Japanischer Stehsatz (3): Drag My Mini Munny To Hell

Vor kurzem sah ich die Gruselklamotte Drag Me To Hell im Fernsehprogramm oder von DVD, ich weiß nicht mehr, sie war gut oder schlecht, ich weiß nicht mehr. Ich weiß nur noch eins, Sie haben es bestimmt schon erraten: Die Heldin, wenn man die unsympathische Schnepfe so nennen möchte, hat einen Mini-Munny-Aufkleber auf dem Armaturenbrett ihres Privatwagens. Damit gehört sie wohl zur kleiner als geplanten internationalen Gemeinde der Mini-Munny-Besitzer. Raten Sie mal, wer noch.

Der Mini Munny ist kein japanisches Produkt, aber er passt dort bestens hin. Ich habe meinen während eines spontanen Kurztrips nach Tokio im letzten Jahr gekauft. Nur kurz zur Omotesando, ein bisschen teuren Quatsch kaufen, schnell wieder wegfliegen und rechtzeitig zu Hause sein, bevor Monk anfängt. Ich wollte eigentlich zeitnah hier von meinem Mini Munny erzählen, aber ich kannte damals noch Schamgrenzen. Gekauft habe ich ihn übrigens im MoMa Store, einem wunderbaren Pop-Art-Schnösel-Refugium in Harajuku, wenn man mal genug davon hat, heimlich Lolitas zu knipsen oder im Oriental Bazaar verzweifelt und aussichtslos nach Mitbringseln zu suchen, die nicht so aussehen, als hätte man sie im Oriental Bazaar gekauft.

Ein Mini Munny ist eine potenziell niedliche Figur mit großem Kopf und kleinen Körper, aber ansonsten ohne alles, denn man muss sie selbst anmalen, mit Gesicht und Ausdruck und Kleidung und was ein Mini Munny noch so braucht.

In der optisch und haptisch schönen gelben Pappschachtel befindet sich der Munny selbst in der gewählten Farbe (ich: Pink natürlich, als alter Gruftie), der benötigte Anmal-Stift, ein seltsamer Aufkleber, ein noch seltsameres ‘Hello-My-Name-Is‘-Kontaktanbahnungsnamensschild nach amerikanischen Vorbild (für Gemeindetreffen der Mini-Munny-Besitzer?) und ein Überraschungs-Accessoire (bei mir Mütze).

Vielleicht hätte ich mit dem Anmalen warten sollen, bis ich zu Hause bin und Kaffee getrunken habe und ordentlich am Schreibtisch sitze, anstatt gleich im Suff Reisefieber auf dem Hotelbett liegend den Stift zu schwingen. Vielleicht wäre mir dann was Originelles eingefallen, und ich hätte nicht wieder das gemacht, was ich immer mache. Vielleicht hätte ich dann auch nicht die Rückseite so obszön gestaltet, dass ich sie im Internet unmöglich zeigen kann.

Aber ich muss den kleinen Racker wohl lieben, wie er ist. Er steht heut auf meinem Schreibtisch, mit dem Rücken zur Wand. Zwischen dem WordPress-Buch, das ich nie lese, und der Wagner-The Great-Operas-From-The-Bayreuth-Festival-CD-Box, die ich nie höre.

Die nächste Anschaffung, die ich tätige, überlege ich mir ganz, ganz genau.

Die Nachrichten: I’m still here

Hier war in letzter Zeit ein wenig himmlische Ruhe eingekehrt, weil ich meine musikalische Karriere vorantreiben musste (Abb. unten).

Inzwischen habe ich mich aber rundherum rasieren lassen und konzentriere mich wieder ganz auf meine Kernkompetenz: Blöd gucken.

Zuletzt:

The Disappearance of Alice Creed
Gallants
Symbol

Windstruck

Wird fortgesetzt.

Update 3. 11.: Auch das noch!

Sword with no Name
Wir sind die Nacht

Zugabe 10. 12.

The Last Days of Emma Blank
Solomon Kane
The Vampire Diaries
Fast vergessen 2. 1.

14 Blades
Merantau – Meister des Silat
Mulan – Legende einer Kriegerin
The Treasure Hunter
Dracula – Mythen und Wahrheiten (Vorsicht: Buch!)

Nachruf mit Ständchen: HMV in Shibuya

Wie mir erst jetzt bekannt wurde, hat am vergangenen Sonntag die HMV-Filiale im Tokioter Stadtteil Shibuya dicht gemacht. Da darf man schon ein wenig sentimental werden. Ich habe auf den 1400 Quadratmetern viele schöne Stunden meines Lebens vertrödelt, und meine Besuche nahmen mit fortschreitendem Alter eher zu als ab. Bevorzugte ich als wilder, flippiger Endzwanziger noch Tower Records um die Ecke, so zog es mich zuletzt immer mehr zu HMV, wo einen die Deko nicht so anschrie, und man das Gefühl hatte, die Jazz- und Klassik-Abteilungen wären nicht nur der Vollständigkeit halber da. HMV Shibuya bedeutete mir und ungefähr gleichaltrigen japanischen Freunden aus unterschiedlichen Gründen gleich viel. Für meine Freunde war es Anfang der Neunziger Jahre eine der wenigen Möglichkeiten, an heiße Scheiben aus dem Westen zu kommen. Für mich war es Ende der Neunziger nicht der einzige, aber einer der wichtigsten Orte, meine Bekanntschaft mit der japanischen Populärmusik zu vertiefen.

Zuletzt muss ich im Juni dort gewesen sein. Just in diesem Monat wurde das nahende Ende der Filiale verkündet, aber es ist damals an mir vorbeigegangen. Sonst hätte ich bestimmt noch ein anständiges Erinnerungsfoto geknipst. So kann ich nur auf eine typische Shibuya-Crossing-Totale zurückgreifen, wie sie sich im Fotoalbum jedes Tokio-Reisenden befindet:

Besser als mit Fotos erinnert man sich an einen Plattenladen ohnehin mit Musik. Lassen Sie mich nicht lügen, aber ich glaube, die erste CD, die ich mir bei HMV Shibuya gekauft hatte, war das Debütalbum des Kyotoer Pop-Rock-Trios (heute Duo) The Brilliant Green, darauf u.a. „There Will Be Love There“:

Ich besaß zu diesem Zeitpunkt (1999) bereits das gerade erschienene zweite und noch bessere Album Terra 2001, ich meine aber, es anderswo erstanden zu haben. Es freut mich sehr zu berichten, dass am 15. September dieses Jahres nach acht langen Jahren der ersatzbefriedigenden Soloprojekte das fünfte echte Album von The Brilliant Green erscheint. Ich rutsche schon nervös auf dem Stuhl herum. Schade nur, dass ich es nicht bei HMV Shibuya werde kaufen können.

Die letzte CD, die ich mir dort gekauft habe, war kürzlich die ‚Super Best‘-Kollektion der japanischen Funpunk-Institution The Blue Hearts. Sie war günstig, weil gerade eine neue Hitsammlung der rüstigen Stimmungskanonen erschienen war, und nun die 2786 früheren Kompilationen, auf denen exakt dasselbe drauf ist, verramscht wurden. Natürlich mache ich mir jetzt ein wenig Vorwürfe. Hätte ich HMV retten können, wenn ich mir die teure neue CD gekauft hätte? Vermutlich nicht, seien wir nicht albern.

Damit rechnen die Leute ja nur, dass jetzt The Blue Hearts mit ihrem beliebtesten Hit „Linda Linda“ kommen. Hatte ich auch vorgehabt, soviel Servicegedanke muss sein. Aber ich würde The Blue Hearts und den Song überhaupt nicht ohne den Film Linda Linda Linda kennen, in dem eine Gruppe sympathisch drömeliger Schülerinnen versucht, rechtzeitig zum Schulfest eine Rockband zu werden. Ich zeige lieber diese Version. Hat zwar im Gesamtzusammenhang nur noch Apropos-Charakter, aber so apropos-charakterstark muss man schon sein. Apropos: Dies war auch das erste Lied, das ich bei einem Karaoke-Vergnügen auf Japanisch durchzusingen versucht habe. Ich habe aber nur den Kehrreim einigermaßen fehlerfrei hinbekommen.

Satoshi Kons Franzen-Obama-Merkel-Erbsensuppe-Massaker

Manchmal, vor allem freitagnachts, überkommt es mich, und ich mache total abgefahrenen crazy stuff. Jetzt zum Beispiel ziehe ich mir voll den neuen Franzen rein, Alter. Ich tue dies in einer Weise, von der ich hoffe, dass Jonathan Franzen sie gutheißt, oder sie zumindest nicht als Affront und Herabwürdigung seiner Arbeit auffasst. Ich öffne vorher eine Flasche nicht ganz billigen Rotweins, lege eine von meinen beiden Klassik-CDs ein, und wenn ich beim Lesen auf eine amüsante Spitze stoße, halte ich die Finger vor den Mund und mache ein kleines Roger-Willemsen-Hühühü. Yeah, checkt das aus, Kids! Bücher rocken! (Ich hatte übrigens neulich 8 von 10 Punkten im Spiegel-Online-Jugendsprache-Test, hühühü).

Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht: 2001 wurde Jonathan Franzen holterdipolter berühmt, weil er sein Buch Die Korrekturen nicht von Oprah Winfrey loben lassen wollte, und weil es tatsächlich so großartig war, wie alle und Oprah sagten. Seine Haltung brachte dem Autoren seltsamerweise nicht den Ruf eines aufrechten Künstlers ein, sondern den eines elitären Schnösels, und so kamen bald die Kläffer, die die unwahre Behauptung verbreiteten, Die Korrekturen sei in echt gar nicht gut. Wer sich gerne mit vermeintlichen Minderheitenmeinungen brüstet, variierte das Gerücht dahingehend, dass Die Korrekturen bloß überbewerteter Hype sei, Franzens gefloppter Erstling Die 27ste Stadt hingegen ein verkanntes Meisterwerk. Das wäre schön, würde es stimmen, ich habe selbst gerne Minderheitenmeinungen. Tatsache ist aber leider doch, dass Die 27ste Stadt eine einzige Plackerei und Die Korrekturen eine einziges Vergnügen ist.

Bei seinem Neuen, Freiheit, hatte Franzen wieder ungefragt prominente Hilfe bei der Publicity: Barack Obama wurde noch vor offiziellem Erscheinen des Schmökers von geschickt platzierten Paparazzi bei der Lektüre erwischt. Bei Präsident Obama muss ich immer an Kanzlerin Merkel denken, und in diesem Zusammenhang insbesondere an das, was der unsterbliche Christoph Schlingensief mehrfach und richtig über sie gesagt hat, nämlich dass sie völlig kulturlos sei. Sie watschelt zwar mitunter fröhlich in Bayreuth und Salzburg herum, verfügt aber merklich in keinster Weise über das Rüstzeug oder auch nur das Interesse, das zu verarbeiten, was sie dort sieht und hört. Und das stört mich ungemein, denn sie ist ja auch meine Kanzlerin. Ich habe sie nicht gewählt, das war der Bundestag, aber ich erkenne das Wahlergebnis an. Über ihre Politik kann man sich nicht großartig aufregen, die ist halt, wie Politik so ist: Mal so, mal so. Frisur, Fashion und Physiognomie auch schnurzpiepe, ich zitiere frei Max Goldt: Ich wünsche mir keine hübsche Kanzlerin, ich wünsche mir eine gute Kanzlerin. (Vielleicht war es auch nicht Max Goldt, und vielleicht ging es auch ganz anders. Hauptsache, die Aussage ist vernünftig.) Und ich wünsche mir eine Kanzlerin, die hin und wieder mit der Nase in einem Buch erwischt wird, vorzugsweise in einem literarischen, oder auf vergleichbare Weise ein Grundinteresse an Kunst und Kultur glaubhaft signalisiert. Faktisch ist sie schließlich mein Staatsoberhaupt, da hat man nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Man komme mir nicht mit dem Papperlapapp von Bundespräsident und Bundestagspräsident. Ich war gerade in Japan stationiert, als sich in Deutschland der letzte Bundespräsident abgeschafft hat. Da habe ich erst gemerkt, wie schwierig es selbst den interessiertesten Zuhörern zu verklickern ist, was ein Bundespräsident soll. Nichts, eigentlich. Auf seiner Abschiedsparty kann man eine interessante Interpretation eines Oldies durch eine Militärkapelle hören, aber ob das den ganzen Verwaltungsaufwand wert ist, weiß ich auch nicht. Kanzlerin und Außenminister hingegen geben nicht nur Musikwünsche ab. Sie vertreten mich im In- und Ausland, und damit fühle ich mich im Moment nicht ausreichend vertreten.

Ach, jetzt habe ich „Christoph Schlingensief“ gesagt, dabei wollte ich doch bis auf Weiteres darauf verzichten, gerade weil die Versuchung dieser Tage so groß ist. Versuchungen widerstehe ich normalerweise mit Genuss, das ist mein Phantomkatholizismus. Jeder, der Schlingensief einmal begegnet ist, erzählt nun gerne davon unter dem Vorwand des Gedenkens. Dabei geht es meist nicht um die Würdigung dieses feinen Mannes, sondern um die Pinselung des eigenen Bauches. Ich, ich, ich bin Schlingensief übrigens auch einmal begegnet. Sie wollen wissen, wie das war? Hm, ach so … Ich erzähle es Ihnen trotzdem. Gut war es, er hat Erbsensuppe gegessen. Ich nicht, ich hatte schon zu Hause gegessen.

Jetzt ist uns in dieser Woche auch noch Satoshi Kon entglitten, der beste Trickfilmregisseur der Welt, einer der kreativsten Filmemacher überhaupt, ganz unabhängig von der Wahl der Mittel. Wir saßen nie zusammen über einer Erbsensuppe. Umso bedauerlicher, dass wir es nun auch nicht mehr tun werden. Zumindest nicht in dieser Welt. Aber bis wir alle gemeinsam von der großen Erbsensuppe des Himmels kosten, erfreuen wir uns hier und jetzt an Satoshi Kons irdischem Werk, ab sofort vielleicht mit ein klein wenig Wehmut. Es ist quantitativ überschaubar, Kon starb niederschmetternd jung, aber qualitativ schier unfassbar. Und so sagen wir im Gedenken alle im Chor:

„Das ist mein Gehirn!“

„Und das ist mein Gehirn auf Anime!“

Mein Kampf (der Titanen)

Unlängst ließ ich mir aus der Videothek zwei Filme kommen, die ich ihrerzeit für einen Kinobesuch als zu unbedeutend eingestuft hatte, Avatar und Kampf der Titanen. Als erstes widmete ich mich Avatar, denn insgeheim konnte ich es kaum erwarten. Nach einer endlosen knappen Stunde aber dachte ich: Also, vergackeiern kann ich mich auch selbst. So zappte ich vorzeitig rüber zum Sandalenschinken und kehrte nie wieder zurück.

Nun ist Kampf der Titanen ein heikles, sehr persönliches Thema. Das Original von 1981 war mein Leib- und Magenfilm, als ich schätzungsweise 12 war, also auf dem Höhepunkt meines cineastischen Urteilsvermögens. Nostalgie halte ich allerdings für ein Geschwür, das mit dem Skalpell der Vernunft und zwei Tupfern namens Hier und Jetzt entfernt gehört. Meinetwegen kann Google bei mir mit Röntgenkameras alles nacktscannen, man wird nichts von Nutella, drei Fragezeichen oder Boba Fett finden. Aber Phantomschmerzen bleiben nach der Operation, und so kann ich nicht verhehlen, dass ich mir den neuen Kampf der Titanen ganz sicher nicht angeschaut hätte, wenn da nicht mal was zwischen mir und dem ersten Film gelaufen wäre.

Eines ist hier schon im emotionalen Vorfeld anders als bei anderen Neuverfilmungen. Ich gestehe es nur ungern ein, aber normalerweise reagiere ich bei Ankündigungen anstehender Remakes wie all die anderen beleidigten Leberwürste, die das Internet vollschreiben: Ich bekomme einen hochroten Kopf und plärre wie ein kleines Mädchen. Bei der Ankündigung der Zweitverwertung von Kampf der Titanen aber blieb ich ganz ruhig und freute mich still in mich hinein, denn ich fand: Wurde auch Zeit. Kampf der Titanen flehte geradezu um Aktualisierung. Ja, wegen der Spezialeffekte, so oberflächlich muss man schon sein. Sonst hat der Film ja nicht viel. Man darf da nicht sentimental schluchzen: „Aber … aber … die sind doch von Ray Harryhausen!“ Ja, eben, sie waren schon Anfang der Achtziger indiskutabel hinter der Zeit, hat man bloß mit 12 nicht gesehen, weil man zu viel Angst hatte, dass Medusa einen vielleicht auch in Stein verwandeln könnte, wenn man im falschen Moment hinguckt. Die Milchmädchengleichung Analog=Gut/Digital=Böse geht mir schon lange gegen den Strich. Glauben die anderen beleidigten Leberwürste wirklich, dass Digitaleffekte von kalten, gefühllosen Robotern ausgedacht und ausgeführt werden? Nein, liebe Geschwister im Geiste, die werden von Menschen ersonnen und umgesetzt. Meistens Menschen mit Bärten und Metal-Shirts. Diese Menschen haben genauso viel oder wenig Leidenschaft für ihre Kreationen wie die Puppenbieger in Uropas Kino. Sie machen es mal gut, mal schlecht. Für manche ist es Berufung, für andere nur ein Job. Wenn man sie sticht, bluten sie. Wenn man sie am Flughafen abtastet, machen sie hihihi. Es sind Menschen. Ob diese Menschen mit Modelliermasse oder Mausklick arbeiten, ist für die Herzenswärme des Resultats unerheblich. Die Modelliermasse an sich ist nicht menschlicher als der Pixelklumpen. Entscheidend ist, was hinten rauskommt.

Der Film, der in diesem Jahrtausend dabei herausgekommen ist, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Film, der 1981 hinten rausgekommen ist. Ein paar Details wurden modifiziert, weggelassen, hinzugefügt. Aber wer die Details zum Elefanten aufplustert, der sieht den Film falsch.

Kurz zwischendurch für alle, die seit 1980 oder früher ohne Kommunalkino und Internet in einer Marskolonie lebten und letzte Woche erst zurückgekehrt sind: In Kampf der Titanen geht es um den Halbblutgott Perseus, der im antiken Griechenland gegen allerlei Monster kämpft.

Im Originalfilm tut er es für die Gunst und das Wohlergehen der holden Andromeda, im neuen aus Rache. Das war zunächst mein großer banger Moment. Was den alten Film heute noch so charmant macht, ist nicht der Harryhausen-Kitsch, sondern der Romantikkitsch. Wenn ein gelockter Perseus für sein Mädchen das Schwert schwingt, ist das oberflächlich verlockender als ein Sauertopf mit G.I.-Cut, der bloß Blut sehen will. Weil Perseus 2010 aber nicht irgendwen, sondern seine innig geliebte und völlig unnötig dahingeraffte Adoptivfamilie rächen geht, ist der emotionale Aspekt auch in der Stoppelschnitt-Version voll vorhanden. Ob Harry Hamlin oder Sam Worthington die geilere Frisur hat, sollen die kleinen Mädchen entscheiden, oder wer immer sich sonst berufen fühlt. Was das schauspielerische, sagen wir mal: Talent angeht, ist man schon genug hin- und hergerissen.

Oh, fällt mir jetzt erst auf, Sam Worthington war ja auch in Dings, hab ich gerade noch gesehen, komm ich nicht mehr drauf. Aber mal ehrlich und ernst: Seien wir nicht so hart mit ihm, wie es gerade Mode zu sein scheint. Dass er in jedem amerikanischen Mackerfilm der jüngeren Geschichte auftaucht, wird nicht von ungefähr kommen. Irgendwas ist dran an diesem grimmigen Knuddelbären. Dass Avatar Blödsinn und Terminator: Salvation nicht ganz so gut ist wie 3 Engel für Charlie, ist nicht seine Schuld. Ich jedenfalls werde mir The Expendables erst anschauen, wenn ein paar Szenen mit Sam Worthington hineingeschnitten wurden.

Im Großen und Ganzen ist der aktuelle Kampf der Titanen weniger blutig und nackig als das Original, wie Mainstreamfilme überhaupt über die Jahrzehnte eher zahmer als wilder geworden sind, auch wenn die hysterische Schweinepresse das Gegenteil herbeifantasiert. Lediglich bei der Darstellung des fiesen Calibos hat man diesmal noch eins draufgesetzt. Im Original wurde er gespielt vom Schauspieler Neil McCarthy, kaum zu erkennen unter einer furchterregenden, fratzenhafte Maske. Nicht erschrecken: Der neue Calibos sieht aus wie Mickey Rourke. Er wird allerdings gespielt vom Schauspieler Jason Flemyng, kaum zu erkennen unter einer furchterregenden, fratzenhafte Maske.

In meiner Kindheit hatte mich die Geschichte Perseus’ derart gefesselt, dass ich sogar dicke Bücher über griechische Mythologie wälzte. So musste ich erfahren, dass der Film sich hier und da ein paar künstlerische Freiheiten herausnahm. Wenn sich die griechische Mythologie nicht inzwischen als Aberglaube herausgestellt hätte, müsste man wohl von Blasphemie sprechen. Ich war damals ein wenig enttäuscht, dass nirgendwo in den alten Sagen von einer urkomischen, tollpatschigen kleinen Robotereule die Rede war. Heute schätze ich gerade das an den alten Sagen.

Manch Kenner der griechischen Mythologie nimmt beim 2010er Kampf der Titanen Anstoß an der Zeile: „Don’t look that bitch in the eye!“ Sowas hat Perseus niemals gesagt, nicht mal im Angesicht der Medusa, da sind sich die Gelehrten nach langem Schriftstudium einig. Sie haben bestimmt recht. Mir war der falsche Jargon kaum aufgefallen, ich erfuhr erst später von der Welle der Empörung, mein Fehler. Ich störte mich bereits zuvor nicht daran, dass alle Figuren modernes Englisch sprachen. Skandal natürlich, weiß ich jetzt. Man darf Kampf der Titanen eigentlich nur in Altgriechisch mit Untertiteln und ohne Schimpfwörter (wurden erst später erfunden, ca. 1997) verfilmen. Quasi The Passion of the Perseus. Dafür müssten wir aber wohl zwielichtige Regisseure aus der Klapse entlassen, die wir nie wieder in Freiheit sehen wollen.

Apropos Medusa: Sie ist und bleibt der Endgegner der Herzen, der Darth Vader von Kampf der Titanen. Sie dominiert. Alles, was nach ihr geschieht, ist völlig banane. Dass es auch noch ein Krakenmonster/einen Imperator gibt, interessiert allenfalls die penibelsten Erbsenzähler.

Der Reiz der Medusa ist geblieben, ganz egal, ob man die Knetgummiversion aus dem einen, oder das digital verbesserte Supermodel aus dem anderen Film bevorzugt. Wovon man sich darüber hinaus im neuen Film nicht trennen mochte, ist die Götter-WG in den Wolken, in der hochkarätige Schauspieler Verkehrt-rum-Tag spielen. Sie sagten sich: „Au ja! Heute machen wir all das, wovon man uns in der Schauspielschule gesagt hatte, dass man es auf keinen Fall tun darf!“ Hinterher schauten sich die Nachbearbeiter die Szenen an, und einer sagte: „Das ist ja fürchterlich! Aber wir könnten es noch fürchterlicher machen, indem wir willkürlich ein paar Photoshop-Filter drüberknallen!“ Und alle anderen Nachbearbeiter riefen: „Ja! So machen wir es!“ Das Ergebnis ist herrlich.

Jedoch nicht göttlich. Göttlich ist nur Sir Laurence Olivier als Zeus auf seinem funky Laser-Disco-Thron. Deshalb bevorzuge ich nachwievor den alten Film. Aber das ist mit Augen des Nostalgikers gesehen. Alle richtigen zwölfjährigen Jungs sollten mit dem neuen Film bestens bedient sein. Und wer an dem was zu meckern hat, ist wahrscheinlich kein richtiger zwölfjähriger Junge. Für den ist der Film dann aber auch nicht gedacht. Genau wie damals. Gut möglich, dass in ein paar Jahrzehnten die heutigen Zwölfjährigen wutschnaubend über ein neues Remake herziehen, das in ihren Augen keinesfalls so viel Herz, Charme und Fantasie hat wie der gute alte Film von 2010, der damals ihr Lieblingsfilm war, wie sie nicht müde werden jedem jederzeit mitzuteilen. Und das geht in Ordnung. Sie hätten sich schlimmere Lieblingsfilme aussuchen können. Avatar, zum Beispiel.

Bitte machen Sie sich Ihr eigenes Bild:


I have no mouth, but I must eat Kellog’s Hello Kitty Loops with milk for breakfast

Ich entschuldige mich in aller Form für die sperrige Überschrift, selbstredend eine Anspielung auf Harlan Ellisons Kurzgeschichte ‚I Have No Mouth, But I Must Scream‘. Ich schreibe gerade etwas unter Zeitdruck an Sie, lieber Freund, da habe ich einfach das genommen, was einem als erstes in den Sinn kommt. Ich kenne die Geschichte selbst nicht. Ich weiß nur, dass es mal ein Computerspiel dazu gab, das ich aber auch nicht kenne.

Ich war gestern in einem Supermarkt Lebensmittel einkaufen und hatte u. a. das Wort ‚Brot‘ in meine Kladde geschrieben. Ich strich es sofort durch, als ich vor Ort dieses Produkt sah, das ich ohne Umwege mit heim nahm:

Wie selbstlos, dachte ich. Da macht sich eine Cartoonfigur von beachtlichem Renommee für ein Produkt stark, das sie sich aufgrund ihrer charakteristischen Mundlosigkeit selbst nirgendwo sinnvoll hinstecken kann. Wie das schmeckt? Ist doch egal, wie das schmeckt! So sieht es jedenfalls aus:

Ich habe vor lauter Aufregung kaum Platz für Milch gelassen. Aber ich mag Milch eh nicht so gerne. Die Loops sehen ein bisschen aus wie Trockenfutter für Haustiere, schmecken aber anders, könnte ich mir vorstellen. Viel wichtiger ist eh das Bonusmaterial, das auf die Packung zum Ausschneiden aufgedruckt ist: Ein Lesezeichen, ein Türschild und ein Knobelspiel, eine Art Mischung aus Sudoku und Memory. Das ist mir zu kompliziert, ich lasse es unausgeschnitten. Das Lesezeichen aber muss jeder Bücherwurm und jede Leseratte, überhaupt jedes literaturbegeisterte Kleintier, haben. Im Nu wertet es jede Lektüre auf:

Kitty im loopy Leopardenmusterlook. Hello Kinky!

Auf der Packung steht extra noch drauf:

Lass dir beim Ausschneiden von deinen Eltern helfen!

Jetzt kommen meine Eltern voraussichtlich aber erst im Oktober wieder zu Besuch, so lange konnte ich nicht warten. Das hat man dann davon.

Aber die Arbeit und der Schmerz haben sich gelohnt. Schließlich sollen meine Eltern nicht vor so einer abweisenden Tür stehen:

Sondern vor so einer einladenden:

Dann wissen sie, dass sie auf ihren erwachsenen Sohn stolz sein können. Ganz alleine hat er es ausgeschnitten und montiert. Ein richtiger kleiner Heimwerker ist aus ihm geworden.

Kein Anlass könnte besser passen, um jetzt im Hauptprogramm den Trailer für Alan Rudolphs brillante Verfilmung von Kurt Vonneguts auch nicht schlechten Roman Breakfast of Champions zu zeigen.

Die Nachrichten: Das Manifest

Ich hatte die Güte und die Ehre zwei neue DVDs für Das Manifest zu besprechen. Darauf zu sehen waren der thailändische Agentinnenfilm Final Target (ich rate dringend ab) und die südkoreanische Romkom My Sassy Girl (ich rate halbherzig zu).

Update 12. 8. 2010

Ich pack das mal noch hier mit rein: Für The Sniper, Porno-Edes vorerst letzten Film, habe ich auch ein Gutachten geschrieben.

Knack und Baku

Seit Jahren fragt man mich entgeistert: „Wie können Sie nachts überhaupt noch schlafen?!“ Man ist besorgt um mich, weil ich nicht von den Gruselfilmen lassen mag. Meine Antwort war lange Zeit jugendlich unbekümmert: „Och, ich baller mir einfach jeden Abend sowas von die Birne zu, dass ich eh nichts mehr mitkrieg.“

Jetzt sind aber Alkoholkranke nur solange total süß, wie sie klein sind. Da hauen sie mit lässig fahrigen Gesten, sexy Nuscheln, keckem Grinsen und funkelnden Augen ein Bonmot nach dem anderen raus, vor allem in ihrer eigenen Vorstellung, und es ist drollig, ihnen dabei zuzusehen. Wenn sie aber groß werden, haben sie nur noch schlechte Haut und fahlen Blick, man wendet sich lieber ab. Von Jennifer Jason Leigh als Dorothy Parker zu dem einsamen Typen mit der Knollennase, den man hin und wieder an der Tanke trifft, ist es ein sehr kurzer Weg.

Wie gut, dass ich nicht mehr so viel trinken muss, ich habe ja jetzt Baku (Abbildung oben). Nur eines aus Stoff, aber es wirkt. Ich bekam es neulich in Tokio von einer guten Seele anlässlich eines vorläufigen Abschieds geschenkt. Es handelt sich beim Baku um ein mythisches Wesen der chinesischen und japanischen Folklore, das böse Träume frisst. Es wird oft in der Form eines Tapirs dargestellt. So eins hab ich. Was ein Tapir frisst, weiß ich nicht. Steht aber bestimmt auf Wikipedia.

Das Baku ist mein neues Krafttier, seit mein Wellensittich den Löffel abgegeben und ins Gras gebissen hat. Es wohnt tief in meiner inneren Höhle. Wenn es dort zu dunkel wird, geht das große Fressen los, und ich kann wieder was sehen.

Auch eine Lösung: Einfach nur Filme schauen, von denen man böse Träume gar nicht erst bekommt, sondern nur wunderschöne. Die Filme des Regisseurs Satoshi Miki sind da eine sichere Bank. Gerade reinbekommen: Instant Swamp.

Läuft schon länger in meiner Höhle, aber das ist ja keine Schande: Turtles Are Surprisingly Fast Swimmers. Wer diesen Film schaut, muss sich leider drauf einstellen, dass er lebenslänglich nicht mehr um eine Ecke oder in einen Schrank schauen kann, ohne „Hwä Hwä Hwä Hwä Hwäää“ zu machen. Das geht nicht wieder weg. Ist es aber wert.

Ich leg mich wieder hin.

Japanischer Stehsatz (2): Reise nach Shimotsuma

Habe ich jemals erwähnt, dass mir der Film Kamikaze Girls einigermaßen gut gefällt? Könnte sein, vereinzelt wirft man mir vor, ich kenne gar kein anderes Thema. Stimmt auch, heute ganz sicher nicht. Denn heute erfülle ich mir den großen Traum jedes kleinen Kamikaze-Mädchens: Ich fahre nach Shimotsuma. [Gemeint ist freilich nicht das konkrete Heute, sondern das poetische Heute.]

Sie wissen: Der Film (und der zugrunde liegende Roman und der abgeleitete Comic) heißt im Original Shimotsuma Monogatari, also in etwa ‚Shimotsuma-Geschichte‘, denn in Shimotsuma spielt sich das Meiste ab. Ich bin ein wenig verunsichert, weil es offenbar keinen großen Shimotsuma-Monogatari-Tourismus gibt. Googlet man Shimotsuma bekommt man hauptsächlich Informationen zum Film und vereinzelt zum Ort (Hauptsehenswürdigkeit: McDonald’s-Restaurant mit Wi-Fi). Ich weiß, dass ich nicht der einzige Liebhaber des Films bin, schon gar nicht der einzige westliche, aber ich finde bei zumindest oberflächlicher Recherche keinen aufgeregten Blogger, der schriebe: „Ich war da! It was magic!“ Heißt das, ich muss eine Flagge an einem spitzen Stock mitnehmen und bei der Erdung „Erster!“ rufen? Sowas habe ich gar nicht.

Selbst in Japan ist Shimotsuma kaum bekannt. Erwähne ich gegenüber Tokioter Freunden, dass Shimotsuma Monogatari mein Lieblingsfilm ist, sind sie besorgt, welches Bild Deutschland von Japan hat, wenn solche Filme es hinüber schaffen. Erwähne ich weiter, dass ich vorhabe Shimotsuma zu bereisen, wundern sie sich, dass dieser Ort wirklich existiert.

Tut er aber. Hat schätzungsweise 40.000 Einwohner (Quellen widersprechen einander) und liegt in der Präfektur Ibaraki. Im Film Kamikaze Girls gibt Protagonistin Momoko in einem Off-Monolog eine akkurate Beschreibung, wie man von Shimotsuma mit dem Zug nach Tokio kommt, wo sie gerne einkauft. Man müsste das also nur umgekehrt nachmachen und käme wahrscheinlich von Tokio in Shimotsuma an. Allerdings sind seit dem Film ein paar Jahre vergangen, und das japanische Schienennetz wird unentwegt überarbeitet, weshalb es inzwischen auch anders geht. Außerdem starten wir unsere Reise nicht in der Tokioter Daikanyama-Nachbarschaft, die Momokos Ziel ist. Dort gibt es heute nur Straßencafés mit gegelten Notebook-Posern und die überschätztesten Clubs der Stadt, da haben wir nichts verloren. Unsere Reise beginnt im schönen Sangenjaya, und sie geht so:

Erst nimmt man die Den-en-toshi-Linie bis Shibuya. Man könnte auch laufen. Aber Laufen in diesem Outfit? Ich bitte Sie, das ist doch wohl nicht möglich. In Shibuya bleibt man einfach sitzen, denn hier verwandelt sich die Den-en-toshi-Eisenbahnlinie automatisch in die Hanzomon-U-Bahn-Linie, die man bis Omotesandō nimmt, es ist gleich die nächste Station. Dort steigt man um in die Chiyoda-Linie. Es dauert 29 Minuten bis Kita-Senju. Hier steigt man in den modernen Tsukuba-Express, der 21 Minuten bis Moriya braucht, einer Partnerstadt von Greeley, Colorado und Mainburg, Germany. Jetzt ist man schon eindeutig in Ibaraki, und es gibt erste Spuren von Shimotsuma.

Im simplen aber sympathischen Futterhof des Bahnhofs Moriya isst man vorsichtshalber eine Nudelsuppe und trinkt ein Bier, weil man nicht weiß, was einen kulinarisch und überhaupt in Shimotsuma erwartet. Gut gestärkt steigt man in die Joso-Linie, die einen in 42 Minuten nach Shimotsuma bringt. Man fährt mit ihr immer tiefer in das sagenumwobene Land, in dem es keine Ausländer gibt. Commodore Perrys Schwarze Schiffe kamen nur bis Yokohama.

Und dann ist man auch schon da. Der wiedererkennbare Bahnhof bestätigt sofort, dass der Film vor Ort gedreht wurde. Viele Szenen spielen am und im Bahnhof mit seinen zwei Gleisen und einem Häuschen. Zu spät fällt mir ein, dass eigentlich der ganze Film davon handelt, dass man aus Shimotsuma unbedingt weg will, wenn man einigermaßen fit in der Birne ist. Und ich wollte da unbedingt hin? Vielleicht nicht richtig nachgedacht.

Der Bahnhof macht in der Totalen nicht viel her, aber die Details machen mich glücklich. Dieser Fernseher im Wartebereich wird von Regisseur Tetsuya Nakashima im Film immer wieder verwendet für angeberische Überleitungen und ironische Kommentierung der Handlung:

Jetzt läuft da allerdings nichts.

Hier sitzt Momoko mehr als einmal:

Hat mich jemand beim Fotografieren beobachtet, denkt der bestimmt: „Wie rührend! Dieser alte Mann hat noch nie in seinem Leben Plastikstühle gesehen.“ Ist aber unwahrscheinlich, dass mich jemand beobachtet hat. Überhaupt werde ich in Shimotsumas Straßen weitaus seltener schräg gemustert als anderswo in Japan. Dafür müsste erstmal jemand auf den Straßen unterwegs sein. Würde vielleicht helfen, wenn zumindest ein einziges Geschäft geöffnet hätte. Gut, dass ich vorher gegessen habe.

Statt geöffneter Geschäfte gibt es Kohlköpfe. Im Film ein wiederkehrendes Motiv als Symbol für Land und Leute.

Viele Szenen in Kamikaze Girls spielen an Bahnübergängen wie diesem (Beispielabbildung):

Apropos Bahnübergang: Zielstrebig habe ich mich vom Bahnhof in den unattraktiveren Teil des Ortes aufgemacht. In der anderen Richtung haben durchaus ein paar Geschäfte geöffnet. Allerdings nicht dieser Pachinko-Salon.

Es könnte der sein, in dem die Mädchen im Film spielen. Sieht inzwischen aus, als hätte da schon länger niemand mehr gespielt.

In der örtlichen Filiale der Gebrauchtmedienhandelskette Book-Off möchte ich mir gerne die japanische DVD von Shimotsuma Monogatari als Andenken kaufen. Haben sie aber nicht! Stattdessen gibt es – ungelogen – Spinnweben vor dem Regal mit den japanischen Filmen. Keine Halloween-Deko-Spinnweben, sondern Real-Deal-Vernachlässigungsspinnweben.

Ich habe Momoko von vornherein gut verstanden, aber ich verstehe sie jetzt sogar besser.

Ich bin ohne Flachs mittelschwer schockiert, dass man hier touristisch rein gar kein Kapital aus dem Kultstatus von Buch und Film schlägt. Gut, es handelt sich unterm Strich um Shimotsuma-Schmähwerke, aber das sollte man mit Humor nehmen, wenn man daran verdienen kann. Es müssen nicht gleich goldene Statuen von Momoko und Ichigo sein, aber Pappfiguren für Photo-Ops auf den Plastikstühlen im Bahnhofsgebäude sollten ja wohl drin sein.

Das Waldrestaurant und die Jusco-Filiale habe ich leider nicht gefunden. Aber ich habe auch nicht lange gesucht, denn ich wollte nicht riskieren, Züge und Anschlusszüge zu verpassen. Ich zähle auf Ihr Verständnis.

Aus gegebenem Anlass: Trailer Kamikaze Girls (Wiederholung)

Kurz: Kokuhaku

Interessiert sich hier jemand für Tetsuya Nakashima? Ja, ich. Besser und knapper hätte es Japan kaum hinbekommen können, als den neuen Film meines Lieblingsregisseurs (u. a. Kamikaze Girls und Memories of Matsuko) genau eine Woche vor meiner vorläufigen Abreise noch schnell in die Kinos zu bringen. Gerne würde ich mit Kloß im Hals von einem Geschenk sprechen, aber freilich musste ich Eintritt bezahlen.

Kokuhaku (告白) heißt der neueste Streich, international wird wohl Confessions draus, was auch hinkommt. Takako Matsu spielt eine Lehrerin, die zwei ihrer Schüler verdächtigt, für den Tod ihrer Tochter verantwortlich zu sein. Als sie ihrer Klasse mitteilt, dass sie den Schuldienst quittiert, gesteht sie ihnen auch gleich, dass sie ihre Tochter rächen wird und ihr Racheplan bereits im vollen Gange ist. Sie ist nicht die einzige im Raum, die etwas zu gestehen hat. Und nicht die einzige mit mörderischen Plänen. Mehr sollte man nicht verraten, um die vielen überraschenden Wendungen nicht auszuplaudern, und um wirkungsvoll zu kaschieren, dass man rein sprachlich nicht alles verstanden hat.

Viel wird darüber schwadroniert, dass Nakashima mit diesem Film endlich erwachsen würde, als wenn er das nötig hätte. Keine Anime-Sequenzen und Tanzeinlagen, kein Genrewechsel alle fünf Minuten, keine grellen Farben und schnellen Schnitte, dafür Story, Story, Story. Ich aber sage euch: Kokuhaku ist ein waschechter Nakashima, nur anders als die anderen. Und eine Tanzeinlage gibt es wohl. Handlungsstark waren alle bisherigen Filme des Regisseurs. Wer das nicht erkennt, hat vermutlich Schwierigkeiten, sich auf gewisse Geschichten einzulassen. Was Nakashimas Filme überdies eint ist die Tatsache, dass sie alle optisch 1A, aber ebenso alle optisch unterschiedlich sind. Die Geschichte diktiert, wie sie bebildert werden will. Kamikaze Girls mit seinen überzeichneten aber liebenswerten Figuren muss als knallbunter Comic-Film daherkommen. Memories of Matsuko erzählt ein ganzes Leben in nur etwas über zwei Stunden, deshalb muss sich das Genre und damit die Bildsprache ständig ändern, denn das echte Leben hat im Idealfall mehr als nur ein einziges Genre. Melodram, Komödie, Porno, Horror – alles drin. Der Kinderfilm Paco and the Magical Book wäre viel zu traurig, wenn er nicht fröhlich inszeniert wäre. Und Kokuhaku kann nicht anders als dem schweren Schicksal seiner Figuren mit ruhigen Bildern und gemäßigtem Tempo den nötigen Respekt zu zollen. Ruhige Bilder heißt selbstverständlich nicht, dass der Film weniger sorgfältig gestaltet wäre als seine Vorgänger. Waren frühere Nakashimas wie Videoclips, ist der neue wie ein Gemälde. Beides legitime Kunstformen übrigens, die eine ist im Jahre 2010 nicht weniger erwachsen als die andere. Alles in Kokuhaku ist an seinem Platz. Man sollte nicht glauben, dass irgendein Spiegelbild Zufall ist, oder dass irgendein Regentropfen nicht genau dahin fällt, wo der Meister gesagt hat. Ebenfalls typisch: Konstante, eklektizistische Musikbegleitung zwischen J-Pop, Radiohead, Klassik und Avantgarde. Mal musicalmäßig weit vorne, oft so subtil, dass nur anspruchsvolle Ohren sie bewusst wahrnehmen.

Die Geschichte wirft vieles in ihren Topf. HIV! Häusliche Gewalt! Amoklauf! Mobbing! Liebe! Tod! Trauer! Undsoweiter! Die Verknüpfungen sind dabei häufig überraschend, manchmal auch etwas arg konstruiert. Aber einem Kunstwerk Konstruktion vorzuwerfen scheint mir falsch. Kokuhaku ist, bei allen Unterschieden, wie alle Filme des Regisseurs ein in erster Linie emotionales, dann erst intellektuelles Kunstwerk. Soll heißen: Zielt aufs Herz, aber der Kopf muss nicht draußen bleiben. Es ist definitiv unter allen Nakashima-Filmen der, der nach dem ersten Sehen am längsten nachwirkt. Eigentlich ist es zu früh, jetzt schon etwas drüber zu schreiben. Aber so ist das Internet. In erster Linie wollte ich ja auch nur damit angeben, dass ich den Film schon gesehen habe, und Sie nicht. Wahrscheinlich ist davon keiner außer mir selbst beeindruckt. Aber das muss reichen.