Spaß. Nach ein paar Sekunden Kubrick war mir sofort wieder klar, warum sein Name unter Cineasten nur ehrfürchtig geflüstert wird. Und nach ein paar Minuten wusste ich wieder, warum ich trotzdem seit über 10 Jahren keinen Film mehr von ihm gesehen habe. Nein, nicht weil er tot ist, Filme halten sich ja. Sondern weil er ein so einfacher Regisseur ist. Es ist einfach ihn zu lieben, weil es da nichts gibt, was nicht zu lieben wäre. Seine Großartigkeit erschließt sich sofort und vollständig. Man begreift beim ersten Mal. Man muss nicht noch mal genauer hinschauen. Man muss keine dicken Bücher darüber schreiben oder lesen. Kubrick ist Kino. Das hat nichts mit Meinung oder Geschmack zu tun, es ist eine objektive Wahrheit, die einzige der Welt. Daher ist es kein bisschen frech, wenn man sagt: Wer Kubrick nicht liebt, versteht nichts von Film. Auch das nur eine nüchterne Tatsache, aus der nichts Schlimmes folgt. Nicht jeder muss alles von allem verstehen. Man muss außerdem nichts von Film verstehen, um Filme zu mögen. Ich verstehe nichts von klassischer Musik, genieße sie aber trotzdem mitunter, das ist erlaubt. Womöglich genieße ich diese Musik sogar mehr als Kenner der Materie. Ich finde jede meiner zwölf Klassik-CDs toll, obwohl sie sicherlich nicht unter der Fuchtel der coolsten Säue der Dirigenten-Szene eingefidelt wurden. Ich habe bisher jedes von mir besuchte klassische Konzert als einzigartige Erfahrung erlebt, obwohl einige wohl nicht mehr als solides Mittelmaß waren.

Shining ist rund 30 Jahre später noch immer genau der Film, an den ich mich aus dem Kommunalkino Bremen-Vegesack erinnere, nur ohne ratternden Projektor. Kubrick machte Filme, die von Anfang an hängenblieben und als Endlosschleife im Kopfkino weiterlaufen. Es ist nicht nötig, sie vor anderen als den geistigen Augen noch einmal zu sehen.

Ganz anders das Kino des Len Wiseman. Ob Stirb langsam 4.0 oder Underworld, seine Werke hinterlassen kaum bleibenden Eindruck, man kann sie also immer wieder sehen und jedes Mal neu erleben. Tatsächlich fällt mir jetzt erst auf, dass ich jeden seiner Kinofilme in meinem kleinen Privatarchiv habe. Ich bin wohl schon länger ein Fan ohne es zu wissen. So angenehm unaufdringlich ist dieser Len Wiseman. Darüber hinaus habe ich bei ihm das Gefühl, dass er seine Filme ernsthaft gut findet. Also genau wie ich. Er ist kein Zyniker wie Michael Bay, der das alles nur macht, um uns zu ärgern. Len Wiseman ist so was wie ein Michael Bay mit halb so viel Budget (wenn überhaupt) und doppelt so viel Herz (mindestens). Ein Kubrick ist er nicht. Aber wer Kubrick will, kann ja Freitag, der 13. schauen.

Ich hingegen schaue mir jetzt Stirb langsam 4.0 an. Worum ging es da noch mal?

Sie baden gerade Ihre Hände darin: Der große Bane+Robin-Vergleichstest 1997/2012

Nun ist der GröFaZ da, der Größte Film aller Zeiten seit dem letzten Größten Film aller Zeiten (April 2012) und vor dem nächsten Größten Film aller Zeiten (November 2012), und ganz Geekham bewegt nur eine einzige bange Frage: Kann er den hohen Erwartungen gerecht werden? Oder ist The Dark Knight Rises schlussendlich sogar noch besser als Batman & Robin? (Streng genommen zwei Fragen, aber eine Stoßrichtung.)

Mit der abschließenden Beurteilung von The Dark Knight Rises und anderen Filmen, um die vor und bei Veröffentlichung ein derartiger Götzenkult und Eiertanz betrieben wird, sollte man ein paar Monate warten, bis sich die Aufregung gelegt hat. Zu leicht ist es, einem von zwei Rezeptionsmustern zu verfallen. Entweder man lässt sich von den Götzenanbetern und Eiertänzern mitreißen, tätowiert sich ein Batlogo ins Gesicht und haut jedem eine rein, der das ein bisschen übertrieben findet. Oder man nimmt eine beleidigte, bockige Anti-Haltung ein, weil man viel klüger ist als all die Götzenanbeter und Eiertänzer da draußen. Ich tendiere meistens zum letzteren, gerecht ist derweil keins von beiden. Als ich 2008 The Dark Knight sah, war ich der festen Überzeugung, dass der Film megahammerschlecht war und wurde nicht müde, es meiner von mir angeekelten Umwelt mitzuteilen. Inzwischen habe ich dem Film eine zweite Chance gegeben und stelle fest: Er ist gar nicht so schlecht. Heath Ledger ist ganz gut, wie er Robert Downey Jr. spielt, der den Joker spielt. Die Two-Face-Geschichte bricht mir das Herz. Einige der Action-Szenen haben ordentlich Bums. Gary Oldman ist total süß. Die Langweiligkeiten des Films manifestieren sich schon früh (das überflüssige Heckmeck in Hongkong, das öde Kleinklein über verschobene Mafiagelder, kein starker roter Faden in der Geschichte), da kann man sich prima draufstürzen, wenn man nur das Blöde sehen will. Unterm Strich aber dimmen die Schwächen die Strahlkraft des Films nur unwesentlich, und so ist The Dark Knight, wie ich jetzt einsehe, doch eine solide Fortsetzung eines in jeder Hinsicht großartigen Vorgängers. Mein Ersteindruck von The Dark Knight RISES (müssen die Titel sich eigentlich so sehr ähneln?) nach der heutigen 12-Uhr-Kindervorstellung: Eine herrliche Herrenschnulze mit ein paar Anlaufschwierigkeiten und einem runden Ende.

Doch will ich mich noch nicht festlegen. Meinungen ändern sich, bei Menschen wie bei Massen. Wie schnell sich Schwarmwahrnehmung ändert, sieht man bei der Sympathieverschiebung zwischen Die ruhmreichen Rächer und The Dark Knight Rises. Als Die ruhmreichen Rächer vor ein paar Monaten in die Kinos kam, hieß es aller Orten, Batman könne jetzt packen gehen, denn wir haben das Licht gesehen, halleluja. Niemand wolle mehr das muffelige, depressive, prätentiöse Dark-Knight-Milchmädchenpsychologie-Posing, wenn man auch Comic-Filme haben kann, die tatsächlich Spaß machen. Die einzige weitgehend akzeptierte Kritik am Rächer-Film war, dass er so unbeschreiblich und unübertrumpfbar genial wäre, dass nie wieder ein Film, oder überhaupt irgendwas, so schön sein könnte. Superhelden-Filme hätten ausgesorgt, weil mehr superer ginge nicht. Doch davon will jetzt keiner mehr etwas wissen, denn nun heißt es über The Dark Knight Rises: Endlich ein richtig ernsthafter und erwachsener Film, gegen den alle anderen Comic-Verfilmungen aussehen wie Comic-Verfilmungen, und wer will schon Comic-Verfilmungen, die wie Comic-Verfilmungen aussehen?!

In Wirklichkeit hat beides seine Berechtigung, und die Menschen wollen mal dieses, bald jenes. Die ruhmreichen Rächer war sicherlich nicht das letzte Wort in Sachen Superheldenqualitätsunterhaltung, nicht mal das vorerst letzte. Batman Begins, X-Men: Erste Entscheidung und ein oder zwei Iron Man-Filme stehen auf meiner persönlichen Superheldenfilmhitliste nach wie vor drüber. Ich hatte mich nichtsdestotrotz blendend amüsiert und freue mich auf weiteres aus dem Hause Marvel, gerade weil ich noch viel Luft nach oben sehe (kann man Luft sehen?). Vielleicht könnte man in den nächsten Rächer-Film eine Handlung einbauen, und die Action-Szenen ein bisschen über den ganzen Film verteilen anstatt alle in den letzten Akt zu quetschen. Aber auch wenn nicht – guck ich mir trotzdem an. Dass ich mich für bunte Comic-Action entscheide, heißt nicht, dass ich mich gegen dunklen Psycho-Thrill entscheide. Das ist schließlich nicht wie bei Äpfeln und Birnen. Birnen sind einfach köstlich, und Äpfel total langweilig. Die Superhelden-Ansätze von Joss Dings und Christopher Bums hingegen sind schlicht nicht miteinander zu vergleichen, deshalb sind die Deine-Mudder-Grabenkämpfe ihrer Sektierer sinnlos und zermürbend, auch und gerade für Unbeteiligte.

Kommen wir zu erfreulicheren Themen: Joel Schumacher. Mir persönlich gefiel der offen schwule Pop-Batman der Sechziger und Neunziger tendenziell stets besser als das dauerzerknirschte Psychowrack, das seine wahre Natur hinter einer Maske verbirgt. Wir erinnern uns: Schumachers Batman & Robin von 1997 war der Film, in dem Dark-Kight-Rises-Schurke Bane seinen ersten Filmauftritt hatte. Der Film war weniger wohlgelitten als, sagen wir mal, The Dark Knight. Aus nicht auszuhaltender Bat-Vorfreude habe ich mir in den letzten Wochen alle Bat-Kinofilme noch einmal angeschaut und festgestellt, dass Batman & Robin von allen am vorteilhaftesten gealtert ist. Batman hält die Welt in Atem und Batman Begins sind natürlich gar nicht gealtert, es sind zeitlose Klassiker. Die beiden Burton-Filme gefallen mir heute ein wenig besser als früher, im Großen und Ganzen finde ich allerdings meine Jugendmeinung bestätigt: Hübsch, aber doof. Burton konnte schon immer besser mit Bauten als mit Menschen. Ulkig finde ich heute, dass die Burton-Filme ihrerzeit als ‚düstere‘ Batman-Interpretationen galten, auch mir. Das mag auf die Optik zutreffen, die Karnevalscharaktere jedoch und ihre Büttenredendialoge sind allenfalls Millimeter vom Geist der TV-Serie aus den Sechzigern entfernt.

Am unvorteilhaftesten ist ausgerechnet mein damaliger Lieblingsfilm der Burton/Schumacher-Ära gealtert, Batman Forever. Selbstverständlich ist vieles immer noch großartig daran: Die hysterischen Schurken, die Neonfarben, die Bat-Nippel, die Zärtlichkeit (Batman nimmt Robin vor dem Endkampf bei der Hand und haucht, er sei „more than a friend“), und natürlich der beste Bat-Dialog der Bat-Geschichte:

Robin: „Holey rusted metal, Batman!”
Batman: „What? ”
Robin: „The ground, it’s all metal. It’s full of holes. You know, holey.”

Es ist offensichtlich, wohin Schumacher wollte, doch war er noch nicht ganz da. Das Gotham von Batman Forever sieht aus wie eine unentschlossene Mischung aus Manga-Tokio und Dick-Tracy-Set. Sieht man den Film unmittelbar nach dem wunderbar ausgestalteten Batmans Rückkehr, ist das ein faustdicker Schock. Die Handlung und Inszenierung ergötzt sich bereits am Camp, aber man traut sich noch nicht, das Spaßpedal voll durchzutreten und die Hinweise auf Batmans ach so schweheheheres Trauma einfach mal ganz zu unterlassen. Batman Forever muss rückblickend als strategischer Film betrachtet werden. Er sollte uns behutsam auf Batman & Robin vorbereiten.

Leider konnte uns darauf aber nichts vorbereiten. Ich war damals genauso angewidert wie jeder andere. Vor der kolossalen Katastrophe, die Batman & Robin war, waren wir alle gleich.

Heute allerdings kann man sich mal entspannt zurücklehnen und den Film als das sehen, was er ist: Ein Kind, wie es nur die eigenen Eltern lieben können. Und wer da nicht ein bisschen Mitgefühl hat, hat einfach kein Herz. Gotham ist nun noch etwas eklektischer, sieht aus wie eine Kreuzung aus Manga-Tokio, Dick Tracy, türkischer Sauna, Rollschuhdisco und Christmas Town. Sieht also gut aus. Nichts sagt ‚Zeitdokument‘ deutlicher als ein Stargast-Auftritt von Coolio. Die tatsächliche Anti-Öko-Botschaft von Batman & Robin ist genauso putzig und harmlos wie die eingebildete Anti-Occupy-Botschaft von The Dark Knight Rises. Dass ausnahmslos jeder Satz, der Mr. Freeze in den Mund gelegt wurde, ein Tschingbumm-Kalauer unterster Kajüte ist, ist irgendwo auch eine Leistung, wenngleich eine fragwürdige. Freeze-Darsteller Fips Asmussen äh Arnold Schwarzenegger sagte während der Promo-Phase des Films, die Dialoge hätten Shakespeare-Niveau. Das wirft ein ganz neues Licht auf Shakespeare. Oder das übliche Licht auf Arnie. George Clooney (Die Rückkehr der Killertomaten) ist der beste Batman zwischen Adam West und Christian Bale. Allerdings wusste die Burton/Schumacher-Ära mit der Figur generell nichts anzufangen, deshalb ist das leider egal. Batman spielt in keinem dieser Batman-Filme eine entscheidende Rolle.

Alicia Silverstone … ach, Alicia Silverstone. Clueless – was sonst?! ist nicht zuletzt wegen ihr einer der größten Kino-Meilensteine der Neunziger, also lässt sich überhaupt nichts gegen sie sagen. Dass sie zwischen Bat-Casting und Bat-Dreharbeiten offenbar ein paar Pfund draufgelegt hat, hatten sich die Produzenten des Films bestimmt anders vorgestellt. Doch gerade weil dieses etwas fraulichere Batgirl so herrlich un-hollywood ist, begrüße ich Fräulein Silverstone in der Bat-Family mit offenen Schwingen. Anstatt eines Catwoman-Spin-offs mit Halle Berry unter der Regie von Pitof hätte ich mir ein Batgirl-Spin-off mit Ricki Lake unter der Regie von John Waters gewünscht.

Bane war damals zwar noch nicht durch Nolan-Berührung heiliggesprochen, doch umwehte ihn unter Comic-Lesern schon eine gewisse Aura der Ehrfurcht, hatte er dem Mausemann doch im Comic-Event-Ereignis Knightfall buchstäblich das Rückgrat gebrochen (Originalzitat: „Alfred, ich hab Rücken!“). In Batman & Robin ist Bane eine chemisch aufgeblubberte Flitzpiepe im Show-Wrestling-Dress mit einem IQ unter Hulk-Niveau.

In The Dark Knight Rises ist Bane ein beredter Kraftprotz, der aussieht wie Darth Vader im Swingerclub. Ganz klar ein Punkt für The Dark Knight Rises.

Robin ist in Batman & Robin ein Latex-Knabe aus dem Zirkus, der Batman immer wieder mit seinen angeblichen Weibergeschichten eifersüchtig zu machen versucht, worauf die stutenbissige alte Zicke auch jedes Mal reinfällt. In The Dark Knight Rises ist Robin ein junger Polizist, der bei Batman endlich die Wärme findet, die er im Christlichen Verein junger Männer stets verglich gesucht hatte.

Keine Angst, Spoiler machen nichts, das ist wissenschaftlich erwiesen. Hier ist die Entscheidung schon schwieriger. Doch ich habe einfach eine Schwäche für Männer in Uniform, deshalb geht auch hier der Punkt an The Dark Knight Rises.

Und damit ist es offiziell: The Dark Knight Rises ist besser als Batman & Robin. Puh, das war knapp.

Dass es weitere Batman-Filme geben wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. In den Achtzigern war einmal Bill Murray für die Rolle vorgesehen, sie ging dann allerdings an an Michael Keaton. (Bonus-Fun-Fakt, falls Sie mal Mädchen oder Jungs mit meinem Allgemeinwissen beeindrucken und rumkriegen wollen: Murray sprach auch für die Rolle des Han Solo in Krieg der Sterne vor.) Nun sieht es so aus, als spiele er tatsächlich im nächsten Film mit, allerdings nicht als Batman, wie unser Exklusivschnappschuss von den Kostümproben zu Wes Andersons Batman Begins Again beweist:

Bill Nighy ist der singende Mops der Untoten

Letzte Woche war Betriebsausflug zu Men in Black 3, da bin ich mitgegangen, weil ich schon die Kohlfahrt geschwänzt hatte. Mit dem Film waren für mich keinerlei Ängste oder Wünsche verbunden. Von den Vorgängern hatte ich lediglich in grauer Vorzeit die erste Hälfte des ersten gesehen, bis ich mir sagte: „So ein Unsinn – Außerirdische!“

Ich konnte damit nichts anfangen, damals. Umso mehr wunderte es mich in der Folgezeit, dass ich bei meiner Gemeindearbeit immer wieder (auch nicht mehr ganz so) jungen Menschen begegnete, die Men in Black mit Klauen und Zähnen verteidigten, als ginge es um Ghostbusters. Dabei ging es doch gar nicht um so etwas Erhabenes, sondern bloß um eine Hollywood-Komödie, in der coole Typen mit eigentümlichen Geräten und flotten Sprüchen Monster in New York jagen. Da merkte ich huch: Diesen jüngeren, aber auch nicht ganz so jungen Menschen war Men in Black ihr Ghostbusters. Wäre ich nur etwas später geboren, hätte es mich auch treffen können.

Von dieser Erkenntnis milde gestimmt und geistig verjüngt, besorgte ich mir vor Teil 3 die anderen beiden und „zog mir die Streifen rein“. Diesmal konnte ich „voll abschmunzeln“. Zumindest hier und da. Mir ist es übrigens schleierhaft, warum alle Welt immer den zweiten Teil disst. Wenn überhaupt ist er ein bisschen besser als der erste. Andererseits fand ich das auch bei Iron Man 2 und kein Stück bei Batman Begins 2, also sollte man mir in dieser Angelegenheit nicht trauen.

Der dritte Film reiht sich da schmunzelig gut ein, möglicherweise ist sogar eine weitere leichte Steigerung zu erkennen. Wenn nun MiB-Vollblutnostalgiker maulen, der neue Film sei gar nicht so lustig wie früher, dann liegt das möglicherweise daran, dass man sich als 30er oder Schlimmerer nicht mehr über die Sachen vor Lachen wegschmeißt, bei denen einen als Twen oder gar Teen das Brüllen ankam. Das ist nicht die Schuld des Films, das ist nicht die Schuld des Zuschauers, das ist einfach so. Wenn das nicht so wäre, hätte ich längst die Petition für die Herausgabe der Police Academy Legacy Edition unterschrieben.

Auf meinem langen Weg zum Verständnis von Men in Black fragte ich viele Jünger, was in aller Welt sie denn an dem Quatsch so toll fänden. Ganz oft kam als Antwort: „Der Hund ist so süüüß!“ (gut, ich habe größtenteils JüngerInnen befragt)

Da ist was dran! Frank, der sprechende und singende Mops aus dem Weltall, ist eine der sympathischsten Figuren der Saga. Sein Fehlen in Teil 3 wird häufig kritisiert, und das zu recht. Der Film ist komischer und klüger, als die orthodoxen Hardliner wahrhaben möchten. Aber ohne sprechenden Hund fehlt ihm was.

Eine andere Filmserie, für die ich eigentlich zu alt bin, ist Underworld. Sie wurde mir wider Verstand und Willen zur Obsession, als ich jüngst für ein Vampirbuchprojekt recherchierte. Aus dem Projekt wurde nichts, aber Kate Beckinsale als blutsaugende Lederwurst ist mir geblieben, schönen Dank auch. Als ich, ein paar Abende nach Men in Black 3, den aktuellsten Underworld-Teil im Heimkino sah, wurde mir bewusst, dass auch diese Reihe einen schwer verzichtbaren Mops hat: den Ober-Vampir Viktoria äh Viktor, gespielt vom gottgleichen Bill Nighy. Beckinsale ist immer noch ein Schnuckel in ihrer Pelle, aber Underworld ist einfach nicht dasselbe ohne Nighy, der im Kleidchen durchs Gemäuer hüpft und flötet: „Tatü-tata – ich bin die fesche Königin äh der mächtige König aller Vampire!“ (aus dem Wunschgedächtnis zitiert)

Ich sehe ein, dass Viktor inzwischen sowas von ununtot gemacht wurde, dass man ihn für Teil 4 nicht plausibel zurückbringen konnte (und Plausibilität wird in den Underworld-Filmen ganz, ganz groß geschrieben). Aber warum fehlt Frank in Men in Black 3? Selbst wenn der Ur-Mops-Darsteller inzwischen im Hundehimmel ist, hätte man die Rolle neu besetzen können. Mops ist Mops, das ist nicht so ein emotionales Thema wie die James-Bond-Nachfolge. Abseits vom Thema: Ich habe mir neulich mal Gedanken gemacht, welche Filmserienhauptfiguren tatsächlich so untrennbar mit ihren Darstellern verbunden sind, dass man sie unter gar keinen Umständen neu besetzen könnte. Gedankenergebnis: Nur ‚Dirty‘ Harry Calahan und John McClane (aus den Stirb langsam-Filmen). Außer Clint Eastwood und Bruce Willis ist eigentlich jeder ersetzbar. Man könnte auch mutmaßen, dass diese Figuren im Wesen so dünn sind, dass sie erst durch ihre Darsteller so etwas wie Persönlichkeit bekommen, nämlich die ihrer Darsteller. Aber das wäre Miesepeterei.

Kommen wir zurück auf den Hund. Anstatt Trübsal zu blasen, erinnern wir uns an die guten Zeiten mit Frank, dem singenden Mops:

Und erinnern wir uns an Viktor, die alte Queen der Verdammten. Hier nicht der köstlichste Auftritt, aber wenn man zu faul ist sich selbst die Hände schmutzig zu machen, muss man nehmen, was andere gestohlen haben:

Ich weiß gar nicht, wer von beiden knuddeliger ist. Ihre Abwesenheit ist auf jeden Fall ein herber Verlust für die jeweilige Serie.

Wo wir schon bei Filmen sind: Es gibt relativ frische Besprechungen meinerseits:

Elephant White

Pakt der Wölfe

Shaolin

Wo wir schon bei Besprechungen sind: Diese Bücher auch noch:

Ernest Cline: Ready Player One

Marie Hermanson: Himmelstal

Wo wir schon mit interaktiven Hypertextlinks um uns schmeißen: Bitte vergessen Sie nicht, rechtzeitig die Zwangszustellung der Bild-„Zeitung“ am 23. 6. abzubestellen.

Diablo 3 und die gegenstandslose Meditation

Endlich kann ich mal von einem welterschütternden Großereignis sagen: Ich war dabei! Nicht als stummer Zeuge vor dem Fernsehapparat, sondern als direkt Beteiligter, zutiefst Betroffener.

Sie haben es ja bestimmt in all den Nachrichtensondersendungen gesehen, die am Dienstag rund um die Uhr das Programm unterbrachen: Das Computerspiel Diablo 3 war endlich erschienen, ging aber nicht! 5/15, der Tag, nach dem nichts mehr so war, wie es einmal war. Die Welt hatte ihre Unschuld verloren. Wenn man den Computerspieleherstellern nicht mehr vertrauen konnte, dann konnte man niemandem mehr vertrauen. Hier war eine neue Qualität des Qualitätsmangels erreicht. Gerade junge Menschen, die bei der Veröffentlichung der ersten beiden Diablo-Spiele noch gar nicht geboren waren, und für die dieser Tag der schönste und wichtigste in ihrem Leben werden sollte, suchten Trost und Halt in der trügerischen Geborgenheit sogenannter Internet-Foren. Dort hinterließen sie der Nachwelt bewegende Dokumente der Trauer: „Rabä-hähähähä – das sag ich Mama!“

Für alle, die Computerspiele noch nicht als die Zehnte Kunst in ihr Herz gelassen haben: Das erste Diablo machte in den Neunzigern mit einem Schlag Fantasy-Rollenspiele cool, indem es alles wegließ, was an Fantasy-Rollenspielen immer langweilig gewesen war. Es reduzierte sie damit auf das liebenswerte Vorurteil, das Außenstehende ohnehin davon hatten: es ging nur um Monster abschlachten und Schätze sammeln. Kein ödes Rumsitzen in „Tavernen“ zwischen „Elben“ und „Gnomen“, um irgendwelchen „Barden“ zu „lauschen“ und „Met“ zu trinken, was immer das sein mag. Kein endloses Blumenpflücken, um Burgfrolleins und Kräuterhexen zu gefallen. Kein Mikromanagement banger Fragen, ob man mit dem neuen halben Talentpunkt lieber seinen Wert in „Kleine Dinge verstecken“ oder „Brennnesselresistenz“ erhöht. Einfach nur alles totklicken, was sich bewegt. Die Handhabung war so intuitiv, dass selbst ich sie als Computerspiele-Angsthase in unter zwei Sekunden komplett verinnerlicht hatte. Wer eine Computermaus bedienen konnte, konnte Diablo spielen, auf Anhieb. Die relative Komplexität kam später, man merkte es kaum, man konnte und wollte dann auch nicht mehr zurück. Diablo hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass ich vom Casual Gamer zum Casual Hardcore Gamer wurde. Im Jahr 2000 kam mit Diablo 2 dasselbe Spiel noch mal raus, nur bunter und ohne Speicherfunktion. Mit anderen Worten eine typische Fortsetzung: Nicht so gut wie das Original, aber besser als gar nichts.

Was war nun geschehen, am Verhängnisvollen Dienstag (VD)? Um Diablo 3 zu spielen, ganz egal ob alleine oder mit anderen, muss man permanent beim Online-Service Battle.net angemeldet sein, aus Gründen der Diebstahlsicherung. Bei Computerspielen bin ich konservativ. Das ist etwas, wobei man gefälligst einsam am Computer verrohen sollte, Freundschaften und helles Kinderlachen gibt es anderswo. Will sagen: Ich gehöre zu der schweigenden Mehrheit, die nicht an Multiplayer-Schnickschnack interessiert ist, deshalb habe ich den Internet-Zwang von vornherein als sinnlos und verdächtig erachtet (gucken die mir in den Computer? sehen die meine Urlaubsbilder?). Als Urheber bin ich prinzipiell ein riesen Fan von DRM und Kopierschutz, aber man kann das auch anders umsetzen. Dass man es so, wie es in diesem Falle umgesetzt wurde, gerade nicht nicht umsetzen kann, wurde am Dienstag eindrucksvoll bewiesen, als alles zusammenbrach und man weltweit nur Fehlercodes statt Erfahrungspunkte sammeln konnte. Wenn das noch mal passiert, sage ich es Mama.

Ich gehöre wohlgemerkt nicht zu den weinerlichen Hysterikern, für die mit den Servern eine Welt zusammenbrach, aber ich respektiere ihren Schmerz die Wehwehchen der kleinen, verzogenen Rotzlöffel. Ganz anders wird mir allerdings, wenn ich höre, dass nicht wenige Menschen für Diablo 3 „extra Urlaub genommen“ hätten. Da kann ich nur mit dem Kopf schütteln und ausrufen: Memmen! Was ist bloß aus dem guten, alten Krankfeiern geworden?! Ich habe freilich weder noch gemacht, ich habe nur abends Japanisch geschwänzt. Aber selbst das hatte in erster Linie damit zu tun, dass es so doll geregnet hat, und ich hatte keinen Schirm, und ich war gerade erst von einer starken Erkältung genesen, und mein imaginärer Hund hatte meine nicht gemachten Hausaufgaben gefressen. Es handelt sich also um reinen Zufall, dass auch ich schon an Tag 1 versucht habe, ein paar wandelnden Skeletten die Knochen zu brechen. Dass es nicht ging, trug ich mit Humor und Gelassenheit. Es hatte etwas Meditatives, hoch konzentriert auf den Anmeldebildschirm zu schauen und auf eine Anmeldung zu warten, die Godot-ähnlich nie kam.

Die Hintergrundmusik war angenehm einlullend, und wenn sie einem nach ein paar Sekunden doch auf den Sack ging, stellte man sie halt aus. Dann hörte man, dass die Krähe, die da auf einem Felsen sitzt, hin und wieder kräht. Man wurde bald eins mit der virtuellen Natur. Und als man schließlich auf der obersten Astralebene inneren Friedens eingeschwebt war, sagte man sich mit einem sanften, weisen Dalai-Lama-Lächeln: „Scheiß die Wand an, dann spiel ich eben Duke Nukem weiter!“

Ähnlich wie bei Duke Nukem Forever wird von Diablo 3 behauptet, man habe 12 Jahre auf das Spiel gewartet. Ähnlich wie bei Duke Nukem Forever behaupte ich, man hat nicht 12 Jahre auf Diablo 3 gewartet, sondern in der Zeit auch noch andere Sachen gemacht, zum Beispiel Diablo 2 gespielt. Oder hat man bereits am Erstverkaufstag des letzten Spiels die Fingernägel zwischen die Zähne gesteckt und auf Teil 3 gewartet? Wenn das so ist, muss ich hier mal anmerken, dass ich jetzt schon seit drei Tagen auf Diablo 4 warte und es bald nicht mehr aushalte.

Helfen würde, wenn ich solange Diablo 3 spielen könnte. Gestern Abend ging es vorübergehend, heute Mittag wieder nicht mehr. Das gestrige Schnupperspiel bestätigte, dass es zum Glück wieder dasselbe Spiel geworden ist, nur für uns Senioren noch etwas weiter vereinfacht. Bei der Charakterentwicklung kann man jetzt gar nichts mehr selbst machen, die wird einem vorgegeben, wie im richtigen Leben. Ich spiele selbstverständlich eine Dämonenjägerin, weil das so eine Art Ninja ist und ich 12 Jahre alt bin.

So, ich sollte jetzt mal wieder schauen, ob ein Server offen ist. Ich muss Diablo 3 unbedingt heute noch so lange spielen, bis es mir zum Hals raushängt, weil morgen Max Payne 3 erscheint.

Es ist herrlich, 12 Jahre alt zu sein und das Taschengeld eines 42-jährigen zu haben!

Update aus der Zukunft

Hiermit distanziere ich mich von der voreiligen Max Payne 3-Schwärmerei von 2012. Ein menschenverachtendes Schweinespiel für menschenverachtende Schweinespieler, denen der nächste Kopfschutz nicht mehr ist als das nächste Achievement. Nichts von den ersten beiden Spielen verstanden, und Jürgen von der Lippe ist als Max Payne eine totale Fehlbesetzung.

Hugh Grant lebt hier nicht mehr

Wie jeder vernünftige Teen und Twen war ich als Teen und Twen einigermaßen London-verrückt. So hatte ich mich angesichts meines kürzlichen dortigen Aufenthalts auf einen Rückfall in die Kindheit gefreut, wollte jedoch diesmal mit der Stadt nicht recht warm werden. Ich habe mich schließlich immer länger nach Chinatown und Uniqlo zurückgezogen. Was in London seit meinem letzten Besuch (im vergangenen Jahrtausend) baulich hinzugekommen ist, ist scheußlich und sinnlos (und ich bin durchaus ein Freund von Wandel und Moderne). Nach der aktuellen Baustellendichte zu urteilen, werden munter weitere scheußliche Sinnlosigkeiten hinzukommen. Die Musicalisierung von jedem Unsinn nimmt immer bedenklichere Züge an (Ghost – The Musical?! Oh, Shrek!). Paris, so sagt man, sei am schönsten im Regen, und da sagt man was. London ist bei Regen leider am allerunausstehlichsten, was angesichts des lokalen Normalwetters ein äußerst unglücklicher Umstand ist. Wo wir schon beim unfairen völlig gerechtfertigten Städtevergleich sind: Ist die Untergrundbahn von Paris charmant-alt, so ist die von London bloß kaputt-alt. Und dass man in der Öffentlichkeit keine Trainingshosen trägt, sollte ja wohl … ach, ich kämpfe gegen Windmühlen.

Aber es war gar nicht alles schlecht. In Notting Hill hat es mir gut gefallen. Dabei war der Hauptgrund meines Ausflugs dorthin von einem niederschmetternden Misserfolg gekrönt (falls Misserfolge überhaupt „krönen“ können).

Eine junge Dame, um deren Gunst ich einmal warb, sagte mir währenddessen, ich erinnere sie an „Hugh Grant in Notting Hill“. Das bestärkte mich in meinem Werben, auch wenn ich nach Überprüfung des Films feststellte, dass Hugh Grant darin ein ziemlicher Schlappschwanz ist. Ich verkürzte einfach „Du erinnerst mich an Hugh Grant in Notting Hill!“ zu „Du erinnerst mich an Hugh Grant!“ und machte es zu meinem Mantra. Noch heute sage ich das jeden Morgen meinem Spiegelbild.

Da mein Werben letztendlich und anhaltend Erfolg hatte, dachte ich mir, ich könne von meinem London-Aufenthalt ein selbstgeknipstes Foto des realen Reisebuchladens in Notting Hill mitbringen, der das Vorbild des fiktiven Reisebuchladens in Notting Hill war; anstatt Blumen oder eines Stoffbären in einem Union-Jack-Hemd.

Aber, ach!

Tapfer aber beschädigt hängt noch das Schild darüber, doch im Innern nur buchlose Leere, an der Scheibe ein Zu-vermieten-Schild und die Ankündigung eines bevorstehenden Hüpfburg-Events.

Ich war nicht der einzige Tourist, der sich für das Geschäft interessierte (gleichwohl der einzige männliche). Die anderen Mädels hatten es faustdick hinter den Ohren. Nach Sekundenbruchteilenttäuschung fotografierten sie einander einfach vor dem Buchgeschäft gleich nebenan, das weiterhin operiert. Zu Hause werden sie ihren schmachtenden, eifersüchtigen Freundinnen erzählen, dass das der Laden von Hugh Grant war, and it was magic. Aber wir alle wissen, dass das nicht wahr ist.

Und der Inhaber des Ladens neben dem Laden wird sich weiterhin sagen: Wenn sich hier jede Hanni und Nanni vor dem Fenster fotografieren lässt, aber keine jemals reinkommt und was kauft, geht es meinem Laden bald wie dem von Hugh Grant und ich mache endlich meine Umschulung zum Hüpfburg-Eventmanager.

Endlich sagt mal einer was (ich)

Ich kann nicht länger schweigen, ich bin viel zu lange viel zu höflich in dieser Sache gewesen, drum schreibe ich es heute, mit der letzten Tinte der Woche, auch wenn es mir geldwerte Sympathien verspielen wird:

Ich HASSE Tatsuya Fujiwara!

Ich hasse ihn schauspielerisch, nicht menschlich, das wäre ja albern, menschlich kenne ich ihn gar nicht, bestimmt ein feiner Kerl. Seit Hunger Games äh Battle Royale hat er unbestritten in manchem coolen Film mitgespielt. Die Frage ist nur: Warum? Hätte man nicht einen Schauspieler verpflichten können? Musste es ausgerechnet ein bockiger Brüllaffe mit Igelfrisur sein? Nuancen kennt Fujiwara keine. Jede Verletzung ist ein brüllender, fäustereckender Heulkrampf. Jede Freude ist ein brüllender, bodenrollender, bauchhaltender Lachkrampf.

Menschen, die ihr ganzes Leben nie aus Wanne-Eickel herausgekommen sind, wissen mitunter nicht, dass Menschen anderer Kulturkreise einen anderen gestischen und mimischen Ausdruck pflegen als Horst Tappert, und bezichtigen deshalb häufig asiatische Schauspieler generell des Überagierens. Diesen Grundsatzfehler begehe ich keineswegs. Ich bezichtige nur Tatsuya Fujiwara des Überagierens. Er ist mit knapp 30 schauspielerisch bereits da, wo Al Pacino und Grandpa Simpson erst mit zunehmender Alterschwerhörigkeit hingekommen sind. Wo soll das noch enden? Fujiwara ist in Japan auch als Bühnenschauspieler ein ominös gefragter Mann. Bislang hat ihm noch niemand gesagt, dass man vor der Kamera nicht jeden Ausdruck hubbleteleskopartig vergrößern muss.

Leider erschließt sich mir auch abgesehen vom Talentmangel nicht, warum Mädchen wie Männer für Moppel-Igel schwärmen. Es gibt viele Backfisch- und Jungspund-Idole, bei denen ich die Schwärmerei zwar nicht praktisch teile, aber theoretisch nachvollziehen kann. Hier jedoch – nichts! Fujiwara hat kein Charisma, ist nicht cool, weder männlich noch lustig. Da ist nur diese irritierende Igelfrisur und das Gebrüll.

Ende der Brandrede.

Wie komme ich jetzt überhaupt drauf? Ach ja, gestern sah ich Incite Mill, den neuen Hideo Nakata. Durchaus pfiffige Unterhaltung im guten, alten Sci-Fi-Splatter-Stil, der Agatha Christie so berühmt gemacht hat. Wermutstropfen vielleicht das unbefriedigende Ende. Und natürlich Brülligel.