Wie ich einmal ohne Pokémon spazieren ging

(Ich sage gleich, nach der nächsten Klammer, etwas unglaublich Blödes, fange aber schon einen Satz später an, es zu relativieren. Diese Warnung nur, damit Lesende, die ungern unglaublich Blödes lesen, nicht schon nach dem ersten Satz mit dem Lesen aufhören.)

Ich hasse Pokémon Go. Ich hasse wohlgemerkt nur das Spiel an sich. Alles andere, was damit zusammenhängt, finde ich super. Ich finde es toll, dass so viele Menschen es toll finden. Ich freue mich, dass es Nintendo, einem der sympathischsten Großkonzerne der Welt, nach einigen Krisen hilft, sich gesundzuwachsen. Mir ist durchaus bewusst, dass Nintendo das Spiel weder selbst gemacht, noch selbst vermarktet hat, sondern es an eine Firma outgesourcet hat, die es an eine Firma outgesourcet hat, doch ich glaube ganz fest an den Trickle-up-Effekt.

Ich bin gerührt, wenn ich junge Pärchen beim gemeinsamen Pokémon-Jagen sehe. Ebenso beim Anblick verschmitzter älterer Damen, wenn sie ihr Handy aus der Handtasche zaubern, um kurz mal eine Kreatur einzusammeln, und es dann wieder mit einem zufriedenen Lächeln wegstecken. Es freut mich, wenn mir Gruppen kleiner Jungs mit konzentriertem Blick aufs Fon entgegenkommen. Besser als Rauschgift hinter die Augäpfel spritzen, denke ich dann. Ich bin noch immer voller Bewunderung für die junge Office Lady, die heute Morgen neben mir ein Pokémon aus dem fahrenden Zug heraus abgeknallt hat und sich danach weiterschminkte, als sei nichts gewesen.

Das war ungefähr zwanzig Minuten, bevor ich Pokémon Go zum zweiten Male (und endgültig) von meinem Telefon deinstallierte. So sehr mich die Begeisterung der anderen begeistert, mich lässt das Spiel kalt. Ich will keine Pokémon und keine Pokébälle, ich kann damit nichts anfangen. Liebe lässt sich nicht erzwingen. Phantomnostalgie, also die sentimentale Verklärung von Vergangenheitsphänomenen, die eigentlich gar nicht Teil der eigenen Vergangenheit sind, ebenfalls nicht. Ich muss schon Mitte 20 gewesen sein, als die Pokémon zum ersten Mal das Licht der Welt erblickten (es berührt mich nicht genug, um es genau zu recherchieren). Pokémon waren für Kinder, und in keinem Lebensalter hat man einen so festen Stock im geistigen Hintern wie mit Mitte 20. Da will man sich mit Kinderkram partout nicht auseinandersetzen. Ich habe das Phänomen nur am Rande wahrgenommen, und mehr als eine Randerscheinung wurde es mir auch nicht, nachdem der Stock hinten drin sich wieder gelockert hatte.

Wenn ich sage, mich lässt das Spiel kalt, widerspricht das den stärkeren Worten, die ich eingangs gewählt hatte. Hass ist bestimmt kein kaltes Gefühl, es brennt vor Leidenschaft. Tatsächlich kam zeitweise etwas wie Hass auf, als ich selbst mit dem Telefon in der Hand durch die Straßen von Meguro und Ebisu wandelte, auf der Suche nach Pokémonen und Pokéspots. Es war eher ein Kampf gegen Perspektiven und Displayeinstellungen als eine Jagd auf possierliche Kreaturen. Allerdings kann ich es wohl kaum dem Spiel ankreiden, wenn ich zu blöd bin es zu spielen, während der Rest der Erdbevölkerung von 7336 Millionen es offenbar nicht ist.

Leider fand ich keinen Anreiz, mich genauer mit der Handhabung des Spiels und der Technik meines Telefons zu befassen. Ich hatte gehofft, dieses Spiel schärfe meinen Blick für meine Umgebung, doch genau das Gegenteil war der Fall. Ich blendete alles aus, was nicht mit den Hinweisen auf dem Bildschirm zu tun hatte. Ich hatte gehofft, dieses Spiel würde mich süchtig machen, so wie es überall und von jedem versprochen wurde. Ich hatte schon lange nichts mehr gefunden, was mich süchtig gemacht hätte. Ich fand es auch hier nicht. Ich fragte mich nur, wann dieses Spiel denn endlich vorbei wäre.

Als ich entschieden hatte, dass das Spiel vorbei war, wenn ich es sage, war es mir wieder eine Freude, auf die Straße zu gehen. Freilich brauchte ich eine Ersatzbefriedigung, gewisse Spuren, Kratzer auf der Psyche, hatte das Spiel durchaus hinterlassen. Zuerst plante ich, statt Pokémon zu fangen Pokémon-Fänger einzufangen, natürlich nur mit der Kamera. Aber ich hatte mir vorgenommen, mit ekligen Hobbys wie Heimlich-fremde-Menschen-fotografieren frühestens mit 50 anzufangen, es ist ja gottlob nicht mehr lang. Dann merkte ich, dass mein Leben und Gehen bereits ausreichend gamifiziert sind, ich brauche keinerlei neue Anreize. Zum Beispiel bin ich ständig auf der Jagd nach Getränkeautomaten, die Pop verkaufen.

Gotcha:

Pop ist so exklusiv, dass es nur in Automaten erhältlich ist, und freilich auch nicht in jedem. Könnte ich jeden Tag mehrere Flaschen von trinken. Soll ich aber nicht.

Außerdem bin ich immer auf der Suche nach besonders köstlichen internationalen Namen japanischer Wohnhäuser. Ich selbst wohne im Lion’s Plaza, darunter würde ich es nicht machen. Dieses hier gefällt mir, weil es in unmittelbarer Nähe des Wohnhauses meiner Schwiegereltern ist:

Besser wäre es natürlich, wenn meine Schwiegereltern, also unter anderem der Opa meines Pokémons äh meiner Tochter, direkt im Maison Opa wohnen würden.

Maison Opa ist übrigens kein ausgewiesenes Seniorenwohnhaus. Dieses allerdings ist eines:

Nun schnalle ich wieder mein Pokémon in seinen Wagen, nehme einen kräftigen Schluck Pop und mache mich auf die Jagd nach weiteren Hütten und Palästen. Der Weg ist nicht immer leicht. Aber er lohnt sich.

Servus, mach’s guad, und vielen Dank für den Steckerlfisch

Ich ziehe bald um, die Sentimentalität setzt bereits ein. Zwischen Überseekisten, Exportdokumentation und Inventarlisten bleibt derweil kaum Gelegenheit für ausgiebige Introspektion. Vielleicht schreibe ich mal ein Buch über München, wenn ich in Tokio bin, ging umgekehrt schließlich auch. Heute möchte ich im Schnelldurchlauf schon mal rekapitulieren, was eigentlich in den letzten rund 18 Jahren so passiert ist.

Als sich in Bremen 1998 zum ersten Mal jemand am Telefon mit „Grüß Gott!“ bei mir meldete, hielt ich das für einen Scherzanruf. Ich kannte diesen Ausdruck nur aus Heimatfilmen und wusste wirklich nicht, dass er noch irgendwo im aktiven Gebrauch war. Außerdem hielt ich Bayern insgesamt für rechtsradikal (CSU) und München für die Hauptstadt der Rechtsradikalen (dass die bayrische Landeshauptstadt die sicherste Sozi-Hochburg der Republik ist, weiß außerhalb Bayerns leider so gut wie niemand, zu mächtig ist die finstere Reputation des Umlandes). Trotzdem hatte ich mich dort für einen Job beworben, weil ich an der Uni die Übersicht verloren hatte und nicht glaubte, dass ich da noch mal hingehen würde. Und weil ich meinte, ich könnte mich an einem fernen Ort ganz neu erfinden (Spoiler: das ging nicht, das geht nie. Es liegt nicht in der Natur des Menschen, sich selbst jemals neu zu erfinden.) Die Grüß-Gott-Stimme am Telefon teilte mir mit, man habe meine Bewerbung erhalten und würde mich gerne zum Vorstellungsgespräch einladen.

Das Vorstellungsgespräch war die reinste Katastrophe. Es ging um eine Redakteursstelle bei einer Illustrierten für Computerspiele. Ich besaß erst seit ungefähr einem Jahr einen Computer, und die einzigen Spiele, die ich kannte, waren Duke Nukem 3D und Sam & Max. Die fand ich immerhin so toll, dass ich die Zukunft der Unterhaltung, der Kunst und des Erzählens im Bereich der Computer- und Videospiele sah, womit ich ja auch recht hatte. Ich log faustdick, was meine Qualifikationen anging, und die meisten Lügen flogen noch während des Gesprächs auf.

Noch überraschter als vom ersten Grüß-Gott-Anruf war ich vom zweiten, der mir mitteilte, dass ich den Job hätte, so ich ihn wollte. Ich habe zwar keine Ahnung von der Materie, aber man wolle mal jemanden mit einem „journalistischen Background“ ausprobieren.

Klassische Computerspiele-Illustrierte haben allerdings keinen Bedarf für Journalismus. Die haben nur Bedarf für Buchhalter, die Formulare mit Testergebnissen ausfüllen. Ich kündigte noch vor Ablauf der Probezeit. Eine Panikreaktion, weil ich die Schande einer Kündigung durch den Arbeitgeber entgehen wollte. Rückblickend betrachtet war meine Anstellung wohl nicht so gefährdet, wie ich damals angenommen hatte, meine Arbeit war eigentlich anständig. Die richtige Entscheidung war es dennoch, denn ich war todunglücklich. Wo man einem Chefredakteur wirklich den Begriff ‚Pornomusik‘ erklären muss, und er es dann immer noch nicht versteht, kann man sein lyrisches Federkleid nicht allzu schillernd spreizen.

Eine neue Arbeitsstelle ist freilich stets schnell gefunden. Ich log und schleimte mich in eine PR-Agentur, selbstredend mit schlechtem Gewissen. Zum journalistischen Selbstverständnis gehört es, PR als die dunkle Seite der Macht zu sehen. Ich bekam den Job, weil die Agentur jemanden mit einer „flotten Schreibe“ suchte.

PR-Agenturen haben allerdings keinen Bedarf für „flotte Schreibe“. Die, die ausdrücklich danach suchen, sind die, die am wenigsten Ahnung davon oder Verwendung dafür haben. Eines Tages fragte einer der Agentur-Kunden meine Chefin in vollem Ernst und echter Verzweiflung, ob der Neuenkirchen „vielleicht geisteskrank“ sei, nachdem ich eine seiner Pressemitteilungen mal ohne Mehrkosten etwas „flotter geschrieben“ hatte.

Lange durfte ich dann nicht mehr bleiben. Dennoch erachte ich es bis heute als einen meiner größten beruflichen Triumphe, dass der Schwindel erst neun Monate und zwei Gehaltserhöhungen später aufgeflogen ist.

Falls wer meint, tiefer als PR-Agentur könne man nicht sinken: zwischenzeitlich habe ich noch schwarz bei einer namhaften Werbeagentur gearbeitet. Ich schrieb Rundfunkreklame für eine Möbelhauskette. Es ging um ein Geheimagentenpaar auf der Suche nach überirdischen Angeboten. Die Spots wurden produziert, aber nie gesendet.

Nächster Stopp: eine Verlagsneugründung, dort insbesondere ein sogenanntes Lifestyle-Magazin mit Schwerpunkt Unterhaltungselektronik. Unterhaltungselektronik ist nicht gerade das majestätischste Steckenpferd in meinem Stall, ist allerdings ein Thema, das man sich als geübter Blender schnell aneignen kann. Wegen „flotter Schreibe“ durfte ich in gewissen Bereichen des Heftes machen, was ich wollte, also war ich verhältnismäßig glücklich. Eigentlich bin ich ja ein genügsamer Typ.

Leider sind Menschen, denen die Wahl der richtigen Unterhaltungselektronikkomponenten extrem wichtig ist, in der Regel genau die Menschen, die extrem wenig lesen. Nach 1 ½ Jahren war das Magazin am Ende, ein halbes Jahr später der ganze Verlag. Lag vielleicht auch daran, dass der Verlag relativ wenig Skrupel hatte, wenn es um die Erstattung von Reisekosten ging. Eine Zeit lang war meines ein herrliches Leben im Klischee, ein Leben zwischen Deutschland, Marokko, Spanien, Italien, Großbritannien und Japan. Besonders Japan hatte es mir angetan. Sogar so sehr, dass ich eines Tages bei Edeka im Olympia Einkaufszentrum knapp zwei Euro locker machte und mir das Buch Gebrauchsanweisung für Japan von Gerhard Dambmann vom Grabbeltisch kaufte und mir vornahm: ‚Wenn ich einmal groß bin, möchte ich auch so ein Buch schreiben.‘

Nach der Abwicklung des Verlages ging ungefähr die gesamte Belegschaft zu Amazon. Amazon war mir als Unternehmen schon immer sympathisch. Auf einer Party anlässlich der Angebotserweiterung um Video- und Computerspiele, zu der ich einmal als Pressevertreter eingeladen war, gab es leckeres Dosenbier und gelbe Amazon-Badehandtücher als Geschenk. Meines hat extrem lange gehalten und war stets sehr flauschig. Also hatte ich mich gleich dreifach dort beworben: als Redakteur für Bücher, als Redakteur für Videokassetten und notfalls als Redakteur für Unterhaltungselektronik. Letzteres bin ich dann erst mal geworden, wohl wegen beruflicher Vorbelastung.

Meine knapp 15 Jahre bei Amazon brachen endlich den Fluch meiner Reputation als beruflich flatterhaft, die mir mein dreifacher Wechsel in nicht mal drei Jahren eingebracht hatte (dabei war nur der erste Wechsel komplett auf meinem eigenen Mist gewachsen). Ich würde die Amazon-Ära folgendermaßen bilanzieren: 7 magere Jahre, 7 fette Jahre, und eines, in dem ich schon nicht mehr so richtig da war (würde ich auch in der Kategorie ‚fett‘ sehen). Insgesamt keine schlechte Bilanz für ein Arbeitsverhältnis, finde ich. Arbeit ist schließlich Arbeit, und Ponyhof ist Ponyhof, und wenn man nicht gerade auf einem Ponyhof arbeitet, sind das zwei sehr unterschiedliche Dinge. Diesen Umstand habe ich nie als skandalös empfunden.

Selbstverständlich besteht das Leben nur zu einem Bruchteil aus Arbeit, der Rest ist Ponyhof. Das Büro meines frühen Lifestyle-Jobs war passenderweise in der Nähe von Straßenstrich und Kunstpark Ost. Letztere Nähe nutzten die Kollegen und ich recht ungehemmt. Zum Trinken, aber mitunter sogar zum Tanzen. Der Kunstpark war sozusagen unser Ponyhof. Hier feierte ich angstfrei meinen 30. Geburtstag unter Kollegen, die mir Freunde geworden waren, darunter auch CSU wählende Bayern. Einer von ihnen ließ zu vorgerückter Stunde gerne mal die Fäuste sprechen. Vor allem dann, wenn jemand sich anschickte, den Ausländern in unserer Gruppe blöd zu kommen. Sein Wahlverhalten heiße ich trotzdem nicht gut, das kann man auch anders lösen.

Später wurde der Kunstpark umbenannt in Kultfabrik und wurde genauso schrecklich wie dieser Name. Man ging dann nur noch notgedrungen und widerwillig zu unverzichtbaren Konzerten hin und danach schnell wieder weg. Als das Areal im letzten Jahr komplett geschlossen wurde, war es einem schon gänzlich egal. Bei meinem letzten Besuch wurde ich auf dem (kurzen) Weg vom Ostbahnhof zur Kultfabrik dreimal von unterschiedlichen Händlern angesprochen, ob ich gerne Drogen kaufen würde. Nein, wollte ich nicht, will ich nie. (Kleine Randnotiz für besorgte Bürger: Kein Grund zur Besorgnis; die fliegenden Händler waren allesamt weiße Milchgesichter in teurer Marken-Ghetto-Garderobe). Der Zweck meines Besuches war ein Konzert von Peter Murphy gewesen, ihm ging es an dem Abend auch nicht so gut. Hatte sich vielleicht auf dem Weg was andrehen lassen.

Zweimal musste ich in München eine Wohnung suchen, beide Male war es ein Kinderspiel. Ich kenne die epischen Horrorgeschichten anderer Wohnungssuchender und komme nicht umhin, ihnen eine Mitschuld zu geben. Sie scheinen an ihren eigenen Ansprüchen zu scheitern. Offenbar besteht jeder auf ein geräumiges Apartment im Glockenbachviertel oder in Schwabing oder sonst wo direkt über der eigenen Stammszenekneipe, selbstverständlich Altbau mit Parkettboden, und selbstverständlich technisch und hygienisch auf dem neuesten Stand und bitteschön bezahlbar vom Praktikumsgehalt. Ich hingegen habe rund 18 Jahre in Moosach gut und günstig gewohnt. Zuerst mit Teppichboden, bin ich auch nicht dran gestorben. Einer meiner Vermieter war besser als der andere, in Ordnung waren beide. Ich habe nie eine Wohnungsbesichtigung erlebt, bei der mehr Interessenten als meine Frau und ich anwesend waren. Ich habe es nicht als Zumutung empfunden, ein paar Stationen mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu müssen, wenn ich etwas mehr Aufregung haben wollte, als Moosach zugegebenermaßen zu bieten hat. Tatsächlich glaubte ich, dass die Distanzüberwindung im Begriff ‚Ausgehen‘ mitschwingt (für viele ist das aber wohl nur ein Synonym für ‚vor die Türschwelle treten‘).

Meine Zeit in München war nicht zuletzt eine Zeit stetiger Gesundung. Das mag mehr an der Zeit und der zunehmendem Alterseinsicht liegen als am Ort, im Bewusstsein wächst es trotzdem zusammen. Während ich eines Silvesters alleine zu Hause saß, so wie ich es gerne tat, und den Film Elementarteilchen schaute, sagte ich mir: ‚Wie wäre es, wenn ich mir nach dieser fast leeren Zigarettenschachtel nie wieder eine neue kaufe?‘ Und so kam es, dass ich mich bezüglich Elementarteilchen in erster Linie daran erinnere, dass ich während des Schauens meine letzte Zigarette geraucht habe. Ob ich sie rauchte wie Houellebecq, weiß ich nicht mehr.

Zu illegalen Drogen hatte ich in Bremen stets ein Verhältnis wie zu Toffifee: Ich habe mal ein oder zwei genommen, wenn welche auf dem Tisch standen; ich wäre aber nie auf die Idee gekommen, mir selbst welche zu kaufen (der Fachterminus ist wohl ‚Schnorrer‘). Da in München nie jemand welche auf meinen Tisch gestellt hat (Drogen, nicht Toffifee), durchlebte ich den unspektakulärsten kalten Entzug aller Zeiten.

Mein Alkoholkonsum, das muss ich eingestehen, blieb lange Zeit auf einem hohen Niveau, das bei aufgekratzten Teenagern vielleicht niedlich ist, bei Volljährigen allerdings eher traurig und beunruhigend. Ich war überrascht, wie einfach die Lösung war: Sport. Als aufgekratzter Teenager hatte ich stets gehässig über all die gut gemeinten Gesundheitskampagnen gekichert, die sogenannten ‚Kids‘ weismachen wollten, dass Sport viel mehr Böcke mache als Drogen, Alter. Das Problem dieser Kampagnen, so weiß ich inzwischen, ist nicht, dass die Aussage nicht stimmt. Das Problem ist, dass die Kids das nicht glauben. Könnt ihr aber, Kids.

Natürlich trinke ich weiterhin Alkohol, ich bin ja nicht blöd. Allerdings inzwischen auf familienfreundlichen Niveau.

Das war nun also in sehr groben Zügen Episode 2: München. Und so vieles wurde noch nicht mal angerissen. Etwa wie ich einmal Gefangener einer religiösen Sekte war. Oder wie ich eine Bande mallorquinischer Poker-Betrüger verklagte. Und die Familienwerdung scheint mir auch nicht ganz unerheblich.

War diese Episode besser oder schwächer als Episode 1: Bremen? Schwer zu sagen, sie war halt anders. Vielleicht ein kleines bisschen erwachsener, also mit mehr Längen. Jetzt freue ich mich auf jeden Fall auf Episode 3: Tokio.
(Die Bilder dieses Beitrags stammen übrigens von der verehrungswürdigen Quasi-Ko-Autorin meines nächsten Buches Matjes mit Wasabi.)

Wie ich Diablo 4 rettete

Vor rund zwei Jahren habe ich mir ein Computerspiel gekauft, und jetzt komme ich endlich dazu, es zu spielen. Denn Diablo III ist das perfekte Spiel für Säuglingseltern. Man kann schnell mal eine Runde einschieben, wenn sich das Kind gerade zu seinem nächtlichen Halbstundenschlaf hat bewegen lassen und der andere Elternteil das unter der Dusche feiert. Gottlob ist das Spiel nicht gut genug, um größeren Trennungsschmerz auszulösen, wenn man sich nach dieser kurzen Zeit der inneren Einkehr und des Monsterzerhackens wieder anderen Herausforderungen stellen muss.

Das ist zwar praktisch, aber in einem gewissen Sinne auch ein bisschen schade. Die vorherigen Diablo-Spiele konnte man schließlich ganze Semesterferien am Stück durchspielen, ohne dass es stinklangweilig wurde. Mag sein, dass der verflossene Reiz und der gedämpfte Enthusiasmus ein bisschen damit zu tun hat, dass 44 eben doch nicht die neue 27 ist. Andererseits komme ich jetzt in genau den Lebensabschnitt, in dem ich mich intellektuell merklich zurückentwickle und mit Wonne jede Prätention fahren lasse (bitte verraten Sie meiner Frau nicht, wie viele Batman-Comics ich mir in den letzten Tagen heimlich heruntergeladen habe). Ich bin mir sicher, dass es nicht an mir liegt, sondern an Diablo 3. Um die Reihe vor sich selbst retten, habe ich einen Fünf-Punkte-Plan aufgestellt, der bei der Produktion des nächsten Spiels befolgt werden muss.

Bevor es losgeht, muss ich mich schon für den ersten Punkt entschuldigen. Es wurde schon so viel über diesen Aspekt gemeckert, dass man sich als Troll fühlt, noch einmal damit anzukommen. Andererseits ist der Troll ja aus der Fantasy kaum wegzudenken, und die Kritik bleibt berechtigt. Wer also den Elefanten im Zimmer, wie man im anglofonen Raum sagt, bereits bemerkt hat, kann gleich zum zweiten Punkt springen.

1. Der Elefant

Der Immer-Online-Zwang selbst für Spieler, die einen heiligen Eid geschworen haben, niemals, niemals, niemals mit anderen Kindern zu spielen, muss weg. Er machte Diablo III für Tage nach der Veröffentlichung unspielbar, sorgte auch danach noch für massive technische Probleme, ist eine Ressourcen fressende, unfreundliche, gruselige Gängelung ehrlicher Käufer. So geht man nicht mit Kunden um, Kunden sind schließlich Könige, und Könige können selbst entscheiden, wann sie online sein möchten.

2. Nicht das Rollenspiel in ‚Action-Rollenspiel‘ vergessen

Liebe Diablo-Entwickler: wir sind zwar blöd, aber nicht so blöd, wie ihr zuletzt wohl gedacht habt. Die Diablo-Spiele betonten die Action in ‚Action-Rollenspiel‘ immer stärker als das Rollenspiel, und das war auch gut so. Wir wollen bloß keine verzweigten Dialog-Bäume, Mitentscheidungspflicht in Handlungsdingen oder Open-World-Unsinn. Die Action war immer die Suppe von Diablo. Doch die Rollenspielelemente, in erster Linie also die sorgsame Pflege und Weiterentwicklung der eigenen Spielfigur, waren stets das Salz. Durch die weitere Reduzierung, vulgo Runterdummung, der rollenspielerischen Elemente in Diablo III schmeckt die Suppe etwas fade. Diablo III ist kaum mehr als ein aufwendig getarntes Arcade-Spiel. Das kann man mal kurz zwischendurch schlürfen, aber es ist kaum ein Hauptgang, wenn ich meine Suppen-Metapher mal überstrapazieren darf. Ich möchte nächstes Mal beim Stufenaufstieg wieder mehr entscheiden dürfen als die Schnellzugriffstaste für die zwangszugeteilte neue Fertigkeit. Ich möchte außerdem mehr Charakterklassen zur Auswahl haben. Oder zumindest welche, die sich unterschiedlich spielen. Habe es bisher als Dämonenjägerin und Mönchin (oder heißt das dann Nonne?) versucht und spielerisch keinen Unterschied feststellen können. Wenn ich mich recht erinnere, war es noch in Diablo II ein ganz anderes Erlebnis, ob man den Barbaren oder die Geisterbeschwörer gab.

In diesem Sinne:

3. Mehr bessere Story

Man kann an der Handlung von Diablo ff. nicht viel aussetzen, weil man sie gar nicht kennt, wenn man ehrlich ist. Oder hat irgendjemand jemals zugehört, wenn irgendwer im Spiel geredet hat? Hat sich jemals jemand die ganzen Auftragsbeschreibungen und anderen Textbeiträge, die man irgendwann zufällig in irgendwelchen Untermenüs findet, wirklich durchgelesen? Hab ich mir gedacht, ich auch nicht. Irgendwas mit Gut und Böse halt, Dunkelheit, Höllenfürsten, hu. Das Spiel ist auch ohne Kenntnis der Handlung spielbar. Daran sollte man nicht rütteln. Andererseits könnte man sich ja mal eine ausdenken, die zum Mithören und Mitlesen zwingt – nicht, weil man sonst nichts verstünde, sondern weil man sich wirklich dafür interessiert? Ich selbst habe übrigens eine geldwerte Story-Idee für ein neues Diablo-Spiel, die ich allerdings ohne Geld niemandem verrate. Es ist eine Idee, die den Spielfluss so unberührt lässt, wie es sich für ein Diablo-Spiel gehört, aber trotzdem mindestens eine garantiert unerwartete, schockierende Wendung hat (kurz vor Showdown, würde ich vorschlagen).

Dafür allerdings müsste man sich …

4. Einfach mal was trauen

Das ästhetische, spielerische und erzählerische Konzept der Diablo-Spiele zu ändern, wäre ein Wagnis. Greift man zu tief ein, maulen die Mäuler: „Pfui Teufel, das ist kein Diablo mehr!“ Macht man derweil weiter wie bisher, skandiert der Wutgamer zu recht: „Unter den Talaren / der Muff von 17 Jahren!“ Behutsame Innovation ist angezeigt. Warum kann man nicht eine andere Perspektive als die ständige Schrägvonoben-Sicht zumindest anbieten? Traditionalisten müssten das Angebot ja nicht annehmen. Möglicherweise ist das technisch ganz furchtbarer Mehraufwand, doch das darf als Gegenargument nicht zählen bei einer Serie, die nur alle Jubeljahre unter viel Premium-Event-Getöse eine neue Folge vom Himmel auf den Markt rieseln lässt. Notfalls kann man ja am Umfang schrauben. Ich habe nie verstanden, warum die Diablo-Fortsetzungen ausgerechnet mit dem Mehr an Umfang gegenüber dem Vorgänger protzten. Quantität ist doch nun wirklich nicht das, was zählt. Gerade bei einem inhärent sehr repetitiven Konzept wie dem der Diablo-Reihe finde ich die Aussicht auf „jeder Nebenauftrag viermal so umfangreich wie das gesamte letzte Spiel!“ eher abschreckend, so viel Zeit habe ich nicht, hatte ich auch präfamiliär nicht.

Und warum muss es überhaupt diese durchgenudelte Europäisches-Mittelalter-Fantasy sein? Die ist doch alt. Warum nicht Tempel, Kirschblüten, fliegende Schwertkämpfer, Cowboys, Indianer und Astronauten? Warum sollte Diablo 4 nicht Diablo 4000 AD sein?

Und dann wäre da noch dieses Thema, fast so leidig wie Punkt 1:

5. Erst veröffentlichen, wenn es in allen Darreichungsformen fertig ist

Hand aufs Herz: niemand spielt freiwillig Computerspiele. Die Dame und der Herr von Welt werden immer die hedonistisch korrekte Konsole dem lustfeindlichen Heimcomputer vorziehen, wenn sie die Wahl haben. Wenn es allerdings zur Veröffentlichung der PC-Version eines lang herbeigehofften Titels nur heißt, die Konsolenversion erscheine „vielleicht höchstwahrscheinlich ganz bestimmt eventuell irgendwann“ greift man vorsichtshalber doch zu diesem vulgären Relikt des 20. Jahrhunderts. Erscheint schließlich die Konsolenversion und gurren alle Vögelchen, sie sei viel besser als die PC-Version (ist sie das jemals nicht?) und laufe sogar ohne Internet (aha! es ist also kein Ding der Unmöglichkeit!), tut sich eine innere Leere auf.

Da fällt mir noch ein Unterpunkt ein: Ein Add-on muss wieder Add-on sein. Es wurden einige Äuglein gerieben, als die Diablo III-Erweiterung Reaper of Souls für die Xbox erschien und nur im Bundle mit dem Originalspiel zum Vollpreis erhältlich war. Meine Äuglein waren unter den geriebenen, denn ich muss hier eine schreckliche Verfehlung gestehen:

Ja, ich gebe zu, ich habe mir Diablo III zähneknirschend für die Xbox noch einmal gekauft (nicht nachmachen, Kinder, das ist sklavenkapitalistisches Unfugsverhalten für Lämmer und andere Opfer, und ich schäme mich dafür jeden Tag), weil meine Abneigung gegen den Heimcomputer inzwischen so groß ist, dass ich daran nur noch sitzen mag, wenn Bücher ins Reine getippt oder Urlaubsfotos manipuliert werden müssen. Ein drittes Mal kaufe ich mir das Spiel allerdings nicht, Add-on hin oder her. Und überhaupt – Reaper of Souls. Irrer Titel. Wie viele Sekunden haben zwei Zwölfjährige denn darüber gebrütet? Ist ihnen nichts mit ‚Oblivion‘ oder ‚Reckoning‘ eingefallen?

Oh, apropos Xbox, da wäre ein weiterer Unterpunkt: Charaktere wollen frei sein sein. Warum darf meine Computer-Dämonenjägerin nicht auf der Xbox spielen? Portieren von Figuren zwischen Systemen sollte heutzutage möglich sein, andere Spiele haben es auch hinbekommen (behaupte ich zumindest, selbst wenn mir gerade keines einfällt), und Online-Features scheint Diablo III ja zu haben.

Danke fürs Zuhören, alles andere kann so bleiben.

(Dieser Beitrag verzichtet auf Illustrationen, weil es im Internet schon genügend Bildschirmaufnahmen von Diablo-Spielen gibt. Sie sehen eh alle gleich aus.)

Wau! Flash! Ahaaa!

(Monat der bildlosen Sprach- und Medienkritik, Episode V – das letzte Kapitel)

Anderntags kam ich an die Werbung für ein neues Videospiel. Wie in der Unterhaltungsbranche üblich, wurde mit wohlwollenden Pressezitaten geworben. Eines lautete: „Wow, bin ich geflashed!”

Wie die junge Generation sagt: Wirklich? Wie wir Älteren sagen: Seufz!

Zielgruppengerechte Ansprache ist schön und gut. Aber wenn sich nun das sprachliche Niveau der professionellen, bezahlten Gaming-Presse zu 0% vom Gespräch am Urinal auf der Reeperbahn nachts um halb eins unterscheidet, muss man sie auch nicht lesen. Dann reicht es, zu den trostlosen Zahlenkolumnen der Testergebnisse vorzuspulen oder gleich im Internet nachzuschauen, wo unbezahlte Amateure mit vergleichbarem Vokabular gratis ihre Meinung zur Verfügung stellen.

Es besteht kein Zweifel, dass Videospiele (Computerspiele sind nach Damenmanier stets ‚mitgemeint‘) heute die anspruchsvollste Art des Geschichtenerzählens sind. Technisch ist ihre Entwicklung weitgehend abgeschlossen; außerhalb von Jahrmarkt-Bereichen wie Bewegungssteuerung und 3D sind keine Quantensprünge mehr zu erwarten und haben seit Jahren keine mehr stattgefunden. Wenn man nicht gerade ein Benchmark-Nazi ist, musste man sich seit gefühlten Ewigkeiten keine neue Hardware kaufen. Das ist gut so, nun kann man sich dem Inhaltlichen zuwenden. Es braucht mehr Spiele-Autoren, die die grenzenlosen Freiheiten des Mediums nutzen und vor allem sinnvoll bändigen können. Da bin ich vorsichtig optimistisch, ein paar gibt es ja schon. Ich teile auch nicht die gern herbeifantasierte Sorge, dass Handy- und Browser-Games den richtigen Spielen den Rang ablaufen werden. Das ist so, als würde man behaupten, dass die Bücher von Trendprominenten eine Gefahr für den Literaturmarkt darstellen. Niemand sagt sich im Buchladen: „Ach, ich kauf mir doch lieber den neuen Glööckler als den neuen DeLillo.“ Genauso sagt niemand: „Ach, ich spiele doch lieber eine Runde Angry Birds als eine Runde Deus Ex.“

Was mir sehr wohl Sorgen bereitet, ist die Frage der Vermittlung über das Hardcore-Gamer-Ghetto hinaus. Das bürgerliche Feuilleton macht lobenswerte Mäuseschrittchen hin zu einer Berichterstattung über Videospiele. Meist allerdings folgt sie nach wie vor dem Event-Prinzip (das teuerste Spiel aller Zeiten! das erfolgreichste Spiel aller Zeiten! das gefährlichste Spiel aller Zeiten!). Von der Selbstverständlichkeit, Regelmäßigkeit und Kompetenz, mit der neue Bücher, Filme, Theater- und Musikstücke besprochen werden, ist man dabei in den Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen noch weit entfernt. Und wie soll man das von der arrivierten Journaille auch anders erwarten, wenn sich die Fachpresse, die mit gutem Exempel vorangehen müsste, als hilflos stammelnder Flash-Mob geriert?! (Ich weiß, es gibt ein oder zwei halbwegs lesenswerte Gaming-Magazine in Liebhaber-Auflagenstärke, aber Positivbeispiele haben in einer geifernden Polemik nichts verloren.)

Dass etwas in dieser Branche journalistisch nicht so rund läuft, wie es müsste, war mir schon klar, als ich selbst kurzzeitig dazu gehörte. Das ist lange her. Es war keine bessere Zeit, doch es war eine Zeit, in der Zeitschriftenredakteure noch nicht wussten, dass das Internet bald alle Druckerzeugnisse außer Landlust und Landser killen würde. Ehe sich gleich die Falschen in den Rücken gedolcht fühlen: Ich möchte hier nicht von dem KONSOLEN-Spiele-Magazin erzählen, dem ich eine Zeit lang wegen Anstellung im selben Verlagshaus gelegentlich zuarbeitete. Das war sehr schön, solange der Traum währte. Hier soll es um das COMPUTER-Spiele-Magazin gehen, bei dem ich zwei Jobs früher für kurze Zeit exklusiv redaktionell verpflichtet war. Die Gründe für die Kürze dieses beruflichen Gastspiels waren in erster Linie meine grenzenlose Inkompetenz und meine Abneigung gegen den nordkoreanischen Kasernenton im Chefbüro. Der Liebe Führer hin oder her, es waren nicht alle schlecht dort. Ich teilte mein Büro mit einem sympathisch depressiven Veteranen der Szene, der mir gleich zu Beginn sagte, ich könne meine journalistische Karriere jetzt vergessen, denn die nachweisbare Mitarbeit bei einem PC-Spiele-Magazin sei so etwas wie ein scharlachroter Buchstabe auf der Bluse, ein Stigma, ein Schandfleck im Lebenslauf. Passenderweise war unser Büro in einem Keller untergebracht, der nur von einem schmalen Streifen Tageslicht erhellt wurde, für wenige Stunden am Tag. Ich fühlte mich sofort wie eines der toten Kinder in Stephen Kings Es, aus dem Gullideckel säuselnd: „Hier unten schweben wir alle!“

Schlimmer jedoch war die Arbeit als solche. Genau genommen war man an Spiele-Besprechungen gar nicht interessiert, sondern an buchhalterischen Warentests. Alles im Text, was nicht jeder Vierjährige verstand, wurde hinausgestrichen (Dear Leader: „Porno-Musik?! Darunter kann sich keiner was vorstellen!“). Noch ein bisschen schlimmer und unkreativer ging es nur in meinem nächsten Job als PR-Redakteur, als mal ein Kunde meine Chefin fragte, ob ich eigentlich geisteskrank wäre, weil ich die abwegige Idee hatte, eine Weihnachtspressemeldung im weihnachtlichen Stil zu formulieren.

Mein erster Auftrag als Spieletester war der Test einer Baseball-Simulation. Ich verstand nicht viel von der Sportart (oder irgendeiner Sportart), war aber schon mal in Amerika gewesen. Als ich mit meinem Test fertig war, ihn so trostlos wie möglich formuliert und mit der üblichen kunstfeindlichen Prozent- und Punktewertung versehen hatte, begann die Redaktionskonferenz, ob die Punkte und Prozente richtig verteilt waren. Die Bewertung des Spiels oblag also nicht mir, sondern war eine Mehrheitsentscheidung von Menschen, die mehrheitlich das Spiel nicht gespielt hatten und noch weniger von Baseball verstanden als ich. So wurde freilich auch mit jedem anderen Test jedes anderen Testers verfahren. So kam man letztendlich bei Testartikeln an, deren Testergebnisse genauso willkürlich waren wie die vorangegangenen Texte freudlos. Übte man leise Kritik an der Schnarchlangweiligkeit dieser Artikel, bekam man das zu hören, was man noch heute überall dort in der Presselandschaft zu hören bekommt, wo man zu faul zum Arbeiten und zu blöd zum Denken ist: „Die Leser erwarten das so.“ Wahrlich, ich aber sage euch: Die Leser können das gar nicht beurteilen. Weil sie die Alternativen nicht kennen, denn sie wurden ihnen nie angeboten.

Und ‚geflasht‘ schreibt man mit t.

Diablo 3 und die gegenstandslose Meditation

Endlich kann ich mal von einem welterschütternden Großereignis sagen: Ich war dabei! Nicht als stummer Zeuge vor dem Fernsehapparat, sondern als direkt Beteiligter, zutiefst Betroffener.

Sie haben es ja bestimmt in all den Nachrichtensondersendungen gesehen, die am Dienstag rund um die Uhr das Programm unterbrachen: Das Computerspiel Diablo 3 war endlich erschienen, ging aber nicht! 5/15, der Tag, nach dem nichts mehr so war, wie es einmal war. Die Welt hatte ihre Unschuld verloren. Wenn man den Computerspieleherstellern nicht mehr vertrauen konnte, dann konnte man niemandem mehr vertrauen. Hier war eine neue Qualität des Qualitätsmangels erreicht. Gerade junge Menschen, die bei der Veröffentlichung der ersten beiden Diablo-Spiele noch gar nicht geboren waren, und für die dieser Tag der schönste und wichtigste in ihrem Leben werden sollte, suchten Trost und Halt in der trügerischen Geborgenheit sogenannter Internet-Foren. Dort hinterließen sie der Nachwelt bewegende Dokumente der Trauer: „Rabä-hähähähä – das sag ich Mama!“

Für alle, die Computerspiele noch nicht als die Zehnte Kunst in ihr Herz gelassen haben: Das erste Diablo machte in den Neunzigern mit einem Schlag Fantasy-Rollenspiele cool, indem es alles wegließ, was an Fantasy-Rollenspielen immer langweilig gewesen war. Es reduzierte sie damit auf das liebenswerte Vorurteil, das Außenstehende ohnehin davon hatten: es ging nur um Monster abschlachten und Schätze sammeln. Kein ödes Rumsitzen in „Tavernen“ zwischen „Elben“ und „Gnomen“, um irgendwelchen „Barden“ zu „lauschen“ und „Met“ zu trinken, was immer das sein mag. Kein endloses Blumenpflücken, um Burgfrolleins und Kräuterhexen zu gefallen. Kein Mikromanagement banger Fragen, ob man mit dem neuen halben Talentpunkt lieber seinen Wert in „Kleine Dinge verstecken“ oder „Brennnesselresistenz“ erhöht. Einfach nur alles totklicken, was sich bewegt. Die Handhabung war so intuitiv, dass selbst ich sie als Computerspiele-Angsthase in unter zwei Sekunden komplett verinnerlicht hatte. Wer eine Computermaus bedienen konnte, konnte Diablo spielen, auf Anhieb. Die relative Komplexität kam später, man merkte es kaum, man konnte und wollte dann auch nicht mehr zurück. Diablo hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass ich vom Casual Gamer zum Casual Hardcore Gamer wurde. Im Jahr 2000 kam mit Diablo 2 dasselbe Spiel noch mal raus, nur bunter und ohne Speicherfunktion. Mit anderen Worten eine typische Fortsetzung: Nicht so gut wie das Original, aber besser als gar nichts.

Was war nun geschehen, am Verhängnisvollen Dienstag (VD)? Um Diablo 3 zu spielen, ganz egal ob alleine oder mit anderen, muss man permanent beim Online-Service Battle.net angemeldet sein, aus Gründen der Diebstahlsicherung. Bei Computerspielen bin ich konservativ. Das ist etwas, wobei man gefälligst einsam am Computer verrohen sollte, Freundschaften und helles Kinderlachen gibt es anderswo. Will sagen: Ich gehöre zu der schweigenden Mehrheit, die nicht an Multiplayer-Schnickschnack interessiert ist, deshalb habe ich den Internet-Zwang von vornherein als sinnlos und verdächtig erachtet (gucken die mir in den Computer? sehen die meine Urlaubsbilder?). Als Urheber bin ich prinzipiell ein riesen Fan von DRM und Kopierschutz, aber man kann das auch anders umsetzen. Dass man es so, wie es in diesem Falle umgesetzt wurde, gerade nicht nicht umsetzen kann, wurde am Dienstag eindrucksvoll bewiesen, als alles zusammenbrach und man weltweit nur Fehlercodes statt Erfahrungspunkte sammeln konnte. Wenn das noch mal passiert, sage ich es Mama.

Ich gehöre wohlgemerkt nicht zu den weinerlichen Hysterikern, für die mit den Servern eine Welt zusammenbrach, aber ich respektiere ihren Schmerz die Wehwehchen der kleinen, verzogenen Rotzlöffel. Ganz anders wird mir allerdings, wenn ich höre, dass nicht wenige Menschen für Diablo 3 „extra Urlaub genommen“ hätten. Da kann ich nur mit dem Kopf schütteln und ausrufen: Memmen! Was ist bloß aus dem guten, alten Krankfeiern geworden?! Ich habe freilich weder noch gemacht, ich habe nur abends Japanisch geschwänzt. Aber selbst das hatte in erster Linie damit zu tun, dass es so doll geregnet hat, und ich hatte keinen Schirm, und ich war gerade erst von einer starken Erkältung genesen, und mein imaginärer Hund hatte meine nicht gemachten Hausaufgaben gefressen. Es handelt sich also um reinen Zufall, dass auch ich schon an Tag 1 versucht habe, ein paar wandelnden Skeletten die Knochen zu brechen. Dass es nicht ging, trug ich mit Humor und Gelassenheit. Es hatte etwas Meditatives, hoch konzentriert auf den Anmeldebildschirm zu schauen und auf eine Anmeldung zu warten, die Godot-ähnlich nie kam.

Die Hintergrundmusik war angenehm einlullend, und wenn sie einem nach ein paar Sekunden doch auf den Sack ging, stellte man sie halt aus. Dann hörte man, dass die Krähe, die da auf einem Felsen sitzt, hin und wieder kräht. Man wurde bald eins mit der virtuellen Natur. Und als man schließlich auf der obersten Astralebene inneren Friedens eingeschwebt war, sagte man sich mit einem sanften, weisen Dalai-Lama-Lächeln: „Scheiß die Wand an, dann spiel ich eben Duke Nukem weiter!“

Ähnlich wie bei Duke Nukem Forever wird von Diablo 3 behauptet, man habe 12 Jahre auf das Spiel gewartet. Ähnlich wie bei Duke Nukem Forever behaupte ich, man hat nicht 12 Jahre auf Diablo 3 gewartet, sondern in der Zeit auch noch andere Sachen gemacht, zum Beispiel Diablo 2 gespielt. Oder hat man bereits am Erstverkaufstag des letzten Spiels die Fingernägel zwischen die Zähne gesteckt und auf Teil 3 gewartet? Wenn das so ist, muss ich hier mal anmerken, dass ich jetzt schon seit drei Tagen auf Diablo 4 warte und es bald nicht mehr aushalte.

Helfen würde, wenn ich solange Diablo 3 spielen könnte. Gestern Abend ging es vorübergehend, heute Mittag wieder nicht mehr. Das gestrige Schnupperspiel bestätigte, dass es zum Glück wieder dasselbe Spiel geworden ist, nur für uns Senioren noch etwas weiter vereinfacht. Bei der Charakterentwicklung kann man jetzt gar nichts mehr selbst machen, die wird einem vorgegeben, wie im richtigen Leben. Ich spiele selbstverständlich eine Dämonenjägerin, weil das so eine Art Ninja ist und ich 12 Jahre alt bin.

So, ich sollte jetzt mal wieder schauen, ob ein Server offen ist. Ich muss Diablo 3 unbedingt heute noch so lange spielen, bis es mir zum Hals raushängt, weil morgen Max Payne 3 erscheint.

Es ist herrlich, 12 Jahre alt zu sein und das Taschengeld eines 42-jährigen zu haben!

Update aus der Zukunft

Hiermit distanziere ich mich von der voreiligen Max Payne 3-Schwärmerei von 2012. Ein menschenverachtendes Schweinespiel für menschenverachtende Schweinespieler, denen der nächste Kopfschutz nicht mehr ist als das nächste Achievement. Nichts von den ersten beiden Spielen verstanden, und Jürgen von der Lippe ist als Max Payne eine totale Fehlbesetzung.

14 Jahre sind relativ (wenig)

„Endlich Wochenende /
Jetzt wird nur noch gezockt“

– Friedrich Schiller, Ode „An die Freude“ – Tony D, Jackpot

Sie haben sicherlich aus den Nachrichten davon erfahren, am vorvergangenen Freitag ist das Telespiel Duke Nukem Forever erschienen. Von der ersten Ankündigung bis zum Erstverkaufstag hat es rund 14 Jahre gebraucht, was als ziemlich lang gilt. Mit der Zeit hatte sich in der Gemeinde der Computer- und Videospieler der Glaube durchgesetzt, dass der Untergang oder Fortbestand der westlichen Zivilisation von der Qualität dieses Spieles abhinge, denn viele hatten sentimentale Erinnerungen an den Vorgänger, Duke Nukem 3D. Ich auch. Duke Nukem 3D überzeugte mich 1996 davon, dass Computerspiele doch kein langweiliger Kinderkram sind, sondern ganz schön aufregender Kinderkram.

Vorher hatte ich keinen nennenswerten Kontakt zu Computerspielen. Ich war schon immer liebenswert fortschrittsfeindlich und bin es noch heute. Mein erster Walkman war ein iPod, und auch den habe ich nur widerwillig und gebraucht gekauft. Er wird frühestens ausgetauscht, wenn die Akkuleistung unter drei Minuten fällt (was vermutlich bald der Fall ist, Apple halt). Erst kürzlich bin ich wg. Materialermüdung von einem Schwarz/grau-Mobiltelefon mit Knöpfen auf ein Farbmodell mit berührungssensitivem Bildschirm umgestiegen, mein drittes Handy in 13 Jahren. Ich sehe aber ein, dass es Vorteile hat. Man kann darauf seine fettigen Ohrabdrücke viel besser sehen. Das Faxgerät blieb der Welt nicht lange genug erhalten, als dass wir uns richtig hätten kennenlernen können. Die Faxe, die ich in meinem Leben gefaxt habe, lassen sich vermutlich an den Fingern einer Hand abzählen, und mindestens einen Finger hätte ich noch frei um Haselnussbrotaufstrich zu naschen. Nie habe ich eingesehen, einen Automobilführerschein zu machen. Meinen ersten Heimcomputer kaufte ich mir sauertöpfisch mit Mitte 20, weil meine Nachbarn fanden, dass meine Schreibmaschine zu laut sei, um nachts darauf zu schreiben.

(Mit 20 meint man, inspirierte Schreibarbeiten müssen unbedingt nachts erledigt werden, dabei geht das auch vor 22 Uhr.) Ich hatte mir vorgenommen, mein Computer-Dings lediglich als leisere Schreibmaschine zu verwenden und es keinesfalls mit Spielen zu besudeln. Mein Installateur hatte mir zwar ungefragt und zu meiner großen Freude Sam & Max draufgepackt, aber das ging in Ordnung, fand ich, das war immerhin was zum Nachdenken, adorno-mäßig gerade noch okay.

Vielfach wird meine Technikfeindlichkeit und damit einhergehende Ahnungslosigkeit bei entsprechenden Themen für Koketterie gehalten. Immer wieder bringen mir ganz aufgelöste Menschen kaputte Handys an die Tür und schluchzen: „Es klingelt seit heute Morgen nicht mehr! Ich flehe Sie an – tun Sie etwas!“ Das Missverständnis, dass mich so etwas interessieren könnte oder ich gar eine Lösung wüsste, kam vermutlich dadurch in die Welt, dass ich beruflich einmal ein paar Jahre lang auf die schiefe Bahn geraten war. Dabei habe ich mich in meiner Zeit als technischer Journalist (oder „schreibender Schraubenzieher“, wie die anderen Journalisten sagen, wenn man gerade nicht hinhört) bloß durchgeschummelt, großes Ehrenwort. Es gehört ja auch wirklich nicht viel dazu, Sony-Pressemitteilungen umzuformulieren.

Entschuldigen Sie, wenn ich abschweife. Ich war heute Vormittag bei einer ärztlichen Untersuchung und habe noch Kontrastmittel im Körper, was immer das sein mag.

Jedenfalls ging ich eines Tages im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrtausends einen Freund besuchen, ihn abzuholen, um irgendetwas viel Wichtigeres als das Spielen von Computerspielen zu unternehmen (vermutlich saufen). Mein Freund hatte sich zu meinem Unmut noch nicht mal fertiggemacht, als ich ihn in seinem WG-Zimmer fand. Stattdessen machte er an seinem PC Außerirdische fertig, die die Erde unterjochen wollten. Er spielte Duke Nukem 3D, einen Ego-Shooter (vulg.: Killerspiel) über einen heterosexuellen Kriegshelden mit dummen Sprüchen und dicken Knarren. Mein Freund fragte mich, ob ich auch mal ran wolle. In der Hoffnung, unsere Abreise dadurch zu beschleunigen, willigte ich ein. Wir verließen das Haus an diesem Abend nicht mehr. Als die Lebensgefährtin des Freundes auftauchte, die mich als Kriegsdienstverweigerer und Studenten der Geisteswissenschaften kannte und schätzte, sagte sie triumphierend: „Andreas, sag ihm, was du davon hältst!“

Ich nahm die Hände keinen Moment von der Tastatur und den Blick nicht vom Bildschirm und ächzte: „Ich würde es besser finden, wenn man es mit Joystick spielen könnte!“

Ich bildete mir ein, die Zukunft der Unterhaltung gesehen, nein, erlebt zu haben. Wenn Spiele so wären, dann wären Action-Filme fortan überflüssig, weil man bei diesem Spielprinzip und dieser atemberaubenden Grafikqualität das Gefühl hatte, selbst in einem Action-Film mitzuspielen, was viel aufregender war als bloß zuzuschauen. Die technische Revolution hatte stattgefunden. Das Ende der Fahnenstange war erreicht. (Mir wurde erst später bewusst, dass Spiele niemals Konkurrenz für Unterhaltungsfilme werden können, weil man sich beidem aus völlig unterschiedlichen Gründen zuwendet. So ein Spiel wird man nie zur Entspannung spielen, denn ein Spiel ist alles andere als entspannend.)

Auf Duke Nukem Forever, die Fortsetzung, freute ich mich. Aber eines verwirrte mich: Immer wieder las und hörte man unmittelbar vor der Veröffentlichung die Behauptung, man habe 14 Jahre darauf gewartet.

Also, ich nicht. Im betreffenden Zeitraum habe ich unter anderem mein Studium erfolgreich abgebrochen, meinen ersten Erwachsenen-Job angenommen und dreimal gewechselt, mit dem Rauchen aufgehört und mit dem Laufen angefangen, meinen Wohnort von Norden nach Süden gewuchtet, aus langen Haaren und Vollbart das Gegenteil gemacht, rund 30 Fernreisen unternommen, wichtige und weniger wichtige Beziehungen beendet und begonnen, mehrere unveröffentlichte Bücher und ein veröffentlichtes geschrieben, drei oder vier Blogs aufgegeben, unzählige Bücher gelesen und Filme gesehen, mit dem Comiclesen mehrfach aufgehört und wieder angefangen, viele Kochrezepte gelernt, in Konzerthallen gestanden und auf Bierbänken gesessen, zweimal genullt, und sogar ein paar Video- und Computerspiele ohne Duke Nukem gespielt (ging auch). Der Planet drehte sich unermüdlich um die Achse und kreiste um die Sonne, Babys wurden schreiend aus der molligen Dunkelheit in das harsche Licht der Welt gezerrt, Erde kehrte wieder zur Erde zurück, große Kunstwerke wurden geschaffen und vernichtet, Regime wurden gestürzt und errichtet. Mit all dem hatte ich direkt nichts zu tun, aber es kann einen trotzdem ablenken.

Ich habe also nicht viel Zeit damit verbracht, mit Fingernägeln zwischen den Zähnen auf den Kalender zu starren und mich zu fragen, wo denn Duke Nukem Forever bliebe. Will nicht sagen „gar keine“ Zeit, aber doch „kaum“. Wenn man alles zusammenrechnet, vielleicht so eine Stunde. Das war auszuhalten. In einer Stunde über 14 Jahre verteilt übersteigert man nicht seine Erwartungshaltung, weder in Sachen technischer und spielerischer Brillanz, noch in Sachen schrulliger Retrocharme, oder des Ausmaßes der Katastrophe, die viele vorgebliche Anhänger niederträchtig und masochistisch herbeisehnten.

Ein bisschen banges Kalenderstarren und Nägelkauen ließ sich am letzten Samstag nicht vermeiden, weil ich aus Gründen der Knauserigkeit das Spiel im Billigland England bestellt hatte und es nicht feststand, dass es rechtzeitig zum langen Wochenende rübermachen würde. Hat es aber, und ich muss sagen: Die eine Stunde Wartezeit habe ich keine Sekunde bereut. Ich habe gelesen, dass die Grafik des Spiels unter aller Sau ist. Für diese Info möchte ich mich bedanken, denn es wäre mir sonst nicht aufgefallen bei dem ganzen Spaß, den ich mit Duke Nukem Forever habe. Wie die Musik ist, kann ich nicht beurteilen, da Musik in Videospielen nichts verloren hat, weshalb ich sie immer gleich nach Erhalt abstelle. Wenn sie so ist, wie der überdrehte Gitarrenquatsch im Intro, war das die richtige Entscheidung. Das Geknatter meiner Schusswaffen und das Todesquieken meiner Gegner ist genügend Musik in meinen Ohren.

An den Humor hatte ich keine großen Erwartungen. Den Humor von Duke Nukem 3D seinerzeit hatte ich mir als linksdrehender Frauenversteher damit schöngeredet, dass der ja gar nicht sexistisch und gewaltverherrlichend wäre, sondern eine Parodie auf Sexismus und Gewaltverherrlichung. Dass Parodie niemals Anklage, sondern immer nur Schmeichelei und Bekräftigung ist, verdrängte ich damals. Das tue ich nun nicht mehr, bilde ich mir ein. Deshalb kann ich über den Bier-und-Babes-Humor von Duke Nukem heute gar nicht mehr lachen.

Hm, kann ich offenbar doch noch. Duke Nukem Forever ist schon ziemlich lustig. Es sind ja nicht nur die Macho-Sprüche und Fellatio-Witze (obwohl viele von denen auch recht ulkig sind). Es gibt außerdem vereinzelte Anspielungen auf relativ aktuelle Auswüchse der amerikanischen Gegenwartskultur, etwa Seitenhiebe auf den Krieg der Late-Night-Talkshows und den Krieg gegen den Terror sowie blutige Fausthiebe auf einen cholerischen Schauspieler-Lackaffen, der wahrscheinlich Christian Bale ist.

Aber die wenigen Konzessionen an die Gegenwart sind nicht das Entscheidende. Vor allem gilt: Nicht obwohl Duke Nukem Forever mindestens zehn Jahre zu spät erscheint, ist es ein gutes Spiel, sondern weil es mindestens zehn Jahre zu spät erscheint. Ein oder zwei Jahre nach Duke Nukem 3D wäre es nur eine solide Fortsetzung gewesen. Heute ist es eine veritable Zeitreise. In eine Zeit, in der Spiele noch etwas Spielerisches hatten und nicht mit buchhalterischem Mikromanagement-Irrsinn allen Spaß an der Freud verdarben. Man fühlt sich wieder wie Mitte 20, nur nicht so behaart. Sollte es eine weitere Fortsetzung geben, ich warte gerne. Selbst wenn es wieder eine Stunde dauert.

Endlich mal die Gute sein!

Nicht lachen, aber ich krauche immer noch im ersten Teil des Weltraumvideorollenspiels Mass Effect herum. Sie erinnern sich bestimmt, als wäre es erst gestern gewesen: Anfang des Jahres hatte ich mich zuerst etwas herablassend zu diesem Quatsch geäußert um kurze Zeit später mit eingekniffenen Schwanz zurückzurudern, weil es gar so großer Quatsch dann doch nicht war. Dass ich nach wie vor nicht den gesamten Weltraum besiegt, besiedelt oder befreit habe, oder worum auch immer es in diesem Spiel gehen mag, liegt nicht daran, dass ich ein so schlechter oder gründlicher Spieler wäre, sondern eher ein untreuer und seltener. Manche Monate wird kein Controller angerührt, in anderen haben andere Spiele größere Strahlkraft als der Mass-Effect-Quatsch. Aber zurück komme ich immer, irgendwann.

Jetzt habe ich etwas Interessantes gelesen: Wie jedes anständige Unternehmen sammelt der Mass-Effect-Erfinder Bioware Kundendaten. Dabei kam heraus, dass nur 20% der Spieler die Hauptfigur Shephard als Weib erschaffen haben. Das wundert mich ein wenig. Es handelt sich schließlich um Science Fiction und ein Videospiel, also ist davon auszugehen, dass rund 100% der Spieler auch so schon männlich sind. Also quasi wie ich. Aber meine Shephard ist selbstverständlich weiblich. In Rollenspielen spiele ich immer jemanden, der so wenig wie möglich mit mir selbst zu tun hat. Ich bin sogar der Meinung, dazu sind sie da. Und eine Frau zu sein hat recht wenig mit mir selbst zu tun, ob Sie es glauben oder nicht.

Warum spielen die meisten anderen Männer lieber mit Männern? Wollen die nicht mal was Neues ausprobieren? Haben die Angst vor starken Frauen wie mir? Und haben die sich im Vorfeld nicht überlegt, dass man in diesen Spielen 80% der Zeit damit verbringt, seiner Figur auf den Hintern zu gucken, während sie hechelnd durch die Gegend läuft?

Das bin jedenfalls ich, als InfiltratorIn der 28. Stufe:

Da habe ich mich in einem schmeichelhaften Winkel getroffen, denn leider hat meine Shephard ein fliehendes Kinn, da die Kinnpartie bei der Charaktererschaffung am schwierigsten hinzubekommen ist, wenn man nicht mit seiner realen Nase am Fernseher klebt. Aber ich mache das fliehende Kinn mit einem hohen Wert in ‚Schmeicheln‘ wett, den meisten Außerirdischen fällt es gar nicht auf.

Wenn ich mich so ansehe, muss ich mir von mir selbst ein paar unangenehme Fragen gefallen lassen. Zum Beispiel: Wenn es mir wirklich so auf die Andersartigkeit meiner virtuellen gegenüber meiner realen Figur ankommt, warum bin ich dann nicht ethnisch experimentierfreudiger? Warum so blass um das Näschen? Ich kann das beantworten. Aber nicht befriedigend, dafür ist das alles zu lange her. Ich erinnere mich nicht genau, aber ich glaube, ich habe damals versucht das Aussehen einer real existierenden Person zu kopieren. Ich weiß noch, dass mir das nicht recht gelungen ist, und ich irgendwann einfach fertig sein und mit dem Spielen anfangen wollte. Ich weiß nicht mehr, wer diese Person war, oder auch nur ob sie eine Person des öffentlichen Lebens oder meines Privatlebens war.

Zweite nagende Frage: Wo ich schon im echten Leben ein begeisterter Gutmensch bin, warum muss ich dann auch in Videospielen immer die barmherzige Schwester geben? Wie Sie sehen, ist mein blauer guter Balken viel größer als mein böser roter. Sollte ich im Spiel nicht mal richtig die Sau rauslassen? Vielleicht. Aber hier kommt eine Protesthaltung zum Tragen: Die Fetischisierung des Bösen in Videospielen langweilt mich zu Tode. Noch immer wird so getan, als sei es ein herrlich frecher, emanzipatorischer Akt, in einem Spiel die Rolle des Bösen zu übernehmen. Dabei ist es längst mürbe Gewohnheit. 1997 hatte es etwas Erfrischendes, dass man in der niedlichen Folterkellersimulation Dungeon Keeper nicht den holden Ritter spielte, der in das düstere Verlies einbricht um Untiere abzumurksen und Gold zu raffen, sondern den Typen, dem die Bude gehört. Seitdem wird für so ziemlich jedes Spiel mit dem Versprechen geworben: „Endlich mal der Böse sein!“ Auch nach 13 Jahren wurde das ‚endlich‘ nicht gestrichen. Ganz so, als spiele man nicht seit Jahren fast ausschließlich Soldaten oder andere Profikiller. Moralische Probleme habe ich damit keine, ist ja nur Spiel. Solange man den Dienst an der Waffe auf dem Bildschirm belässt, soll man ruhig. Nur ist das Böse leider so einfalls- und facettenlos. Böse kann jeder. Gegen die „Endich mal der Böse sein!“-Begeisterung möchte ich anquengeln: „Wann kann ich denn endlich mal wieder die Gute sein?!“

In Spielen wie Mass Effect kann ich es, bis zu einem gewissen Grad. Konflikte löse ich hier am liebsten politisch, also durch gutes Zureden und Spendengelder. Außer, wenn ich so nicht weiterkomme. Dann puste ich ein paar Leuten die Birnen weg. Klappt meistens auch.

Böse ist schon lange das neue Gut. Da sich videospielende Halbstarke seit Jahr und Tag einig sind, dass Gut langweilig ist, müsste doch so langsam der Groschen fallen, dass inzwischen Böse langweilig ist. Im Umkehrschluss ist Gut das neue Böse. Mit anderen Worten: Gut sein ist abenteuerlich und verwegen.

Pädagogischer Auftrag erfüllt, Commander.

Ich wünscht ich wär Ayako Imoto

Maske? Welche Maske?

Das terrestrische japanische Fernsehen zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass man sich schnell entschließt, doch lieber mehr Zeit draußen zu verbringen oder mal wieder ein gutes Buch zu lesen. Ein mittelmäßiges würde es auch tun. Oder irgendeins. Oder das Tapetenmuster mal genauer studieren.

Nicht, dass alles schlecht wäre. Dramen, in denen mindestens ein Mord geschieht, sind meistens sehenswert (Dramen, in denen bloß jemand im Krankenhaus liegt, derweil nicht). Und dann gibt es die göttliche Ayako Imoto, für die ich sogar eine Kochsendung ansehen würde. Eine Sportsendung habe ich wegen ihr schon gesehen. Und Tiersendungen, sonst auch nicht mein Metier, sind unvermeidlich, wenn man der Imoto verfallen ist.

Es war Sommer, als ich sie zum ersten Mal sah, und zwar der des letzten Jahres. Beim alljährlichen Wohltätigkeitsfernsehereignis 24H TV ist es Tradition, dass ein Prominenter einen dreifachen Marathon läuft, und diesmal hatte die junge Komikerin Imoto sich gemeldet. Das interessierte mich, weil ich selbst gerade wieder angefangen hatte, ab und an um mein[en] Block zu schnaufen. Sonst guck ich kein[en] Sport, aber da dachte ich mir: Dreifacher Marathon, das will ich sehen. Und: Komikerin, das ist bestimmt lustig. Als ich Ayako Imoto dann sah, dachte ich: Ach, so eine ist das. Ich war enttäuscht. In der westlichen Komik gibt es eine einzige Regel, die unumstößlich ist und keine einzige Ausnahme kennt: Wer sich als Komiker komisch verkleidet und komische Gesichter macht, ist nicht komisch. Ob in Japan die Regel nicht gilt und Imoto trotz ihres albernen Stylings komisch ist, konnte ich erstmal nicht beurteilen. Aber bald stand fest: Fit ist sie. Und willensstark. Und monströs sympathisch. Ich sah sie dann noch häufiger, und es stellte sich heraus, dass sie mich auch zum Lachen bringen konnte.

Ayako Imoto ist eine Art Mischung aus Anke Engelke mit fetten Augenbrauen und Chuck Norris in Schulmädchenuniform. Ihr Ding ist es, in der Welt herumzureisen und sich mit wilden Tieren anzulegen. Meistens endet es damit, dass sie und ihr Kamerateam ganz schnell vor etwas mit Zähnen davonlaufen müssen. Weil das japanische Fernsehen sehr auf sein Recht am Bild pocht, finde ich leider keine regulären Lustigvideos mit ihr in vertretbaren Quellen. Aber meine Obsession begann ja ohnehin beim dreifachen Marathonlaufen, deshalb hier genau das (im Mittelteil gekürzt):

Vorher:

Nachher:

Die unter japanischen und japanophilen Teenagern heiß diskutierte Kontroverse ums zweite Video ist freilich: Läuft da was zwischen Ayako Imoto und Boyband-Boy Yuya Tegoshi (gelbes Hemd, scheußliche Frisur)? Ist mir egal! Ich will ja nicht Ayako Imotos Boyfriend sein, ich will Ayako Imoto sein! Schon jetzt rufe ich mir jedesmal beim Traben ihr Gesicht vors geistige Auge, wenn es nicht mehr recht läuft, und es geht weiter. Sie ist mein Idol. Obwohl mir eine japanische Bekannte sagte, ich solle mir Imoto nicht zum Vorbild nehmen, denn sie habe „eine raue Zunge“. Weiß der Teufel, woher meine Bekannte das weiß. Mir egal!

Wenn ich Ayako Imoto wäre, könnte ich endlich mit Tieren arbeiten, schon immer mein großer Traum (fragen Sie nicht, ich wache jedesmal schweißgebadet auf). Außerdem hätte ich mein eigenes Nintendo-DS-Spiel:

Mit spektakulären Boss Fights:

Und weiteres hochwertiges Merchandising:

Leider bin ich nicht Ayako Imoto. Aber ich bin fest entschlossen, meinen Traum zu leben.

Mea Culpa Effect (Collector’s Edition)

Tut mir leid, was ich vorhin über das Telespiel Mass Effect geschrieben habe, ich hatte wohl was Falsches gegessen, vielleicht war mir sogar eine Laus über die Leber gelaufen. Das Spiel ist doch ganz gut. Bitte schreiben Sie keine bösen Leserbriefe mehr.

Es ist nicht so gut, wie alle sagen, aber es ist trotzdem ganz gut. Einige Aspekte sind katastrophal schlecht (Inventarsystem, Fertigkeitensystem, Kampfsystem), aber es ist trotzdem ganz gut. Es hat nicht so viele Bikini-Samurai wie Bikini Samurai Squad, aber es ist trotzdem ganz gut. Eigentlich ist so gut wie gar nichts gut an Mass Effect, aber es ist trotzdem ganz gut. Es ist diese Sache mit der Summe und den Einzelteilen.

Die Pauschalkritik an der Rassenlehre in der Science Fiction bleibt bestehen, auch die Detailkritik am Textinformationsoverload des Spiels, aber wenn man mal mit beiden Augen darüber hinwegsehen kann, ist das Ganze im Rahmen seiner Möglichkeiten eine feine, komplexe Weltraumabenteuerschnurre, in der man sich bestens verlieren kann. Wenn das so weitergeht, spiele ich womöglich auch noch Teil 2.

Woher der plötzliche Sinneswandel? Trunken von meinem Furor wollte ich gestern nach dem Bloggen sofort das Spiel von meiner Xbox löschen, damit ich es nie wieder sehen müsse. Ich habe aber nicht herausgefunden, wie oder ob überhaupt das geht. Und da dachte ich mir: So. Wenn ich das Mistding nicht löschen kann, dann spiele ich es einfach weiter, wo ich schon mal davor sitze, das hat es jetzt davon, haha!

Aber das Spiel hat zuletzt gelacht. Ist halt ein Spiel, das erst nach sieben Stunden so richtig gut wird.

Jetzt einen Trailer von Mass Effect oder Mass Effect 2 zu zeigen, wäre total langweilig. Deshalb lieber einer von Bikini Samurai Squad:

Aber langhaarige Profikiller sind trotzdem affig.

Next-Gen Romcom: Xbox und ich

Plötzlich der Gedanke: Mensch, ich würde auch gerne mal eines von diesen modernen Telespielen spielen, von denen alle immer sprechen. Leider läuft auf meinem Computer nur Monkey Island 2 einigermaßen ruckelfrei. Ich sehe das aber gar nicht ein, dass ich mir nach kaum 20 Jahren schon wieder einen neuen Computer kaufen soll, also habe ich mich für eine Xbox 360 entschieden. Sony ist mir als Konzern emotional unsympathisch.

Beim Auspacken war ich erstmal enttäuscht. Die neue Xbox ist ein bisschen das Gegenteil der alten. Die alte sah auf Fotos aus wie etwas, was nur ein Automechaniker lieben kann, aber in natura … okay, auch nicht viel besser, aber halb so wild wie befürchtet. Die neue hingegen wirkt in der Werbung sehr elegant, sieht aber zuhause aus wie Heizkörper. Macht ja nichts, man guckt ihr schließlich auf die Spiele, nicht aufs Gehäuse. Fünf Spiele habe ich mir auch gleich zugelegt, zwei aus Überzeugung, drei weil sie günstig waren und ich doof bin. Das eine Günstige heißt Fable II, es scheint irgendein Fantasy-Quatsch mit einem Hund zu sein. Ich habe das Handbuch angelesen und war nicht überzeugt. Wahrscheinlich werde ich es nie spielen. Ein Spiel von Software-Legende Peter Dingsbums, Sie wissen schon, der, der im vorindustriellen Zeitalter mal einen Hit hatte und seitdem teure Flops produziert. Eigentlich also ganz sympathisch. Aber trotzdem. Scheinbar anscheinend eines dieser Spiele, die sind, wie das echte Leben ist: Wenn man viel isst, wird man fett. Wenn man was Anständiges lernt, bekommt man einen langweiligen Beruf. Erinnert mich an den historischen 2-Minuten-Hype Shenmue, der vorbei war, als man merkte, dass Milchkaufen im Videospiel genauso aufregend ist wie Milchkaufen im wirklichen Leben. Das ist das Kreuz mit diesen übereifrigen Streber-Spieledesignern. Sie begreifen nicht, dass ein Spiel ein Spiel ist, wenn es etwas Spielerisches hat. Man beschäftigt sich mit etwas, was fern des eigenen Alltags ist. Ich brauche kein zweites Leben, vielen Dank, das erste geht noch. Nicht umsonst wird viel lieber Cowboy & Indianer gespielt als Content Manager & Pediküre. Was kommt als nächstes, Steuererklärung of Duty 5: The Reckoning of Oblivion of Redemption?

Das zweite Spiel, bei dem ich skeptisch war, heißt (und jetzt kommt die Originalität ganz dicke): The Darkness. Es basiert auf einem Comic, der mich seinerzeit extrem gelangweilt hatte, und den ich deshalb nicht mehr zusammenbekomme. Gedanke: Ist als Spiel vielleicht besser. Erkenntnis: Nö, eher im Gegenteil. Wenn ich auf Memmen-Schwierigkeitsgrad schon während des Vorspanns deutlich öfter als fünfmal sterbe, dann spricht das nicht für ein Spielerlebnis, auf das ich mich so richtig freue. Dabei spiele ich Shooter generell so vorsichtig, wie es geht. Permanent geduckt, also wie im richtigen Leben. Früh im Spiel möchte man Erfolgserlebnisse statt Ladezeiten. Sterben kann man später immer noch.

Stellt sich heraus, dass The Darkness von einem langhaarigen Profikiller handelt. Das ist zusätzlich schlecht. Wenn es eine Berufsgattung gibt, die mir total über ist, dann ist das die des Profikillers. Im Erzähluniversum der Unterhaltungsindustrie ungefähr sowas wie der Einzelhandelskaufmann im realen Leben. Man begegnet ihnen an jeder Ecke, und irgendwann ist man es über. Und mit langhaarigen Männern ist das so eine Sache. Ich möchte nicht sagen, was für eine Sache, denn das würde redlichen und klugen langhaarigen Männern, die es durchaus gibt und die mir bekannt sind, vor den Kopf stoßen. Ich lasse also lieber die bewundernswerte Modejournalistin Hadley Freeman sprechen, zitiert aus ihrem Buch Meaning of Sunglasses:

”Name me a single time when long hair has improved a man’s look and I will personally come around to your house and tap-dance naked on your coffee table.”

Ich schließe mich gerne an, falls jemand das eine gute Idee findet (aber nur, wenn Frau Freeman auch wirklich mitmacht). Jedenfalls illustriert dieses Zitat, warum ich den Protagonisten von Darkness abgesehen von seinem unoriginellen Beruf auch optisch nicht recht ernst nehmen kann. Ein weiteres No-Go sind die drittklassigen Scorsese-Dialoge (also quasi Tarantino-Dialoge).

Eines der Spiele, die ich mir aus Überzeugung gekauft habe, ist Dead Space. Man spielt einen Weltraummechaniker, der auf einer Weltraumstation gegen Weltraummonster kämpft. Der Weltraummechaniker heißt Isaac Clarke, was bestimmt der nerdigste Weltraumname aller Zeiten ist (was man aber freilich nur als Riesennerd bemerkt). Man hat Spiele, in denen man durch dunkle Gänge schlurft und in regelmäßigen Abständen von fauchenden Monstern angesprungen wird, schon etwas zu oft gespielt um davon noch feuchte Fingerchen zu bekommen, aber der Spaß ist hier auch ohne die Furcht noch da.

Bis diese blöden Meteoriten kommen.

Ich pack das ni-hi-hi-hicht! Kann das mal jemand für mich machen? Die alle abschießen? Danach kann ich bestimmt wieder alleine. Ich hab längst jeden Stolz verloren, ich würde auch einen Cheatcode nehmen, um die Stelle zu überspringen. Scheint es aber nicht zu geben. Falls doch, bitte schicken Sie. Aber wirklich nur Cheatcode. Keine warmen Worte, Durchhalteparolen oder taktische Verhaltensregeln. Hab ich alles recherchiert, hab ich alles versucht, hat alles nicht gefruchtet. Mal halte ich länger, mal kürzer durch, aber es endet immer damit, dass ich explodiere.

Es ist sehr frustrierend und überhaupt nicht zu tolerieren, wenn ein eigentlich anständiges Spiel durch eine konzeptionell völlig aus dem Rahmen fallende Passage mittendrin aus heiterem Himmel unspielbar wird. Was Spielprinzipien angeht, bin ich puristisch. Ich mag es nicht, wenn ein Egoshooter plötzlich von mir verlangt Auto oder Boot zu fahren, dafür bin ich nicht gekommen. Und ich mag es erst recht nicht, wenn ich mich in einem Nullerjahre-Action-Adventure durch Achtzigerjahre-Spielhallen-Gedrücke daddeln muss. Schade, Dead Space, ich hatte wirklich das Gefühl, dass das mit uns was Ernstes hätte werden können. Aber so nicht.

Im Weltraum hört dich niemand gähnen: Eine noch größere Enttäuschung ist das zweite Überzeugungsspiel, Mass Effect, aber das wenigstens von Anfang an. Immerhin macht das Spiel einem nichts vor. Mein Denkansatz im Vorfeld war: Juhu, ein Science-Fiction(!)-Rollenspiel mit einem eigens dafür (!) kreierten Handlungshintergrund. Kein Elfendrachenzwerge-Mumpitz, keine Übernahme aus Film und Fernsehen, alles neu. Pustekuchen, gar nichts neu. Es ist der übliche Sternenallianzenunsinn, der einem seit den Sechzigern aus den Ohren rauskommt, und der aus unerfindlichen Gründen als humanistisch vorbildlich gilt, obwohl er bloß dumpfste Kolonialherrenmenschenmentalität ausdünstet: Außerirdische sind zwar ganz okay, aber so richtige Menschen sind eben doch nur die Menschen. In der Science Fiction funktioniert die Rassenlehre noch ganz fantastisch: Die von diesem Planeten sind alle gefühlskalte Logiker, die von jenem allesamt gierige Geizhälse. Nur die guten alten Menschen von der guten alten Erde können alle immer alles sein.

Selbst wenn man gewohnheitsmäßig jede Form von Vernunft als „politische Korrektheit“ verunglimpft und sich am Muff von tausend Jahren nicht stört, wird man in Mass Effect wenig Freude haben. Man kann keine zwei Meter laufen, ohne dass einem seitenweise neue, endlos öde Textinformationen zu Politik und Gesellschaft, Flora und Fauna ins virtuelle Logbuch gespeist werden. Die meiste Zeit des Spiels verbringt man mit Lesen. Endlich ein Textadventure, dass die Möglichkeiten der Next-Gen-Konsolen voll ausnutzt.

Ewige sechs Stunden habe ich mich mit Mass Effect rumgeärgert, ehe ich einsah und aufgab. Ich möchte jetzt nicht das bedenkliche Hardcore-Argument hören, dass das Spiel erst „nach 20 Stunden so richtig gut“ wird. Ich glaube, mein Schwein pfeift! So lange kann ich nicht warten, ich bin doch kein Zen-Buddhist. Sechs Stunden sollten reichen um beurteilen zu können, ob etwas Spaß macht oder nicht. Und Spaß finde ich bei Spielen enorm wichtig.

Apropos Spaß: Es gab dann doch noch ein Happy End: Eternal Sonata.

Eternal Sonata ist ein japanisches Fantasy-Rollenspiel, das im Fiebertraum des sterbenden Frédéric Chopin spielt, und das ist genau so gut, wie es sich anhört. Man kann Monster verkloppen und lernen. Nach jedem abgeschlossenen Kapitel kommt ein ziemlich langes Lehrvideo über das Leben von Chopin. Alle Helden und Schurken haben musikalische Namen wie Beat, Jazz, Allegretto. Man kann Partituren sammeln und mit Nichtspielerfiguren jammen. Die Hauptheldin Polka ist aufgerüscht angetan, kämpft mit ihrem tragbaren Sonnenschirm und entschuldigt sich höflich, wenn sie jemandem eine runtergehauen hat. Frédéric kämpft freilich mit dem Taktstock.

Ich möchte nicht behaupten, dass es eine komplett unkomplizierte Beziehung wäre. Manche Abschnitte von Eternal Sonata sind schlicht zickig, bilden sich Gott weiß was ein auf ihre Unübersichtlichkeit. Aber es sind die schönen Momente, die im Gedächtnis bleiben. I like Chopin.

Die Kundendurchleuchtungsmaschinerie eines beliebten Internetversandhändlers hat übrigens festgestellt, dass verdächtig viele Kunden, die mein Buch gekauft haben, auch Eternal Sonata gekauft haben. Das freut mich aufrichtig. Ich wünschen Ihnen viel Vergnügen mit Ihren Einkäufen.