Prekär ist in Azathoth Roadrage zwar nichts und niemand, aber das Wort muss dennoch in jedem kulturjournalistischen Artikel mindestens einmal unübersehbar untergebracht werden. ‚Prekär‘ ist das neue ‚nachhaltig‘.
Ich selbst habe erst die ersten 53 Seiten gelesen, aber das sollte reichen, um ein Buch hochzuloben. Die meisten Menschen lesen ihr ganzes Leben keine 53 Seiten. Das mit dem Huhn und das mit den Küken fand ich gut, da wird der Rest nicht schlecht sein. Das Buch scheint angenehm plotlos (ein guter Roman braucht keine Geschichte), die Schreibe unverseucht von jeder Schreibkursdoktrin. Wenn ich mich irre, umso besser. Ich werde gerne auf den Arm genommen und hinters Licht geführt, um dort aufs Kreuz gelegt zu werden. Da spürt man, dass man lebt. Mehr am Herzen als das Loben dieses speziellen Buches liegt mir das Loben aller Bücher aller 17-jährigen Wunderkinder, frühere, gegenwärtige und zukünftige, überall in der Welt. Es wird so viel Gemeines über sie gesagt und geschrieben, aber das ist unangebracht. Sicher, es ist ein Kreuz mit den jungen Schreibenden: Wie alle Menschen vor ihnen sind sie der Meinung Sex, Drogen und Weltekel erfunden zu haben. Vor ihnen hat noch nie jemand sowas gemacht, und wenn doch, dann bestimmt nicht richtig, weil es ja noch gar nicht erfunden war. Es ist süßes Privileg der unbeschwerten Jugendzeit, sich für düsterer, abgründiger und durchgenudelter zu halten, als jemals jemand es gewesen ist und man selbst es jemals sein wird. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass bereits im 20. Jahrhundert und früher Drogen genommen wurden, Geschlechtsverkehr ohne primäre Fortpflanzungsabsicht praktiziert und an anderen Menschen verzweifelt wurde, kann jeder jugendliche Autor immer noch zuversichtlich sein, dass seine Gedanken zu diesen Sujets die profundesten sind, die jemals gedacht wurden und deshalb natürlich zu Papier gebracht werden müssen. Gott sei Dank werden sie das auch, denn Sex, Drogen und Weltekel sind vielleicht nicht die einzigen großen Themen der Literatur, aber sie gehören mit Sicherheit dazu. Ich für meinen Teil lese dazu lieber die Gedanken eines 17-jährigen Mädchens als die eines alten Lustgreises (aber freilich ist das nur die Meinung eines alten Lustgreises). Für meine und frühere Generationen wurden solche Entdeckerbücher traditionell von jungen Männern geschrieben, heute ist das Frauenarbeit. Kein deutsches, sondern ein internationales Phänomen. Japan hat Hitomi Kanehara und Konsorten, Frankreich zumindest die Lolita Pille, China darf ich nicht sagen, und in England gab es kürzlich auch so ein Früchtchen, hab ich vergessen. Das gehört alles gelesen, und zwar so früh wie möglich. Die verzweifelt-optimistischen Argumente pro Backfischvampirschmonzetten u. ä. lauten stets, dass die Kinder später bestimmt richtige Bücher lesen, wenn sie erstmal so anfangen, und dass selbst wenn nicht diese Lektüre immer noch besser sei als gar keine. Zu letzterem muss man schlicht sagen: Nö. Affe auf Klo ist ja auch nicht besser als gar kein Bild an der Wand. Und darauf, dass die Mitglieder von Team Edward und Team Jacob ein richtiges Buch in die Hand nehmen, kann man warten, bis(s) man scheckig wird. Wenn sie den einen Lore-Roman durchhaben, lesen sie allenfalls den nächsten. Bei Hexaglotl Overkill hingegen wird ein Schuh draus. Wer in jungen Jahren dies liest, der liest vielleicht später das, wo es hergekommen ist, und entdeckt dabei Werke von (noch) höherem Anspruch und größerer Nachhaltigkeit. Vielleicht stellt sich auch heraus, dass gerade Axlrosl Windmill der große Nachhaltigkeitsklassiker im zukünftigen Lesekanon ist. Aber das kann ich heute noch nicht beurteilen, und Sie können das auch nicht. Das Alles-schon-mal-dagewesen-Argument kann man den wüsten neuen Mädchen nicht an den Kopf werfen. Gerade schon Dagewesenes muss immer wieder neu gemacht werden, um interessant und relevant zu bleiben. Unlängst wurde mir von einem Lehrer berichtet, dessen Schüler darüber klagten, dass sie im Unterricht immer nur so alte Schinken zu lesen bekämen. Auslöser des Lamentos war der Nachkriegsroman Herr Lehmann. Solchen Lesern kann man nicht kommen mit Salinger oder den blöden Beatniks, oder was Lehrer und andere alte Menschen sonst so für total jugendgerecht halten. Die Jugend braucht neuen Stoff, auch wenn‘s der alte ist. Die brauchen etwas, was gerade eben erst geschrieben wurde. Deshalb bin ich sehr dafür, dass es auch nächstes Jahr wieder ein 17-jähriges Wunderkind gibt, das sich hinstellt und stolz verkündet: „Sehet her, aus mir kommen Körperflüssigkeiten raus! Und zwar gegen die Gesellschaft! Ob es euch passt oder nicht!“ Ich würde das Buch jetzt schon vorbestellen.Schlagwort-Archive: Dogma
Jetzt mal im Ernst: Richard McGraw
Eigentlich hatte ich mir zur Regel gemacht, diesen Blog ausschließlich für Quatsch zu verwenden. Nicht für so etwas Ernsthaftes wie beispielsweise Produktempfehlungen. Weil ich aber seit neuestem ein Business Punk bin (ich breche Regeln), breche ich diese Regel heute und möchte drei Produkte ans Herz legen, und zwar das erste, zweite und dritte Album von Richard McGraw.
Einst war ich wie Sie: Jung, zornig, verwirrt, hatte noch nie etwas von Richard McGraw gehört. Bis mir ein Gentleman mit Stil und Geschmack McGraws zweites Album, Song & Void Vol. 1, überreichte. Ich war auf Anhieb angetan von den gottesfürchtigen und fleischeslustigen Folksongs und besorgte mir proaktiv auch das erste Album, Her Sacred Status, My Militant Needs, und da war es endgültig um mich geschehen. Musikalisch noch ein bisschen ökonomischer und lyrisch noch untröstlicher, gefiel mir das Debüt sogar noch ein wenig besser als der kaum zu übertreffende Nachfolger. Eine Einsame-Insel-Platte, falls mal jemand fragt. Richard McGraw schreibt Lieder, die einen an der Gurgel auf die Knie zwingen, und dort ist es bekanntlich am Schönsten. Wem jemals irgendwas weh getan hat, der darf sich bei McGraw bedanken, dass er die Wunde wieder aufreißt, weil er seine eigenen niemals schließt, sondern sie gut in Schuss hält, indem er sie regelmäßig und sorgfältig besingt. Gerade habe ich das dritte Album, Burying the Dead, reinbekommen. Auch da sind mit ‚Hurting Heart‘, ‚Balmville Motel‘, ‚Your Lover‘ und ‚Her Town‘ mindestens vier Songs drauf, die kaum auszuhalten sind. Die anderen kann ich momentan noch hören ohne in die Knie zu gehen, aber es dauert bestimmt nicht mehr lange, ich freue mich jetzt schon drauf. Richard McGraw tut auch anderen Liedermachern gut: Billy Joels My Life reduziert er auf die nackige Essenz und zeigt uns, wie schön dieser Song als Skelett ist. Wir wollen dennoch hoffen, dass das mit den Covern nicht überhand nimmt. Mit The Faith ist noch ein Leonard-Cohen-Cover auf dem aktuellen Werk, was schon passt, aber auf einem McGraw-Album nur halbe Höhe sein kann. Oh je, habe ich gerade hintenrum behauptet, dass Billy Joel viel besser ist als Leonard Cohen? Aus der Nummer komme ich ja nie wieder raus. Wie ging noch mal Löschen? Vielleicht sollten wir mal wieder unser Credo ausrufen, hatten wir auch lange nicht mehr: Ist doch nur Internet! Und nein, es geht mir nicht um die paar Kröten Provision. Meinetwegen kaufen Sie die heißen Scheiben bei CD Baby und genießen Sie das Rundum-Indie-Gefühl. Ohne CD Baby an unserer Seite wäre der Kampf gegen das Böse um einiges aussichtloser, das sollte man honorieren. Kaufen Sie letztendlich, wo Sie wollen, aber kaufen Sie. Denn sowas wollen wir in Zukunft nicht mehr sehen müssen:Lady Gaga und die vorauseilende Binnenmajuskel
Man weiß gar nicht, womit die bedingungslose AmourFou der Deutschen mit der Binnenmajuskel angefangen hat. War es das Frauen-I („StripperInnen“), das die taz eine verrückte Zeit lang praktizierte? Oder war es der iPod und sein dickes P? Fest steht: Die Binnenmajuskel hat im Gegensatz zu anderen Marotten der Jahrtausendwendezeit jede Rechtschreibkrise überlebt, während rechts und links von ihr die Moden so schnell fielen, wie sie gekommen waren. Kaum ein modern gemeintes Schlagwort wird heute noch mit einem vorgesetzten „e-“ versehen. Auch das kleine Anfangs-i, einen Sommer lang Pflicht bei jeder Produkteinführung, wird heute nur noch von Dings praktiziert. Niemand ersetzt mehr das „a“ im Firmennamen durchs Klammeräffchen oder hängt ein Domänenkürzel hinten an. All das ist vorbei, seit das Internet kaputt ist. Nur die Binnenmajuskel ist nicht totzukriegen. Ganz besonders beliebt ist sie in Deutschland, wo sogar vorsichtshalber Begriffe mit Binnenmajuskel geschrieben werden, deren Wortschöpfer das gar nicht vorgesehen hatte. Jüngstes und häufigstes Opfer: Lady Gaga. Ehe Sie komisch von mir denken: An Lady Gaga interessiert mich einzig und allein, wie man sie schreibt. Man schreibt sie ganz normal, so gaga ist die Dame nämlich gar nicht: vorne jeweils groß, dann durchgehend klein weiter. Wie deine Mudder. Nicht: GaGa. Bitte merken Sie sich das, liebe KollegInnen von der bunten Presse. Die Befolgung der korrekten Schreibweise eines Namens, der aus vier Buchstaben (und nur zwei unterschiedlichen) besteht, sollte auch von Ihnen nicht zu viel verlangt sein. In diesem speziellen Falle sollte es sogar zu Ihren Kernkompetenzen gehören.
Mercy merci
Ich möchte mich ganz herzlich für die vielen, größtenteils ungruseligen Geburtstagsglückwünsche bedanken. Auch für den Heiratsantrag, den ich allerdings in dieser Form nicht bearbeiten kann. Es fehlen noch einige Pflichtangaben (z. B. Geschlecht).
Endlich Halbzeit! (+/- p x Daumen)
Aus gegebenem Anlass: 40 Lieblingsfilme aus 40 Lieblingsjahren
1969: Ein Hauch von Zen (Taiwan)
1970: M*A*S*H (USA)
1971: Carnal Knowledge – Die Kunst zu lieben (USA)
1972: Der Pate (USA)
1973: Der Exorzist (USA)
1974: Das Kettensägenmassaker (USA)
1975: Angst über der Stadt (Frankreich, Italien)
1976: Taxi Driver (USA)
1977: Suspiria (Italien)
1978: Zombie (Italien, USA)
1979: Das Böse (USA)
1980: Wie ein wilder Stier (USA)
1981: Arthur – Kein Kind von Traurigkeit (USA)
1982: Basket Case (USA)
1983: Zelig (USA)
1984: Nightmare – Mörderische Träume (USA)
1985: Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln (USA)
1986: Blue Velvet (USA)
1987: Near Dark (USA)
1988: Hellbound – Hellraiser II (Großbritannien)
1989: Tetsuo (Japan)
1990: M.A.R.K. 13 – Hardware (Großbritannien)
1991: Das Schweigen der Lämmer (USA)
1992: Lawinen über Tolzbad (Kanada)
1993: Manhattan Murder Mystery (USA)
1994: Mrs. Parker und ihr lasterhafter Kreis (USA)
1995: Clueless – Was sonst! (USA)
1996: Der Hexenclub (USA)
1997: L.A. Confidential (USA)
1998: Happiness (USA)
1999: eXistenZ (Kanada, Großbritannien)
2000: Cecil B. – Echte Menschen, echter Terror. (Frankreich, USA)
2001: Donnie Darko (USA)
2002: Ju-On – The Grudge (Japan)
2003: Tokyo Godfathers (Japan)
2004: Kamikaze Girls (Japan)
2005: Princess Aurora (Südkorea)
2006: Saw III (USA)
2007: La antena (Argentinien)
2008: The Shonen Merikensack (Japan)
2009: Vengeance (Hongkong, Frankreich)
Okay, sind 41, klassischer Denkfehler der mathematisch Minderbemittelten. Aber Sie wissen schon, wie es gemeint ist.
Ja, hätte man in Jahrtausenden gerechnet auch kürzer fassen können, quasi Kettensägenmassaker und Kamikaze Girls, aber heute lassen Sie Opa bitte mal ausreden und tun interessiert.
Traurige Nachrichten vom Printmarkt
Ich muss mich entschuldigen, diese Nachricht ist eigentlich schon sowas von 14. Oktober, aber ich habe mich erst jetzt ein wenig sammeln können. Traurige Nachrichten sind im Zeitungs- und Zeitschriftensegment gewiss keine Seltenheit, aber diese hatte mich doch ein bisschen stärker aus der Bahn geworfen als die übliche Kunde vom Zeitungssterben. Ich fing ganz schlimm an zu weinen, als ich sie hörte, und konnte gar nicht mehr aufhören. Inzwischen geht es einigermaßen. Es kommt nur noch ein gelegentliches Schluchzen, und das Zittern ist soweit unter Kontrolle, dass ich wieder schreiben kann. Trauer teilt man am besten mit anderen, sonst geht man daran kaputt, ein Mensch ist keine Insel. Die traurige Nachricht, von der ich rede, heißt: Business Punk. Und am Donnerstag ist sie erschienen.
Für sowas hat Gruner + Jahr also Geld. Denen geht’s wohl zu gut, hört man ja immer wieder. Hartnäckig halten sich die Gerüchte, Business Punk wäre aus einem hausinternen Kreativ-Wettbewerb hervorgegangen, aber das ist bestimmt nur so ein gehässiger Branchenwitz. So wie sich Werber hin und wieder auch als ‚Kreative‘ bezeichnen und dabei still denken: Höhö.
Noch nie habe ich mich so geschämt, ein berufstätiger Mann zu sein. Dieses Heft bitte nicht in meinem Namen. Ich hoffe, liebe Leserinnen (Leser mitgemeint), Sie rechnen mir hoch an, dass ich meine Scham schön mollig in Winterkleidung gehüllt habe und durch Wind und Wetter zum nächsten Hugendubel gestiefelt bin, um mir ein eigenes Bild von dem Grauen zu machen und es mit Ihnen zu teilen. Selbstverständlich konnte ich Business Punk nicht einfach so auf die Theke knallen, was sollte die Verkäuferin denken. Deshalb habe ich noch die Jubiläumsausgabe von BUSENREPORT AKTUELL dazu genommen, um ein wenig vom peinlichen Teil des Einkaufs abzulenken. Es ergab sich folgender Plausch, der sich wirklich fast genau so zugetragen hat:
Verkäuferin (lacht): „Sie sind der Erste, der das bei mir kauft.“
Ich (erstaunt): „Wirklich? BUSENREPORT AKTUELL geht doch immer …“
„Nein, ich meine Business Punk.“
„Ach so, haha, naja, hoffentlich auch der Letzte.“
„Gibt ja eh nur eine Ausgabe.“
Ich gebe ihr taktlos meine Amazon-Kreditkarte.
Hugendubel-Verkäuferin (50% jovial-vorwurfsvoll, 50% echt-vorwurfsvoll): „Die nehm ich aber nur, weil Sie es sind!“
Ich (erschrocken): „Au, Scheibenkleister! Entschuldigen Sie, ich habe nicht mitgedacht! Warten Sie, ich habe einen Haufen anderer …“
„Lassen Sie mal, sonst überlegen Sie es sich noch anders.“ Der Zahlvorgang wird abgeschlossen. Sie sagt zum Abschied: „Dann wünsche ich gutes Gelingen.“
Ich (verwirrt): „Wie? Nein, das ist nur für die Recherche, ich bin nicht so einer.“
„Nein, ich meine BUSENREPORT AKTUELL.“
„Ach so, danke.“
Auf dem Cover von BUSE Business Punk ist Richard Branson mit herausgestreckter Zunge abgebildet, dazu das ihm zugeschriebene Zitat: „Ich breche Regeln[.]“ Dass Branson irgendwelche Regeln bricht, ist tatsächlich eine Topmeldung, denn eigentlich ist doch gerade er als ein besonders dröges Beispiel des modernen Standard-Business-Dödels bekannt (Hobbies: Geld verdienen, Jeans tragen, in irgendwas rumfliegen). Auf dem Cover von Business Punk bricht er aber wirklich eine Regel (immerhin). Nämlich die, dass man als erwachsener Mann niemals jemandem oder etwas die Zunge rausstrecken sollte, wenn man eine Regel brechen will. Die rausgestreckte Zunge gilt nämlich nur bis zu einem Alter von ca. 5 Jahren als regelbrechender Punkergestus. Erwachsene haben andere Ausdrucksmöglichkeiten, zum Beispiel Molotowcocktails. Die Zunge strecken allenfalls solche Erwachsenen raus, die sich für „auch ein bisschen verrückt“ halten, weil sie manchmal „auch total verrückte Sachen“ machen. Spießer, in einem Wort. Aber seit sich erholsamerweise nicht mehr jeder Spießer überall mit Schmuck durchsticht und es alle zwei Minuten zwanghaft herzeigen muss, bleibt auch in dieser Bevölkerungsschicht das Schleckwerkzeug meist in seiner Höhle. Ob Teufelskerl Branson noch mehr Regeln bricht, steht vielleicht im Interview, aber das lese ich einfach nicht. So geht nämlich Punk. Konsequente Verweigerungshaltung. Ich weiß das, denn Punk ist mein Business.
Anderen muss erst mal erklärt werden, wer oder was Punk ist. Das macht Business Punk im ‚Dossier Andersmachen‘. Dort erfährt man, dass Quentin Tarantino Punk ist, weil er keine eigenen Ideen hat, und Benedikt Taschen, weil er fünfmal pro Tag onanieren kann. Ein ideenloser Wich Onanist wäre also der Alpha-Business-Punk. Hat das bei der Covergestaltung eine Rolle gespielt?
Was ist sonst im Heft? Unsinnsthema Twitter, Unsinnsthema Facebook, Unsinnsthema Meeting-Hölle. Zu letzterem gibt es ein lustig aussehendes Ja/Nein-Spiel mit Feldern und Pfeilen. Hab ich angefangen zu spielen, dauerte aber länger als jedes meiner Meetings der letzten Woche und war weit weniger amüsant. Dann haben wir noch Interviews mit Menschen namens Shaun White (irgendwas mit Skateboard), Oliver Kahn (wohl ein Fußballer) und Dings (CEO von Bums, wenn ich mir das richtig gemerkt habe). Und kann man überhaupt genügend selbstgerechten Zorn aufbringen, wie es nötig wäre, um sich angemessen über eine Story aufzuregen, die auf der Titelseite als ‚Sexy Sekretärin – Die Versuchung im Vorzimmer‘ angepriesen wird, und die im Heft ‚Zur Sache, Kätzchen‘ heißt, weil ‚Schätzchen‘ wohl nicht sexistisch genug war? Nein, kann man nicht, sonst motzt nur wieder der Stammtisch der Verwesenden über die böse ‚political correctness‘ (Stammtisch-Fachausdruck, normale Menschen sagen: Anstand). So geht man auch über das beigeklebte Gimmick mit unangebrachtem Großmut hinweg: Ein Türhänger mit den Worten „Komme gleich!“ und der Silhouette einer vermutlich nackt gemeinten Frau in James-Bond-Vorspann-Maßen. Man ärgert sich nicht, man wärmt sich nur am Gedanken: Wenn morgen die Sonne aufgeht, werde ich immer noch da sein. Business Punk aber nicht.
Trotzdem: Mir ist unbegreiflich, wie so ein Magazin überhaupt passieren konnte, und das gerade jetzt. Wofür haben wir denn die Krise? Wer macht sowas? Gut, es stehen Namen im Impressum, aber das können ja nur Decknamen sein. Ist hier die reine Verzweiflung die Antriebsfeder? Hat man wirklich nicht gewusst, dass ein Leben unterhalb der Armutsgrenze weit mehr Würde hat als eines als Mitarbeiter eines Magazins namens Business Punk? Hat mal wieder keiner von was gewusst? Ist es wieder soweit in Deutschland? Oder bin ich zu empfindlich, und Deutschland bekommt bloß die Zeitschriften, die es verdient?
Ja, könnte sein. Denn am gleichen Tag wie Business Punk sind zwei weitere neue Frauenzeitschriften für Männer erschienen: Gala Men (Topthemen: Brad Pitt und der Penis) und BEEF! (Topthemen: der Papst und Kochen mit Eiern). Der Tag war eh verloren, da habe ich mir die beiden auch noch gekauft. Erwartungsgemäß sind die Magazine für sich nichts als sinnloses Waldsterben, aber im Vergleich zu Business Punk sind sie künstlerisch, literarisch und konzeptionell von erlesenstem Niveau. Man könnte fast sagen: Punk. Aber nur fast, und nur man. Ich nicht.
Ich habe gewählt
Zweimal Zitrone, einmal Stracciatella.
MP3 rettet das Album-Format
Ich weiß noch nicht, ob digitale Musik die Musikindustrie vernichten wird oder nicht, ich bin doch kein Hellseher, fragen Sie mich später noch mal. Eines aber weiß ich: Musik-Downloads sind ein Glücksfall für das klassische Album-Format. Finde ich. Und ich bin der einzige realistische Maßstab, den ich ansetzen kann, alles andere wäre reine Spekulation. Ich gehe doch nicht extra in den Keller und werf das Internet an, um mir dann ein einziges Lied runterzuladen. Was soll ich mit dem machen? Das fliegt dann irgendwo rum, und am nächsten Tag weiß ich gar nicht mehr, dass ich es habe.
Mein unterbezahlter Dateimanager sagt mir, dass ich im Jahre 2004 ernsthaft mit dem Kauf rein digitaler Musik begonnen habe. Damals habe ich mir auch ein paar einzelne Lieder gekauft, es waren sentimentale Lieder, es gab Gründe, frage nicht. Jedenfalls wollte ich daraus eine Abspielliste mit sentimentalen Liedern erstellen, denn sentimental geht immer, dachte ich, die Liste wird Ausmaße annehmen, mein lieber Scholli, und die kann ich dann immer hören, wenn ich mich in tröstendem Selbstmitleid suhlen möchte.
Heute, rund 5 Jahre später, ist sie 3 Lieder lang. Wenn Sie es für Ihre Hausaufgaben genau wissen müssen: ‚Tiny Tears‘ von Tindersticks, ‚Dry Your Eyes‘ von The Streets und ‚Someday We’ll Know‘ von New Radicals.
Nicht, dass ich mir nie andere sentimentale Lieder heruntergeladen hätte, aber sie waren immer in einem Albumzusammenhang. Und wenn ich den Albumzusammenhang habe, brauche ich keinen anderen Zusammenhang. Wenn mir was gefällt, klicke ich auf ‚Album kaufen‘. Man kann doch In-Unserer-Schnelllebigen-Zeit nicht jeden Song einzeln evaluieren und dann womöglich noch Abspiellisten erstellen, damit es sich lohnt. Wer hat denn dafür Muße?
Früher, als Musik noch in erster Linie auf physischen Tonträgern verkauft wurde, habe ich mir durchaus hin und wieder Singles gekauft, Vinyl wie CD. Inzwischen kommt das gar nicht mehr in die Tüte. Muss auch nicht, denn seit physische Tonträger marginalisiert sind, sind Alben richtig gut geworden. Früher hatte sogar jedes insgesamt geniale Album ein oder zwei Gurkenlieder gehabt. Das traut sich heute kein ernst zu nehmender Künstler mehr. Sonst laden sich die ‚Kids‘ nur einzelne ‚Songs‘ runter, und die Gurken bleiben liegen.
Glücklicherweise sind Alben im Zuge der totaldigitalen Revolution auch wieder kürzer geworden. Die CD hatte da viel kaputt gemacht. Weil rund 80 Minuten drauf passten, waren viele Künstler und sogar einige ihrer Kunden der Meinung gewesen, man müsse die Zeit vollmachen, wolle man die Kunden nicht verschaukeln bzw. sich vom Künstler verschaukelt fühlen. Deshalb wurde die Welt verseucht mit unwürdigen Neuabmischungen eigentlich unverbesserlicher Meisterlieder, ermüdendem Instrumentalquatsch, Demoversionen, die niemanden was angehen, und Gurkenliedern 2.0, die in der Frühzeit der Tonaufnahme auf keine Single-B-Seite gekommen wären. Inzwischen sind beglückend viele Alben sogar inklusive Frühkäufer-Bonus-Material wieder bei einer Dreiviertelstunde angekommen. Genau die richtige Zeit um einen einzulullen, aber nicht lang genug, um einen zu langweilen.
Natürlich kann mit der neuen Darreichungsform auch Schindluder getrieben werden. Das äußert sich in der Unsitte, drei Knallerlieder auf einem Album nach vorne zu packen, und der Rest ist Schnarch. Sowas hat es früher nicht gegeben, gibt es aber heute ziemlich häufig. Es ist mir zwar peinlich, aber um der Aufklärung Willen gebe ich zu, dass ich im Sommer 2008 auf das Sommer-Hit-Wunder The Ting Tings hereingefallen war, weil mir die ersten drei Lieder ihres Albums beim Reinhören recht gut gefallen hatten. Also das ganze Album runtergeladen, das ganze Album gehört, und schnarch. Und jetzt hockt es auf meiner Festplatte und verhöhnt mich. Denn die drei guten Lieder waren freilich auch nicht gut. Ohrwürmer halt. Wie Würmer so sind, erst ganz lustig, dann doch nur Aasfresser.
Aber der Kunde ist nicht blöd. Fällt er einmal drauf rein, fällt er vielleicht auch noch ein zweites Mal drauf rein (dumdidum, The Kills, Midnight Boom, dumdidum), aber ein drittes Mal sicher nicht. Die Anzahl der Alben, die ich versehentlich wegen ihrer betrügerischeren Dramaturgie komplett gekauft habe, ist geringer als die der Lieder in meiner Sentimental-Abspielliste.
Hin und wieder äußern sich auch Musiker zum Thema Song-vs.-Album im volldigitalen Zeitalter. Man sollte nicht auf sie hören. Musiker wissen gemeinhin weniger über Musik als Musikhörer, denn die müssen schließlich damit leben. Billy Corgan, heute einziges Mitglied der Smashing Pumpkins, behauptet gerne, dass das Album tot sei, und man lieber hier und da mal einen Song veröffentlichen solle, sinngemäß. Ich habe das eine Weile mitgemacht, denn ich mag prinzipiell die aufgelösten Pumpkins lieber als die Band von damals, aber die letzten dieser Hier-Und-Da-Songs waren leider recht schwach, deshalb gerät mir das ganze Smashing-Pumpkins-Ding zusehends in Vergessenheit. Woran ich mich hingegen gut erinnere ist das letzte Album. Kein Meisterwerk, aber auch kein Beinbruch, auf jeden Fall des Erinnerns werter als die gefolgten virtuellen ‚EPs‘ und ‚Singles‘. Twix hieß früher Raider, Billy Corgan hieß früher Andrew Eldritch, und bei dem hat man irgendwann auch das Mitverfolgen aufgegeben. Ein Album hier und da hätte den Lauf dieser Geschichte vielleicht verändert.
Ein Mitglied der Gruppe Kraftwerk äußerte sich neulich genau gegenteilig, aber genauso fragwürdig. Der Herr (er hat einen Namen, aber ich kann mir die Kraftwerk-Namen nie merken) war hoch erfreut darüber, dass man die zeitlichen Fesseln der CD abgestreift hatte und nun Alben machen könne, die mehrere Monate Spielzeit haben. Sinngemäß. Oder waren es nur Tage? Jedenfalls zu lang, wenn man mich fragt.
Und dennoch erscheint mir diese Herangehensweise nicht ganz uninteressant. Ich weiß noch nicht, ob ich meinen Jahresurlaub dafür opfern werde, ein neues Kraftwerk-Album anzuhören, aber ich finde es gut, wenn Künstler neue Wege gehen. Ich muss ja nicht jeden Weg ganz mitgehen. Vielleicht lade ich mir dann nur ein Lied runter.
Internet-Manifest: Überarbeitete Endfassung
Diese Fassung ersetzt die vom 7. 9. 2009, die ich nicht gelesen habe.
1. Oberster Grundsatz: Einfach mal öfter mal was für sich behalten.
2. Internet zum Mitmachen ist blöde.
3. Denn wenn der Kuchen spricht, müssen die Krümel schweigen.
4. Ein paar Wochen ohne Internet haben noch niemandem geschadet.
5. Hingegen haben sich schon nachweislich Menschen zu Tode getwittert. (In Kanada und Portugal, können Sie gerne überprüfen)
6. Richtige Journalisten arbeiten in richtigen Medien.
7. SMS ist kein Journalismus.
8. Achtens hab ich vergessen.
9. Information will überhaupt nicht frei sein. Das hat sie nie behauptet.
10. Diebstahl ist Diebstahl.
11. Hier können Sie sich Ihren Teil denken: ___. (vorbei)
12. Für eine Abschaltung des Internet in Q2 2010 (Petition folgt).
13. Ein Betriebssystem ist kein Ersatz für eine richtige Religion.
14. Ein Browser auch nicht.
15. „Buddhismus“ auch nicht.
16. Hoch auf dem gelben Wagen sitz ich beim Schwager vorn.
17. Nicht immer so aufgeregt sein, ist doch bloß Internet.
Erstunterzeichner: Peter Sloterdijk, Karl Lagerfeld, Hannah Montana, Lady Gaga und zwei meiner drei verstorbenen Wellensittiche (eine Enthaltung)
Ihre Unterschrift: ________ (bei Minderjährigen nur mit 10 Mark Bearbeitungsgebühr in bar)
Diskussion: Bitte nicht bei mir im Treppenhaus, ich muss morgen früh raus
Vom Zähneputzen
Das Klischee geht so: Blogger schreiben in erster Linie darüber, wie sie sich die Zähne putzen. Ob das stimmt, weiß ich nicht, dafür müsst ich erstmal so einen Blog lesen, und das wird ganz bestimmt nicht passieren. Ich fände es aber drollig, wenn das Klischee stimmen würde, deshalb gehe ich hier mit gutem Beispiel voran.
Mein Zahnarzt neulich so: „Ey, kaufen Sie sich eine elektrische Zahnbürste, Alter!“ (aus dem Gedächtnis zitiert)
Ich so: „Ja ja.“
Gedacht habe ich natürlich: Sie können mich mal kreuzweise vonberlichingen. Und: Elektrische Zahnbürste! Das ist doch nur so ein neumodischer Schnickschnack wie Fahrradhelme, Bildschirmtext und tragbare Kassettenspieler!
Was weiß so ein Zahnarzt schon über sowas? Aber kurz danach hatte meine Mutter mir auch zu einer elektrischen Zahnbürste geraten, und meiner Mutter glaube ich das natürlich.
Meine Mutter hatte mich auch hinterrücks bereits angefixt, indem sie mir immer wieder elektrische Einwegzahnbürsten zugesteckt hatte, wenn sich unsere kosmopolitischen Wege kreuzten. Diese Zahnbürsten hatten mir gefallen. Sie waren unkompliziert und liefen mit integrierten Einwegbatterien. Mit anderen Worten: Wenn sie es nicht mehr bringen, kann man sie einfach wegschmeißen, wie Sprühdosen, Ideale oder Freundschaften.
Und jetzt bin ich stolzer Besitzer einer Braun Professional Care. Beziehungsweise bin ich schon seit einigen Wochen ihr Besitzer, aber ich bin vor ein paar Tagen erst dazu gekommen, sie zu benutzen. Ich war der Auffassung, dass die erste Inbetriebnahme größte Konzentration erfordere, und das ist die Krux beim Zähneputzen: es ist eine Routinetätigkeit, die bei größter Müdigkeit ausgeführt wird. Man bringt es hinter sich, bevor man aufs Amt oder zu Bett geht. Da will man sich nicht mit neuen technischen Features auseinandersetzen. Zähneputzen ist kein sexy Extrem-Hobby, bei dem man sich fotografiert und ‚Yeah!‘ schreit. Ist man erstmal Blendi-entwöhnt, denkt man nie wieder: Juhu – Zähneputzen! Man denkt nur: So … müde … uäh … auch … das … noch.
Was ich nicht wusste: Das wissen auch die Ingenieure elektrischer Zahnbürsten. Und da dachten sie sich: Wir machen es einfach mal einfach. Zu meinem großen Erstaunen braucht es nach Öffnen der Verpackung nur drei Handgriffe, und man ist wie wild am Putzen.
Wild ist das richtige Wort, denn nach 30 Sekunden ist alles voller Blut. Ich hätte gerne ein Foto davon gemacht, aber ich habe alle Hände voll zu tun. Man unterschätzt häufig, wie viel Blut in so einem menschlichen Körper ist. Stellt sich aber heraus, dass man die Brutalität der Zahnbürste regulieren kann. Ich stelle auf Baby, und dann geht’s.
Hinterher: Ein erstaunliches Gefühl. Ich entdecke erstmals, dass Zähne Zwischenräume haben. Ich hatte das immer für eine Lüge der Reklameindustrie gehalten. Diese Entdeckung kann man zwar auch mit Zahnseide machen, so hat man mir gesagt, aber das habe ich einmal probiert und gleich wieder aufgegeben. Zahnseide ist was für Leute, die sonst keine Hobbys haben. Ich habe wirklich auch noch andere Sachen zu tun.
Nutzwertiger Fazit-Block für Menschen, die nicht gut lesen können nutzwertorientiert denken
Pro elektrische Zahnbürste
• Geht schnell
• Macht Sauber
Kontra elektrische Zahnbürste
• Man kann kaum was nebenher machen
• Ist laut
Spaßfaktor: Mittel
Bedienung: 3 Grad
Gesamtwertung: Forelle blau
Ich kannte Zähneputzen bisher nur so, dass man währenddessen noch telefoniert, Halo spielt und Sushi rollt. Das geht mit einer elektrischen Zahnbürste nicht, sie erfordert die gesamte motorische Aufmerksamkeit. Apropos Motor: Es wird schon alles ein bisschen viel, was man so an Technik an seinen Körper lässt. An einem Morgen mit Vollprogramm wären das in meinem Falle der Rasierer, der Haarschneider und die Zahnbürste. Ganz schön viel Gesummse im und um den Kopf herum. Da komme ich mir vor wie Tetsuo, der Maschinenmensch.
Nach genauerem Studium der Gebrauchsanweisung meiner Zahnbürste stelle ich etwas Erschreckendes fest: Die beiden verschiedenen Bürstköpfe sind für verschiedene Anlässe: einer macht weiß, einer macht sauber.
Man muss sich also entscheiden, ob man gut aussehende oder gesunde Zähne haben möchte? Das ist ja genau wie bei der Figur! Naiv hatte ich angenommen, ich könnte beides haben. Schließlich ist so eine E-Zahnbürste zigmal teurer als eine akustische. Aber wenn ich nicht weiß und gründlich gleichzeitig haben kann, dann ist dieses ganze Zähneputzding vielleicht doch nichts für mich. Dann lass ich es lieber gleich.