Vergleichende Filmkritik: Der mächtige Thor vs. Woody Allen

Anderntags im Flugzeug legte ich ausnahmsweise einmal das gute Buch beiseite und nahm dankend das Angebot des Inflight Entertainments an, zwei Spielfilme zu sehen, die ich bis dahin aus unterschiedlichen Gründen gemieden hatte: Thor und Midnight in Paris. Bei dem einen hatte ich mir von Anfang an vorgenommen: Diesen Nonsens schaust du allerhöchstens mal mit geröteten Augen in einem Flugzeug. Der andere ist von Woody Allen. Woody-Allen-Filme sind für mich eine zu emotionale Angelegenheit, um sie öffentlich anzuschauen. Ich muss warten, bis es sie für zu Hause gibt. Oder fürs Flugzeug, da ist man ähnlich allein (Privatjet).

Das erstaunliche Ergebnis der Doppelvorstellung: Der hammerdumme Thor hatte mich gut unterhalten, die Zeit verging wie im Fluge (Entschuldigung), Midnight in Paris hingegen empfand ich als eine Enttäuschung, vorhersehbar und faul. Weil aber nicht sein kann, was nicht sein darf, habe ich mir nun, mit beiden Beinen fest auf der Erde, beide Filme noch einmal angeschaut, und zwar so, wie man sich Kinofilme gefälligst anschauen sollte: zu Hause auf dem Sofa (Beine also doch nicht so richtig fest auf der Erde). Ich finde grundsätzlich jeden Woody-Allen-Film gut, basta, auch die, die nicht gut sind. Da lasse ich nicht mit mir verhandeln.

Beim zweiten Anlauf klappt es auch. Midnight in Paris erzählt haargenau dieselbe Geschichte wie Thor, nur andersrum. In Thor muss ein Gott seine Bestimmung in der Welt der Sterblichen finden. In Midnight in Paris muss ein Sterblicher seine Bestimmung in der Welt der Götter finden. Diese Götter sind allerdings keine Oscar-Veteranen mit Augenklappen, sondern die Götter der Lost Generation, die Paris in den Zwanzigern zu ihrem Fest des Lebens erklärt hatten. Diese Götter sind alle genauso wie ihre eigene Mad-Heft-Parodien. Papa erzählt vom Krieg und vom Boxen, Zelda Fitzgerald ist tragikomisch besoffen, Dalí sieht ein Nashorn, Gertrude Stein ist die Mutter aller Mütter und Picasso weiß nicht, wo bei den Frauen vorne und hinten ist. Diese Darstellung hatte mich beim ersten Ansehen gestört. Beim zweiten sagte ich mir: Jetzt bleib mal locker, Alter! Und das hat geholfen. Geholfen hat auch, dass ich beim zweiten Mal begriffen habe, dass diese Figuren so klischeehaft sein MÜSSEN, wie sie es hier sind. Es sind schließlich Nebenfiguren, die wie alle Nebenfiguren nur einen Zweck haben: der Hauptfigur zu dienen. Das tun sie ganz vorzüglich und vergnüglich. Beim ersten Mal hatte ich mich zu sehr in Hemingway & Co. verbissen und Dings (Owen Wilson) nicht genügend Beachtung geschenkt.

In einer (selbstverständlich deutschen) Kritik zur Stadt Paris las ich einmal die muffelige Rhetorikfrage: Wer will schon in einem Museum leben? Die Antwort muss selbstverständlich eine Gegenfrage sein: Na, wer denn nicht?! Ich würde sofort einziehen. In den wenigen negativen Bescheiden, die Midnight in Paris erhalten hat, wurde bemuffelt, dass Woody Allen Paris zu hübsch gefilmt hätte. Nun habe ich vor nicht allzu langer Zeit mal vorbeigeschaut und festgestellt: Paris sieht halt so aus. Woody Allen hat nur seine Kamera dahin gestellt. Man wird nicht ernsthaft annehmen, er wäre hinterher mit Photoshop drübergegangen. Wenn Woody Allen Photoshop hört, denkt er, dass wäre das kleine Kodakgeschäft vom alten Moshe Finkbeiner in der 33. Straße, Ecke 56. (die Adresse habe ich mir ohne Google Maps ganz alleine ausgedacht und sie existiert wahrscheinlich im ganzen Staate New York nicht). Allen vorzuwerfen, er hätte nicht in den Banlieues gedreht, wäre so, als würde man ihm vorwerfen, er mache zu wenige Filme über die Gewalt in den Straßen der Bronx. Gut, das werfen ihm tatsächlich einige vor. Aber nur Blödiane. Das ist einfach nicht seine Kernkompetenz. Ich hoffe, Woody Allens Filme werden immer in einer Welt spielen, in der es keine App Stores gibt, in der Armut nur als Konversationsthema existiert, und in der die Menschen keine anderen Ängste haben als die vor dem Tod und vor der Liebe. Woody-Allen-Filme sind meine Fantasy-Filme.

Ich bin inzwischen zu faul Comics zu lesen. Da bin ich froh, dass die Superhelden-Filme von heute so gut wie die Comics von früher sind. In manchen Fällen sogar besser. Im Falle Thor, zum Beispiel. Nein, das ist sicherlich kein Shakespeare (Herr Branagh!). Womöglich ist Thor der blödeste der modernen Superhelden-Filme, aber bestimmt nicht der langweiligste, und somit ganz und gar nicht der schlechteste (für Nicht-Nerds: das Zeitalter der Moderne begann mit X-Men, 2000). Old-School-Unterhaltung mit viel Herz und kaum Hirn für Jungs bis 12, mit den schönsten Kulissen, Frisuren, Kostümen und Spezialeffekten seit Flash Gordon (aber mit besserer Musik), krachender Action von Action-Spezialist Kenneth Branagh, dem schönsten Pathos seit Highlander (aber mit besserer Musik) und hoch dekorierten Schauspielern, die für Geld alles machen (siehe auch hier).

Bis jetzt haben wir erfolgreich um den Riesenhammer im Raum herumgeredet: Warum überhaupt einen Thor-Film? Niemand, wirklich niemand, mag Thor. Thor war schon als Kind uncool. Also, als ich ein Kind war. Thor selbst war wahrscheinlich nie Kind, außer das Kind von Odin (Anthony Hopkins). Wollte man die Figur nur für die in den Startlöchern stehende Verfilmung des Superhelden-Ensemble-Comics Die ruhmreichen Rächer einführen? Dafür hätte ja auch ein Gastauftritt in einem der besseren Filme gereicht. Thor wird per Rohrpost auf die Erde gekickt, fliegt an Iron Man vorbei, Robert Downey Jr. macht eine schnippische Bemerkung über seine Frisur, und unten steht Samuel L. Jackson und fragt: Willst du in unserer Bande mitmachen? Zwei Stunden und Hunderte von Millionen von Dollars für eine Figur aufzuwenden, für die sich niemals jemand interessiert hat, scheint sogar für Hollywood-Maßstäbe ein wenig extrem. Aber wenn es die Zeit auf Interkontinentalflügen vertreibt, kann man vielleicht doch nicht ganz böse sein.

Eine lustige Anekdote fällt mir noch ein (so lustig nun auch wieder nicht, sag ich gleich, man muss wohl dabei gewesen sein): Als meine Lebensgefährtin und ich einmal in München an einer Thor-Reklame vorbeispazierten, sagte sie: „Da spielt ein japanischer Typ mit!“ Ich sagte: „Quatsch mit Soße, da spielt kein japanischer Typ mit.“ Sie so: „Da spielt wohl ein japanischer Typ mit!“ Ich so: „Als notorischer Film- und Japan-Klugscheißer wüsste ich das ja wohl, wenn da ein japanischer Typ mitspielt!“ Sie dann wieder: „Als japanische Staatsbürgerin und ebenfalls eine rechte Filmklugscheißerin vor dem Herrn weiß ich das ja wohl, wenn irgendwo ein japanischer Typ mitspielt!“ Wir haben schließlich das Kleingedruckte auf der Reklame gelesen, aber fanden da weder Beweis noch Gegenbeweis. Wir beschlossen es später zu recherchieren, vergaßen es aber, wie man so was immer vergisst. Als ich Monate später das eingangs erwähnte Flugzeug verließ, rief ich sofort meine Lebensgefährtin an, um ihr mitzuteilen: „Halt dich fest – in Thor spielt ein japanischer Typ mit!“ Manchmal kann man am Telefon Augen rollen hören.

Es ist sogar ein ziemlich bekannter japanischer Typ, der Schauspieler/Künstler/Musiker Tadanobu Asano. Wir standen uns mal sehr nahe. So nahe, dass ich dieses Foto machen konnte (als wir wieder saßen):

(Bei der Spanien-Premiere einer durchwachsenen Samurai-Klamotte von Takeshi Kitano.)

Seine Rolle in Thor ist recht klein gehalten, wahrscheinlich weil er nicht gut genug Englisch spricht, um eine indogermanische Sagenfigur glaubhaft verkörpern zu können. Asano spielt Hogun, einen von Thors diversifizierten Götterfreunden, genau wie Luther-Darsteller Idris Elba. Dahinter steckt mit Sicherheit das Bestreben, einem Film über einen blonden, blauäugigen, weißen Übermenschen nicht Applaus von der falschen und Kritik von der richtigen Seite einzubringen. Als begeisterter Gutmensch befürworte ich diese Taktik voll und ganz, hätte es aber noch schöner gefunden, wenn diese Rollen im Film wirklich eine Rolle spielen würden. Vielleicht beim nächsten Mal.

Offizielle Begründung für den ethnisch erfrischend unnordischen Götterhimmel ist in den Comics wie im Film, dass das Asgard des Marvel-Universums in Wirklichkeit gar kein Götterhimmel ist, sondern nur eine schnöde Parallelwelt, in der es vor schnieken Heldenfiguren wimmelt, die in unserer Welt fälschlicherweise für Götter gehalten werden. Die Vorstellung von tatsächlichen Göttern ist nämlich total albern. Nachvollziehbar hingegen ist die Vorstellung von Männern, die im Strampelanzug Häuserwände hochkrabbeln oder als Blechbüchsen verkleidet um die Welt fliegen. Der Einfachheit halber, und weil ich es so gelernt habe, bleibe ich dabei, dass Thor und Konsorten Götter sind.

Die letztendliche Moral von Midnight in Paris ist, dass man in einem Museum leben kann ohne in der Vergangenheit zu leben. Die Moral von Thor ist: Hulk smash!!! Ach nein, das war der andere. Ich weiß nicht, was die Moral von Thor ist. Vielleicht ist dann Midnight in Paris doch um Haaresbreite der bessere Film. (Und wenn jemand muffelig fragt, ob denn Filme unbedingt eine Moral haben müssen, hier die Antwort: Ja.)

Entscheiden Sie selbst:

Mit bloßem Auge kaum ein Unterschied, oder?

Endlich sagt mal einer was (ich)

Ich kann nicht länger schweigen, ich bin viel zu lange viel zu höflich in dieser Sache gewesen, drum schreibe ich es heute, mit der letzten Tinte der Woche, auch wenn es mir geldwerte Sympathien verspielen wird:

Ich HASSE Tatsuya Fujiwara!

Ich hasse ihn schauspielerisch, nicht menschlich, das wäre ja albern, menschlich kenne ich ihn gar nicht, bestimmt ein feiner Kerl. Seit Hunger Games äh Battle Royale hat er unbestritten in manchem coolen Film mitgespielt. Die Frage ist nur: Warum? Hätte man nicht einen Schauspieler verpflichten können? Musste es ausgerechnet ein bockiger Brüllaffe mit Igelfrisur sein? Nuancen kennt Fujiwara keine. Jede Verletzung ist ein brüllender, fäustereckender Heulkrampf. Jede Freude ist ein brüllender, bodenrollender, bauchhaltender Lachkrampf.

Menschen, die ihr ganzes Leben nie aus Wanne-Eickel herausgekommen sind, wissen mitunter nicht, dass Menschen anderer Kulturkreise einen anderen gestischen und mimischen Ausdruck pflegen als Horst Tappert, und bezichtigen deshalb häufig asiatische Schauspieler generell des Überagierens. Diesen Grundsatzfehler begehe ich keineswegs. Ich bezichtige nur Tatsuya Fujiwara des Überagierens. Er ist mit knapp 30 schauspielerisch bereits da, wo Al Pacino und Grandpa Simpson erst mit zunehmender Alterschwerhörigkeit hingekommen sind. Wo soll das noch enden? Fujiwara ist in Japan auch als Bühnenschauspieler ein ominös gefragter Mann. Bislang hat ihm noch niemand gesagt, dass man vor der Kamera nicht jeden Ausdruck hubbleteleskopartig vergrößern muss.

Leider erschließt sich mir auch abgesehen vom Talentmangel nicht, warum Mädchen wie Männer für Moppel-Igel schwärmen. Es gibt viele Backfisch- und Jungspund-Idole, bei denen ich die Schwärmerei zwar nicht praktisch teile, aber theoretisch nachvollziehen kann. Hier jedoch – nichts! Fujiwara hat kein Charisma, ist nicht cool, weder männlich noch lustig. Da ist nur diese irritierende Igelfrisur und das Gebrüll.

Ende der Brandrede.

Wie komme ich jetzt überhaupt drauf? Ach ja, gestern sah ich Incite Mill, den neuen Hideo Nakata. Durchaus pfiffige Unterhaltung im guten, alten Sci-Fi-Splatter-Stil, der Agatha Christie so berühmt gemacht hat. Wermutstropfen vielleicht das unbefriedigende Ende. Und natürlich Brülligel.

Godzilla vs. Hachiko

Seit rund 13 Jahren würde ich nun Tokio als Herzensheimat bezeichnen und war eigentlich der Meinung, das touristische Pflichtprogramm in der Frühphase unserer Beziehung abgeleistet zu haben. Umso erstaunter war ich kürzlich, wie zufällig auf dieses Denkmal zu stoßen, von dem ich nie gehört oder gelesen hatte:

Es befindet sich in der Nähe des Kinos Chanter Cine in Hibiya, wo meine Begleitung und ich gerade in der kichernden Ladies Night Der Gott des Gemetzels gesehen hatten, was zu meiner Überraschung nichts mit Godzilla zu tun hatte, aber trotzdem ganz gut war. Die Statue ist nicht viel größer als die verhuschte Huldigung der Stadtmusikanten, die Bremen für ausreichend hält (eher kleiner). Ich würde in beiden Fällen auf Lebensgröße plädieren, doch kommt es vielleicht gar nicht auf die Größe an, sondern auf die Perspektive. Meine Begleiterin, eine unermüdliche Wahrheitssucherin und Mythenzerstörerin, insistierte, dass ich die Statue so fotografiere, wie sie ist, also in augenhoher Relation zu ihrer Umwelt. Ich hingegen muss darauf bestehen, dass Godzilla so fotografiert werden muss, wie Godzilla fotografiert werden muss. Leider ist mir das rückblickend doch nicht ganz gelungen.

Wieso ist dieses Denkmal in keinem Reiseführer erwähnt, das des treuen Hundes Hachiko aber in jedem? Ich möchte nicht Hündchen gegen Saurier ausspielen (die headline ist nur ein attention grabber, auf gut Deutsch gesagt), aber es wird ja niemand ernsthaft bestreiten wollen, dass Godzilla in der japanischen Folklore einen mindestens ebenbürtigen Stellenwert einnimmt.

(Hachiko eingescannt von einem alten Papierabzug aus meinem Spiegelreflexschnappschussprivatarchiv – es gibt sie noch, die guten Dinge.)

Mir fehlt zu diesem Zeitpunkt die Muße, die ganze Geschichte des treuen Hundes Hachiko wiederzugeben. Bitte lesen Sie sie in meinem Buch, oder sehen Sie den Film mit Richard Gere. Ich meine den Hachiko-Film mit Richard Gere, nicht die Verfilmung meines Buches mit Richard Gere.

Papier ist das neue Vinyl

In letzter Zeit ertappe ich mich häufiger dabei, wie ich mit Vergnügen wieder gedruckte Bücher lese.

Keine Sorge, dies wird nicht der 2.587.325ste Klagegesang über den Verlust von Haptik und Geruch beim Lesen.

Okay, irgendwie doch. Aber nicht ganz so kläglich wie bekannt, hoffe ich. Denn eigentlich bin ich ein vehementer Verfechter des E-Buchs. Ich würde sogar sagen: Ich bin ein Very Early Adopter des E-Readings, man. Obwohl ich sonst auf jede ganz offensichtlich großartige Innovation erst mal typisch deutsch reagiere: Bah, braucht kein Mensch, diesen Mist. Dafür geben die da oben also unsere Steuergelder aus. Der Ehrliche ist der Dumme, sage ich euch.

Dem elektronischen Buch war ich dennoch von Anfang an gewogen. Mal Hand aufs Herz: Ein Buch, das nur gefällt, wenn es riecht und schubbert, ist vermutlich kein allzu gutes Buch. Ein bisschen sollte bei Büchern auch auf inhaltliche, womöglich sogar literarische Qualität geachtet werden. Ich finde es schön, dass das Buch nun aus seinen Deckeln befreit wurde, und wie ein kleines Vögelchen mit manchmal noch unsicherem Flügelschlag (total süß, muss man sich mal vorstellen) von Gerät zu Gerät flattert und piept: „Lies mich! Lies mich! Lies mich auf dem Lesegerät! Lies mich auf dem Telefon! Lies mich auf dem Walkman! Lies mich auf dem Heimcomputer! Lies mich überall! Ja, ich will es! Ich muss mal von vorne bis hinten so richtig durchgelesen werden! Piep-piep!“

Sagte ich: Very Early Adopter des E-Readings, man? Möchte sogar sagen: Pioneer des E-Publishings, dude. In grauer Vorzeit sprach mich mal ein junger österreichischer Selfmade-Powerplayer an, der meinte, dass Handy-Literatur (also Literatur auf dem Handy, nicht Literatur über das Handy) das Nächste Große Ding sei, und er die Technologie für den Vertrieb hätte. Ich glaubte ihm, weil in Japan lief das schon wie verrückt. Da musste ich nur Manga und Sushi und eins und eins zusammenzählen und überließ ihm ein Schubladenmanuskript, das sogleich in vier Teilen als Handy Novel feilgeboten wurde.

Glücklicherweise hatte ich meine Arbeitsstelle nicht im gleichen Moment gekündigt. Der ersten (und letzten) Jahresabrechnung war später zu entnehmen, dass der erste Teil zweimal kostenpflichtig heruntergeladen worden war (einmal von mir), und die anderen gar nicht.

Inzwischen hört man vermehrt von E-Buch-Millionären, also startete ich jüngst einen erneuten Versuch, mit demselben Manuskript, aber unter anderem Namen. Millionär, das wär was. Veröffentlicht wurde überall dort, wo solche E-Buch-Millionäre halt ihre Millionen machen.

Das ganze brachte mir nur (sehr) geringfügig bessere Verkäufe als bei meinem ersten Experiment, aber immerhin schriftlichen Kontakt zu einem anderen selbstverlegenden Autoren, einen aufgeregten Fantasy-Pornografen, der mich in die große Weltverschwörung einweihte: All diese angeblichen erfolgreichen Selfmade-Literaten aus den Spiegel-Online-Artikeln und Buchmesse-Diskussionsrunden kauften ihre Bücher in großen Stückzahlen selbst, um hohe Platzierungen in den Charts der Verkaufsplattformen zu erklimmen, und ließen ihre begeisterten Kundenrezensionen ebendort von Mitverschwörern fälschen beziehungsweise erledigten auch das gleich selbst, und und und das sei voll fiese. Damit hatte der aufgeregte Fantasy-Pornograf natürlich in allen Punkten recht, nur fehlt mir bei diesem Thema angesichts schlimmerer Nachrichten aus aller Welt das Erregungspotenzial.

Jetzt schreibe ich wieder nur übers E-Buch. Dabei sollte es mir doch darum gehen, dass gedruckte Bücher auch ganz gut sind. Am besten wäre allerdings beides; wenn man ähnlich wie bei vielen Blu-rays, DVDs und Vinyl-Schallplatten zum Kauf eines physischen Buchprodukts gleich das metaphysische dazubekäme. Bei Schallplatten beeinflusst das durchaus meine Kaufentscheidung. Ich bin inzwischen trotz langer Befürwortung vom reinen Download abgerückt. Nicht aus Altersstarrsinn (medizinischer Fachbegriff: Nostalgie), sondern aus Altersgedächtnisschwäche. Wenn ich etwas nur als Datei kaufe, vergesse ich es häufig am nächsten Tag und bis in alle Ewigkeit. Schallplatten und CDs hingegen liegen irgendwo rum, irgendwann findet man sie wieder und freut sich über die heiße Mucke. Die Mehrkosten sind für einen zukünftigen E-Buch-Millionär kein Thema. Aber zusätzlich digital möchte ich die Musik trotzdem haben, weil es praktischer ist und genauso klingt. Wer ernsthaft findet, dass das nicht so ist, bildet sich was ein oder setzt beim Musikhören die falschen Prioritäten. Bei Filmen derweil ist mir die digitale Kopie schnurz. Welcher ernsthafte Filmfreund mit einem klitzekleinen Funken Selbstachtung schaut Filme auf den Minimonitoren mobiler Geräte? Früher sagte man dazu Hörspiel. Wenn ich auf einer Filmverpackung ‚inklusive Digital Copy‘ lese, falle ich wieder zurück in meine tiefdeutsche Seele und maule: Hoffentlich zahle ich für diesen Quatsch nicht extra …

Apropos typisch deutsch: Viele hier sind ja der irren Auffassung, es gehöre zu ihren unveräußerlichen Menschenrechten, dass sie mit einem Produkt machen können, was sie wollen, nur weil sie es gekauft haben. Zum Beispiel 10.000 exakte Kopien, falls mal 9.999 kaputtgehen. Und wenn man diesen Menschen sagt, sie sollen nicht albern sein, werden sie bockig. Ich will mitnichten darauf pochen, dass ich als Buchkäufer ein Recht auf alles Mögliche hätte. Freuen würde mich aber ein Entgegenkommen seitens der Verlage in der o.g. Angelegenheit schon. Ich schlackere allerdings mitunter mit den Ohren, welche Rechte ich tatsächlich bereits habe. Vor ein paar Jahren war mir aus einer Laune heraus nach elitärem Bezahlfernsehen. Als das vorne und hinten nicht funktionierte, ließ ich einen Techniker kommen, der ebenfalls ratlos vor der Dose stand und mir mit vor Pathos bebender Stimme auftrug, ich möge mich an meinen Vermieter wenden, denn: „Sie haben ein Recht auf digitales Fernsehen!“ Da wurde mir gleich ganz patriotisch in der Brust. Ich fand es eigentlich schon vergleichsweise ausreichend, in einem Land zu leben, in dem ich ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, Nahrung, Wasser, Wärme und Würde habe. Huch, ich hätte fast Würste statt Würde geschrieben.

Christian Krachts gegenständlich und inhaltlich schönes neues Buch Imperium gibt es nicht digital [korrigiere: gibt es mittlerweile wohl]. Dieses war eines von einigen Büchern, die mich in jüngster Zeit vermehrt zurück zum gedruckten Buch ge- beziehungsweise verführt haben. Das hat nur bedingt mit der hübschen Umschlaggestaltung, dem guten Material und dem geschmackvollen Schriftbild zu tun. Hätte das Buch, zum Beispiel, 1056 Seiten, wie, zum Beispiel, der neue Stephen King, wäre mir das Südsee-Cover, das Lesebändchen und der sonstige Manufactum-Klimbim nach 20 Seiten herzlich schnuppe gewesen, und ich hätte mich umgeschaut, ob nicht irgendwo im Internet eine Sicherheitskopie abliegt (nicht aufregen, rechtmäßig bezahlt hätte ich ja bereits). Das Buch hat allerdings genau 800 Seiten weniger und fällt somit in den Bereich, in dem ein Buch als Buch lesenswerter ist denn als E-Buch. Da Literatur in Deutschland häufig in Pfund gemessen wird, spricht mancher verhalten abfällig über den vermeintlichen Mangel an Umfang dieses Werkes. Ich aber sage: Das ist genau der richtige Umfang! Büchern, die 400 Seiten deutlich überschreiten, sollte man misstrauen, sie sind im Regelfall geschwätzig und unliterarisch. Ausnahmen gibt es, allerdings nur selten (siehe besagten letzten King). Als Faustregel könnte man aufstellen: King digital, Kracht gedruckt. Es würde mich nebenbei sehr wundern, dieses Jahr noch zwei bessere Bücher zu lesen als diese beiden. Ich werde es trotzdem versuchen.

Warum dann nicht Kracht auch gleich digital, wenn E-Bücher so toll vögelchenflatterhaft sind? Weil man nach jahrelanger E-Lektüre feststellt, dass das Lesen am Lesegerät auf Dauer etwas unangenehm Gleichmacherisches hat. Meines simuliert zwar das Buch als Konzept nahezu perfekt, nur ist es sinnlich immer dasselbe Buch. Nun ist jedes Buch eine eigene Welt, da haben die Phrasendrescher ausnahmsweise recht. So zermürbt es zusehends, wenn die Verpackung bei allen gleich ist, denn die gehört zum Weltendesign dazu.

Warum dann nicht gleich nur noch gedruckt, ging schließlich früher auch? Das ist auch doof. Dass etwas früher ging, bedeutet ja nicht, dass es heute nicht besser gehen darf. Kein Lesegerät schlägt die Haptik eines kompakten Buches, aber jedes Lesegerät schlägt die Haptik eines Backsteins. Darüber hinaus ist Abwechslung eine schöne Sache. Nach vielem Gedruckten freue ich mich jedes Mal, wenn ich als Leser den Reader wieder zur Hand nehmen darf, mitunter sogar für spindeldürre Lektüren.

Ich teile übrigens nicht die häufig gehörte Kompromissauffassung, das E-Buch-Format sei schön und gut für flüchtige Trendlektüre, aber Lebensbücher müssten auf jeden Fall gedruckt und schwer im Regal ächzen. Würde direkt sagen: Eher im Gegenteil. Meine E-Bücher habe ich so gut wie immer komplett bei mir, quasi nah am Herzen, sie werden garantiert auch jede Lebensraumverschiebung mitmachen. Meinen Druckbüchern kann ich diese Garantie nicht ausstellen.

Zur Causa Kracht fällt mir außerdem ein, falls ich mal kurz über mich selbst sprechen darf: In meinem eigenen Buch Gebrauchsanweisung für Japan habe ich neulich auf Seite 145f. zu meiner Empörung diese Textstelle gefunden:

Nie würde ich auf die Idee kommen, eine Postkarte mit folgendem Wortlaut zu verfassen: „Hallo Mami, bei den Schlitzaugen gefällt es mir wie immer gut, liebe Grüße aus Yokohama.“

Herr Diez, übernehmen Sie! Lassen Sie das nicht so stehen! Bitte reißen Sie das markierte Wort sofort aus dem Zusammenhang (es ging um Langnase und andere Schmähwörter) und schreiben Sie einen entlarvenden Gedankengutartikel für ein auflagenstarkes ‚Nachrichten‘-Magazin. Ich könnte noch ein paar verkaufte Einheiten gebrauchen zur Finanzierung meines Bibliothekanbaus.

Und zur Causa Causa fällt mir ein, dass das ein ganz schreckliches Modewort ist, für dessen Verwendung ich mich in aller Form entschuldige. Wann ging das eigentlich los, dass alles Causa sein muss? Kachelmann?

Ist auch egal, zurück zum Thema: E-Bücher sind gut, P-Bücher sind gut, alles ist gut. In umsichtiger Dosierung. Mein einziges größeres Problem mit dieser ganzen E-Buch-Geschichte sind meine kulturpessimistischen Bedenken, dass kommende Lesegenerationen nicht mehr zwischen richtigen (also von kompetenten Fachkräften sorgfältig ausgewählten, betreuten, redigierten und gestalteten) Büchern und selbstverlegten Egotrips werden unterscheiden können. Viele haben schon jetzt Schwierigkeiten damit. Leider sind 99,9% der sogenannten Indie-Autoren (Euphemismus für unverlegte Egotripper) geistige Geschwister einer drolligen Nebenfigur aus dem Film Schmeiß die Mama aus dem Zug. Es ist mehr als 20 Jahre her, dass ich den gesehen habe, ich bin also alles andere als zitierfest. Es gibt da jedenfalls einen Herrn in einem Creative-Writing-Kurs, der ganz stolz ist auf sein Epos 200 Frauen, die ich gerne schweinigeln würde. Wie gesagt: Ist etwas her. Vielleicht sind es mehr oder weniger Frauen, vielleicht ist der Titel im Detail ein wenig anders. Aber die Kernaussage stimmt. Heute bleibt derlei leider nicht hinter den Mauern der Erwachsenenbildung gefangen, sondern wird direkt ins Netz geschweinigelt.

Verlage sind nicht Feinde der Autoren, sondern Freunde der Leser. Es kann selbstredend gut sein, dass hin und wieder ein Autor eines tatsächlich brillanten Werkes nicht mal den kleinsten seriösen Kleinstverlag von einer Veröffentlichung überzeugen kann. Dann ist es ein potentieller Gewinn für die Welt, dass es Selfpublishing gibt. Leider wird die Welt aber von diesem einen brillanten Werk gar nichts mitbekommen, denn sie ertrinkt in abertausenden Schweinigel-Titeln. Möglich, dass sich dieses Missverhältnis beizeiten selbst reguliert. Sehr zuversichtlich bin ich jedoch nicht; Qualität setzt sich äußerst selten durch.

Oh je, jetzt ende ich mit gesenktem Blick und geschürzter Unterlippe, dabei sollte es um erfreuliche Dinge gehen. Lesen wir zur Zerstreuung ein wenig Trivialliteratur, zwei gelungene Exemplare der Gattung habe ich unlängst besprochen (als E-Bücher, gibt’s aber auch so):

Neil Cross: Luther – die Drohung

Jeffery Deaver: Carte Blanche

Nur noch 42,195 Kilometer mehr

Die gute Nachricht: Der erste Lauf des Wochenendes ist geschafft.

Leider war es erst der 2-Kilometer-Spaßlauf International Friendship Run. Der 42,195-Kilometer-Spaßlauf Tokyo Marathon folgt morgen. Damit jeder noch eine faire Chance hat sich rechtzeitig etwas wegzuholen, fand der Friendship Run im strömenden Regen statt. Das ist beruhigend, denn genau das hat der Wetterbericht vorausgesagt. Möglicherweise ist dann auch der positive Bescheid für morgen korrekt.

Sorgen Sie sich nicht, wenn ich mich nicht sofort nach Zieleinlauf melde, ich nehme den Computer wohl nicht mit. Sollte aber dennoch etwas passieren, wollte ich eben noch diese Besprechungen bei Ihnen abgeben:

Stephen King: Der Anschlag

Aftershock

Chatroom

Morituri te salutant

Ich habe eine offizielle Bekanntmachung zu verlesen:

Es ist zu kalt!

Es ist zu kalt für die heiße Phase eines anständigen Marathontrainings, zumindest so lange man kein norwegischer Ultra-Marathon-Veteran ist. Und zu viel Schnee ist auch, vor allem in den Schuhen. Ich hatte den Verdacht schon länger, wollte es aber nicht wahrhaben und bin stur weiter gelaufen, genau wie meine Nase. Dann hat die Grippe geschafft, wozu die Vernunft nicht imstande war: Das Angeber-Trainingsprogramm langfristig zu unterbrechen. Es geht mir schon wieder besser, aber ich werde in den nächsten zwei Wochen nicht aufholen können, was ich in den letzten zwei verpasst habe. Ich werde am 26. Februar trotzdem erst mal loslaufen, ist schließlich alles schon organisiert. Ich bin nur etwas kleinlauter in der Benennung meiner Erfolgsaussichten. Mein ursprünglicher Plan war es, den Tokyo Marathon in erster Linie mithilfe eines rigorosen 10-Wochen-Intensivtrainings zu absolvieren. Mein neuer Plan ist, den Tokyo Marathon in erster Linie mit Gottvertrauen und gutem Willen zu schaffen. Denn der Wille ist noch da, ich bin weiterhin hoch motiviert. Aber ich weiß auch, dass Kopf eben nicht alles ist, egal was die Motivationsseminarspinner sagen. Bein ist auch wichtig, und meine Beine haben in den letzten Tagen mehr Zeit auf der Couch als im Park verbracht.

So eine Grippe hat natürlich auch enorme Vorteile. So weiß ich inzwischen wirklich alles über die Entstehung aller Alien-Filme, und ich habe schon die komplette BBC-Krimiserie Luther gesehen, die Sie ab Sonntag sehen werden.

Wenn sie Ihnen nicht auf Anhieb gefällt, gucken Sie gefälligst nächste Woche wieder rein. Solange bis es Ihnen gefällt, hat bei mir auch geklappt. Ich habe am Sonntag frei und kann endlich Vier Fliegen auf grauem Samt schauen, aber Sie haben die erste Staffel Luther als Hausaufgabe. Die zweite ist freiwillig, weil die nur für Zuschauer mit Nerven wie Drahtseile ist. Will sagen: Die erste Staffel hat mir gut gefallen, aber erst bei der zweiten musste ich öfters fast heulen vor Glück. Lag vielleicht auch an den Medikamenten, aber höchstens ein bisschen.

Apropos irgendwas (mir fällt gerade keine Überleitung ein): Sie erinnern sich an Megumi Sakurai? Ich mich an manches leider zu gut. Da Megumi mitunter Poesie in deutscher Sprache schreibt, hatten wir es schon lange locker ins Auge gefasst, ein paar ihrer Gedichte hierzulande in Umlauf zu bringen. Mit ein wenig Hilfe meinerseits und viel Engagement der Herausgeberin Andrea Herrmann ist nun das Gedicht „Mädchen in dem grünen Wald“ in der aktuellen Ausgabe der Lyrik-Zeitschrift Veilchen erschienen, ein weiterer Text folgt in der nächsten Ausgabe. Lesen Sie mal wieder ein Gedicht. Hat mir auch nicht geschadet.

Was uns von Tieren unterscheidet, ist eklig

Seit es Mensch und Tier gibt, stellt sich der Mensch die Frage: Was ist der Unterschied? Meine Antwort wäre, dass der Unterschied darin besteht, dass Tiere sich diese Frage nicht stellen. Aber das ist unwissenschaftlich. Wer weiß schon, welche Fragen einen Nacktmull den lieben langen Tag lang beschäftigen (oder sind die nachtaktiv?).

Tiere haben keine Seele, sagen die einen. Tiere haben keinen Humor, sagen die anderen. Das eine ist keine Basis für eine vernünftige Diskussion, das andere wurde inzwischen widerlegt (durch Forschung, nicht durch Ronny’s Popshow). Die früheren Annahmen, Tiere würden keine Werkzeuge benutzen, könnten nicht treu und nicht homosexuell sein, gelten ebenfalls als überholt.

Ein Mensch sagte mir einmal, der Unterschied zwischen uns und Tieren sei eine gute Handschrift. Ich weiß aber nicht, wie das gemeint ist. Meine Handschrift ist nicht wesentlich besser als die meines Wellensittichs selig. Aber ich bin ein menschliches Wesen!

Einen nachvollziehbaren neuen Ansatz vertritt Dr. Rachel Herz in ihrem neuen Buch That’s Disgusting: Der Unterschied zwischen Mensch und Tier sei der Ekel. Tiere finden nichts eklig. Der Ekel im Menschen hingegen sei angeboren, nicht etwa, wie man meinen könnte, ein gelerntes Zivilisationswehwehchen. Wovor man sich genau ekelt, mag erziehungsabhängig sein, aber gewisse Ekelauslöser, insbesondere bezüglich Verwesung und Fäulnis, seien laut Herz kulturübergreifend zu finden, auch wenn auf Sardinien Käse erst als köstlich gilt, wenn er von Maden verspeist, verdaut und wieder ausgeschieden wurde, und Japaner verschimmelte Sojabohnen futtern wie andere Menschen Popcorn (ich finde beides eklig). Das Buch gefällt mir so gut, dass ich schon jetzt davon schwärme, obwohl ich es noch gar nicht gelesen habe, sondern nur eine ausführliche Besprechung in der, öhöm, New York Times Book Review.

Dr. Herz erzählt nicht nur davon, dass die ordnungsgemäße Benutzung eines Geldautomaten ein höheres Gesundheitsrisiko birgt als das Ablecken eines Klositzes im Cinemaxx (mache ich trotzdem nicht, aber ich werde fortan wohl mehr mit Karte zahlen), sondern sie erzählt selbstverständlich auch von Horrorfilmen. Überrascht hat mich, dass Mädchen laut der Autorin Horrorfilme oft als Mittel zum Zweck benutzen: Wenn ich das brav durchstehe, kann ich hinterher den Typen klarmachen. Ich hielt das für eine sehr männliche Strategie; genau so sind ich und die anderen Typen früher an Dirty Dancing und Pretty Woman herangegangen.

Apropos Woman (puh, endlich den Bogen zu dem Thema gekriegt, auf das ich eigentlich hinaus wollte). Ich liebe Horrorfilme mehr als irgendwelche anderen Filme, aber im fortgeschrittenen Alter hat sich mein Geschmack verlagert vom wilden und gefährlichen Grenzbereichhorror zum sicheren, vorhersehbaren Mainstreamhorror. Überhaupt habe ich erst wieder Spaß am Kino, seit ich akzeptiert habe, dass es sich um Unterhaltung handelt, nicht um Kunst oder Religion. Mein früheres Ich würde meinem heutigen Ich wohl die Freundschaft kündigen, aber was weiß mein früheres Ich schon. Man gebe mir eine neblige Gespenstergeschichte oder einen schlecht ausgeleuchteten Thriller über einen Serienmörder-von-teuflischer-Intelligenz, und ich bin glücklich. Meine Horrorfilme sollen Wohlfühlfilme sein. Extrem-Party-Splatter reizt mich nicht mehr, weil ich nicht mehr so viel trinke. Aufgekratzte Blut- und Sperma-Provokation mit Kunst- oder Anti-Kunst-Attitüde (beides dasselbe, das zweite ist nur verblasener) brauche ich nicht mehr, weil ich schon groß bin.

Man komme mir auch nicht bei jedem Brüll-Film mit dem Macker-Argument: „So ist eben die Realität!“ Ich sage: Das kannst du gar nicht beurteilen, Kleiner. Zu behaupten, das ganze Leben sei ein Jack-Ketchum-Roman, ist, als würde man behaupten, das Leben sei wie eine Komplettbox Die Waltons. Das eine ist so verlogen wie das andere, und keine von beiden Weltanschauungen ist gehaltvoller oder tiefgründiger als die andere. Es gibt Leid, Gewalt und Verzweiflung auf der Welt, und es gibt menschliche Wärme, grüne Weiden und flauschige Daunendecken. Menschen, die die Muße haben Filme zu schauen, werden mehr Begegnungen mit Daunendecken haben und erfahren in den wenigsten Fällen mehr Gewalt in ihrem Leben als eine Schulhofschlägerei aus der Ferne.

Meine Abkehr von der dunklen Seite des Horrorfilms hat zur Folge, dass mir Filme wieder Angst machen. Zumindest, bevor ich sie sehe. Ich habe aus erwähnten Gründen nicht mehr das Bedürfnis jeden Film zu schauen, den der Buschfunk gerade als das neue Ultimo in Sachen Blutrünstigkeit und Erniedrigung ausruft, aber manchmal bin ich doch neugierig. Dann steigere ich mich vorab oft in Erwartungshaltungen hinein, die schwerer zu ertragen sind als die Filme selbst. So musste ich bei der französischen Folter-Meditation Martyrs (Ultimo 2008) tatsächlich vorzeitig das Kino verlassen, weil mir ganz schlecht war von der Vorstellung, dass mir schlecht werden könnte. Dabei ging der Film eigentlich bis dahin. Und der Rest des Films ging auch, wie ich beim zweiten, erfolgreichen Versuch feststellte. Es ist ein schöner Film über den Lohn des Leidens, eingepackt in eine reichlich alberne Verschwörungsstory, der mir eine gute Inspiration beim Dauerlauftraining geworden ist. Es ist kein Film, den ich als Valentins- oder Muttertagsgeschenk empfehlen würde, aber mich hat er inhaltlich angesprochen, und meine Ekeltoleranzschwelle hat er nicht überschritten. Richtig eklig ist Ekliges nämlich erst, wenn die Beweggründe eklig sind. Das Eklige in Martyrs aber ist unverzichtbarer Teil der Erzählung und kein ekliger Voyeurismus.

(Trailer nicht für jeden.)

Ähnlich feige herumgeschwänzelt bin ich lange um The Woman (Ultimo 2011). Bekannt wurde der Film durch ein vermutlich inszeniertes Viralvideo, in dem sich am Rande der Premiere ein angeblicher Zuschauer angeblich sehr aufregt:

Die Handlung (Anwalt und Familie halten eine verwilderte Frau im Schuppen gefangen) hatte mich nicht sonderlich angesprochen, aber ich vertraue dem Regisseur Lucky McKee und der Hauptnebendarstellerin Angela Bettis seit ihrer herzergreifenden Splatter-Dramödie May.

Gestern bin ich den seit rund zwei Monaten hier herumliegenden Film endlich angegangen, und es war ein weiteres Martyrs-Erlebnis, nur diesmal ohne Fehlversuch. Lucky McKee selbst bezeichnet The Woman als Horrorfilm, also akzeptiere ich das. Meine Wahrnehmung ging allerdings von Anfang an eher in Richtung einer Steigerung von American Beauty. Viel interessanter als die körperlichen Qualen, die in The Woman durchaus vorkommen (wenn auch weniger prominent und explizit, als es das Raunen auf allen Kanälen impliziert), ist die seelische Verfassung der Anwaltsfamilie. Wenn man den Film mit „Yeah! Eklig!“-Gebrüll besser verkauft, soll es so sein. Yeah-Eklig-Fans müssen sich aber darauf einstellen, etwas zu sehen zu bekommen, was sie vielleicht noch nie zuvor gesehen haben: ein satirisches, oft enervierend stilles, sehr fein beobachtetes und inszeniertes Familiendrama. Freunde von fein beobachteten Familiendramen hingegen sollten sich drauf einstellen, dass hin und wieder ein Gesicht abgebissen wird.

Neulich im Schloss

Sollten Sie es am vergangenen Wochenende nicht ins Schloss Schönebeck zu meinem Vortrag zum Thema Manga und meiner Lesung zum Thema Niedlichkeit geschafft haben, trösten diese seltenen Dokumentaraufnahmen Sie vielleicht ein wenig (oder legen die Bilder den Finger etwa noch tiefer in die Wunde?!).

Entgegen anders lautenden Gerüchten spiele ich auf diesem Foto keineswegs Klavier (vielleicht beim nächsten Mal):

Im Dunkeln ist meine Hello-Kitty-Krawatte noch schlechter als solche (oder überhaupt) zu erkennen, als ohnehin schon.

Man zwang mich auch zum Wiegen auf der schlosseigenen Kitty-Waage:

Gottlob wiege ich nichts mehr, seit ich im Training bin.

Ich bedanke mich bei allen, die gekommen sind, und selbstverständlich ganz besonders bei allen, die an beiden Abenden gekommen sind, obwohl der Eintritt kein Pappenstiel für Taschengeldempfänger war. Ich bin ganz ehrlich noch immer ganz gerührt.

Die Zeitung war netterweise auch da. Im guten alten journalistischen Stille-Post-Spiel können schon mal Zahlen durcheinandergewirbelt und Aussagen grob verallgemeinert werden – das sehe ich nicht eng, merke aber trotzdem an, dass ich jede Schuld von mir weise.

Dafür verbürge ich mich für die Richtigkeit der Angaben in meiner filmischen Altjahresansprache.

Sie werden mich noch kennenlernen

… wenn Sie am übernächsten Wochenende im Bremer Schloss Schönebeck sind. Anlässlich des dortigen Japanischen Frühlings übernehme ich an zwei Tagen das Abend-Infotainment. Jeweils der erste Teil besteht aus gesprochenen Worten und visuellen Hilfsmitteln, danach gibt es jeweils einen Film, den ich zwar selbst ausgesucht, aber nicht selbst gemacht habe (keine Sorge).

Weitere Details auf der Live-Seite meiner Homepage.

Apropos Homepage: Waren Ihnen bisher meine zu Tode gephotoshopten Kindheitsbilder ebendort ein Dorn im Auge, so wird es Sie über alle Maßen freuen, dass ich auf der Kontakt-Seite und der Biografie-Seite soeben neue Bilder eingepflanzt habe, die die nackte Wahrheit zeigen (ich selbst bleibe angezogen).

Es ist offiziell: Fips Asmussen übernimmt „Wetten dass ..?“

Huch, war doch nur ein Traum. Ein Traum, der im harschen Licht der Leselampe zerplatzt wie eine Seifenlase an einem Amboss, auf dem ein Dunkelgnom eine Schattenklinge schmiedet, in einem scheußlichen Fantasy-Roman voller misslungener Metaphern.

Ich habe Wetten dass ..? nicht mehr gesehen, seit Frank Elstner das nicht mehr macht. Dass das so ein junger Luftikus mit langen Haaren übernommen hat, kann ich bis heute nicht gutheißen. Wenn es mit dem deutschen Fernsehen so weitergeht, dann haben wir bald amerikanische Verhältnisse, wo jeder zehn oder sogar zwölf Sender empfangen kann und die Kinder Coca-Cola trinken dürfen.

Gestern aber wollte ich mal nicht so sein, es ist schließlich Weihnachten, und mal wieder in die beliebte Samstagabendshow hineinschauen. Leider bin ich nach fünf Minuten erneut eingenickt und dabei wohl an der Fernbedienung aufgeschlagen, aber jetzt weiß ich, wie es wirklich ist: Pierce Brosnan übernimmt Wetten dass ..?! Und Thomas Gottschalk wird der neue Bond, in Doppelmoderation mit Mike Krüger, der auch den Song zum neuen Agenten-Abenteuer GoldNasen einsingen und sich dabei auf der Gitarre begleiten wird.

Ansonsten gibt es zu gucken und zu lesen:

Black Butler 1

Tom Rob Smith: Agent 6