Lange (und damit meine ich: relativ kurz) habe ich überlegt, ob ich überhaupt etwas über David Lynch schreiben sollte, jetzt, wo Sie wissen schon. Man schreibt bei diesen Anlässen ja letztendlich doch nur über sich selbst, und das scheint unangebracht und anmaßend im Schatten dieses viel größeren Geistes.
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Der Weihnachtsmann und die Superheldenmüdigkeit: Fakt oder Fiktion?
Sollte ich diesen Blog in diesem Jahr schon für sonst fast nichts genutzt haben, so will ich doch die Tradition ehren, mir hier über die Weihnachtsfilme und Weihnachtsfernsehserien Luft zu machen, die mir in diesem Jahr die Festsaison noch süßer gestalten sollten. Aber ach, dies wird wohl das letzte Mal sein. Nach einem sehr schwachen 2022er-Jahrgang (der entsprechende Beitrag ist beschämenderweise nicht weit unter diesem) ist, so viel sei vorweggenommen, die aktuelle Ausbeute noch niederschmetternder. Vielleicht kann man Weihnachten im nächsten Jahr mal ausfallen lassen. Zumindest medial. Die ‚Flimmerkiste‘ auslassen und (sanfte Geigenmusik setzt ein) sich einfach mal wieder mit der Familie an einen Tisch setzen und Mensch ärgere dich nicht spielen oder Käse erhitzen.
Beginnen möchte ich mit einer Altlast. Im letzten Jahr sahen meine Frau und ich aus Versehen die gesamte erste Staffel der Fernsehserie The Santa Clauses, eine Fortsetzung der Filmserie The Santa Clause mit Tim Allen. Das ganze war so bunt und so konsequent ideenlos, dass es eine gewisse hypnotische Sogwirkung auslöste. Das erlebten wohl viele ähnlich, und ehe man sich versah, zogen die Verantwortlichen bei Disney+ die falschen Schlüsse und verlängerten die Serie. Dieses Jahr allerdings wiederholte sich der ungute Zauber nicht, wir haben nach zwei Folgen den Ausstieg geschafft.Polizei sugoi
Am späten Donnerstagnachmittag habe ich alles gemacht, wie ich es immer mache: Nach dem Bezahlen meines Einkaufs im Supermarkt legte ich mein Portemonnaie neben meinen Warenkorb auf den Einpacktresen, packte meine Waren vom Warenkorb in meinen ‚Wittenberge das Tor zur Elbtalaue‘-Jutebeutel um und dachte mir voller Stolz auf mein Wahlheimatland: Also in Deutschland hätte ich das Portemonnaie nicht so einfach dahin gelegt, während ich Waren umpacke. Auf dem Heimweg dachte ich darüber nach, ob ich mir noch ein Schnickschnack-Bier im Schnickschnack-Bier-Laden oder einen Eismilchkaffee vom Convenience Store gönnen sollte, entschied mich in beiden Fällen aber dagegen, denn man gönnt sich ja sonst so viel. (Hätte ich mich anders entschieden, hätte ich womöglich meinen Fehler früher bemerkt.)
Dann arbeitete ich an den vorerst letzten Schliffen meines im Frühjahr erscheinenden neuen Kriminalromans, bereitete das Abendessen zu (Teriyaki-Huhn; für mehr reicht es während heißer Romanarbeitsphasen nicht), aß mit meiner Familie zu Abend, komplimentierte meine Tochter ins Bett, arbeitete ein bisschen weiter, holte mit meiner Frau ein paar Folgen der wunderschönen neuen Daily-Morning-Soap Boogie Woogie nach, komplimentierte meine Frau ins Bett, ärgerte mich allein ein bisschen mit dem Film Fistful of Vengeance herum (schade, dass der nicht von meinen Steuergeldern finanziert wurde, sonst könnt ich mich noch mehr aufregen), fand schließlich selbst zur Ruh. Ich hatte einen Traum, in dem meine Tochter endlich ihre Gestaltwandler-Fähigkeiten entdeckte und damit am Esstisch allen gehörig auf die Nerven ging. Viel zu früh brach der neue Tag an. Also alles wie immer.Mein Halloween mit Halloween
Die Jüngeren wissen es vielleicht noch nicht: Ich kann Halloween nicht leiden. Weder das kulturell entwurzelte Importfest, diese Horror-Amateurveranstaltung (alternativer Bindestrich: Horroramateur-Veranstaltung), noch die Filmserie, die niemals eine hätte werden dürfen. Also bekomme ich zur Halloween-Zeit immer ganz miese Laune und hervorragende Ideen, diese noch zu steigern. Diesmal: Warum gucke ich mir nicht mal wieder alle Halloween-Filme an? Und falls damit nicht genug Zeit verschwendet sein sollte: Warum schreibe ich nicht meine Gedanken und Gefühle dazu in meinen Blog hinein?
Ganz so schwer wollte ich es mir dann allerdings doch nicht machen und beschloss, mich allein auf die erste Staffel zu konzentrieren (1978 – 1995). Die Rob-Zombie-Filme habe ich stets gemieden und möchte es dabei belassen. Ich nehme Rob Zombie ab, dass er Horrorfan ist. Horrorregisseur ist er nicht. Und die aktuelle Trilogie ist mir zu aktuell, darüber mache ich mir in frühestens dreißig Jahren Gedanken. H20 von 1998 habe ich als „ganz gut“ in Erinnerung, und gute Filme sind hier nicht Sinn der Sache. Außerdem hatte ich beschlossen, nicht in chronologischer Reihenfolge vorzugehen, sondern in lustbasierter. Los ging es (nerviges Synthie-Gegniedel setzt ein) mit Halloween II: Das Grauen kehrt zurück von 1981, weil ich den Verdacht hatte, diesem Film zeit meines Lebens Unrecht getan zu haben. Das erste und bislang einzige Mal sah in ihn als Teil einer Gruppe betrunkener männlicher Teenager in der VHS-Ära. Es war nicht der erste Film des betreffenden Abends, und ich muss wohl eingeschlafen sein. In jugendlicher Arroganz rechnete ich das stets dem Film an, nicht etwa dem Dosenbier.Reinhard Mey verbieten!
Tarako Shampoo
Das da oben wäre ein guter Titel für eine schrullige kleine Independent-Film-Dramedy, finde ich. Eine Story wird sich schon ergeben. Vielleicht etwas über irgendeinen Mann, der sich in irgendeiner Krise befindet (Midlife? Quarterlife?) und eines Tages eine herrlich verrückte junge Frau mit kurzen Haaren kennenlernt (U-Bahn? Schnellimbiss?), die sein Leben ganz schön auf den Kopf stellt (aus der Bahn wirft? durcheinanderwirbelt?). Zum Schluss ist die Frau wieder weg, weil man Paradiesvögel nicht in Käfige sperren kann, und der Mann ein kleines bisschen wehmütig. Aber die Krise immerhin ist vorbei, und er kann die Welt mit neuen Augen sehen. Sundance Publikumspreis.
Aber genug von Tarako Shampoo, reden wir über Weihnachtsfilme. Sie schauen ja hoffentlich auch seit mindestens vier Wochen nichts anderes. Sollten Sie noch nicht angefangen haben, wird es höchste Eisenbahn. Mit diesem kurzen, unvollständigen Ausschnitt aus meiner diesjährigen Weihnachtsfilmkonsumhistorie möchte ich teils anregen, teils warnen.Unsere Saison begann mit einem kleinen Familienstreit. Meine Frau und ich waren uneins, welcher Film missratener wäre: Last Christmas (basierend auf den Werken George Michaels) oder The Family Stone (basierend auf einem Drehbuch von Außerirdischen, die noch nie einem Erdenmenschen begegnet sind). Ausnahmsweise musste meine Frau meiner Argumentation schließlich zustimmen: Beide Filme sind Schmarrn, aber Last Christmas ist zumindest aufrichtiger Schmarrn, der nicht vorgibt, irgendetwas anderes zu sein. The Family Stone hingegen versucht sich am großen amerikanischen Familiendrama, kommt jedoch nur bei Figuren an, die einander und vor allem den Zuschauern gehörig auf die Nerven fallen. Ungeachtet der offensichtlich hohen Ambitionen wird das Ganze als volksnahe Komödie verkauft, deshalb fällt zweimal jemand hin.
Last Christmas hat zunächst nur peripher etwas mit den Liedern von George Michael zu tun. Wird einer unsanft aus dem Schlafe geweckt, läuft halt … Sie wissen schon. Bis man am Schluss voller Freude über so viel Mut zum Schmalz feststellt, dass der Titelsong bereits einen RIESEN-SPOILER (!!!) enthält: „Last Christmas, I gave you my HEART…“ Ein Hoch auf die wortwörtliche Interpretation! Der ganze Filme quasi eine Nachricht von Sam äh Tom! The Sixth Sense! Fight Club! Und alles als romantische Weihnachtskomödie! Aber ich möchte nicht zu viel verraten. Alle Jahre wieder schmeißt uns Netflix gefühlt ein paar hundert lieblos und dilettantisch runtergekurbelte Weihnachtsfilme unter den Baum und lässt uns hoffnungsvoll nach dem einen qualitativen Ausreißer suchen. Single All The Way war er es schon mal nicht. Der Titel-Single lebt wegen Beruf und Lebensstil in San Francisco. Als er zum Weihnachtsfest in die kleinstädtische Heimat fährt, nimmt er aus Gründen, die ich bereits wieder vergessen habe, seinen Mitbewohner und besten Freund mit. Im Kleinstadtidyll müssen die beiden freilich – ganz langsam und gegen innere Widerstände – einsehen, dass es vielleicht etwas noch Besseres als Freundschaft zwischen ihnen geben könnte. Es ist schwierig, etwas Gemeines über einen Film zu sagen, der so gut gemeint ist, und in dem alle Menschen so nett zueinander sind. Also werde ich das auch nicht tun, schon gar nicht so kurz vor Weihnachten. In The Happiest Season ist im Vergleich zu Jingle All The Way einiges umgekehrt: In die Kleinstadt reisen zwei junge Frauen statt Männer, sie sind bereits ein Paar, statt grenzenloser Offenheit gibt es Geheimnisse über Geheimnisse, und alle Beziehungen sind so konfliktbeladen, dass man meinen könnte, diese Menschen wären bei anderen Menschen besser aufgehoben. Trotzdem habe ich mir das über weite Strecken gerne angesehen. Vielleicht wegen der nerdigen Schwester, die an ihrem Fantasy-Romanepos arbeitet, oder Daniel Levi, der hier glücklicherweise dieselbe Rolle spielt wie in Schitt’s Creek, nur unter anderem Namen (man kann mir nichts vormachen). Man muss den Film schon für eine sehr angestrengt vorbereitete Pointe lieben, bei der sich eines der Mädchen in einem Wandschrank versteckt, nur damit die Dame des Hauses bei Entdeckung fragen kann: „What are you doing in the closet?“ (Tsching-bum.) Der sehenswerte Netflix-Überraschungsweihnachtsfilm in diesem Jahr heißt leider Love Hard, er ist für Menschen mit Niveau und Anstand also besonders leicht zu übersehen, klingt der Titel doch nach einer dieser Spritz- und Gröl-Komödien für ungezogene Kinder. Es handelt sich dabei um eine Verquickung von Love Actually und Die Hard. Darauf bin ich allerdings auch erst einige Zeit nach Filmende gekommen. Als Titel also nicht ideal. Zumal die ewige Menschheitsfrage, welcher der beiden dabei vermischten Filme der beste Weihnachtsfilm aller Zeiten wäre, in Love Hard zwar durchaus verhandelt wird, aber kaum eine derart zentrale Rolle spielt, dass man gleich den ganzen Film danach benennen müsste. (Welchen deutschen Titel hat Love Hard eigentlich erhalten? Liebe langsam?) Von Inhaltsangaben halte ich noch weniger als von hypersensibler Spoiler-Hysterie, also sehen Sie selbst: Zum Schluss kriegen die beiden sich übrigens. Wunderschöne Szene, die dann tatsächlich Schlüsselszenen aus Love Actually und Die Hard verquickt. Hätte man trotzdem anders nennen können. Dieses Jahr habe ich selbst einmal den Direktvergleich Die Hard vs. Love Actually gemacht. Dabei ist herausgekommen, dass beide herausragende Vertreter ihrer Gattungen sind, ich Die Hard aber schon dermaßen auswendig kenne, dass ich mir nicht mehr einreden kann, der Spaß daran sei ungetrübt. Einmal pro Jahr Love Actually sollte derweil nicht zu viel verlangt sein. Und bitte laut mitsingen. Überhaupt: Wer glaubt, Die Hard sei ein Weihnachtsfilm, der glaubt auch, Coco-Cola hätte den Weihnachtsmann erfunden. Beides typische Klugscheißer-Meinungen und allenfalls Fakten der alternativen Sorte. Echte Fakten: Nicht jeder Film, der an Weihnachten spielt, ist ein Weihnachtsfilm, und den Weihnachtsmann gibt es bereits seit 1821 in Rot und Dick und mit Rentieren. Coca-Cola gibt es erst seit 1886 und den Coco-Cola-Weihnachtsmann erst seit 1931. Yippie Yah Yei, Schweinebacke. Ebenfalls kein Weihnachtsfilm ist The Advent Calendar, wie sich herausstellt. Gefunden habe ich ihn beim auf Horror spezialisierten Streaming-Dienst Shudder, also hatte ich schon so einen Verdacht. Über Shudder dachte ich immer: Die haben nur zwei Sorten von Filmen: Solche, die ich bereits unzählige Male gesehen habe, und solche, die ich kein einziges Mal sehen möchte. Über normalerweise gut unterrichtete Quellen (Kommentare in Horrorfan-Facebook-Gruppen) war mir derweil zu Ohren gekommen, dass es dort doch zwei oder drei Titel gäbe, für die ich mich schon lange interessierte, wenngleich nicht genug, um sie mir für viel Geld als Hardcopy aus Übersee kommen zu lassen. Man weiß ja, wie das läuft mit diesen Streaming-Diensten: Man denkt sich: Die paar interessanten Filme reiß ich in der Gratiswoche runter, danach sehen die mich nie wieder. Dann allerdings findet man ein paar interessante Filme mehr und entscheidet: Gut, einen Monat kann ich das ruhig bezahlen, aber dann bin ich raus aus der Sache. Und schließlich findet man: Auf ein Abo mehr oder weniger kommt’s jetzt auch nicht mehr an, und Hulu macht’s bestimmt eh nicht mehr lange. The Advent Calendar ist jedenfalls ein französischer Horrorfilm über einen bösen deutschen Adventkalender. Als Maso-Deutscher liebte ich ihn bereits, bevor ich ihn gesehen hatte. Danach allerdings nicht mehr ganz so sehr. Man erwartet von französischen Horrorfilmen ja entgegen allzu vieler Belege immer, dass sie irgendwie substanzieller, existenzieller, zumindest aber transgressiver als der Bubblegum-Horror amerikanischer Machart daherkämen. The Advent Calendar ist leider so konventionell, dass ich fest damit gerechnet hatte, dass aus dem letzten Türchen Freddy Krueger springen und irgendwas Lustiges sagen würde. Die einzige Überraschung war, dass das nicht passierte.Mein erster Rambo (1-5)
Ich bin zwar in dem Alter, aber ich habe bis vor kurzem nie einen ganzen Rambo-Film gesehen. Beim ersten hatte es sich seinerzeit irgendwie nicht ergeben, und beim zweiten hatte sich meine Gesinnung bereits so weit gefestigt, dass ich mental eher zu den Demonstranten vor den Kinos gehörte als zu den vom imperialistischen, reaktionären Hollywood-Propaganda-Kintopp hirngewaschenen Mäh-Schäfchen in den Sälen. Konkret habe ich natürlich nie demonstriert; hat sich auch irgendwie nicht ergeben. Der dritte Teil ist beim zweiten mitgemeint, den vierten habe ich mal im Fernsehen größtenteils verpennt, und der fünfte startete gleichzeitig mit Downton Abbey – der Film, da musste ich Prioritäten setzen.
Vor wenigen Tagen, vielleicht als Spätfolge meines gewissenlosen Freitag-der-13.-Marathons von neulich (wir berichteten), hatte ich das starke Bedürfnis, alte Versäumnisse nachzuholen. Warum sollte aus mir nicht in fortgeschrittenem Alter noch ein Rambo-Fan werden? Die Karate-Kid-Filme habe ich ebenfalls erst kürzlich erstmals gesehen und fand sie ganz goldig (wenn auch nicht ganz so goldig wie die neue Fernsehserie). Dieses Politikdings sehe ich heute nicht mehr so eng. Muss schließlich nicht jeder Film mit mir einer Meinung sein. Einen Rambo-Film muss eine Demokratie aushalten können. Oder fünf. Aber einer nach dem anderen. Der erste, zu Deutsch Rambo (Original: First Blood) ist der, auf den sich gemeinhin alle einigen können; selbst linksversiffte Gutmenschen wie ich. Er sei „ganz anders als die anderen“, wird gebetsmühlenartig versichert. Spoiler: Ist er nicht. Schon hier geht es um den guten Amerikaner, der nicht in Frieden leben kann, wenn ihn die Bösen nicht lassen. Dass die Bösen hier ebenfalls Amerikaner sind (ein fieser Kleinstadtsheriff und seine Redneck-Gurkentruppe, die Rambo fatalerweise mit einem unerwünschten Wander-Hippie verwechseln), gibt allenfalls mildernde Umstände. Bei allen minimalen Zwischentönen lässt der Film keinen Zweifel daran, dass es das noch gibt – das Gute Amerika. Und sein Name ist John Rambo. Das Ganze ist verpackt als ein überraschend wuchtiger Action-Thriller, den man je nach Tagesform für geradlinig oder simpel gestrickt halten darf. Wenn man manchem Verehrer so zuhört, könnte man ja meinen, es handele sich um ein geradezu subtiles Charakterdrama. Das ist es keineswegs. Rambo 2. Teil – der Auftrag (Original: Rambo: First Blood Part II) ebenso wenig. Meinen Gesinnungsgenossen zufolge gewinnt Rambo in diesem Film rückwirkend den Vietnamkrieg. Diese Interpretation ist gröber verallgemeinernd als das Weltbild der Rambo-Filme. In erster Linie schießt Rambo hier mit dem Flitzebogen auf Kraftfahrzeuge, die dann explodieren. Man muss fairerweise dazusagen, dass es sich um spezielle Rambo-Pfeile handelt. Gut zu wissen: Die bösesten Bösen sind hier gar nicht die edlen Vietcong, sondern die Russen. Und ein paar Amerikaner sind auch wieder böse (dieser fiese Billy-Idol-Sensei aus Cobra Kai ist dabei; man kann ihm einfach nicht trauen). Falls ich das alles richtig verstanden habe. Es war mitunter sehr laut. Eine alte Filmbewertungsregel lautet, dass die Qualität eines Films mit jedem Hubschrauber abnimmt; explodierende zählen doppelt. Bei Rambo 2. Teil – der Auftrag konnte ich zum Schluss nicht mehr mitzählen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, meine Zeit schon sinnloser vertan zu haben (wir berichteten). Rambo 2. Teil – der Auftrag ist sicherlich weniger gelungen als, sagen wir mal, Außer Atem oder Die Muppets-Weihnachtsgeschichte. Aber welcher Film wäre das nicht? Gerade wieder sehr angesagt bei der Generation Meme: Rambo III (Titel hüben wie drüben) ist der Film, in dem Rambo den guten Taliban beim Kampf gegen die bösen Russen unter die Arme greift. Fürs Herz reitet ein total süßer afghanischer Kindersoldat an seiner Seite. Dafür gab es seinerzeit von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) das Prädikat „wertvoll“. Es waren halt andere Zeiten, damals. Trotz allem ist Rambo III nicht der ärgerlichste Film der Reihe, sondern der liebenswerteste. Politisch sicherlich ein wenig ungelenk aus heutiger Sicht, aber so ein Actionfilm kann ja nicht immer alles vorher wissen. Wir dürfen an dieser Stelle schon einmal die Zwischenbilanz ziehen: Die Rambo-Filme sind Anti-Kriegsfilme im deutschen Sinne des Begriffs. Einen anderen Sinn kann es schließlich auch nicht geben, denn der Begriff ‚Anti-Kriegsfilm‘ ist ein deutscher Sonderweg. International werden Genrebezeichnungen eigentlich neutral gehalten: Ein Film, der den Krieg thematisiert, ist ein Kriegsfilm – was sollte er auch sonst sein? Nur das deutsche Gewissen möchte beim Kinobesuch schon vorab beruhigt werden und verlangt nach ideologischer Weisung. Eine Zeit lang war es sogar en vogue, Cowboyfilme der etwas komplexeren Art als ‚Anti-Western‘ zu bezeichnen. Dabei wäre die einzige schlüssige Art von Anti-Western ein Eastern. Seltsam, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, polizeikritische Krimis als ‚Anti-Krimis‘ zu titulieren. Jetzt habe ich über eines meiner Lieblingsmikroaufregungsthemen fast Rambo aus den Augen verloren. Die ersten drei bis vier Filme sind also Anti-Kriegsfilme, denn der Krieg wird in ihnen stets als grausam und sinnlos dargestellt, Militärs als bestenfalls inkompetente Hirnis, meistens jedoch als sadistische Soziopathen. John Rambo war mal im Krieg, und das hat ihm gar nicht gefallen. Jetzt will er nur noch Frieden schaffen, und zwar dalli. Dass er diese Sache anders angeht, als zum Beispiel Reinhard Mey das tun würde, liegt auf der Hand und ist kein Widerspruch zur Anti-Kriegs-Botschaft. Hat ja keiner was von einer Anti-Gewalt-Botschaft gesagt. Ich behaupte: Ein Rambo-Film wird niemanden in den Militärdienst treiben. Ein Rambo-Film motiviert eher, mit dem Flitzebogen in den Wald zu gehen. Wie bei mir früher Robin Hood. Rambo III, um endgültig zum Thema zurückzukehren, ist außerdem ein Anti-Hubschrauber-Film. Die Macher scheinen die putzigen Fluggeräte noch mehr zu hassen als die Macher des zweiten Teils. Trotzdem ist der dritte ein weitaus angenehmeres Erlebnis. Wenn man etwas fürs Action-Kino übrig hat, ist es schwierig, für Rambo III nichts übrig zu haben. Rambo 2. Teil – der Auftrag wirkt dieser Tage nicht spektakulärer als Geheimcode Wildgänse. Bei Rambo III hingegen kann man nach wie vor mit großen Kinderaugen staunen. Und da hat die Filmbewertungsstelle dann vollkommen recht: Das ist ungemein „wertvoll“.Ein später Sieg für den Sheriff: In Rambo: Last Blood (Original ebenso) hat John Rambo endlich eine Frisur, mit der es zu all dem gar nicht erst hätte kommen müssen. Jetzt ist es natürlich zu spät.
Im fünften Rambo hatte niemand die Absicht, eine Mauer zu errichten. Schade eigentlich, denn sonst hätte Rambos Nichte vielleicht nicht so leicht nach Mexiko ausbüxen und üblen Menschenhändlern in die Hände fallen können. Dieser womöglich letzte Teil der Serie ist so etwas wie Taken meets Saw, nur düsterer, brutaler und mit einem älteren Herrn in der Hauptrolle. Schwer nicht zu mögen. Aber mein Herz gehört weiterhin einem anderen Rambo-Film.Love Missile Betamax 3000
Ich entschuldige mich sogleich für die Überschrift, sie hat nichts mit dem Inhalt zu tun. Sollte mal ein Romantitel werden, allerdings ist mir auch kein Romaninhalt dazu eingefallen.
Aber wo ich Ihre Aufmerksamkeit habe: Ich glaube, ich bin letzte Woche ein paar Prozentpunkte blöder geworden, denn ich habe durchschnittlich einen Film der Filmserie Freitag, der 13. pro Tag gesehen. Und das kam so: Wir haben jetzt wieder Hulu. Wir hatten schon vorher zweimal Hulu gehabt. Das erste Mal, als es das nur in Amerika gab und alles ganz neu und aufregend war. Dann Hulu Japan versucht, weil es attraktive Hulu-Eigenproduktionen zu geben schien. Das war jedoch ein Irrtum; es gibt keine attraktiven Hulu-Eigenproduktionen. Schon gar nicht in einem fernsehkulturellen Dritte-Welt-Land (ich würde Entwicklungsland sagen, wenn es nur echte Anzeichen gäbe, dass sich da mal was entwickelt). Wo ich gerade Dritte-Welt-Land gesagt habe, wechsle ich schnell das Thema (Freitag, der 13. gibt eh nicht so viel her): Wo wäre denn Deutschland in diesem TV-Weltbild zu verordnen? Ich würde sagen: Locker Zweite Welt. Gibt sich stets große Mühe. Wegen meiner sprachlernwilligen Frau muss ich mir immer wieder aktuelle deutsche Produktionen ansehen, und oftmals bereue ich es nicht. Aaaaber … mir ist just aufgegangen, nach genauer Analyse, was das Problem deutscher Fernsehautoren ist: Sie glauben, ihre Charaktere müssten so reden, wie die Leute wirklich reden. Weil das dann ‚realistisch‘ ist, vielleicht sogar ‚authentisch‘. Realismus und Authentizität allerdings gehen so gut wie immer auf Kosten von Niveau und Unterhaltungswert. Im englischsprachigen Raum wissen die Autoren, dass Charaktere sprechen müssen, wie die Leute sprechen sollten. Deshalb gibt es dort oft geschliffene, tollkühne Dialog-Akrobatik, während es in Deutschland bloß bei „Fuck, Alter, wie krass ist das denn?!“ bleibt. Das ist schade, denn Plot, Figuren und Ästhetik hat das deutsche Fernsehen inzwischen durchaus drauf. Aber zurück zu Hulu. Wir kamen unlängst wieder angekrochen, in erster Linie wegen Columbo und Nizi Project. Wir haben uns nämlich vorgenommen, mehr über NiziU in Erfahrung zu bringen, als unsere Eltern damals über Adam and the Ants wussten. Aufhalten können wir sie eh nicht. Ich möchte nie ins Schleudern geraten müssen, wenn meine Tochter mich nach meinem Lieblings-NiziU-Girl fragt. (Nina, natürlich. Aber auf ihre Arten sind sie alle toll, obwohl ich zuerst Dings und Bums nicht recht auseinanderhalten konnte. Deren Namen lerne ich auch noch.) Columbo und Nizi Project haben uns voll und ganz befriedigt, doch dann kam Jason. Beim Stöbern im Filmangebot des Streaming-Services fand ich die Filme der Freitag, der 13.-Serie, zumindest die Teile eins bis acht und das Remake. Aus nostalgischer Trunkenheit (vielleicht auch bloß Trunkenheit) setzte ich sie auf meine Warteliste, abgesehen von Teil 1, bei dem ich bereits kürzlich im Linearfernsehen widerwillig hängengeblieben war, und dem Remake, weil gar so trunken war ich nun auch wieder nicht. Auf der Liste beließ ich sie erst mal, bis sie kollektiv den Warnhinweis trugen: Ablaufdatum in einer Woche. Ich musste es schaffen! Ich war völlig vernagelt. Ich machte es zu meinem Projekt. Ich stellte mir Outlook-Aufgaben, wie für alles andere in meinen Leben von „2 Minuten Zähne putzen“ über „Einwohnersteuer bezahlen“ bis „5 Seiten über Olympia (ohne Corona)“. Ich hake halt gerne Sachen ab. Also: „Diese Aufgabe ist heute fällig: Rest von Freitag, der 13. IV: Das letzte Kapitel gucken, mindestens halbe Stunde von Freitag, der 13. V: Ein neuer Anfang.“ Es war trotzdem nicht leicht. Diese Filme waren damals nicht gut, und sie sind heute unter aller Kanone. Jeder einzelne, abgesehen vom fünften oder sechsten, weiß nicht mehr genau, jedenfalls der, der sich gekonnt darüber lustig macht, wie unter aller Kanone diese Filme eigentlich sind. Früher haben meine Herrenbekanntschaften und ich bei diesen Filmen Salzgebäck verzehrt, mit Alkohol experimentiert, vom Schalk beseelt Tote gezählt und uns dabei hin und wieder in die Haare bekommen, ob Kakerlaken und Telefonleitungen auch zählten. Heute sind davon nur das Gebäck und der Suff geblieben. Anders ist es nicht zu schaffen. Ich bin in jener Woche also nicht nur merklich blöder geworden, sondern auch deutlich dicker. Zu den gelungeneren Aspekten der Serie gehört, dass die Teile sukzessive schlechter werden (abgesehen s. o.), wodurch rückwirkend der vorangegangene dann doch wieder vergleichsweise gelungen wirkt, und man sich sagt: „Hach, das war was, damals, gestern, bei Teil 3. Ob sich dieses Hochgefühl noch einmal reproduzieren lässt? Versuchen wir es doch mal morgen mit Teil 5.“ Ich möchte nun nicht jeden Film einzeln besprechen, das würde den Schmerz lediglich verlängern. Dennoch ein gut gemeinter Hinweis an die Macher: Der achte wäre vielleicht (ein ganz kleines bisschen) weniger enttäuschend, wenn er im Untertitel nicht Jason Takes Manhattan hieße sondern Jason auf einem Boot, das erst eine halbe Stunde vor Schluss in Manhattan ankommt. Wie in jedem Film eines gewissen Budgets wird Manhattan natürlich von Vancouver gespielt. (Kleiner indiskreter Industriegeheimnisverrat: Die meisten Szenen in Film- und Fernsehproduktionen, die auf Tokios bekannter Shibuya Crossing spielen, wurden in einem Studio in China gedreht, in dem eine perfekte Nachbildung steht.)Hana (6) über Alte Weiße Männer, Folge 2: Robert De Niro
Achtung, diese Folge ist geschummelt: Erstens war Hana bei der geschilderten Begebenheit erst schätzungsweise 4, zweitens hatte ich diesen Text ursprünglich für ein inzwischen aufgegebenes Buchprojekt über weise Vater-Tochter-Gespräche geschrieben. Schlimm ist das. Deshalb wird die Serie hiermit GECANCELT! Aber jetzt erst mal viel Vergnügen mit Robert De Niro. In weiteren Rollen: Ingrid Steeger, Iggy Pop und James Bond.
*** Manchmal, wenn das Leben es zu gut mit mir meint, habe ich bis zu zwei Minuten Zeit, um auf dem Sofa zu liegen und in Zeitschriften zu blättern. Dann kommt Hana, patscht mit der ganzen Hand auf ein Foto in dem Artikel, den ich lese, und lacht: „Opa!“ „Das ist doch nicht Opa.“ „Ein Opa.“ „Das ist Robert De Niro.“ „Hä?!“ „Wie bitte.“ „Wie bitte?“ „Robert De Niro.“ Sie macht abgehackte Bewegungen mit Armen und Hals. „Ich. Bin. Robot. De. Niro.“ „Robert, nicht Robot. Das ist ein ganz berühmter Schauspieler. Weißt du, was ein Schauspieler ist?“ „Ich weiß.“ Das sagt sie immer mit besonders großer Überzeugung, wenn sie etwas noch nie gehört hat. „Du weißt, dass das, was du im Fernsehen, im Kino oder auf dem Tablet siehst, nicht echt ist, nicht wahr? Das sind Leute, die tun nur so, als wären sie Polizisten, Zombies oder Köche. Nun, Köche sind sie manchmal vielleicht schon, aber du weißt, was ich meine. Wenn man nur so tut, als ob man was ist, nennt man das Schauspiel.“ „Ich weiß.“ „Wie Halloween.“ „Ich! Weiß!“ Sie patscht auf ein anderes Bild im Artikel. Es zeigt De Niro in seiner bekanntesten Rolle (zumindest denen, die Meine Braut, ihr Vater und ich nicht für einen seiner ‚frühen Filme‘ halten). „Noch ein Opa!“ „Das ist auch Robert De Niro. Da ist er sogar noch ziemlich jung. Jünger als Papa.“ „Ist Papa älter als Opa?“ „Ernsthaft? Dein Opa ist ungefähr so alt wie Robert De Niro.“ „Der Opa hat Haare wie Oskar.“ Oskar ist der Fressdrache aus den Geschichten um den kleinen Drachen Kokosnuss. Mit denen ist Hana vertrauter als mit dem Frühwerk Robert De Niros. „Das hat er nur für einen Film so gemacht. Darin spielt er einen Taxifahrer. Du weißt doch, was ein Taxifahrer ist.“ „Ich weiß. Ich mag Taxi. Aber warum komische Haare?“ „Damit … die Leute etwas zu lachen haben. Die sagen dann: ‚Du hast aber lustige Haare, Herr Taxifahrer‘, und dann steigen sie gerne in sein Taxi. Und dann haben sie eine lustige Fahrt. Und manchmal fahren sie um die Wette mit anderen lustig verkleideten Taxifahrern.“ „Wie Mario Kart.“ „Genau. Der Film ist so ähnlich wie Mario Kart.“ Ich erinnere mich, wie ich als Kind, gleichwohl schon älter als Hana heute, jeden Freitag mit Feuereifer das aktuelle Kinoprogramm aus dem Weser-Kurier riss und den Spielplan jedes einzelnen Schachtel-, Programm- und Erwachsenenkinos der Bremer Innenstadt genauestens studierte. (Die Älteren erinnern sich: Programmwechsel war in den deutschen Kinos bis in die Achtziger hinein freitags. Er wurde irgendwann auf den Donnerstag vorverlegt, damit die Filminteressierten, die in ihrer Planung nicht denselben Feuereifer an den Tag legten wie der kleine Andreas, bis zum Wochenende mehr Zeit zum Herausfinden hatten, was gerade lief. Ob es geschäftlich was gebracht hat, weiß man nicht. Das nur als kleine kulturhistorische Bonusinformation.) Oft musste ich meinen Vater fragen, welche Art von Film sich hinter einem Titel verbarg. Einmal fragte ich nach Uhrwerk Orange. Darauf antwortete mein Vater, ohne lange nachzudenken oder mit der Wimper zu zucken, es handele sich um die Geschichte eines Uhrmachers in der Schweiz, der Uhren aus Orangen baute. Ich hatte ihn sofort vor Augen, den weißbärtigen Uhrmacher in seiner Almhütte voller Uhren, Fruchtfleisch und Orangenschalen. Vielleicht meinte mein Vater, das klänge so langweilig, dass ich mich nicht weiter damit befassen würde. Da hatte er sich geirrt. Tag und Nacht, und das über Jahre, schlug mein Hirn Purzelbäume in seinen Bemühungen, zu begreifen, wie das funktionieren konnte: Uhren aus Orangen. Der Film war schon damals nicht mehr ganz neu, aber er lief ständig in irgendeinem Kino; es schien also genügend Leute zu geben, die sich für die Technologie hinter den Orangenuhren interessierten. Ich war einer von ihnen. Jener Tage ging ich gelegentlich mit wechselnden erwachsenen Begleitungen ins Kino, die Filme konnte ich mir innerhalb gewisser Rahmen aussuchen. Selbstverständlich schlug ich einmal Uhrwerk Orange vor. Das sei noch nichts für mich, bekam ich zu hören. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich kannte Orangen, ich kannte Uhren, keines von beiden schien mir ein exklusives Utensil der Erwachsenenwelt. Ich wusste, welche Filme nichts für mich waren: James-Bond-Filme. Die wurden in den Anzeigen des Kinoprogramms als „(s)explosiv!“ beschrieben. Das klang so versaut, dass ich mich wunderte, dass man mich das Wort auch nur lesen ließ. (Als ich später meinen ersten Bond-Film sah, war ich zwar angetan, musste aber feststellen, dass ‚sexplosiv‘ lediglich ein Synonym für ‚Frauen in Bikinis‘ war. Ein James-Bond-Film war also ungefähr so sexplosiv wie ein Besuch im Vegesacker Freibad. Vielleicht sogar etwas weniger, denn im Vegesacker Freibad gab es immer ein paar Libertäre, die sich ‚oben ohne‘ bräunten. Man konnte also, im Gegensatz zu einem Bond-Film, gelegentlich ‚was sehen‘. Von dem, was Ingrid Steeger zur besten Sendezeit im Fernsehen machte, wollen wir hier gar nicht erst anfangen.) Viele Jahre später bekam ich Uhrwerk Orange endlich zu sehen. Ob allein oder mit Freunden, auf Videokassette oder in einem Programmkino, weiß ich nicht mehr. Selbstverständlich war es der beste Film, den ich jemals gesehen hatte. Den Rest meiner Jugend sprach ich nur noch Droog. Nein, ich war kein Stück schockiert oder auch nur überrascht, dass es nicht um Uhren ging, die mit Orangen betrieben wurden. Ich war nämlich bereits in der Pubertät und wusste einfach alles, das meiste davon sogar besser. Nur ein Rätsel konnte ich nicht lösen: Wie kam mein Vater nur auf diesen Unsinn mit den Uhren und Orangen? Wusste er denn gar nichts? Hatte es ihm jemand falsch erzählt? Hatte er den Film verwechselt? Um auf Robert De Niro zurückzukommen: Er ist, wie gesagt, im ungefähr gleichen Alter wie mein Vater. Man vergisst es manchmal, dass die Koryphäen aus Kunst und Unterhaltung keineswegs auf ihren eigenen, gänzlich gesetzlosen Zeitsträngen existieren, sondern um ein Haar unsere Eltern, Geschwister, Großeltern sein könnten. Einmal besuchte ich mit Freunden ein Iggy-Pop-Konzert in einer Bremer Hardrock-Disco. Wir standen andächtig vor der Bühne, den zeremoniellen Plastikbecher mit Bier in der Hand, während Mr. Pop seiner Arbeit nachging, hager, mit langem Haar und entblößtem Oberkörper, eine assoziationsreiche Lichtgestalt. Da sagte einer meiner Begleiter nachdenklich: „Also, ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass mein Vater da oben auf der Bühne halbnackt rumspringen und ‚Pussy! Pussy! Pussy!‘ brüllen würde.“ Da dachte ich: Hab ich auch gerade gedacht. Worauf ich eigentlich hinaus wollte: Robert De Niro, +/- ein paar Monate im gleichen Alter wie mein Vater, wusste bestimmt schon in den 70ern, dass es in Uhrwerk Orange nicht in erster Linie um Uhren aus Obst geht. Und die Wahrscheinlichkeit, dass es meinem Vater nicht anders ging, ist groß. Das wird mir tatsächlich erst jetzt bewusst, da ich meinem eigenen Kind eine irreführende Beschreibung des Films Taxi Driver gegeben habe. Die wird sich noch wundern. Aber hoffentlich erst in vielen, vielen Jahren. Hana tippt mit ihrem rechten Finger in ihre linke Handfläche und sagt: „Pi-po-pi-po-pi …“ Dann hält sie die Handfläche ans Ohr. Sie spielt nun ‚Handy‘. „Wen rufst du an?“, frage ich. „Robert De Niro.“ Ich singe mit hoher Stimme: „Robert De Niro’s calling / talking Italian …“ Sie schaut mich an, als sei ich bekloppt. „Das ist ein ganz berühmtes Lied“, sage ich. Immer noch bekloppt. Und natürlich hat sie recht. Im Lied heißt es „Robert De Niro’s waiting“. Nicht ‚calling‘.Wie mir Diego Maradona half, ein besserer Autor zu werden
Klingt vielleicht komisch, aber ich habe mal in offiziellem Auftrag ein Konzept für einen TV-Mehrteiler über das Leben von Diego Maradona erarbeitet. Auftraggeber war ein Sportsender, der sein Kompetenzgebiet um fiktionale Formate erweitern wollte, damit in den kalten und ereignisarmen Monaten nicht immer die Abonnenten weglaufen. Ich hatte damals wie heute kein Interesse an Herrenfußball und wusste über Maradona nur: erst Fußball, dann dick.
Selbstverständlich nahm ich den Auftrag an, denn die allerwichtigste Regel beim Schreiben lautet: Sag immer ja. Bedingungslose Verfügbarkeit ist die halbe Miete, nahezu buchstäblich. Ich las mich durch Maradonas Leben und hatte bald ein differenzierteres Bild des Menschen, der mir vorher kaum mehr als eine tragische Witzfigur gewesen war. Dennoch: Seinem sportlichen und menschlichen Werdegang einen positiven Dreh abzugewinnen, wie es der Wunsch des Auftraggebers war, ohne allzu dreist lügen zu müssen (wie es ebenfalls dem Wunsch des Auftraggebers entsprach), war eine Herausforderung. Ebenso in seinem Leben und seiner Karriere Höhe- und Tiefpunkte zu identifizieren, die sich für eine episodische Erzählweise anboten. (Ich bin ganz entschieden nicht der einfältig-modernen Auffassung, dass Fernsehserien nichts anderes seien als überlange Filme mit kurzen Unterbrechungen). Für ein paar sehr intensive Tage und Nächte (so etwas muss ja am besten immer schon vorgestern fertig sein) war ich Maradona. Ich war noch nie zuvor Maradona gewesen, und dieses Arbeiten außerhalb aller meiner Wohlfühlbereiche war belebend, beängstigend und bereichernd. Die Serie ist natürlich – wie die meisten Serien – nicht zustande gekommen, doch der Sender war recht angetan und gab mir gleich den nächsten Auftrag. Dieselbe Chose mit einem Boxer, über den ich nicht viel mehr wusste als: erst boxen, dann beißen. Da war der positive Dreh noch ein wenig schwieriger zu finden, und ich wuchs noch ein bisschen mehr als Autor und Sportexperte. (Außerdem war es eine gute Gelegenheit, endlich meine Boxfilmwissenslücken zu schließen, und ich muss sagen: Ich verstehe nicht, was die Leute an Creed finden. „Armer Bubi boxt sich hoch“ ist eine Geschichte. „Reicher Bubi boxt sich runter“ ist keine. Zumindest keine, bei der ich mir auf den Knien vor dem Bildschirm alle Fingernägel abkaue.) Ungefähr zur gleichen Zeit arbeitete ich an einem größeren Projekt, von dem ich dachte, dass es mehr auf meiner Wellenlänge läge: eine Manga-Verfilmung über Killer-Cyborgs aus der Zukunft. Ganz meine Welt, meinte ich, schreibe ich mit links im Schlaf. Das Ergebnis kam allerdings nicht so gut an. Irgendwie flach, schleppend, unfokussiert, fand man. Es soll sogar gemurmelt worden sein, man könne sich gar nicht vorstellen, dass das dieselbe Type hingeschludert hatte, von der auch diese brillante Maradona-Geschichte war. Merke: Manchmal findet man seine Talente in genau den Ecken, in denen man ohne Überwindung gar nicht nachgeschaut hätte. Und so war mein erster Gedanke, als ich heute Morgen vom Tode Maradonas erfuhr: Ach, schade. Mein zweiter war natürlich, ob man nicht jetzt noch einmal über diese Serie verhandeln sollte. Das Leben geht schließlich weiter.